Der Prozeß gegen den Bankier August Sternberg wegen Sittlichkeitsverbrechens

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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Der Prozeß gegen den Bankier August Sternberg wegen Sittlichkeitsverbrechens.
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aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2, S. 229–319
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google-USA*, Commons
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Der Prozeß gegen den Bankier August Sternberg
wegen Sittlichkeitsverbrechens.

Das sexuelle Gebiet ist für den Psychologen noch in tiefes Dunkel gehüllt. Fast alltäglich haben sich die Strafgerichte mit Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit zu befassen. Und zwar sind es keineswegs bloß die niederen Kreise, die sich wegen sittlicher Verfehlungen zu verantworten haben. Die schlechten Wohnungsverhältnisse in den Großstädten und Industriezentren und auch die schlechten wirtschaftlichen Zustände tragen allerdings sehr viel zur Vermehrung der Sittenlosigkeit in der ärmeren Bevölkerung bei. Daß aber auch in den höchsten Kreisen arge sittliche Ausschreitungen vorkommen, dafür liefern die verschiedenen Sensationsprozesse der Gegenwart und Jüngstvergangenheit einen unwiderleglichen Beweis. Blutschande und sexueller Verkehr mit Tieren kommen allerdings in gebildeten Kreisen kaum vor, im übrigen begegnet man sittlichen Verfehlungen mehr oder weniger in allen Gesellschaftskreisen. Ungemein bedauerlich ist es, daß Sittlichkeitsverfehlungen der guten Gesellschaft, entsprechend dem Dichterwort: „Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären“ vielfach Erpressungen und andere Verbrechen im Gefolge haben. Vor welch sittlichem Abgrunde wir in diesem fortgeschrittenen Jahrhundert stehen, dafür lieferte der am Ausgange des Jahres 1900 in der deutschen Reichshauptstadt stattgefundene Prozeß wider den Bankier August Sternberg einen geradezu schreckenerregenden Beleg. Und, um es von vornherein zu sagen, weniger die sittlichen Verfehlungen des Angeklagten, so sehr man sie auch vom Standpunkte der Moral verurteilen mag, ließen in diesen Abgrund blicken, sondern ganz besonders die Korruption, die dieser Prozeß zur Folge hatte. August Sternberg, damals wohl etwa 45 Jahre alt, spielte in Berliner Finanzkreisen keine unbedeutende Rolle. Er hatte es in verhältnismäßig sehr jungen Jahren von einem mittellosen Bankangestellten zu einem sehr vermögenden Bankier gebracht. Als er im Oktober 1897 wegen Verletzung des Aktiengesetzes angeklagt war, wurde rechnerisch vor Gericht durch Sachverständige festgestellt, daß er ein Vermögen von 18 Millionen Mark besitzt. Sternberg, persönlich ein sehr liebenswürdiger, schöner Mann mit blondem Haupthaar und kurz geschnittenem Vollbart, war mit der Tochter eines Oberst vermählt. Er war an einer Reihe von guten industriellen Unternehmungen, Berg- und Eisenwerken, Kleinbahnen und Straßenbahnen in hervorragender Weise beteiligt. Er hatte u. a. die Dampfbahn, die die Residenzstadt Kassel mit Wilhelmshöhe verbindet und viele andere industrielle Unternehmungen ins Leben gerufen; er hatte alle Anwartschaft ein deutscher Harriman oder Vanderbilt zu werden. Allein ein griechischer Philosoph sagte einmal: „Niemand ist vor seinem Tode glücklich zu preisen.“ Am 26. Januar 1900 durcheilte die Welt die Kunde, August Sternberg ist wegen Sittlichkeitsverfehlungen verhaftet. Der große Finanzmann mußte seine feenhaft schöne Villa mit einer kleinen düsteren Zelle des Moabiter Untersuchungsgefängnisses vertauschen. Er wurde beschuldigt, in der in der Alexandrinenstraße 1b belegenen Wohnung der Masseuse Margaretha Fischer mit Mädchen unter 14 Jahren unzüchtigen Verkehr unterhalten zu haben. Die Fischer soll durch Zeitungsinserate junge, hübsche Mädchen als Modelle für einen Maler gesucht haben. Auf Grund dieser Inserate meldeten sich zahlreiche hübsche Mädchen in noch sehr jugendlichem Alter. Die Fischer soll diese Mädchen Herrn Sternberg und anderen Herren als Malermodelle zugeführt haben. Sternberg wurde den Mädchen als Maler aus Frankfurt a. Oder bezeichnet. In der Fischerschen Wohnung verkehrte ein bildhübsches 17jähriges Mädchen, namens Auta Wender. Diese soll, trotz ihrer geradezu auffallenden Schönheit, nicht das Wohlgefallen des Herrn Sternberg erregt haben, sie soll ihm zu – alt gewesen sein. Fräulein Wender wußte sich aber trotzdem nützlich zu machen. Ein Hausbewohner bekundete als Zeuge: Sobald Sternberg die Fischersche Wohnung betreten hatte, begab sich die Wender auf die Straße und kehrte nach kurzer Zeit mit einem, bisweilen auch mehreren Mädchen in jugendlichstem Alter zurück. Im April 1900 hatte sich Sternberg vor der neunten Strafkammer des Landgerichts Berlin I wegen Vornahme unzüchtiger Handlungen mit drei minderjährigen Mädchen zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Weinmann. Die Anklage vertrat Staatsanwaltschaftsrat Dr. Romen, die Verteidigung führten Justizrat Dr. Sello und Rechtsanwalt Dr. Werthauer. Die Verhandlung fand unter vollem Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Auch die Presse war ausgeschlossen. Sternberg wurde in zwei Fällen freigesprochen, da die betreffenden Mädchen zur Zeit der Unzuchtsvornahme das vierzehnte Lebensjahr bereits überschritten hatten. Dagegen wurde er wegen unzüchtiger Handlungen, begangen mit der 13jährigen Frida Woyda, zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Infolge eingelegter Revision hob der zweite Strafsenat des Reichsgerichts das Urteil, soweit Verurteilung erfolgt war, auf und wies die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück. In der Zwischenzeit wurde ermittelt, daß sich Sternberg noch gegen zwei andere minderjährige Mädchen vergangen habe. Es wurde deshalb Anklage erhoben. Sternberg mußte daher nochmals Ende Oktober 1900 vor der neunten Strafkammer des Landgerichts Berlin I erscheinen. Der Gerichtshof war zumeist in anderer Weise als das erstemal zusammengesetzt. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Müller. Da der frühere Staatsanwalt Dr. Romen inzwischen als Geheimer Kriegsrat ins Kriegsministerium berufen war, wurde die Anklage vom Staatsanwalt Braut vertreten. Neben Sternberg mußten diesmal Bergwerksdirektor Paul Luppa, die 18 Jahre alte Auta Wender und die unverehelichte Kassiererin Anna Scheding auf der Anklagebank Platz nehmen. Luppa und Scheding waren beschuldigt, Schritte unternommen zu haben, um Sternberg der Bestrafung zu entziehen, die Wender, Sternberg Beihilfe geleistet zu haben. Die Verteidigung führten in diesem Prozeß Justizrat Dr. Sello, Rechtsanwalt Dr. Werthauer, Rechtsanwalt Dr. Hugo Heinemann, Rechtsanwalt Dr. Fuchs I, Rechtsanwalt Dr. Mendel und Justizrat Wronker. Auf Antrag des Staatsanwalts wurde wegen Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit die Öffentlichkeit während der ganzen Dauer der Verhandlung ausgeschlossen, den Vertretern der Presse aber der Zutritt gestattet. Auch vielen anderen Leuten, Juristen, Ärzten, Schriftstellern und sonstigen distinguierten Persönlichkeiten wurde vom Vorsitzenden der Zutritt gestattet. Infolgedessen war sowohl der Innenraum, als auch der Zuhörerraum und die Tribünen des großen, im alten Moabiter Gerichtsgebäude belegenen Schwurgerichtssaales trotz des Ausschlusses der Öffentlichkeit stets dicht gefüllt. Als Sachverständige wohnten Gerichtsarzt Medizinalrat Dr. Störmer, Gerichtsarzt Professor Dr. Puppe (jetzt Gerichtsarzt in Königsberg i. Pr.), Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Eulenburg und Nervenarzt Sanitätsrat Dr. Albert Moll der Verhandlung bei. Die Verhandlung, die am 30. Oktober 1900 begann und nach 38 Verhandlungstagen am 21. Dezember endete, bot, wie bereits erwähnt, ein geradezu schauderhaftes Bild der Korruption. Kriminalschutzmann Stierstädter, dem von seiner vorgesetzten Behörde, insbesondere dem Chef der vierten Abteilung der Berliner Kriminalpolizei, Regierungsrat Dieterici und dem früheren Staatsanwalt Dr. Romen das Zeugnis eines sehr pflichteifrigen und äußerst gewissenhaften Beamten gegeben wurde, hatte in dieser Strafsache eine ganz außergewöhnliche Tätigkeit an den Tag gelegt. Er hatte sich tageund nächtelang gegenüber dem Hause Alexandrinenstraße 1 b aufgestellt, um das Treiben in der Fischerschen Wohnung, in der noch mehrere andere Herren zu gleichem Zwecke wie Sternberg verkehrt haben sollen, zu beobachten. Er wurde aber auch beschuldigt, kleine Zeuginnen in unzulässiger Weise beeinflußt zu haben. Am zweiten Tage der Verhandlung wurde Kriminalschutzmann Stierstädter als Zeuge vernommen. Er bekundete u. a.: Kriminalkommissar Thiel, der vorübergehend früher einmal die Abteilung vertrat, in der ich arbei- tete, hat viermal mit mir über die Sternbergsche Angelegenheit gesprochen. Zunächst lud er mich zu seinem Geburtstag ein und wir waren dann mehrere Male in besseren Restaurants zusammen. Er hat dabei immer gefragt, wie die Sternbergsche Sache eigentlich stehe. Da Kommissar Thiel mein Vorgesetzter war, habe ich ihm vieles darüber gesagt. Bei einer dieser Zusammenkünfte, als wir Rebhuhn aßen, hat mir Herr Thiel die Frage vorgelegt: Sagen Sie mal, sind Sie denn nicht auf andere Gedanken zu bringen? Ich fragte: Wieso? Darauf sagte Kommissar Thiel: Man muß doch ein menschliches Gefühl haben. Sehen Sie, Sternberg sitzt nun schon so lange. Denken Sie sich einmal, Sie erhalten 200 000 M. und schwimmen nach dem Genfer See ab, was meinen Sie, ob Sie mich dann noch ansehen werden, wenn ich Sie dann besuche? – Vors.: Waren Sie denn damals nüchtern? – Zeuge: Ja. – Vors.: Was haben Sie Herrn Thiel geantwortet? – Zeuge: Ich sagte: Ja, wenn ich von Anfang an nicht meine Pflicht erfüllt hätte, dann könnte ich wohl ein reicher Mann sein. Stierstädter bemerkte ferner seinem Vorgesetzten: Das Sternbergsche Geld könne ihn nicht blenden. Er werde Tag und Nacht arbeiten, der Jude muß ins Zuchthaus. – Beiläufig bemerkt war Sternberg kein Jude, sondern rein germanischer Abstammung. Er entstammte einer alten Protestantenfamilie aus Frankfurt a. Main. Allein der Umstand, daß er Sternberg hieß und 18 Millionen sein eigen nannte, war die Veranlassung, daß sich auf der einen Seite zahllose Menschen, Männer und Frauen der verschiedensten Gesellschaftsklassen dazu drängten, die Belastungszeugen zugunsten Sternbergs zu beeinflussen, in der Erwartung, von Sternberg eine hohe Belohnung zu erhalten. Andererseits hetzte eine gewisse Presse in ganz furchtbarer Weise gegen den „sittenlosen Juden.“ Es wurden aber auch die ärgsten Verleumdungen gegen die Staatsanwaltschaft, den Gerichtshof, die Verteidiger, ja selbst gegen die Mitglieder des zweiten Strafsenats des Reichsgerichts erhoben. Es wurde tatsächlich die ungeheuerliche Behauptung ausgesprochen, alle Gerichtsbehörden, selbst Mitglieder des höchsten deutschen Gerichtshofes seien für Sternbergsches Geld nicht unzugänglich. Kriminalkommissar Thiel, der zunächst die Stierstädterschen Behauptungen eidlich in Abrede stellte, mußte schließlich zugeben, daß Stierstädter die volle Wahrheit gesagt, daß er (Thiel) einer Zeugenvernehmung in Sachen Sternberg im Zimmer des Kriminalkommissars v. Tresckow beigewohnt und außerdem Akten in dieser Sache eingesehen und auf Grund dieser Informationen den Generalbevollmächtigten des Sternberg, Bergwerksdirektor Luppa unterrichtet habe. Er habe in Gemeinschaft mit Luppa den Versuch unternommen, zugunsten Sternbergs Zeugen zu beeinflussen. Dafür habe er von Luppa 8000 M. erhalten. – Polizeidirektor v. Meerscheidt-Hüllessem mußte zeugeneidlich zugeben, daß er dem Kriminalschutzmann Stierstädter untersagt hatte, in Sachen Sternberg, ohne ausdrückliches Einverständnis seines Kommissars, Nachforschungen anzustellen, obwohl dem Stierstädter diese Nachforschungen vom Staatsanwalt Dr. Romen aufgetragen waren. Der Polizeidirektor mußte ferner zugeben, daß er in der Sternbergschen Villa freundschaftlich verkehrt und daß Sternberg ihm einmal auf seine auf Insel Rügen belegenen Villa eine Hypothek gegeben habe, die allerdings nach erfolgter Verhaftung Sternbergs sofort zur Löschung gebracht worden sei. Polizeidirektor v. Meerscheidt-Hüllessem mußte endlich zugeben, daß er sich, obwohl er nicht dazu befugt war, Sternberg nach dessen Verhaftung hatte vorführen lassen und daß er die Versetzung des Kriminalschutzmanns Stierstädter in das Kommissariat des Kriminalkommissars Thiel verfügt hatte. Aber auch der Kriminalschutzmann Stierstädter mußte zugeben, daß er mit zwei Frauen, die er wegen Kuppelei angezeigt, noch an demselben Tage sträflichen Umgang gehabt habe. Die amtliche Berliner Korrespondenz brachte auch sehr bald die Nachricht, daß Meerscheidt-Hüllessem, Thiel und Stierstädter infolge ihrer gerichtlichen Zeugenaussagen bis nach Erledigung des bereits gegen diese drei Beamten eingeleiteten Disziplinarverfahrens vom Dienst suspendiert seien. – Kriminalkommissar Thiel wurde nach einigen Tagen und zwar des Nachts vom Kriminalpolizei-Inspektor Hoeft in seiner Wohnung verhaftet und nach einiger Zeit vom Schwurgericht des Landgerichts Berlin I wegen Verbrechens im Amte und wissentlichen Meineids zu drei Jahren Zuchthaus, fünf Jahren Ehrverlust und zur dauernden Unfähigkeit zur Bekleidung eines öffentlichen Amtes verurteilt. v. Meerscheidt-Hüllessem, der nach erfolgter Enthebung vom Dienst nervenkrank wurde, starb am 21. Dezember 1900, am Tage der Verurteilung Sternbergs, in seiner Wohnung, angeblich infolge eines plötzlichen Schlaganfalls. Es wurde jedoch allgemein der Vermutung Ausdruck gegeben, daß der Polizeidirektor durch Selbstmord geendet habe. Aber auch eine große Anzahl Privatpersonen, wurden während der Verhandlung teils wegen Zeugenbeeinflussung, teils wegen Erpressung, teils auch wegen Beleidigung im Gerichtssaale verhaftet. Der Angeklagte Luppa, der sich bei Beginn der Verhandlung auf freiem Fuße befand, flüchtete eines Tages nach London. Die Angeklagte Wender wurde im Laufe der Verhandlung auf Antrag des Staatsanwalts verhaftet. Die fortgesetzte Hetze gegen die richterlichen Behörden veranlaßten den Chef der Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin I, Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel, am 24. Tage der Verhandlung am Tische der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und folgende Erklärung abzugeben:

Gegen den Artikel der Staatsbürger-Zeitung, der die gröbsten Verdächtigungen gegen die höchsten Richter, die Beamten der Staatsanwaltschaft und speziell gegen meine Person enthält, dessen Verfasser sich in der bekannten Art gegen die Gefahr, zur Rechenschaft gezogen zu werden, zu decken sucht, habe ich eine kurze Erklärung abzugeben.

Obschon nach der Meinung jedes Einsichtigen diese Verdächtigungen den Stempel der Lüge an der Stirn tragen und sie nur einem wahnsinnigen Hirn entsprungen sein können, halte ich es im Interesse der Beamten und Richter für geboten, vor dem Gerichtshof wie allen Anwesenden und vor jedem anständigen Menschen der Welt zu erklären, daß die Behauptungen, so weit sie mich und den früheren Staatsanwaltschaftsrat Dr. Romen betreffen, infame und nichtswürdige Lügen sind. Dem Artikel der Staatsbürger-Zeitung sind zwei anonyme Briefe mit gleichen Verdächtigungen voraufgegangen, von denen der erste, im August an den Staatsanwaltschaftsrat Dr. Romen gerichtete, leise Andeutungen darüber enthält, daß man bestrebt sei, ihm die Sache aus den Händen zu nehmen. Der zweite, vom 30. Oktober, ist an Herrn v. Tresckow gerichtet und enthält dieselben Behauptungen und zwar mit Nennung der Namen der Damen, die sich Einwirkungen zugunsten Sternbergs erlaubt haben sollen. Wie immer an solchen elenden Verdächtigungen ein Körnchen ist, um das sich das andere kristallisiert, so ist es auch hier. Von den beiden in dem Artikel genannten Damen ist Frau v. G., deren Namen zu nennen ich jederzeit jedem Berechtigten gegenüber bereit bin, mir bekannt. Ich hätte gar keinen Anlaß, meine Privatbeziehungen, die keinen Menschen etwas angehen, hier zu berühren. Man möge mit allen Detektivs der Welt meinem Privatleben nachforschen, man wird nichts Anstößiges darin entdecken! Ich halte es aber für zweckmäßig, in diesem Falle mit der reinsten Offenheit vor das Publikum zu treten und infolgedessen erkläre ich: Frau v. G. ist mir seit 30 Jahren, seit der Zeit, als ich in Breslau Referendar war, bekannt, da unsere beiden Familien in demselben Hause wohnten und ihr Ehemann gleichfalls Referendar war. Der freundschaftliche Verkehr zwischen meinen Angehörigen und dieser Dame, deren Gatte schon in jungen Jahren als Regierungsrat in Düsseldorf gestorben ist, hat durch jahrelange örtliche Trennung zwar eine längere Unterbrechung erfahren, ist aber brieflich fortgesetzt und demnächst bei meiner Versetzung nach Berlin, wohin Frau v. G. vor einigen Jahren verzogen war, wieder aufgenommen worden. Frau v. G. gehört einer hochachtbaren Familie an, die in den allerbesten Gesellschaftskreisen verkehrt und ihre Bekanntschaft habe ich mir stets zur Ehre gerechnet. Welche Beziehungen diese Dame zu anderen Personen hat, dafür trage ich natürlich keine Verantwortung. Frau v. G.‚ die die Schwiegermutter eines Hauptmanns eines hiesigen Garde-Regiments ist, hat mir gegenüber anerkannt, daß sie früher mit Frau Sternberg auf einem Bazar bekannt geworden ist und sie einmal besucht hat. Unumstößliche Tatsache ist es, daß Frau v. G. niemals weder direkt noch indirekt, weder verschleiert noch sonstwie auf mich zugunsten des Herrn Sternberg einzuwirken versucht hat. Sie würde dies auch nicht gewagt haben, denn wie sie mich kannte, würde sie gewußt haben, daß sie eine schroffe Zurückweisung erfahren würde. Der Name Sternberg ist meines Erinnerns von ihr in meiner Gegenwart nur einmal kurz nach der ersten Verurteilung Sternbergs genannt worden, indem Frau v. G. damals im engsten Familienkreise ihr Bedauern mit der ehrenwerten Ehegattin des Verurteilten ausdrückte. Eine Familie Platho, von der in dem Artikel der Staatsb.-Ztg. die Rede ist, ist mir persönlich und auch dem Namen nach völlig unbekannt. Ich habe meines Wissens auch niemals von einer solchen Dame irgend etwas gehört. Es würde banal sein, wollte ich nun noch näher darauf eingehen, daß ich es gewagt haben sollte, meine Ansichten über den Prozeß dem Reichsgericht aufzudrängen. Ich würde mit einem solchen Beginnen sofort die schroffste Zurückweisung erfahren haben und unweigerlich würde sofort das Disziplinarverfahren gegen mich eingeleitet worden sein. Unumstößliche Tatsache ist es, daß ich seit etwa 16 Jahren nicht in Leipzig war. Ich kenne keinen einzigen der Richter des betr. Reichsgerichts-Senats, ich habe weder schriftlich noch mündlich ein Wort mit ihnen gewechselt. Die Gründe, weshalb das erste Urteil aufgehoben wurde, liegen klar zutage, sie beruhen auf formalen Verstößen, die das Reichsgericht für ausreichend erachtet hat, um das erste Urteil aufzuheben. Ob ich das gewünscht oder nicht gewünscht hätte, wäre dem Reichsgericht und dem hiesigen Landgericht furchtbar gleichgültig gewesen. Ich bin mit der Strafsache gegen August Sternberg nur in meiner Eigenschaft als Vorsteher der verfolgenden Staatsanwaltschaft, im Rahmen des mir zugewiesenen Pflichtenkreises, tätig gewesen und habe die strengste Nachprüfung und Offenbarung aller meiner Maßregeln und Anordnungen nicht im entferntesten zu scheuen.

Was Herrn Staatsanwaltschaftsrat Romen betrifft, so ist dieser auf Grund seiner eigenen Bewerbung, zu welcher die Justizverwaltung Stellung nicht zu nehmen hatte, auch nicht genommen hat, in das Kriegsministerium berufen worden, mit dem Prozeß Sternberg hat diese Berufung auch nicht den Schatten einer Beziehung. Daß Herr Dr. Romen nicht mehr diese schwierige und verwickelte Sache vertreten konnte, ist mir am meisten unlieb gewesen. Ich behaupte aber, daß an Stelle des Herrn Dr. Romen ein Mann getreten ist, der die Staatsanwaltschaft mit der größten Sachkenntnis, Objektivität und unerschütterlicher Energie vertreten hat und täglich vertritt. Es handelt sich also bei der Andeutung in dem Artikel um eine niederträchtige Verleumdung, die vollständig grundlos ist. Ich habe bisher den Stolz gehabt, in meiner langjährigen Wirksamkeit noch nicht in die Lage gekommen zu sein, für mich einen Strafantrag zu stellen. Da es sich hier aber darum handelt, daß meine Ehre und mein guter Name geschändet werden soll, so habe ich und mein höchster Vorgesetzter gegen die Urheber und Verbreiter der niederträchtigen Verleumdungen, soweit deren Ermittelung gelingt, den Strafantrag gestellt. Das Verfahren ist bereits anhängig. Die Hydra der Verleumdung werden wir zertreten und wenn ihr tausend Köpfe nachwachsen. Ihr Gift mögen sie verspritzen, uns Richter und Beamte werden sie nicht treffen können!

Vert. Rechtsanwalt Dr. Fuchs I dankte dem Oberstaatsanwalt‚ daß er diese Verleumdungen als Ausgeburt eines wahnsinnigen Hirns bezeichnet habe. Die Verteidiger seien selbstverständlich überzeugt, daß alles in dem Artikel von Anfang bis zu Ende erlogen ist, aber prozessual sei dies nicht genügend. Es sei nötig, volles Licht in die Sache zu bringen und letztere als grobe ehrlose Verleumdung festzunageln. Deshalb beantrage er, den Oberstaatsanwalt Wachler, sowie sämtliche sieben Mitglieder des Strafsenats des Reichsgerichts als Zeugen darüber zu laden, ob sie durch Anerbieten von Geld oder sonstige Versprechungen angegangen worden seien, auf den Prozeß Sternberg einzuwirken.

Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel erklärte diese Beweiserhebung für vollständig überflüssig. Oberstaatsanwalt Wachler stehe der ganzen Sternberg-Sache völlig fern.

Vert. Rechtsanwalt Dr. Werthauer: Soweit der Artikel der Staatsbürger-Zeitung mich betrifft, ist er vollständig unrichtig. Was die Beziehungen des Fräulein Platho, des Herrn Luppa, des Herrn X. untereinander betrifft, so gehen sie mich nichts an und sind mir nicht bekannt. Bei mir ist X. nur einmal gewesen und abgewiesen worden. Ich schätze deutsche Richter und Beamte zu hoch, als daß der Gedanke, sie zu beeinflussen, je anders als absurd aufgefaßt werden kann. Staatsanwaltschaftsrat Dr. Romen ist, wenn auch temperamentvoll, so doch persönlich stets so human in dem Prozeß verfahren, daß sein Bleiben erwünschter als sein Gehen der Verteidigung erschien. –

Eine Hauptzeugin war die dreizehnjährige Frida Woyda, ein hübsches, noch ganz unschuldsvoll aussehendes Mädchen. Sie wurde vom Vorsitzenden Landgerichtsdirektor Müller auf das allerernsteste und nachdrücklichste ermahnt, nur die reine Wahrheit zu sagen, niemandem zuliebe und niemandem zuleide. Das Mädchen machte seine Aussagen mit sehr leiser Stimme, so daß sich sämtliche Verteidiger und Sachverständige um es herum gruppierten. – Frida Woyda war am 1. Januar 1887 als die Tochter eines Zimmermanns geboren; sie hatte frühzeitig beide Eltern verloren und war zunächst zu ihrer Tante Frau Huth gekommen. Dort schien sie recht streng behandelt worden zu sein, denn es hatte ihr dort gar nicht gefallen. Dann war sie zu Margarethe Fischer nach der Alexandrinenstraße 1 b gekommen, welche durch ein Inserat bekannt gemacht hatte, daß sie ein Kind zu sich nehmen wolle. Die Fischer war, wie Frida sagte, sehr nett zu ihr. Sie hatte dem Onkel Huth versprochen, daß Frida ganz umsonst aufgenommen, in eine gute Schule geschickt und dann etwas lernen sollte. Sie war aber nicht in eine solche Schule gekommen, sondern wurde tagsüber damit beschäftigt, abzuwaschen, kleine Gänge zu besorgen, Fleisch einzuholen u. dgl. Die Zeugin erzählte auf Befragen des Vorsitzenden, daß sie eines Tages den Angeklagten Sternberg bei der Fischer im Zimmer getroffen habe. Sie sei hineingetänzelt gekommen, aber sofort wieder hinausgeschickt worden, weil Herr St. sagte, sie solle ihn nicht nervös machen, sondern sofort hinausgehen. – Vors.: Und hat dir Herr Sternberg nichts getan? – Zeugin: Nein, nichts! – Vors.: Aber du hast doch bei deiner Vernehmung das vorige Mal gerade das Gegenteil gesagt? – Zeugin: Das ist nicht wahr gewesen. – Vors.: Aber sage nur, wie bist du denn nur dazu gekommen, etwas Falsches zu sagen? – Zeugin: Herr Stierstädter hat so viel mir eingeredet, was gar nicht wahr war. – Vors.: Ist denn Herr Stierstädter mit dir in Verbindung getreten? – Zeugin: Er hat mich von der Schule abgeholt und mir immerzu gesagt, ich soll nur alles sagen, was bei der Fischer passiert ist. – Vors.: Und was hast du ihm darauf erwidert? – Zeugin: Ich habe ihm gesagt, er solle mich zufrieden lassen, ich weiß von gar nichts. Er sagte dann von anderen Leuten, die alles schon erzählt haben. – Vors.: Behauptest du, daß du irgendwie verwirrt gemacht worden bist? – Zeugin: Herr Stierstädter hat so viel gefragt, daß ich gar nicht darauf antworten konnte. Er hat immer gesagt: Du willst es bloß nicht sagen; du hast doch Unsittlichkeiten getrieben. – Vors.: Willst du behaupten, daß er dir erst alle Einzelheiten gesagt hat? – Zeugin: Ja. – Vors.: Aber Kind, du hast doch das erstemal alles bis in die kleinsten Einzelheiten erzählt? – Zeugin: Das hat mir Stierstädter alles eingeredet. – Vors.: Aber das ist doch eigentlich ganz unglaublich; wie sollst du denn das alles behalten haben? – Zeugin: Als ich mit ihm in der Droschke nach der Polizei fuhr, hatte er ein kleines Buch in der Hand, und daraus hat er mir alles abgefragt. – Vors.: Also, du willst behaupten, daß du voriges Mal die Unwahrheit gesagt hast und jetzt die Wahrheit sprichst? – Zeugin: Ja. – Vors.: Sage einmal, ist auch von keiner Seite auf dich eingewirkt worden? – Zeugin: Nein, bloß Herr Stierstädter hat mir alles gesagt. Wenn ich ihm sagte: es ist nicht wahr, so sagte er: es ist doch wahr. – Die Zeugin wurde dann eingehend darüber vernommen, wie es bei ihrer Vernehmung auf dem Polizei-Präsidium zugegangen ist; ihre Schilderung stand in verschiedenen Punkten in Widerspruch mit der Darstellung des Kriminalkommissars v. Tresckow und des Schutzmanns Stierstädter. Sie behauptete namentlich, daß Herr v. Tresckow u. a. zu Stierstädter gesagt habe: Wir wollen die Sache lieber lassen, da wird doch nichts daraus. Außerdem wollte sie auch bei Herrn v. Tresckow gar keine selbständige Aussage gemacht haben, vielmehr habe ihr Stierstädter das, was sie sagen sollte, immer in den Mund gelegt. – Vors.: Sage mir nur Frida, warum logst du denn im vorigen Termin? – Zeugin: Stierstädter hat mich öfter angeschnauzt und mit seinen unheimlichen Augen so angesehen, daß ich Angst vor ihm hatte. Vors.: Du willst also wirklich dabei bleiben, daß alles unwahr ist, was du das vorige Mal gesagt hast? – Zeugin: Ja. – Vors.: Es ist noch immer nicht plausibel gemacht, wie du das vorige Mal dazu gekommen bist, zu lügen. Die Angst vor Herrn Stierstädter klingt doch zu wenig glaubhaft. – Zeugin: Er hat gesagt, ich brauche zum Termin gar keine Angst zu haben. – Vors.: Gerade dann brauchtest du doch nicht die Unwahrheit zu sagen. – Die Zeugin schwieg. – Der Vorsitzende stellte durch weiteres sehr eingehendes Befragen der Zeugin fest, daß das Mädchen seiner Schwester eines Tages gesagt habe, sie wolle ihr Gewissen nicht länger belasten, es wäre alles nicht wahr, und sie habe mit Herrn Sternberg nie etwas zu tun gehabt. – Vors.: Willst du das auch heute ganz bestimmt verneinen? – Zeugin: Ja. – Vors.: Obgleich ich dir immer wieder vorhalte, daß es ein schweres Unrecht ist, vor Gericht zu lügen? – Zeugin: Ich habe jetzt die Wahrheit gesagt. – Vors.: Du hast doch aber die belastenden Angaben schon vor der Hauptverhandlung vor dem Richter gemacht. Hast du denn das alles von dem einen Mal behalten, wie es dir Herr Stierstädter in der Droschke gesagt hat? – Zeugin: Er ist wiederholt bei uns gewesen und hat alles wiederholt. – Vors.: Ist dir nicht in der vorigen Verhandlung eindringlich vorgehalten worden, welches Unrecht du begehst, wenn du falsches Zeugnis ablegst? – Zeugin: Ja. – Vors.: Und trotzdem hast du etwas Falsches mit allen Einzelheiten erzählt? – Die Zeugin bleibt dabei, daß ihr Stierstädter alles eingeredet habe. Er habe nur die „schwereren Punkte“ angegeben und danach habe sie ihre Aussage gemacht. – Auf weitere Fragen des Vorsitzenden, ob Stierstädter sonst noch etwas gesagt habe, erzählte die Woyda u. a.: Sie habe jetzt öfter Kopfschmerzen gehabt, ihre Schwester habe dies Herrn Stierstädter erzählt, und da habe dieser gesagt, das komme alles von da her. Als sie vorübergehend im Waisenhause war, habe sie über das Essen daselbst geklagt, und da habe Stierstädter sofort gesagt, man habe sie gewiß vergiften wollen. – Vors.: Hast du nun wirklich die reine Wahrheit gesagt? – Zeugin: Ja. – Vors.: Deine Aussagen widersprechen aber doch in verschiedenen wesentlichen Punkten den Aussagen der Polizeibeamten über deine Vernehmung. Bist du etwa von irgendeiner Seite eingeschüchtert und beeinflußt worden! – Zeugin: Nein. – Vors.: Herr v. Tresckow, entsinnen Sie sich, ob die Frida Woyda in der vorigen Hauptverhandlung ebenso leise gesprochen hat wie heute? – Zeuge v. Tresckow: Die Zeugin ist heute absolut nicht wiederzuerkennen. Sie hat in der vorigen Verhandlung zwar nicht mit erhobener, aber doch mit verständlicher Stimme ihre Aussagen gemacht.

Am folgenden Tage wurde Frida Woyda nochmals vorgerufen und vom Vorsitzenden wiederum eingehend vernommen. Sie blieb bei ihrer Darstellung, daß alles, was sie das vorige Mal bekundet habe, unwahr sei und daß sie nunmehr die reine Wahrheit gesagt habe. Der Vorsitzende gab sich die erdenklichste Mühe, aus dem Mädchen herauszubekommen, wie sie die ganz ungeheuerliche Tatsache erklären wolle, daß sie das vorige Mal angeblich so kolossal gelogen habe. Das Mädchen wurde vom Vorsitzenden eindringlichst und mit väterlichem Ernst, unter Hinweis auf die Religion und das schwere Unrecht, welches im falschen Zeugnis liege, zur Wahrheit ermahnt. Die Zeugin blieb aber dabei, daß sie das vorige Mal zumeist nur das gesagt, was ihr Stierstädter vorerzählt habe. Stierstädter habe, wie sie behauptet, ihr einmal auch gesagt: „Wenn du das nicht alles aussagst, dann kommt deine Schwester wegen Begünstigung heran.“ – Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bemerkte Frida Woyda: Die Angeklagte Scheding hat mich nicht aufgefordert, etwas Unwahres zu sagen. Sie hat nur gesagt: ich solle nicht lügen, sondern die Wahrheit sagen. Es wäre nicht hübsch, wenn ich durch Lügen einen so großen Mann ins Gefängnis brächte. Wenn ich lüge, würden meine toten Eltern aus dem Grabe kommen und mich warnen. Der Vorsitzende hielt dem Mädchen vor, daß es selbst mit kleinen Jungen Dummheiten gemacht habe. Sie wollte sich nicht darauf besinnen können. Weitere Fragen des Vorsitzenden bezogen sich auf die Behauptung, daß die Woyda einmal einen Mann fälschlich beschuldigt habe. Sie meinte, sie habe damals nur die Wahrheit gesagt. Ferner fragte der Vorsitzende, ob etwa der mehrfach erwähnte Mann aus Frankfurt a. O. oder andere Männer sie unzüchtig berührt haben. Das Mädchen verneinte dies. Der Vorsitzende ging alsdann nochmals Satz für Satz der früheren Aussage des Mädchens durch, hielt ihr Punkt für Punkt vor und fragte sie immer wieder, wie sie zu solchen Bekundungen gekommen sei. Sie kam immer wieder zu der Schlußversicherung, daß sie durch den Schutzmann Stierstädter zu ihrer Aussage vorbereitet worden sei. Bei verschiedenen Punkten erklärte das Mädchen, daß es sich auf die Dinge nicht mehr erinnere. –

Hierauf wurde Schutzmann Stierstädter mit dem Mädchen konfrontiert. – Vors.: Herr Stierstädter, Sie haben die Aussage des Mädchens gehört. Ihre eigenen Aussagen haben – auf mich wenigstens – einen günstigen Eindruck gemacht. Sie haben sogar aus eigenem Antriebe Tatsachen zugegeben, die gerade kein günstiges Licht auf Sie werfen. Ich hoffe, daß Sie sich streng an die Wahrheit halten werden. Ich frage Sie nun: Ist es wahr, was das Mädchen gesagt hat? – Zeuge: Nein, Herr Präsident. Es ist entschieden unwahr, daß ich in der Droschke auf das Kind eingewirkt habe. Der Wagen verursachte ein so starkes Geräusch, daß es gar nicht möglich war, eine verständliche Unterhaltung zu führen. – Vors.: Haben Sie vielleicht in der Weise auf die Woyda eingewirkt, daß Sie ihr die Tatsachen vorerzählt und sie dann gefragt haben: „Kind, ist es so gewesen?“ – Zeuge: Nein, so ist es sicher nicht gewesen. Ich bestreite auch, daß ich während der Droschkenfahrt ein Notizbuch zur Hand gehabt habe. – Vors.: Nun, Frida, dieser Herr hat einen Eid geleistet, er sagt dir ins Gesicht, daß du nicht die Wahrheit gesprochen hast. Willst du dich nicht entschließen, nunmehr die volle Wahrheit zu sagen? – Woyda: Ich bin bei der Wahrheit geblieben, ich habe zuletzt noch zu Herrn Stierstädter gesagt: „Belästigen Sie mich nicht mehr, ich weiß von nichts!“ – Vors.: Herr Stierstädter, haben Sie vielleicht eingegriffen, als Herr v. Tresckow die Woyda vernahm? – Zeuge: Nein, ich bin bei der Vernehmung gar nicht zugegen gewesen und eine Einmischung würde Herr v. Tresckow sich auch nicht haben gefallen lassen. – Kriminalkommissar v. Tresckow, nochmals vorgerufen, erklärte, daß er nicht wisse, ob Stierstädter während der Vernehmung des Mädchens im Zimmer anwesend war. Jedenfalls wisse er bestimmt, daß er das Mädchen dringend zur Wahrheit ermahnt und ihr ernstlich ins Gewissen geredet habe, nicht durch eine Unwahrheit einen Menschen unglücklich zu machen. – Frida Woyda bestätigte dies, setzte aber sofort hinzu: Aber Herr Stierstädter saß gleich am Nebentisch. – v. Tresckow betonte, daß er im allgemeinen ein Protokoll selbständig abzufassen oder zu diktieren pflege, gab aber die Möglichkeit zu, daß Stierstädter in bescheidener Form diesen oder jenen Punkt noch angeregt habe. Dann sei aber jedenfalls das Kind von ihm selbst befragt worden und das Protokoll sei das Resultat seiner eigenen Befragung. Er halte es für absolut ausgeschlossen, daß Herr Stierstädter das Kind unter dem Banne seiner Augen gehalten und sie beeinflußt haben könnte. – Vors.: Frida Woyda, sieh doch mal Herrn Stierstädter an, der hat ja gar nicht so große Augen. – Die Zeugin wendete sich zu Stierstädter um, blieb aber bei ihrer Darstellung. – v. Tresckow: Frida, du weißt doch, daß ich ganz freundlich mit dir verhandelt habe, daß ich dich in keiner Weise grob behandelte und du mir alles erzählt hast, wonach du befragt wurdest. Ist das richtig? – Das Mädchen bejahte dies, erklärte aber wieder, daß Stierstädter dabei war. Letzterer widersprach den Angaben des Mädchens über die Vorgänge bei ihrer polizeilichen Vernehmung.

Die Verteidiger Justizrat Dr. Sello und Rechtsanwalt Dr. Werthauer suchten die Glaubwürdigkeit des Zeugen Stierstädter abzuschwächen. Justizrat Dr. Sello bemerkte: Es scheine auf den Gerichtshof einen besonders günstigen Eindruck gemacht zu haben, daß Stierstädter seine sittlichen Verfehlungen ohne Zwang ganz frei dem Gerichtshofe mitgeteilt habe. Dies sei aber durchaus nicht freiwillig gewesen, denn der Zeuge habe nach seiner eigenen Angabe „schon geahnt“, daß seitens der Verteidigung diese sittlichen Verfehlungen zur Sprache gebracht werden. Ferner fragte Justizrat Dr. Sello den Zeugen Stierstädter: Haben Sie einmal geäußert: Wenn ich purzele dann purzeln noch zehn andere; ich werde mit einer Sache vorkommen, wegen deren sich der Justizrat Sello eine Kugel durch den Kopf schießen wird? – Stierstädter: Ich habe nur die Äußerung Thiels von dem Totschießen im Auge gehabt und vielleicht geäußert: die Sache wird Herrn Justizrat Dr. Sello als Verteidiger „schmeißen“. – Justizrat Dr. Sello wünschte von dem Zeugen Auskunft darüber, ob er an einer offenbaren „Falle“ beteiligt gewesen sei, die ihm (Dr. Sello) eines Tages gestellt werden solle. Es habe sich ein angeblicher Kriminalschutzmann Müller brieflich an ihn gewendet und versprochen, belastende Tatsachen gegen Stierstädter vorzubringen, es drohe aber dem Briefschreiber die Exmission und deshalb könne er nur mit der Sprache herausrücken, wenn er 500 M. erhalte. Man wollte ihn (Sello) damit offenbar in eine Falle locken. – Stierstädter erklärte, nichts hiervon zu wissen. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Werthauer fragte, ob die Äußerung des Zeugen bezüglich des „Purzelns“ nicht dahin gegangen sei: Wenn ich purzele, dann purzeln noch einige Vorgesetzte mit, die Sternberg möglichst schonen wollen. – Stierstädter: Mir ist von Kollegen zu verstehen gegeben worden, daß ich Sternberg etwas schonen möchte. – Vors.: Welche Kollegen waren das? – Zeuge: Mein Kollege Rohrbach, der Ordonnanz des Direktors v. Meerscheidt-Hüllessem war, hat mir einmal vorgehalten, ich solle an meine Familie denken, vernünftig sein usw. – Vors.: Erzählen Sie das doch etwas näher. – Zeuge: Mein Kollege Rohrbach hat einmal in einem Gespräch, welches er in einem Bierlokal mit mir anknüpfte, die Rede auf Sternberg gebracht und dabei gesagt: Seien Sie nicht so scharf, denken Sie an Ihre Familie und Ihre Stellung, es wird Ihnen später von Nutzen sein. – Der Zeuge brachte noch einige Momente vor, aus denen er zu folgern schien, daß man in den Kreisen von Polizeibeamten Fühlung mit Sternberg oder mit der Verteidigung haben müsse. So habe ihm Rohrbach auch einmal gesagt: Denken Sie an das Schreiben der Briefe an Blümke. Woher habe er die Kenntnis gehabt, daß solche Briefe geschrieben waren? – Vors.: Dann läßt sich also die Sache vielleicht so erklären, daß Rohrbach Kenntnis erhalten hatte, daß Sie mit Frau Blümke korrespondieren und vielleicht aus diesem Grunde Sie aufgefordert hat, an Ihre Familie und Ihre Zukunft zu denken. – Rechtsanwalt Dr. Werthauer: Haben Sie nicht, als Sternberg einmal sich über Sie beschwerte, gesagt: Jetzt werde ich Rache nehmen und ihm ordentlich etwas einbrocken, daß er nicht mehr herauskommt? – Zeuge: Nein, ich habe nur gesagt, wenn ich etwas gegen ihn feststelle, kommt er hinein.

Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurde immer wieder die Frida Woyda gefragt, wie sie dazu gekommen sei, in der ersten Verhandlung den Angeklagten Sternberg mit so großer Entschiedenheit zu belasten und nunmehr zu sagen: Das sei alles nicht wahr. Der Vorsitzende bemühte sich, ohne zu ermüden, aus dem Mädchen herauszubekommen, weshalb sie fünf Monate lang vor Polizei und Gericht, vor ihrer Schwester usw. ihre früheren angeblichen Lügen aufrecht erhalten habe und nun mit einemmale ihr Gewissen erleichtern wolle. Das Mädchen erklärte: „sie sei von ganz allein darauf gekommen“, weil sie sah, daß Stierstädter immer wiederkam und ihr Fragen über Dinge vorlegte, die sie gar nicht wußte. Sie habe keine Ruhe gehabt, habe nicht einschlafen können und habe gedacht: wenn sie immer bei ihrer Aussage verbliebe und es wäre doch nicht wahr, dann würde sie der liebe Gott bestrafen! – Angekl. Sternberg: Das Verhalten der Frida Woyda und ihre Aussagen sind doch nicht so sehr unerklärlich. Ich nehme an, daß Herr Stierstädter in der Droschke dem Mädchen gesagt hat, nicht etwa: „Du mußt lügen“, wohl aber: „Sag’ es nur, wir wissen ja doch schon alles; wenn du es sagst, bist du ein gutes und artiges Kind“ u. dgl. Dann wird er dem Kinde im Laufe des Gesprächs gewiß noch manches gesagt und hinzugefügt haben: „Sag’s nur, es ist gewiß noch mehr vorgekommen“, und da ist es denn doch kein Wunder, daß bei dem Mädchen, das nach seinen ganzen Antezedentien solchen Gedanken zugänglich war und dem solche Gedanken in der Unterhaltung nahe gelegt wurden, schließlich ohne Schwierigkeit die Aussage zustande kam. – Im weiteren Verlauf wurde der Vormund der Frida Woyda, der Rektor und die Lehrer, der Vorsitzende der ersten Verhandlung, Landgerichtsdirektor Weinmann, Frau Huth und Frau Schindler, bei denen das Mädchen in Pflege war, vernommen. Alle diese Zeugen gaben sich die erdenklichste Mühe, aus dem Mädchen herauszubekommen, weshalb sie jetzt das Gegenteil sage von dem, was sie früher mit vollster Bestimmtheit in allen Einzelheiten erzählt habe. Das Mädchen antwortete entweder gar nicht oder sagte: Ich weiß nicht; jetzt sage ich die Wahrheit, das vorige Mal habe ich gelogen, weil Herr Stierstädter mir gedroht hatte. – Es erschien ferner als Zeuge Kriminalschutzmann Rohrbach: Er sei Ordonnanz des Direktors v. Meerscheidt-Hüllessem und als solcher zumeist in dem Bureau anwesend, auch während die Beamten ihrem Chef Bericht erstatten. Es sei ihm auffallend gewesen, daß Stierstädter im Vorzimmer das Gespräch häufig auf den Prozeß Sternberg brachte und dabei ein mehr als gewöhnliches Interesse für den Ausgang an den Tag legte. Es war unter allen Kriminalbeamten bekannt, daß Stierstädter eine wichtige Rolle in dem Prozeß spielte und sich darauf etwas einbildete. Am Tage vor der Verhandlung habe Stierstädter triumphierend gesagt: „Na, morgen geht es los! Ich habe ihn jetzt, der Jude muß jetzt hinein!“ Er (Zeuge) habe Veranlassung genommen, St. zu ermahnen, daß er nicht gehässig und eigenmächtig gegen Sternberg vorgehen und nicht mehr aussagen solle, als er verantworten könne. Er möge an seine Familie denken und vorsichtig sein. Auf Befragen gab der Zeuge an, daß er auch zu Stierstädter gesagt habe, es könne für ihn von Nutzen sein, wenn er nicht allzu schroff gegen Sternberg vorgehe. Dies sei darauf zurückzuführen, daß der Direktor v. Hüllessem Bemerkungen gemacht habe, wonach Stierstädter zu eigenmächtig vorgehe. Er habe Stierstädter darauf vorgehalten, daß er bei einem etwaigen Abgange doch ein gutes Attest brauche. Ach was, habe Stierstädter geantwortet, ich brauche keinen Menschen und brauche auch kein Attest! – Im weiteren Verlauf erschien als Zeugin die 16jähige Hedwig Ehlert, ein hübsches, körperlich sehr entwickeltes Mädchen. Sie hatte im Kottbuser Gefängnis wegen Diebstahls in Strafhaft gesessen und befand sich zurzeit im Magdalenenstift. Als sie kaum 13 Jahre alt war, soll sie in der Passage, die die Behrenstraße mit der Straße Unter den Linden verbindet und in der Friedrichstraße auf „Männerfang“ ausgegangen und der Prostitution obgelegen haben. Sie bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Sie sei von Freundinnen darauf aufmerksam gemacht worden, daß sie bei der Fischer in der Alexandrinenstraße 1 b viel Geld verdienen könne, dort wohne ein reicher Modellmaler, der Modelle brauche. Sie habe deshalb die Zahl der Mädchen, die bei der Fischer aus und eingingen, vermehrt. Als Kriminalkommissar v. Tresckow der Zeugin in Kottbus das Bild des Angeklagten Sternberg vorlegte, soll sie in ihm den Maler wiedererkannt haben. In der Verhandlung erklärte sie, Herrn Sternberg nicht als den Maler wiederzuerkennen. Sie mußte den Angeklagten recht genau betrachten, Sternberg mußte mit der Zeugin sprechen, die Zeugin blieb jedoch dabei, daß sie den Angeklagten nicht als den Maler wiedererkenne. Letzterer scheine ihr mehr Haare gehabt und auch einen anderen Dialekt gesprochen zu haben. Die Zeugin gab zu, in der vorigen Verhandlung gesagt zu haben, sie erkenne Sternberg wieder, sie wollte aber dazu durch ein Kopfnicken ihrer früheren Gefängniskollegin, Zeugin Schnörwange, dazu bewogen sein. In Kottbus habe sie auch nur gesagt: Wenn die Schnörwange ihn erkennt, dann wird er es ja wohl sein. Sie erklärte ferner, daß sie mit demselben Maler auch bei einer Frau Töpfer in der Besselstraße verkehrt habe. – Die Angeklagte Wender bestritt auf Befragen, daß sie die Zeugin jemals bei der Fischer gesehen habe. Die Zeugin blieb jedoch dabei und beschrieb das Zimmer, wobei sie erwähnte, daß auch eine Staffelei darin gestanden habe. Auch das bestritt die Angekl. Wender. Die Zeugin beschrieb ferner einen großen Hund, eine Katze und viele Vögel, die in der Fischerschen Wohnung gewesen sein sollen. Die Angeklagte Wender betonte, daß niemals Vögel in der Wohnung gewesen seien, und daß sie auch das Mädchen niemals dort gesehen habe. Die Zeugin erklärte, daß sie sich in der Zwischenzeit sehr verändert habe. – Auf Befragen des Staatsanwalts, ob sie von irgendeiner Seite beeinflußt worden sei, erklärte die Zeugin: Es haben sich mehrere Herren an sie herangedrängt und über die Sternberg-Sache mit ihr gesprochen. Besonders sei dies ein Mann gewesen, der sich Ebstein nannte und auch ein „Kapitän Wilson“. Ebstein habe ihr gesagt, daß er nach Amerika gehe, ob sie mitkommen wolle. Sie wäre auch mitgegangen, aber ihr Vater würde es verhindert haben. Auch andere Herren haben sich an sie herangemacht und ihr gesagt, sie solle die Wahrheit sagen, damit nicht ein Unschuldiger verurteilt werde. Sie hätten ihr ferner gesagt: sie würde diesmal vereidigt werden, und wenn sie beschwören würde, daß es Sternberg sei, dann würde sie ins Zuchthaus kommen. Sie habe von Ebstein 10 M., dann 20 M. und von den anderen Herren 15 M. erhalten. Sie habe auch Briefe erhalten, in welchen sie angewiesen wurde, was sie aussagen solle. Die Briefe habe sie nach ergangener Anweisung verbrannt. – Staatsanwalt Braut: Ich frage Sie noch einmal: Ist es nun wirklich wahr, was Sie heute behaupten, daß Sie Sternberg nicht wiedererkennen? – Die Zeugin schlug die Augen nieder und begann zu weinen. – Staatsanwalt: Na, heraus mit der Sprache! – Die Zeugin schwieg. – Staatsanwalt: Ich frage Sie noch einmal: Sie werden vor Gott dem Allmächtigen heute zu schwören haben! Gehen Sie doch in Ihr Gewissen hinein! Ist Sternberg der Mann gewesen? – Zeugin weinte. – Staatsanwalt: Na, Ehlert, besinnen Sie sich! – Zeugin: Ja, er ist es gewesen! (Große allgemeine Bewegung.) – Angekl. Sternberg rief mit lebhafter Gebärde dazwischen: Das ist ja eine abgekartete Sache! – Der Staatsanwalt verbat sich derartige Äußerungen und der Vorsitzende untersagte derartige Ausbrüche der Empörung. – Vors.: Warum haben Sie vorhin ganz etwas anderes gesagt? – Zeugin: Es ist mir gedroht worden. – Vors.: Wer hat Ihnen gedroht? – Zeugin: Auf dem Korridor hat ein großer Herr mit dunklem Schnurrbart und Zylinder im Vorübergehen zu mir gesagt: Wenn du es sagst, dann kommst du nicht mehr lebendig heraus. – Auf Antrag des Staatsanwalts ordnete der Vorsitzende an, daß sämtliche Zeugen sofort in den Saal eintreten. Sämtliche Herren mußten den Hut aufsetzen, die Zeugin fand aber den Herrn, der sie bedrohte, nicht heraus. – Vors.: Sie wiederholen also im Hinblick auf den Eid, den Sie zu leisten haben werden: Jeder Irrtum ist ausgeschlossen, Sie haben Herrn Sternberg in Kottbus nach dem Bilde erkannt, Sie haben ihn in der vorigen Verhandlung erkannt und Sie erkennen ihn auch jetzt wieder? – Zeugin: Ja! – Die Zeugin bekundete des weiteren, daß ihr Ebstein u. a. auch gesagt habe: sie solle nur angeben, daß der betr. Mann einen andern Dialekt gesprochen habe. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Heinemann erinnerte daran, daß die Zeugin in der vorigen Verhandlung auch eine Frau mit allerlei Dingen belastet habe, die sich als durchaus falsch[WS 1] herausgestellt haben. – Auf die Frage eines Beisitzers bestätigte die Zeugin, daß sie mit 15 Jahren schon einen Zuhälter hatte. – Vert. Justizrat Dr. Sello hielt der Zeugin vor, daß sie doch auch heute auf alle Fälle einmal die Unwahrheit gesagt habe und daß sie heute manche Einzelheiten angegeben, von denen sie in der vorigen Verhandlung kein Wort gesagt habe. Sie antwortete, daß sie nicht danach gefragt worden sei. – Justizrat Dr. Sello: Ich frage Sie nun auch unter Hinweis auf die Heiligkeit des Eides: Was ist nun wahr, was Sie zuerst oder was Sie zuletzt gesagt haben? – Zeugin: Was ich zuletzt gesagt habe. – Angeklagter Sternberg: Ich habe die Zeugin im ersten Termin zum erstenmale gesehen. Ich erkläre so feierlich wie möglich, daß ich das Mädchen vorher niemals gesehen habe. Ich hatte schon im vorigen Termin den Eindruck, daß durch eine Improvisation Frl. Wender unglaubwürdig gemacht werden sollte. Wie das Komplott zustande gekommen ist, vermag ich im Augenblick nicht zu übersehen, das wird sich aber hoffentlich noch ergeben. Jedenfalls spricht das Vorleben, die Vorstrafen und noch manches andere nicht für die Glaubwürdigkeit der Zeugin. Bezüglich des Vorlebens möchte ich beantragen, die Akten vorzulegen. Ich werde verschiedene Persönlichkeiten benennen, die über die Glaubwürdigkeit der Zeugin bekunden werden. – Die Zeugin wehrte sich gegen diese Äußerungen. Herr Ebstein habe ihr auch einmal gesagt, Stierstädter und v. Tresckow würden noch ins Zuchthaus gebracht werden. – Angeklagter Sternberg: Er habe die bestimmte Überzeugung, daß die Namen Wilson und Ebstein nicht zufällig durch das Mädchen in die Verhandlung hineingebracht worden seien, daß dies alles vielmehr nur Glieder einer wohlgeordneten Komplott-Kette sei. Auf eingehendes Befragen des Angeklagten erklärte die Zeugin, daß sie mit Stierstädter, außer bei Gelegenheit einer Vernehmung, nicht zusammengekommen sei. Ihren Vater kenne Stierstädter, sie wisse aber nicht, ob er in dessen Wohnung gewesen sei. – Angeklagter Sternberg: Es hat auf mich den Eindruck gemacht, daß hier ein weiteres Glied einer sehr geschickt und höchst gewandt konstruierten Abrede vorliegt. Das Mädchen ist nach meiner festen Überzeugung dahin instruiert worden, zu erst heute hier Nein zu sagen, dann durch den Hinweis auf den Eid sich bewegen zu lassen, zu weinen und zögernd mit der angeblichen Wahrheit herauszukommen. Auf Sie, meine Herren Richter, kann es natürlich nicht den Eindruck machen, wie auf mich, weil Sie nicht in meine Seele blicken können, der ich ganz genau weiß, daß die Aussage von A–Z nicht wahr ist. – Vors.: Angeklagte Wender, Sie haben doch nun gehört, wie es dem Staatsanwalt gelungen ist, nach und nach die Zeugin Ehlert zur Wahrheit zu bringen, und wie diese mit einer gewissen elementaren Gewalt durchgedrungen ist. Was sagen Sie nun dazu? – Angekl. Wender: Ich bleibe dabei, daß ich das Mädchen nie bei der Fischer gesehen habe. – Staatsanwalt Braut: In der Darlegung des Angeklagten liegt doch eigentlich die schamlose Verdächtigung‚ daß ich die Zeugin zu ihrer Aussage „abgerichtet“ habe. – Angekl. Sternberg: Ich habe ja allerdings verschiedentlich den Eindruck gehabt, daß der Herr Staatsanwalt wiederholt Fragen auf Grund neuer Informationen stellte, die er in der Zwischenzeit aus polizeilichen Kreisen erhalten haben muß. Aber ich erkenne durchaus an, daß der Herr Staatsanwalt ganz loyal vorgeht. Ich will zugestehen, daß, wenn ich Richter wäre, ich mich auch durch die Aussage der Zeugen vielleicht überzeugt halten würde, ich bitte aber nur, diese Sache etwas zu vertagen und das weitere Beweismaterial erst abzuwarten. – Staatsanwalt: Es bedarf keiner Erklärung des Angeklagten, ob ich loyal vorgehe oder nicht. – Die Zeugin Ehlert erzählte u. a. noch, daß sie ihrem Vater sofort mitgeteilt habe, was die fremden Herren alles von ihr gewollt haben, ihr Vater habe sich dies auch aufgeschrieben. Außerdem sei ihr auch gesagt worden, man wolle die Sache so drehen, als ob sie nicht recht bei Verstande sei. – Angekl. Sternberg stellte durch eine Anzahl von Fragen fest, daß der Vater der Zeugin Gelegenheitsschreiber sei. Kriminalschutzmann Stierstädter verneinte die Frage, ob Ehlerts Vater etwa für die Polizei Schreibereien verrichte. – Auf Befragen eines Beisitzers erklärte die Zeugin Ehlert, daß sie im August 1884 geboren sei und im vorigen Jahre zum ersten Male mit Herrn Sternberg etwas zu tun gehabt habe. – Frida Woyda wurde nochmals vorgerufen und gefragt, was denn nun an ihrer Aussage wahr sei. Sie antwortete recht energisch: Was ich jetzt hier ausgesagt habe, ist die Wahrheit. – Vors.: Hat dir neuerdings jemand gedroht, daß du in die Zwangserziehung oder ins Waisenhaus kommen würdest? – Zeugin: Nein.

In weiteren Sitzungen wurde mitgeteilt, daß die Masseuse Margarete Fischer, die nach New York geflüchtet sei, bereit sei, sofort vor Gericht als Zeugin zu erscheinen unter folgenden Bedingungen: 1. freies Geleit; 2. Zahlung einer Summe von 5000 M. ; 3. freie Fahrt II. Klasse und freie Verpflegung für sich und ihre Begleiterin Helene Fischer. Der Staatsanwalt bemerkte, daß er bereit sei, soweit dies innerhalb der gesetzlichen Grenzen gehe, die Hand dazu zu bieten, daß die Fischer hier in Berlin an Gerichtsstelle erscheine. Es werde sich fragen, ob es der preußische Staat, unter dessen Steckbrief die Margarete Fischer stehe, erfüllen kann. Ganz unerfüllbar erscheine ihm die Zahlung von 5000 M. Es bestehe keine gesetzliche Möglichkeit, eine derartige Summe zu zahlen, denn in Frage könne bloß die Anwendung der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige kommen und wenn auch bei weiten Reisen in dieser Beziehung großes Entgegenkommen gezeigt werden könne, so sei doch die Zahlung einer derartigen festen Summe völlig ausgeschlossen. Dagegen sei es angängig, freie Her- und Rückfahrt II. Kajüte zu gewähren. Was die Forderung des freien Geleits anlange, so sei folgendes zu erwägen: Die öffentliche Klage gegen Margarete Fischer sei seines Wissens noch nicht erhoben, es sei nur gegen sie im Vorverfahren vom Amtsgericht I ein Haftbefehl erlassen worden. Nach seiner Meinung würde diese Strafkammer befugt sein, der Margarete Fischer freies Geleit zu gewähren. Die Staatsanwaltschaft würde eventuell in der Lage sein, ihrerseits den amtsrichterlichen Haftbefehl aufzuheben, diese Aufhebung würde aber für die Staatsanwaltschaft gleichbedeutend sein mit der Nichtverfolgung eines Verbrechens und deshalb würde er sich zu einer solchen Aufhebung nur für befugt halten, wenn die Strafkammer beschließt, daß, um das Herkommen der Zeugin zu ermöglichen, ein solcher Schritt unternommen werden solle. – Rechtsanwalt Dr. Werthauer: Für Herrn Sternberg wird es keine große Sache sein, die 5000 M. selbst zu geben; er würde es aber jedenfalls nur dann tun, wenn es der Gerichtshof ausdrücklich für zulässig erklärt, damit nicht wieder der Verdacht einer Beeinflussung entsteht. – Vert. Rechtsanwalt Fuchs: Die Verteidigung, welche selbst die Ladung der Margarete Fischer beantragt hat, hat gegen die Vorschläge des Staatsanwalts nichts einzuwenden. – Justizrat Wronker bat, die Entscheidung darüber, ob Herr Sternberg die 5000 M. aus eigenen Mitteln hergeben soll, bis morgen zu vertagen, da alsdann der heute nicht anwesende Justizrat Dr. Sello wieder zur Stelle sein werde. – Staatsanwalt Braut: Prinzipiell scheine ihm nicht angängig, daß der Staat in einem solchen Strafverfahren ein derartiges Geschenk annimmt, es würden aus dieser Hergabe der Summe durch den Angeklagten auch neue Bedenken bezüglich der Glaubwürdigkeit der Zeugin sich ergeben. – Angekl. Sternberg: An den 5000 M. würde ihm an sich nicht gelegen sein, aber er habe doch auch die Vermutung, daß, wenn er die Summe hergebe, wieder der Verdacht entstände, daß die Fischer beeinflußt sein und nicht mehr als unbefangene Zeugin erachtet werden könnte. Gibt aber der Staatsanwalt die 5000 M.‚ so würde sich die Fischer sagen: Das ist ja himmlisch, ich werde wegen eines Verbrechens steckbrieflich verfolgt, und sowie ich die Bereitschaft zur Reise erkläre, erhalte ich nicht nur freie Fahrt für mich und eine angebliche Gesellschafterin, sondern bekomme noch ein kleines Vermögen von 5000 M. sowie freies Geleit. Sie wird sich sagen, daß sie einem solchen Staatsanwalt sehr obligiert und dankbar sein muß, und daraus ergebe sich wieder die Gefahr, daß sie etwas aussagt, was sie nicht verantworten kann. Wenn ihr in so phänomenaler Weise entgegen gekommen werde, müsse ihre Zeugenaussage bedenklich erscheinen. – Staatsanwalt: Der Angeklagte Sternberg hat hier soeben ein sehr feines Gefühl für die Einwirkung des Geldes auf Zeugen bekundet, das ist mir sehr interessant gewesen. Was ich gegen die Fischer auszusetzen habe, hat der Angeklagte Sternberg wiederholt. Auch ich glaube, sie ist auf alle Fälle eine so wenig intakte Zeugin, daß auf ihre Aussage kein großes Gewicht zu legen sein dürfte. – Angekl. Sternberg: Mir ist kein Fall bekannt, daß auf Zeugen mit Geld eingewirkt worden ist. Nur der Herr Staatsanwalt wittert in jeder Ermittelung, die von unserer Seite angestellt wird, eine Beeinflussung und hält schon jeden, der mit einem Detektiv spricht, für verdächtig. – Nach kurzer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende: Der Gerichtshof weist die Zumutung einer als Zeugin vorgeladenen Person gewisse Bedingungen zu erfüllen, zurück, namentlich auch die Zumutung, ihr einen Betrag von 5000 M. zu zahlen oder mit dem Angeklagten Sternberg in irgendeine Erörterung darüber zu treten, ob und in welcher Form dieser zur Hergabe der 5000 M. bereit sei. Der Gerichtshof erklärt sich ferner für unzuständig, die Gewährung freien Geleits zu beschließen, weil die Strafsache Fischer erst im Vorverfahren sich befindet und eine Verbindung dieser Sache mit der Affäre Sternberg durch die Strafkammer nicht beschlossen werden kann. Der Gerichtshof gibt dem Staatsanwalt anheim, die Aufhebung des Haftbefehls durch das Amtsgericht herbeizuführen und ist bereit, diejenigen Gebühren anzuweisen, welche angemessen und gesetzlich sind; dazu sind auch die Gebühren für die Mitreise einer Gesellschafterin zu rechnen.

Im Verlauf der Verhandlung erschien als Zeugin Fräulein Helene Pfeffer. Der Zeugin, die damals 37 Jahre alt war, sah man die Spuren dereinstiger großer Schönheit an. Sie hatte kohlschwarze Augen und ein schneeweißes, klassisch-schönes, feingeformtes Gesicht. Sie gab an, sie sei mit siebzehn Jahren zu Sternberg als Wirtschafterin gekommen, als dieser noch unverheiratet war. Sie habe in intimem Verkehr mit Sternberg gestanden. Sternberg habe ihr nach einiger Zeit den Vorschlag gemacht, ein Pensionat für kleine Mädchen zu errichten, er werde sie alsdann oftmals besuchen. Darüber seien sie in Konflikt gekommen und sie sei im Unfrieden von Sternberg geschieden. Sternberg habe mehrfach gesagt, er wolle für sie sorgen, er habe es aber nicht getan. Von der ganzen Woyda-Sache habe sie keine Ahnung gehabt und könne darüber gar nichts sagen, auch stehe sie mit dem bei der Polizei eingegangenen anonymen Briefe in gar keiner Verbindung. Stierstädter sei eines Tages bei ihr erschienen und habe gesagt, daß er bezüglich der Sternberg-Sache recherchiere und aus einem Briefe gesehen habe, daß sie etwas wisse. Sie habe dies sofort verneint; Stierstädter meinte aber, sie wolle wohl bloß nichts sagen, worauf sie antwortete: Ich kann absolut nichts sagen, ich weiß absolut im Falle Woyda nichts, ich bin 17 oder 18 Jahre von Herrn Sternberg weg, habe keinen Verkehr mehr mit ihm gehabt und weiß nichts. Sie habe dann ferner gesagt, daß sie mit ihrer Aussage Herrn Sternberg weder nützen noch schaden könne, sie sei schwer krank und bitte, sie ganz aus dem Spiel zu lassen. – Vors.: Wie sind Sie nun auf die Polizei gekommen und zwar gerade zu der Zeit, als Frida Woyda dort vernommen wurde? – Zeugin: Sie sei sehr erschreckt über die Mitteilungen des Herrn Stierstädter gewesen und befürchtete, daß, wenn die Angelegenheit in die Zeitungen komme, auch ihr Name damit verquickt werden würde. Deshalb sei sie auf das Polizeipräsidium gegangen. Auf dem Korridor habe sie Herrn Stierstädter gesprochen, und dieser habe gesagt, sie brauche nichts zu erzählen, das Kind sei schon ermittelt und werde gerade von Herrn v. Tresckow vernommen. Sie habe Herrn v. Tresckow bitten wollen, mit Rücksicht auf ihre schwere Krankheit und ihre bevorstehende Operation, sie aus der Sache herauszulassen. – Vors.: Zu welchem Zweck hat Ihnen Herr Stierstädter das Kind gezeigt? – Zeugin: Herr Stierstädter sagte, es sei erzählt worden, daß Fräulein Fischer ein Mädchen eingesperrt gehalten habe. Sie selbst habe das natürlich sofort bestritten, sie habe aber gewußt, daß Fräulein Fischer einmal eine kleine Pensionärin gehabt habe, und deshalb habe sie sich das Kind angesehen. Sie habe keine feindliche Gesinnung gegen Herrn Sternberg mehr, die Zeit habe das ausgeglichen, sie sei auch in keiner Weise von Sternberg oder anderen Personen zu falscher Aussage bestimmt worden, sondern habe die Wahrheit gesagt. – Angeklagter Sternberg behauptete: Die Zeugin sei von intensiver Feindschaft gegen ihn beseelt. Es sei vollständig unwahr, daß er ihr zugemutet habe, ein Pensionat für kleine Mädchen zu errichten. Als die Zeugin von ihm weggegangen war, habe sie sich in der Charlottenstraße ein Absteigequartier gemietet und sich der Straßenprostitution ergeben. – Die Zeugin sprang darauf in furchtbarer Erregung auf und bemerkte: Sternberg habe nach der Fournaçon-Sache sich mit ihr in Verbindung gesetzt, sie gefragt, warum sie denn so voll Gift und Galle gegen ihn sei und sie schließlich bedroht, daß er sie vernichten werde. Er habe sie unglücklich gemacht, sie ihrem Schicksal überlassen, nachdem sie von ihm gegangen. Er habe sie mit Füßen getreten und sie im Hunger und Elend gelassen. Das sei empörend. Die Zeugin, welche sich in immer größeren Groll hineinredete, behauptete schließlich, daß Sternberg sie zur Kuppelei habe treiben wollen, daß er von ihr verlangt habe, ihm kleine Mädchen von 12–14 Jahren zuzuführen, und daß er auch gegen eine kleine Verwandte Unanständigkeiten begangen habe, bzw. habe begehen wollen. Sie habe sich geweigert, ihm dieses Verlangen zu erfüllen und auf das Zuchthaus verwiesen, worauf er gesagt habe: „Es schade ja nichts, wenn sie einmal ins Zuchthaus gehe.“ Einmal habe Sternberg zu ihr gesagt: Ich hätte gern eine Achtjährige, alte Weiber von 16 Jahren sind mir zuwider. Der Angeklagte zeigte hier durch heftige Gebärden an, daß diese ganze Erzählung Erfindung sei und gab dieser Ansicht auch erregten mündlichen Ausdruck, er wurde aber wiederholt von der sehr empörten Zeugin mit den Worten unterbrochen: „Es ist doch wahr! Wenn mich ein Millionär hier schließlich noch zur Kupplerin machen will, dann kenne ich keine Rücksicht mehr!“ – Der Angeklagte Sternberg blieb dabei, daß an der ganzen Erzählung kein wahres Wort sei. Die Pfeffer sei seinerzeit freundschaftlich von ihm geschieden. Erst etwa zwei Jahre später habe sie begonnen, Erpresserbriefe an ihn zu richten. Es sei sogar soweit gegangen, daß die Zeugin ihn mit Vitriol und Mord bedroht habe. – Vors.: Woher wissen Sie, daß die Zeugin die Schreiberin war? – Angekl.: Die Briefe waren ja mit ihrem Namen unterschrieben. – Vors.: Haben Sie die Briefe? – Angekl.: Jawohl. Ich habe mir alle Behauptungen der Zeugin aufgeschrieben, um ihr durch Vorlegen der Briefe zu beweisen, daß sie die Unwahrheit spricht. – Vors.: Wo befinden sich die Briefe? – Angekl: In meiner Wohnung, ich nehme an, in der Wilhelmstraße. – Staatsanw.: Dann beantrage ich, daß dort nach den Schriftstücken gesucht wird. – Angekl.: Ich bin gewiß damit einverstanden, aber ich muß bemerken, daß man wohl zwei Tage Zeit haben müßte, um die Briefe herauszufinden. Ich nehme an, daß sie sich in einer der vielen großen Kisten befinden, die auf dem Boden stehen. – Vors.: Haben Sie denn nicht, wie es Geschäftsleute zu tun pflegen, die Briefe nach den einzelnen Jahrgängen sortiert? – Angekl.: Die Privatbriefe nicht. Der Gerichtshof beschloß darauf, den Kriminalkommissar v. Tresckow mit einem Beamten sofort nach der Wilhelmstraße zu entsenden, um nach den Briefen zu suchen. – Der Angeklagte Sternberg fragte die Zeugin, ob er ihrer Mutter nicht noch längere Zeit nach der Trennung Unterstützungen habe zukommen lassen. Die Zeugin räumte dies ein, fügte aber hinzu, daß ihr selbst nach dem Bruch keinerlei Zuwendungen gemacht worden seien. Sternberg bemerkte, daß er gegen alle Leute eine offene Hand gehabt habe, und es sei entschieden unwahr, daß er die Zeugin mittellos von sich gestoßen habe. Zweifellos sei auf die Zeugin eingewirkt worden. Der Eifer des Kriminalbeamten Stierstädter müsse doch jedenfalls als ungewöhnlich bezeichnet werden. Er bleibe dabei, daß er das Opfer eines vollständigen Komplotts geworden sei, dessen Zentrum die Pfeffer und Klara Fischer seien, die untereinander und mit der Margarete Fischer in New York in regem Briefwechsel standen. – Die Zeugin entgegnete: Sie habe der Margarete Fischer einmal geschrieben, sie solle doch in dieser entsetzlichen Sache die Wahrheit sagen; wenn Sternberg schuldig sei, dann müsse sie es sagen; sei die ganze Woyda-Sache aber nicht wahr, dann wäre es furchtbar, wenn Sternberg unschuldig verurteilt würde. – Angekl. Sternberg warf den Aussagen dieser Zeugin wiederholt in höchster Erregung das Wort „Lüge“ entgegen, so daß der Vorsitzende ihm das ernstlich untersagte. Er entschuldigte sich damit, daß er hier um seine ganze Existenz kämpfe und naturgemäß durch solche total unwahren Beschuldigungen erregt werde.

Staatsanwalt Braut teilte mit: Nach einem neuerdings eingetroffenen Telegramm des Generalkonsuls in New York ist die Fischer bereit zu kommen, wenn ihr 200 Dollars zur Einlösung ihrer Sachen gewährt werden und sie erfahre, wieviel Reise- und Versäumniskosten ihr vergütigt werden. Sie sei ganz mittellos. – Der Staatsanwalt beantragte, einen Gerichtsbeschluß zu fassen. – Der Gerichtshof blieb auf seinem Standpunkt stehen, daß er nur gesetzliche Gebühren gewähren könne. Er habe diese überschläglich auf höchstens 380 M. veranschlagt, wobei für die Fischer und ihre Begleiterin 14 Tage Herfahrt, 14 Tage Rückfahrt und ein zehntägiger Aufenthalt auf dem Festlande als Unterlage angenommen seien. Ferner würde ihr ein Freibillett von New York nach Berlin und ein barer Vorschuß von 100 M. zu gewähren sein. –

Im weiteren Verlauf erschien Geh. Kriegsrat Dr. Romen, der in der ersten Verhandlung amtierender Staatsanwalt war, als Zeuge: Er sei sehr erstaunt gewesen, zu hören, daß Frida Woyda zu ihrer früheren Aussage gedrillt sein soll. In seiner fünfzehnjährigen Tätigkeit als Staatsanwalt habe er zu unterscheiden gelernt zwischen eingepaukten Aussagen und solchen, die auf wahren Erlebnissen beruhen. Die Möglichkeit, daß Stierstädter die Frida Woyda bearbeitet haben könnte, halte er für vollständig ausgeschlossen. Er erkläre unter seinem Eide, daß er kaum jemals einen Beamten von solcher Pflichttreue, Findigkeit und Energie kennen gelernt habe, wie Herrn Stierstädter, dem es neben Herrn v. Tresckow in erster Reihe zu danken sei, daß die Übeltaten, um die es sich hier handle, aufgedeckt worden seien. Er (Zeuge) habe wiederholt Veranlassung genommen, dem Herrn Reg.-Rat Dieterici zu erklären, daß er geradezu erstaunt sei über die Pflichttreue dieses Beamten. In den sieben Monaten, in denen er mit Herrn Stierstädter zu tun gehabt, habe er sich den Mann sehr scharf angesehen und sich oft die Frage vorgelegt, ob bei ihm vielleicht eine Voreingenommenheit vorwalte. Er habe sich in seiner staatsanwaltlichen Tätigkeit immer das nobile officium der Staatsanwaltschaft vor Augen gehalten, auch alle für einen Angeklagten sprechenden Entlastungsmomente zu sammeln und er würde es unbedingt für seine Pflicht gehalten haben, wenn ihm eine Voreingenommenheit oder Animosität bei Stierstädter bemerkbar gewesen wäre, diese nicht zu dulden und ihn ablösen zu lassen. Er habe sich sehr gewundert, daß ein solcher Beamter mit so anerkennungswerter Dienstfreude plötzlich kalt gestellt werden sollte. Er, Zeuge, habe schon längere Zeit Aussicht gehabt, bei der Staatsanwaltschaft nicht länger zu bleiben und angesichts der Machinationen, die von seiten der Agenten und Freunde des Angeklagten – letzteren selbst könne er ja in dieser Beziehung nicht verdächtigen – habe er sich auf die Polizei stützen müssen und deshalb auch dem Stierstädter die Anweisung gegeben, die Frida zu beobachten. Er habe nun gelesen, daß Herrn Stierstädter von anderer Seite der Auftrag gegeben worden sei, diese Anweisung nicht auszuführen. Wenn er eine Ahnung davon gehabt hätte, würde er sofort zu dem Regierungsrat Dieterici oder dem Polizeipräsidenten gegangen sein und lebhafte Beschwerde erhoben haben, und zwar auf Grund des § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach er als Staatsanwalt zur Erteilung solcher Anweisung nicht der Genehmigung der Polizeibehörde bedarf. Für ihn falle die Frage, wann die Frida Woyda wohl zu einer anderen Meinung gekommen sein mag, mit dem Augenblick zusammen, da Herr Stierstädter lahm gelegt wurde und nun die Agenten und Freunde Sternbergs freie Hand zu ihren Machinationen hatten. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Fuchs I: Der Herr Zeuge hat dem Zeugen Stierstädter das glänzendste Zeugnis gegeben. Würde er dabei bleiben, wenn er weiß, daß Stierstädter vormittags mit einer Person wegen Kuppelei amtlich verhandelte und abends sich an derselben Person und an einer anderen Frauensperson sittlich verging? – Zeuge: Er habe keine Kenntnis davon, daß Stierstädter aus Anlaß einer amtlichen Handlung sich vergessen habe. Er habe nur gelesen, daß Stierstädter mit der Hausmann geschlechtlich verkehrt habe. So sehr er es bedauere, daß ein so überaus pflichttreuer und findiger Beamter sich vergessen habe, so habe dies doch auf das, was vorher liegt, nicht den geringsten Einfluß. Er habe Herrn Stierstädter auf Herz und Nieren geprüft und sei sich immer bewußt gewesen, daß es Pflicht der Staatsanwaltschaft sei, neben den Belastungsmomenten auch die Entlastungsmomente zu sammeln. Damals habe er den Eindruck absolutester Zuverlässigkeit des Zeugen Stierstädter erhalten und dieser habe ihm viele Beweise erstaunlicher Findigkeit gegeben. Seine Ermittelungen hätten sich bis zum Tipfelchen über dem i bewahrheitet. Wenn Stierstädter seinen eigenen Vorteil hätte wahrnehmen wollen, dann würde er sich auf die andere Seite geschlagen haben, und er sei der Überzeugung, daß sich die Legende von dem Schloß am Genfer See leicht zur Wahrheit hätte machen lassen. – Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Würde der Herr Zeuge Herrn Stierstädter noch für „nicht voreingenommen“ erachten, wenn er hört, daß er nach der eidlichen Aussage eines Zeugen diesem gesagt hat: „Und wenn ich Tag und Nacht arbeiten soll – der Jude muß hinein“? – Zeuge: Ich weiß nicht, ob ein Zeuge dies eidlich bekundet hat. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Fuchs I: Da sich der Herr Zeuge auf seine fünfzehnjährige Erfahrung beruft, so frage ich: Sind Sie derselbe Staatsanwalt, der einmal gesagt hat: Die Eide der Sozialdemokraten sind Meineide? Der Vorsitzende beanstandete diese Frage, der Verteidiger ersuchte um einen Gerichtsbeschluß. Der Gerichtshof beschloß, die Frage nicht zuzulassen, da sie mit dieser Sache nichts zu tun habe und außerdem so gestellt sei, daß der Gerichtshof nicht prüfen könne, ob und inwieweit die Behauptung wahr sei. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Haben Sie einen tatsächlichen Anhalt dafür, daß die Agenten Frida Woyda beeinflußt haben? – Zeuge: Ja, ich erhielt von dem Zeugen Stierstädter Kenntnis, daß auf Blümkes eingewirkt worden sei durch die Hingabe eines Ringes usw. – Der Verteidiger verwies auf eine Verfügung des Staatsanwalts Romen, in der ausgedrückt worden, daß gegen Blümkes nicht das geringste Bedenken vorliege. – Auf Befragen des Rechtsanwalts Dr. Werthauer erklärte der Zeuge, daß er bei der Beurteilung der Frage, wann wohl auf Frida Woyda eingewirkt sei, nach dem alten Satze gehe: „post hoc ergo propter hoc.“ Frida Woyda habe so lange ihre Beschuldigungen aufrecht erhalten, als sie von Stierstädter beobachtet wurde. Als Herr Stierstädter kalt gestellt wurde, kam plötzlich die Wendung. – Vert.: Wie kommt der Zeuge zu der Behauptung, daß Herr Stierstädter kalt gestellt worden ist? – Zeuge: Es steht doch die Tatsache fest, daß der Auftrag, meine Befehle nicht auszuführen, von einer Seite erfolgt ist, die nicht ganz unabhängig von Herrn Sternberg gewesen zu sein scheint. – Rechtsanwalt Dr. Werthauer: Glaubt der Zeuge, daß die Fischer und die Wender weggebracht worden sind wegen der Zeitungsartikel oder wegen des Falles Woyda? – Zeuge: Aus welchen Gründen Sternberg die Fischer hat wegbringen lassen, weiß ich nicht, aber ich bin dem Angeklagten die Erklärung schuldig, daß damals der Fall Woyda aktenmäßig noch nicht existierte. – Auf weiteres Befragen des Verteidigers wurde festgestellt, daß in der vorigen Verhandlung ein taubstummer Zeuge behauptet hat: er sei einmal von der Frida Woyda ohne Grund verdächtigt, angezeigt und auf ihre Aussage auch verurteilt worden. – Auf Befragen des Rechtsanwalts Dr. Heinemann gab der Zeuge zu, daß er in der ersten Verhandlung das Gutachten des Physikus Dr. Störmer scharf angegriffen habe; er betonte aber, er habe die volle Überzeugung, daß Dr. Störmer sein Gutachten nach bestem Wissen abgegeben habe. – Rechtsanwalt Dr. Heinemann: Der Herr Zeuge hat doch in dem ganzen Woyda-Fall nur einen einzigen Beeinflussungsversuch mitteilen können. – Zeuge: Er habe aus dem Detektiv-Direktor Schulze erst ganz allmählich und auf wiederholtes ernstes Eindringen herausholen können, daß er 6000 M. Honorar erhalten habe und ihm 50 000 M. für den Fall eines günstigen Erfolges versprochen worden seien. Dies sei in den Annalen der Rechtspflege noch nicht vorgekommen, und er mußte annehmen, daß in unlauterer Weise gearbeitet werde. Er habe gerade in dieser Strafsache außerordentlich sorgfältig, penibel, aber auch energisch vorgehen zu müssen geglaubt, weil er, wie immer, so auch hier sich auf den Standpunkt stellte, Recht müsse Recht bleiben, ob es sich um einen Millionär oder um einen Mann im Arbeiterkittel handle. Er habe es für seine Aufgabe gehalten, alle Maßnahmen der Agenten Sternbergs zu durchkreuzen. Er gehe nicht soweit, zu behaupten, daß Herr Sternberg diese Maßnahmen der Agenten veranlaßt habe, er halte Herrn Sternberg dazu für viel zu schlau, jedenfalls haben ihn seine Freunde mit diesen Treibereien den schlechtesten Dienst erwiesen. – Vert. R.-A. Dr. Heinemann: In der vorigen Verhandlung ist nicht eine einzige Feststellung getroffen worden, daß Angestellte des Herrn Schulze Verdunkelungs- und Beeinflussungsversuche gemacht haben. – Geh. Rat Dr. Romen: Nach meiner Erinnerung ist nachgewiesen worden, daß einer Anzahl von Detektivs für Zeitversäumnisse, Erscheinen vor Gericht kleinere und größere Summen gezahlt worden sind. – Vert.: Können Sie einzelne Namen nennen ? – Zeuge: Nein. – Rechtsanwalt Dr. Werthauer: Ich stelle also fest, daß die Freundschaftsdienste, die oft in ungeschickter Weise sich für Sternberg bemerkbar gemacht haben, von dem Zeugen nicht direkt auf letzteren zurückgeführt werden. Sie können also kaum zu seiner Schuldüberführung verwertet werden. – Vors.: Die Gelder, die verwendet sind, rühren doch wohl unzweifelhaft aus Sternbergs Kasse? – Vert.: Selbst wenn dies der Fall wäre, würde es doch auf die Schuldfrage von gar keiner Bedeutung sein. – Angeklagter Sternberg betonte, daß er seit Aufrollen des Falles Woyda in strenger Isolierung sich befinde. Er bitte den Zeugen um Auskunft, ob irgendwelche Tatsachen festgestellt sind, die darauf hindeuten, daß er in irgendwelcher Verbindung mit seinen Freunden stehe. – Vors.: Auffällig ist doch der Zwischenfall bezüglich der „Post“-Artikel. Es ist doch sonderbar, wie eine solche Ordre gegeben werden konnte. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Werthauer: Ist es denn festgestellt, daß eine solche Ordre gegeben worden ist? – Staatsanwalt: Darüber werden wir vielleicht in wenigen Tagen Auskunft erhalten. – Angekl. Sternberg: Ich habe mit den ganzen sogenannten Bestechungsversuchen bezüglich der „Post“ absolut nichts zu tun und habe keinerlei Anweisung gegeben. – Geh. Rat Dr. Romen erklärte noch, daß der Angeklagte ihm gegenüber sich immer höflich und ruhig bewegt habe. – Angekl. Sternberg: Auch mir ist der Herr Staatsanwaltschaftsrat immer in humaner Weise entgegengekommen. Wenn er aber sagt, er sei nicht voreingenommen gewesen, so ist es außer Zweifel, daß er wissentlich nicht voreingenommen war; ich behaupte aber, daß er unwissentlich voreingenommen war von Kopf bis zu Fuß, von Anfang bis zu Ende, daher ist es gekommen, daß der reiche Mann nicht mit demselben Maß gemessen wurde, wie der arme, sondern daß von Anfang an mit besonderer Schärfe gegen ihn vorgegangen und er schlechter gestellt wurde, wie der arme Mann. Ist dem Zeugen auch nur ein einziger Fall bekannt, in welchem die Agenten des Herrn Schulze oder dieser selbst irgend einem Zeugen zugeredet haben, die Unwahrheit zu sagen? – Zeuge: Ich kann mich eines bestimmten Falles nicht erinnern. –

Alsdann wurde Frida Woyda dem Geheimrat Dr. Romen gegenübergestellt. Dieser richtete in sehr nachdrücklicher Form eine Reihe von Fragen an das Mädchen, die darauf hinausliefen, ob es ihm ins Gesicht sagen wolle, daß es ihm früher auf alle seine väterlichen Ermahnungen die Unwahrheit gesagt habe. Das Mädchen blieb dabei, daß es früher die Unwahrheit gesagt habe. Auf die Frage: weshalb, verwies sie wieder auf Stierstädter. – Der Vorsitzende bemerkte alsdann: Ein weiteres Eindringen auf das Mädchen halte er für überflüssig und zwecklos. – Der folgende Zeuge war Justizrat Dr. Kleinholz, der in der ersten Verhandlung die Verteidigung mitgeführt hatte. Er bekundete: Ihm sei namentlich in Erinnerung, daß Frida Woyda behauptet habe, mit Gewalt zu dem unzüchtigen Akt bewogen worden zu sein. Er habe damals dem Mädchen nicht geglaubt, sondern direkt den Eindruck gehabt, als ob es stark gelogen habe. Er habe aus der ganzen Beweisaufnahme entnommen, daß das Mädchen eine eigentümliche und fruchtbringende Phantasie besitze und daß ein Kind, welches schon selbst unzüchtige Handlungen mit kleinen Knaben vorgenommen, in bezug auf seine Glaubwürdigkeit auf solchem Gebiete sehr ängstlich zu prüfen sei. Ihm sei es sehr eigentümlich erschienen, daß ein Kind, dem so etwas Schreckliches passiert sein soll, keinem Menschen etwas davon gesagt haben sollte, ja, daß ein solches Kind, dem bei Fischers mit „Gewalt“ böses Unrecht zugefügt sein sollte, bitten konnte, es doch dort zu lassen, da sie es dort sehr gut hätte. Auf Befragen des Vorsitzenden, wie er sich denn vorstelle, daß ein Kind sich alle von ihm bekundeten Einzelheiten ausdenken könne, erklärte Zeuge: er halte es wohl für denkbar, daß, wenn die Phantasie eines solchen geschlechtlich leicht erregbaren Kindes erregt worden sei, dieses weiter und weiter arbeitet und Dinge mit hineinnimmt, die es bei anderen Gelegenheiten gehört und gesehen habe. Daraus können schon solche Bilder entstehen, namentlich wenn ein solches Mädchen denkt, es werde nun zum Mittelpunkt einer solchen Tragödie gestempelt und damit interessant werden. Unglaublich habe es ihm auch geschienen, daß ein Mann wie Sternberg in Gegenwart anderer Personen, die ihn ja für alle Zukunft an der Strippe haben würden, unzüchtige Akte mit einem Kinde vornehmen würde. Ein Mädchen, welches für solche Akte selbst prädestiniert erscheine, habe ihm bei all den Seltsamkeiten, die in die Erscheinung traten, nicht glaubwürdig geschienen. Er habe das Kind für verstockt gehalten. In der ersten Verhandlung sei nicht festgestellt worden, daß unzulässige Beeinflussungen seitens der Sternbergschen Freunde stattgefunden haben, namentlich nicht, daß Herr Sternberg mit dem Kapitän Wilson zusammen agitiert habe. Die Verteidiger seien von der Unschuld Sternbergs überzeugt gewesen. Da eine Voruntersuchung im Interesse des Angeklagten nicht für empfehlenswert erachtet wurde, weil zu viel Zeit damit verloren ginge, habe die Verteidigung sich dafür entschieden, durch den Detektivdirektor Schulze Ermittelungen anstellen zu lassen. Diesem sei ausdrücklich gesagt worden, es dürfe bei diesen Ermittelungen nichts vorkommen, was gegen die Wahrheit verstoße oder auf unlauteren Beeinflussungen beruhe. Was die in Aussicht gestellte Belohnung von 50 000 M. anlange, so erinnere er sich, daß die Sache sich etwa so abgespielt habe: Herr Schulze habe dem Herrn Justizrat Dr. Sello erklärt, daß er, wenn sich alles, was er ermittelte, bewahrheitete, und diese Ermittelungen zu einem günstigen Erfolg führten, natürlich ein Extrahonorar haben müsse. Justizrat Dr. Sello habe dann, so viel er wisse, gefragt, was er denn für diesen Fall beanspruche, darauf habe Herr Schulze gesagt: 50 000 M. Justizrat Dr. Sello habe ihm erklärt, er werde die Sache Herrn Sternberg unterbreiten, und dieser habe, wenn er sich recht besinne, darauf keine zusagende Antwort erteilt, sondern gesagt, er werde es sich überlegen. Auf Befragen erklärte der Zeuge schließlich, daß in der ersten Verhandlung nichts festgestellt wurde, daß das, was Schulze ermittelte, falsch war. Richtig sei es auch, daß nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Störmer in der vorigen Verhandlung die Verteidiger die Freisprechung des Angeklagten für sehr wahrscheinlich hielten.

Es wurden noch einige kleine Mädchen als Zeuginnen vernommen, die nach längerem Zögern bekundeten, daß sie in der Fischerschen Wohnung mit Sternberg in unzüchtiger Weise verkehrt hätten. Auch diese Mädchen mußten zugeben, daß sie bereits mit 13 Jahren sich der Prostitution ergeben hatten. – Schriftsteller Ludwig Rittershaus bekundete: Er sei ein Freund des Sternbergschen Hauses und kenne Herrn Sternberg seit etwa 10 Jahren. Als letzterer verhaftet wurde, sei Frau Sternberg in größter Aufregung gewesen. Sie erklärte: sie traue ihrem Mann ein solches Verbrechen nicht zu, und äußerte den Wunsch, daß nach dem Leumund des betreffenden kleinen Mädchens Ermittelungen angestellt werden möchten. Die von ihm (Zeugen) angestellten Nachforschungen bezüglich der Frida Woyda seien sehr ungünstig ausgefallen. Letztere sei ihm als lügenhaft und zu allen möglichen Schlechtigkeiten geneigt, geschildert worden. Er habe Herrn Sternberg als einen Mann von außerordentlich kühler Überlegung kennen gelernt. Auf weiteres Befragen der Verteidigung bekundete der Zeuge, daß Herr Sternberg öfter mit ihm über die Anlage seines Vermögens gesprochen und ihm große soziale Pläne entwickelt habe, die sich beispielsweise auf eine ausführliche Fürsorge für Arbeitslose erstreckten. – Auf Antrag des Rechtsanwalts Dr. Werthauer wurde der Zeuge gefragt, ob er auf Grund seiner Tätigkeit in dieser Sache Herrn Sternberg für schuldig oder unschuldig gehalten habe. Der Zeuge erklärte, daß er ihn für unschuldig gehalten habe. Zunächst sei ihm ganz unglaubwürdig erschienen, daß der Angeklagte dem betreffenden Mädchen 10 Pf. als Belohnung gegeben haben solle. Einem Mann von der eminenten Klugheit des Herrn Sternberg habe er ein solches Verbrechen und eine solche verbrecherische Dummheit nicht zugetraut und schließlich habe Herr Sternberg, als die Fournaçon-Sache schwebte, ihn versichert, daß absolut nichts weiter gegen ihn vorliege. Sternberg habe auch keinerlei Anstalten zur Flucht getroffen[WS 2], sondern sich stark in die Geschäfte gestürzt. Eines Tages habe ihm Frau Sternberg erzählt, es sei ein Mann bei ihr erschienen, der einen falschen Bart getragen und ihr angeboten habe, daß er ihren Mann gegen 20 000 M. befreien könnte. Der Mann sei dann noch einmal wiedergekommen und habe einen angeblich von Sternberg herrührenden Kassiber mitgebracht, auf welchem die Worte standen: „Errette mich, errette mich, sonst bin ich verloren. Dein Gatte.“ Da die Worte unorthographisch geschrieben waren, habe sie sofort gesehen, daß es sich um einen Menschen handelte, der Geld erpressen wollte. Frau Sternberg habe sich ferner darüber beklagt, daß sie von allen möglichen Personen überlaufen werde, die immer behaupteten, sie wüßten etwas. Sie habe sich auch über die Machenschaften gegen ihren Mann in der Presse beklagt und behauptet, diese gingen von einem bestimmten Journalisten aus. Auf Verlangen des Vorsitzenden nannte der Zeuge nach längerem Sträuben den Namen des Journalisten Porges. – Redakteur Bettauer bekundete als Zeuge: An dem Tage, als das Reichsgericht die Revision für begründet erachtete und das Urteil aufhob, habe Stierstädter in der Redaktion der „Berliner Morgenpost“ angefragt, ob schon Nachricht aus Leipzig eingetroffen sei. Stierstädter habe dabei geäußert: Es sei inzwischen noch neues Belastungsmaterial eingegangen, so daß zu hoffen sei, das Urteil werde auch das zweitemal nicht anders ausfallen. Er hatte die Empfindung, daß Stierstädter einen großen Haß gegen Sternberg besaß. Es komme bisweilen vor, daß Leute von geringerer Bildung Berufssachen zu ihrer eigenen machen. – Die 19jährige, unverehelichte Schönherr bekundete: Sie sei mit Sternberg einmal zwecks intimen Verkehrs zusammengetroffen. Sie sei auch mehrere Male mit der jetzt 16jährigen Callis zusammengewesen. Letztere habe vor einigen Tagen in einer in der Nähe des Gerichtsgebäudes belegenen Konditorei geäußert: „Ob es Sternberg gewesen ist oder nicht, ist gleichgültig, der Jude muß auf alle Fälle ins Zuchthaus.“ Die Callis hatte ebenfalls bekundet, daß sie mit Sternberg in der Fischerschen Wohnung unzüchtigen Verkehr gehabt habe. –

Kaufmann Karl Munthe bekundete: Er sei ein Freund Sternbergs und sei aus reiner Freundschaft für ihn tätig gewesen. Als er aber zur Familie Fournaçon gekommen, um diese zu bewegen, von einem Strafantrage gegen Sternberg Abstand zu nehmen, sei ihm gesagt worden, daß das schon zu spät sei. Am Tage vonher sei der Kriminalschutzmann Stierstädter vier- bis fünfmal dagewesen und habe zur Stellung des Strafantrages unter der Androhung, daß andernfalls die kleine Fournaçon unter sittenpolizeiliche Kontrolle kommen werde, gedrängt. – Fräulein Katharina Liebert, deren Aussagen von geringem Belang waren, bemerkte: Ihre Schwägerin, Frau Liebert, habe das lebhafteste Interesse, in den Gerichtssaal hineinzukommen. Sie habe von einer hundertjährigen Frau ein Amulet zum Geschenk erhalten, vor dem sich die Richter beugen und Sternberg freisprechen müssen. (Heiterkeit) – Frau Liebert, die darauf als Zeugin erschien, bestritt auf Befragen des Vert. Justizrats Dr. Sello die Amulettgeschichte. – Vors.: Wir haben auch von der wunderkräftigen Wirkung des Amuletts noch nichts gemerkt. (Heiterkeit) – Im weiteren Verlauf bemerkte Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Heinemann: Es sei ihm soeben gemeldet worden, daß die Zeugin Ehlert erklärt habe, sie wolle nun die Wahrheit sagen, es sei nicht wahr, daß sie den Angeklagten Sternberg kenne, sie habe ihn fälschlich beschuldigt. – Zeugin Ehlert, sofort vorgerufen, erklärte: „Was ich zuletzt gesagt habe, ist nicht wahr; was ich früher gesagt habe, ist wahr: Ich kenne Herrn Sternberg nicht, ich habe mit ihm nichts zu tun gehabt.“ – Der Vorsitzende hielt der Zeugin vor, daß es doch ungeheuerlich sei, wenn sie nun wieder gerade das Gegenteil von dem sage, was sie früher behauptete. – Zeugin Ehlert: Ich hätte die Beschuldigungen gegen Sternberg auch nicht erhoben, wenn nicht Herr Stierstädter in mich gedrungen hätte, zu sagen: Sternberg ist es. – Vors.: Wie sollte denn Herr Stierstädter dazu gekommen sein? – Zeugin: Er sagte, ich kriege Geld, wenn ich so aussage. – Vors.: Das glauben Sie doch wohl selber nicht. Herr Stierstädter ist ein doch nicht übermäßig besoldeter Beamter, und der Staat macht es doch nicht so wie andere Leute, daß er Leuten für ihre Aussagen Geld verspricht. Wir leben doch in Preußen! – Zeugin: Herr Stierstädter hat mir gesagt, er würde in eine höhere Stelle kommen und mir dann von seinen größeren Einkünften Geld geben. – Vors.: Das wollen Sie uns glauben machen? – Zeugin: Ich sage jetzt die Wahrheit: Herr Sternberg ist nie mit mir zusammen gewesen und hat nie Unzüchtigkeiten mit mir begangen. – Vors.: Da müßten Sie also früher dem Gerichtshof direkt dreist in das Gesicht gelogen haben. – Zeugin: Meine Mutter war ja auch noch dabei, als Herr Stierstädter mir zuredete. – Vors.: Ihre Mutter soll geisteskrank sein, diese können wir also nicht vernehmen. Warum haben Sie das, was Sie heute gegen Herrn Stierstädter behaupten, nicht früher ausgesagt? – Zeugin: Ich wollte Herrn Stierstädter keine Unannehmlichkeiten machen. – Stierstädter erklärte die Behauptung der Zeugin für absolut falsch und erfunden. Die Ehlert behauptete mit erhobener Stimme und besonderem Nachdruck: Es ist doch wahr! Sie haben ja auch gesagt, ich solle meinen Vater aufhetzen, daß er den Strafantrag stellt. – Stierstädter: Das ist nicht wahr! – Zeugin Ehlert (sehr laut): Es ist doch wahr! – Der Vorsitzende verbat sich den brüsken Ton und drohte mit einer Ordnungsstrafe. – Der Vorsitzende hielt der Zeugin Ehlert wiederholt vor, daß es doch ganz unglaubwürdig sei, was sie jetzt sage, und fragte sie immer wieder, ob jemand auf sie eingewirkt habe. Die Zeugin verneinte dies. Der Vorsitzende betonte ferner: Es sei sehr auffallend, daß dies Umfallen der Zeugin mit der Tatsache zusammenfalle, daß ein Hilfstransporteur mit der Ehlert – wie festgestellt worden – nach der Sitzung vorübergehend in einem Restaurationslokal gewesen sei. Die Zeugin bestritt, daß dieser Hilfstransporteur irgendwie auf sie eingewirkt habe. – Der Vorsitzende und die Verteidiger gaben sich die größte Mühe, den Grund zu erforschen, weshalb die Zeugin nun plötzlich ihre Aussage ändere. Die Zeugin hatte u. a. früher bekundet, daß sie einem Herrn ein kleines silbernes Döschen entwendet habe, welches mit einem Wappenschild verziert war, das die Buchstaben A. St. enthielt. Dieser Herr sei Sternberg gewesen. Nun widerrief die Zeugin auch dies. Sie wollte sich nur entsinnen, daß der Buchstabe A. auf der Dose stand, der Bestohlene sei auch nicht Sternberg, sondern der schon mehrfach erwähnte Herr Oskar Stein gewesen. Sie wiederholte, daß sie mit Sternberg nie etwas zu tun gehabt habe. – Justizrat Dr. Sello: Sie haben früher die Angeklagte Wender beschuldigt, daß diese ebenfalls mit Sternberg unzüchtige Handlungen vorgenommen habe. Als die Wender dagegen protestierte mit den Worten: „Das ist nicht wahr!“ haben Sie in lautem Tone gerufen: „Das ist doch wahr!“ Jetzt sagen Sie selbst, daß auch dies gelogen war, wie konnten Sie diese Ungeheuerlichkeit begehen? – Die Zeugin gab keine Antwort. – Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Waren Ihre Eltern beide dabei, als Herr Stierstädter zu Ihnen sagte, sie sollten angeben, daß es Sternberg sei, die Schnörwange habe es auch schon gesagt? – Zeugin: Jawohl, Herr Stierstädter hat mir bei einer Vernehmung auf dem Gerichtskorridor das gesagt. – Vors.: Sie haben einmal um Schutz vor Ihrem Vater gebeten, weil dieser Sie auf dem Korridor fortwährend beschimpfe. Ist das vielleicht ein Umstand, der auf Sie eingewirkt hat? – Zeugin: Nein, ich habe auch nur um Schutz gebeten, weil mir jemand auf dem Flur sagte, „Dein Vater schimpft ja schön auf dich“. – Auf Vorhalt des Rechtsanwalts Dr. Werthauer wiederholte die Zeugin, daß sie nie in der Fischerschen Wohnung gewesen sei und ihre Schilderung von der Ausstattung dieser Wohnung und Einzelheiten über das, was sie in dieser an Vorgängen bemerkt haben wollte, teils selbst erfunden, teils aus Erzählungen der Schnörwange in sich aufgenommen habe. – Auch Jusitzrat Dr. Sello ging weiter auf die Einzelheiten der früheren Aussage der Ehlert ein; sie erklärte ohne weiteres, daß sie sich das alles erfunden habe und kein Wort davon wahr sei. Das sei jetzt die reine Wahrheit und sie bleibe dabei. – Vors.: Wenigstens vorläufig bleiben Sie dabei. Wer weiß, wie oft Sie Ihre Aussage noch wechseln werden. – Auf weiteren Vorhalt der Verteidiger erklärte die Zeugin ausdrücklich: Auch die Behauptungen über denjenigen Mann, von dem sie zum ersten Male verführt worden sei, seien unwahr. Auch dies sei Herr Sternberg nicht gewesen. – Vors.: Wer war es denn? Nun heraus mit der Sprache! – Zeugin: Ich möchte den Namen nicht nennen. – Vors.: Das geht nicht! Wo ist der Mann jetzt? – Zeugin: Ich glaube, in Amerika. (Heiterkeit) – Vors.: Und wie ist sein Name? – Zeugin: Er hieß Müller. (Heiterkeit.) – Vors.: Also auf diese wertvollen Angaben beschränkt sich Ihre Kenntnis von der Persönlichkeit? – Zeugin: Der junge Mann war im Hause Händelstraße 19 in einem Geschäft tätig. – Justizrat Dr. Sello stellte durch Befragen fest, daß das Mädchen schon im Dezember v. J., als der Fall Fournaçon aufgerollt worden war, ihrer Mutter gesagt habe, daß sie keinen Verkehr mit Herrn Sternberg gehabt habe. – Zeuge Ehlert, der Vater des Mädchens, bestätigte das. Seine Tochter habe ihm dasselbe auch schriftlich gegeben. Er habe seinerzeit schon festgestellt, daß seine Tochter überhaupt nicht bei der Fischer gewesen ist und sie in dieser Beziehung gelogen hatte. Stierstädter habe auch ihm gegenüber den Versuch gemacht, ihm etwas zu suggerieren. – Die nun wieder vorgerufene Zeugin Schnörwange blieb auf Befragen dabei, daß sie mit Herrn Sternberg bei der Fischer zu tun gehabt habe. Sie wollte auch beeiden, daß sie der Ehlert eine Beschreibung der Fischerschen Wohnung gegeben habe. – Justizrat Dr. Sello bat, mit der Vereidigung der Zeugin zu warten, da die Verteidigung noch umfangreiche Beweise bezüglich der Glaubwürdigkeit der Schnörwange zu stellen habe. Auf Befragen des Rechtsanwalts Dr. Fuchs I erklärte die Zeugin Ehlert‚ daß sie sich bereits am Freitag anderen Zeuginnen gegenüber dahin geäußert habe, sie werde ihre frühere Aussage widerrufen und die Wahrheit sagen. – Justizrat Dr. Sello: Zeugin Ehlert, wie wollen Sie es erklären, daß Sie gerade nach den eindringlichen Verwarnungen des Herrn Staatsanwalts sich diesem gegenüber zu dem endlichen unter Tränen abgegebenen Geständnis herbeiließen: „Ja, es war Sternberg!“ – Zeugin Ehlert: Seine Verwarnung hatte mehr Eindruck auf mich gemacht. – Vors.: Dann haben Sie ja dem Herrn Staatsanwalt gerade vermöge seiner eindringlichen Verwarnung die Unwahrheit gesagt, als Sie erklärten, „er ist es“, denn Sie haben dies widerrufen und behaupten jetzt „er ist es nicht“. – Staatsanwalt: Kommen Sie hier mal näher heran und sehen Sie mir in die Augen! Nun blicken Sie mich an, sagen Sie mir ins Gesicht, daß Sie mich unter Tränen belogen haben, als Sie mir erklärten „Ja, er ist es“. – Die Zeugin sagte mit leiser Stimme: „Ja, ich habe Sie belogen.“ Die Zeugin blieb dabei, daß Stierstädter sie zu der ersten falschen Aussage angestiftet habe. Er habe gesagt, sie solle bei der belastenden Aussage bleiben, und wenn man sie auch mit einem Jahre Gefängnis bedrohe, ausgeführt werde die Drohung doch nicht. – Zeuge Stierstädter erklärte ebenso entschieden, daß dies alles unwahr sei, er habe die Ehlert seit der letzten Verhandlung nicht wieder gesehen. – Auf Antrag des Staatsanwalts wurde nun nochmals die 16jährige Callis, die bisher behauptete, daß sie niemals etwas mit Sternberg vorgehabt habe, vorgerufen. Sie erklärte nunmehr auf Befragen, daß sie bisher gelogen habe. – Vors.: Wollen Sie jetzt die Wahrheit sagen? – Zeugin: Ja. Ich bin fünf- bis sechsmal mit Sternberg zusammen gewesen. Ich erkenne Sternberg aufs bestimmteste wieder. Ich wurde von der Obstfrau Stabs, Fräulein Saul und Herrn Fritz Wolff beeinflußt. Diese sagten: Ich werde nicht vereidet und kann deshalb aussagen, was ich will. Ich habe von den genannten Personen etwa 170 M. in Teilbeträgen erhalten. Auch heute, als ich zum Untersuchungsrichter geführt wurde, rief mir Frau Stabs zu, ich solle mich nicht verplappern. Frau Krüger rief mir zu, ich solle sagen, daß ich Sternberg nicht kenne. Fräulein Saul sagte: Wenn ich zum Schwur kommen sollte, dann werde man mich zu rechter Zeit ins Ausland schicken. – Der Vorsitzende rief hierauf die im Saale anwesende Frau Stabs und Fritz Wolff vor. Beide bestritten die Angaben der Callis mit großer Entschiedenheit. – Der Vorsitzende ließ darauf die Aussage der Callis protokollieren. Alsdann beantragte der Staatsanwalt die vorläufige Festnahme der Frau Stabs und des Fritz Wolff. Der Gerichtshof beschloß dementsprechend. Beide Personen wurden im Saale verhaftet und von zwei Kriminalbeamten dem Untersuchungsrichter vorgeführt. – Die Callis bekundete noch auf Befragen: Sie habe auch die 13jährige Teichert, die schon damals viel mit Herren verkehrt hatte, mit zu Fischer genommen. Letztere habe der Teichert zugeredet, sie solle sagen, daß sie über 14 Jahre alt sei. Die Mutter der Teichert habe später von Frau Stabs und Fräulein Saul wiederholt talerweise Geld erhalten.

Am 31. Verhandlungstage wurde die Kellnerin Franziska Ecke als Zeugin vernommen: Sie sei im vorigen Jahre bei der Margarete Fischer in der Alexandrinenstraße 1 b als Aufwärterin tätig gewesen. Sternberg habe sie dort nie gesehen, dagegen einen Mann, der ihm ähnlich sehe. Sie wisse nur, daß ein starker Herrenverkehr dort stattgefunden habe. Sie sei allerdings manchmal in ein Zimmer gesperrt worden. Sie habe sich gedacht, daß das sogenannte Massagegeschäft nur das Aushängeschild für unsittliche Handlungen sei. Malerutensilien oder Pinseltöpfe habe sie nicht gesehen; ebenso wisse sie von dem Maler, von dem die Modell-Annoncen ausgingen, nichts. – Inzwischen wurde dem Vorsitzenden gemeldet, daß Margarete Fischer, jetzige Frau Miller aus New York eingetroffen sei. Sie wurde unter allgemeiner Spannung in den Saal gerufen. Sie wurde belehrt, daß sie berechtigt sei, Antworten auf Fragen zu verweigern, durch die sie sich selbst belasten würde. Die Zeugin bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Sie sei 24 Jahre alt und mit einem Herrn Miller‚ der ein Hotel in New York besessen habe und jetzt beschäftigungslos sei, verheiratet. Sie kenne Sternberg seit 3–4 Jahren, die Bekanntschaft habe zu keinem dauernden Verkehr geführt. Dann sei Sternberg zu ihr gekommen und habe sich einen verstauchten Arm massieren lassen. Sie habe ein Diplom, daß sie ausgebildete Masseuse sei. Die Massage fand in ihrer Wohnung in der Königgrätzer Straße statt. Sie sei vorübergehend nach Friedrichshagen und von da nach der Alexandrinenstraße 1 b gezogen. Die Wohnung habe sie selbst bezahlt, irgendwelche laufenden Unterstützungen von Sternberg habe sie nicht erhalten. In ihrem Hause sei mit ihrer Erlaubnis und mit ihrem Wissen nie Unzucht getrieben worden. – Vors.: Das steht aber mit vielen Bekundungen in vollem Widerspruch, das kann also nicht wahr sein. – Zeugin: O ja! – Vors.: Haben Sie in unzüchtiger Weise Massage getrieben? – Zeugin: Nein, doch kann es vielleicht einmal vorgekommen sein. – Vors.: Haben Sie den Angeklagten Sternberg in solcher Weise behandelt? – Zeugin: Nein. – Vors.: Haben Sie dem Angeklagten Sternberg Mädchen zugeführt? – Zeugin: Nein. – Vors.: Sie sollen nachher vereidigt werden! Sie können die Antwort verweigern. – Zeugin: Nein. Es sind zwar öfter Mädchen bei mir gewesen, aber nicht zu dem Zweck. Herr Sternberg hat mir weder den Auftrag dazu gegeben, noch habe ich Kenntnis davon, daß er Unzüchtigkeiten bei mir vorgenommen hat. – Vors.: Ich mache Sie wiederholt darauf aufmerksam, daß Sie vielleicht vereidigt werden. Sie können Ihre Antwort verweigern, wenn Sie sich selbst belasten müßten. – Zeugin: Dann verweigere ich meine Auskunft. – Vors.: Wie groß war Ihre Wohnung? – Zeugin: Vier Zimmer und Küche. – Vors. Hat die Auta Wender in Ihrer Wohnung Unzucht getrieben? – Zeugin: Nein, mit meinem Wissen und Willen nicht. – Vors.: Warum haben Sie die Frida Woyda zu sich genommen? – Zeugin: Weil ich ein Kind um mich haben wollte. Wir hatten uns früher schon mal eins angenommen, das aber fort kam, als meine Mutter starb. – Vors.: Die Auta Wender war doch bei Ihnen? – Zeugin: Ja, ich wollte aber ein Kind um mich haben. – Vors.: Es ist auffallend, daß Sie die Frida bald wieder abschoben und zwar unter erdichtetem Vorwande. – Zeugin: Nein, ich hatte die Absicht, nach Schlesien zu reisen, ich wurde aber daran verhindert. – Vors.: Wie oft kam Sternberg zu Ihnen? – Zeugin: Die Woche vielleicht einmal oder auch zweimal. – Vors.: Was wollte er bei Ihnen? – Zeugin: Wir haben geplaudert. – Vors.: Ist er nur Ihretwegen gekommen? Das sollen wir Ihnen glauben? Sie können Ihre Aussage hierüber verweigern. – Zeugin: Dann verweigere ich die Aussage. – Die Zeugin erklärte, die Teichert nicht zu kennen, und behauptete nochmals auf das Bestimmteste, daß mit Frida Woyda nichts passiert sein könne und auch nichts passiert sei. Sie bestritt auch entschieden, daß sie angeordnet habe, daß die Woyda eines Tages mit der Angeklagten Wender in das Zimmer getänzelt kam. Staffelei und Palette habe sie nicht in ihrer Wohnung gehabt. Die Annoncen wegen der Modelle habe sie aufgegeben. Unter dem Maler aus Frankfurt habe sie Sternberg gemeint, einen anderen Maler aus Frankfurt gebe es nicht. – Vors.: Sie haben dann noch ein zweites Quartier in der Wilhelmstraße gehabt? – Zeugin: Ja, aber nur ein möbliertes Zimmer, nachdem ich meine Wohnung in der Alexandrinenstraße aufgegeben hatte. – Vors.: Wer bezahlte die Miete für das Zimmer? – Zeugin: Ich selbst. – Vors.: Haben Sie keine Zuwendungen von Herrn Sternberg erhalten? – Zeugin: Nein, vielleicht mal ein Geschenk. – Vors.: Wofür? – Zeugin: Weil er häufig mal mein Zimmer benutzte. – Vors.: Wozu benutzte er es? – Zeugin: Er trank wohl mal ein Glas Wein, oder er kam auch wohl, um sich auszuruhen oder zu plaudern. – Vors.: Ein 18facher Millionär, der die vornehmsten Räume bewohnt und eine Villa im Werte von Hunderttausenden besitzt, der geht zu Ihnen, um sich dort auszuruhen? Um uns das vorzureden, sind Sie aus Amerika gekommen? – Die Zeugin gab schließlich auf Befragen zu, daß Sternberg auch in der Wilhelmstraße etwa zweimal war und dort mit der Fournaçon zusammengetroffen sei. – Vors.: Zu welchem Zweck haben Sie überhaupt das Mädchen Foumaçon zu sich genommen? – Zeugin: Darf ich darüber die Aussage verweigern? – Vors.: Ja. – Zeugin: Dann verweigere ich sie. – Beisitzer Landgerichtsrat Kämpfe: Hat Herr Sternberg gewußt‚ daß er als Maler aus Frankfurt a. O. bezeichnet wurde? – Zeugin: Ich weiß nicht, ob er das gewußt hat. – Vors.: Die Modell-Annoncen haben Sie selbst geschrieben? – Zeugin: Manchmal auch die Auta Wender. – Vors.: Was wollten Sie denn mit den Modell stehenden Mädchen und wollen Sie weitere Auskunft darüber geben? – Zeugin: Nein, darüber verweigere ich die Aussage. Eines Falles, daß ich die Aufwärterin Ecke eingeschlossen habe, entsinne ich mich nicht, erkläre aber, daß ich die Aussage darauf verweigere. – Staatsanwalt Braut: Nun erzählen Sie einmal, wer alles in Amerika an Sie herangetreten ist, um Sie zu beeinflussen? – Zeugin: Um mich zu beeinflussen, ist niemand an mich herangetreten, sondern nur, um mich nach einzelnen Vorgängen zu befragen und mir nahe zu legen, daß ich die Wahrheit bekunden solle. – Vors.: Wer war das? – Zeugin: Der frühere Rechtsanwalt Dr. Fritz Friedmann, der New Yorker Notar Kemptner und Eugen Friedmann. Es handelte sich darum, daß das, was Frida Woyda ausgesagt hatte, mir vorgelegt wurde und man von mir wissen wollte, was daran wahr und was unwahr sei. – Staatsanwalt Braut: Haben Sie nicht ein Telegramm irgendeines Mannes vor noch gar nicht langer Zeit erhalten, in dem Ihnen gesagt wurde, daß Sie in Southampton bei Ihrer Ankunft Besuch erhalten würden? – Zeugin: Ich kann mich nicht mehr recht darauf besinnen, was in dem Telegramm stand, denn ich bin seekrank gewesen. – Staatsanwalt: Ach, Sie sind ja gar nicht seekrank gewesen! Von wem rührte die Depesche her? – Zeugin: Von Eugen Friedmann. Er wollte in Southampton auf den Dampfer kommen. – Staatsanwalt: ist er denn gekommen? – Zeugin: Nein. – Auf verschiedene Fragen verweigerte die Zeugin die Antwort. – Vors.: Sie haben von Amerika aus für Ihre Aussage 5000 M. verlangt? – Zeugin: Für meine Aussage nicht, ich nahm nur an, Herr Sternberg werde mich entschädigen. – Vors.: Entsinnen Sie sich der Badeszene, die sich in Ihrer Wohnung abgespielt haben soll? – Zeugin: Nein, ich habe erst in New York beim Notar Kemptner erfahren, daß so etwas bei mir vorgekommen sein soll, der Notar hatte die Aussage der Frida Woyda zugeschickt erhalten. Wenn ich dergleichen gesehen hätte, würde ich es nicht geduldet haben. – Der Zeugin wurden nochmals die Modell-Annoncen vorgelegt, doch verweigerte sie wiederum die Antwort. – Vors.: Nun wollen wir einmal von Ihrer übereilten Abreise sprechen. – Zeugin: Ich hatte nach dem Artikel der „Morgenpost“ total den Kopf verloren, obgleich alles beinahe davon gelogen und beinahe jedes Wort übertrieben war. – Vors.: Und trotzdem reisten Sie schleunigst ab und nahmen sogar die Wender mit? – Zeugin: Auta Wender bat mich flehentlichst, sie mitzunehmen. – Vors.: Warum sind Sie nun auf so großem Umwege nach Paris und nach Amerika gereist? – Zeugin: Darüber verweigere ich die Aussage. – Vors.: Hat Ihnen Sternberg etwas versprochen? – Zeugin: Jawohl, ich glaube auf ein Jahr vierteljährlich 1000 M. – Vors.: Herr Sternberg behauptet, daß er Ihnen nur versprochen habe, einmal Ihnen noch 1000 M. zu schicken, falls Sie keine Stellung finden könnten? – Zeugin: Ich habe tatsächlich nur einmal 1000 M. erhalten. – Vors.: Es sollen dann scharfe Ausdrücke von Ihnen über Sternberg brieflich hierher geschickt worden sein? – Zeugin: Das ist richtig. Ich habe nach Amerika einen anonymen Brief erhalten, in welchem gesagt wurde, Sternberg habe über den angeblichen Verkehr in meiner Wohnung alles mögliche ausgesagt, was nicht richtig war; das hat mich aufgebracht. – Vors.: Weshalb hat sich denn Sternberg für verpflichtet gehalten, Ihnen 1000 M. nach Amerika zu schicken? – Zeugin: Ich denke aus Interesse an meinem Schicksal. – Vors.: Sie meinen, er hatte kein eigenes Interesse daran und wollte Sie nicht in seinem Interesse außer Landes bringen? – Zeugin: Nein. – Vors.: Nun sind mal Frau Suchart und Herr Ebstein, genannt Silz, bei Ihnen erschienen. Was dachten Sie sich wohl dabei? – Zeugin: Der Besuch hat den Zweck gehabt, die Wender abzuholen. (Heiterkeit) Im weiteren Verlaufe ihres Verhörs gab die Fischer an, daß der frühere Rechtsanwalt Fritz Friedmann aus Berlin in New York zweimal mit ihr zusammengekommen sei und ihr im Auftrage Sternbergs Geld ausgezahlt habe, nachdem sie ihm ihre Not geklagt hatte. – Auf wiederholtes Befragen des Vorsitzenden blieb die Zeugin dabei, sie sei der Überzeugung gewesen, daß der Besuch des Herrn Ebstein und der Frau Suchart in New York den Zweck gehabt habe, die Auta Wender abzuholen. – Vors.: Das wollen Sie uns glauben machen? – Zeugin: Ja, ich glaubte, Herr Sternberg wollte die Auta nach Deutschland haben, vielleicht deshalb, weil die Woyda behauptet hatte, daß die Wender dabei war und dies doch nicht der Fall war. – Vors.: Haben Sie also nicht die Meinung gehabt, daß Sie ein Recht gehabt haben, von Herrn Sternberg etwas zu verlangen? – Zeugin: Nein, ein Recht hatte ich nicht. Ich habe mehrfach nach Geld geschrieben, weil ich annahm, Herr Sternberg würde sich veranlaßt fühlen, aus alter Freundschaft für mich etwas zu tun. – Vors.: Wie sind Sie dazu gekommen, 20 000 M. zu verlangen, wenn Sie eine Aussage machen würden? – Zeugin: Ich war damals sehr empört über Sternberg, weil ich gehört hatte, daß er allerlei Ungünstiges über mich ausgesagt habe. Da glaubte ich, daß ich nicht nötig hätte, umsonst für ihn etwas zu tun. Nachher habe ich erfahren, daß Sternberg gar nichts Ungünstiges gesagt hatte. – Staatsanwalt: Von wem wußten Sie denn das? – Zeugin: Von Dr. Fritz Friedmann. Dieser hatte mir gesagt, daß ich über Sternbergs Aussage falsch berichtet sei. Ich habe dann Herrn Dr. Friedmann auf seine Fragen Auskunft erteilt, und wenn ich mich recht besinne, hat Dr. Friedmanns Vetter, Eugen Friedmann, der auch in New York ansässig ist und dort eine Restauration betreibt, die Aussage stenographiert. – Staatsanwalt Braut: Haben Sie Geld erhalten? – Zeugin: Ich habe 100 Dollars erhalten für meine entlastende Aussage, später habe ich nochmals 50 Doll. erhalten. – Vors.: Also weiter wollen Sie Geld nicht erhalten haben? – Zeugin: Nein. – Vors.: Was haben Sie sich denn eigentlich dabei gedacht, daß zwei Herren von Berlin nach New York reisen, um Sie zu besuchen? – Zeugin: Sie wollten nur meine Aussage in der Sternbergschen Sache haben. – Vors.: Und dafür verlangten Sie 20 000 M.? Dann müßten Sie ja Ihrer Aussage eine große Bedeutung beilegen? – Zeugin: Ich habe so viel verlangt, weil ich damals auf Sternberg böse war. – Vors.: Wie lange waren die beiden Herren drüben ? – Zeugin: Beinahe acht Tage. – Vors.: Und Sie haben ihnen die Aussage nicht gegeben? – Zeugin: Nein. Die Herren sind unverrichteter Sache wieder abgereist. – Vors.: Es ist dann eine Depesche an Sie abgesandt, des Inhalts, daß Ihre Forderung unbegründet sei. Entsinnen Sie sich, was Eugen Friedmann mit der Depesche bezweckte, die Sie in Cherbourg antraf und worin er Ihnen mitteilte, daß Sie jemand in Southampton erwarten würde? – Zeugin: Nein, ich weiß es nicht, es ist niemand dort gewesen. – Staatsanwalt: Sind Sie nach Ihrer ersten Ladung durch die Gesandtschaft noch mit Dr. Fritz Friedmann in Verbindung geblieben? – Zeugin: Nein. – Staatsanwalt: Haben Sie später keine Zuwendungen von Sternberg erhalten? – Zeugin: Einmal 100 Dollars und als ich mich dann in großer Not befand, erhielt ich noch einmal 50 Dollars. – Staatsanwalt: Und weiter wollen Sie nichts erhalten haben? – Zeugin: Von Sternberg nicht, wohl aber Unterstützungen von meinen Verwandten. – Der Zeugin wurde auf Antrag des Staatsanwalts noch einmal der Brief vorgelesen, in welchem sie ihrer Schwester Klara einige Herzensergüsse über die ihr von ihren Verwandten gemachten Vorwürfe und über das, was sie getan haben solle, übersendet. In diesem Briefe war auch eine Stelle, deren Fassung den Schluß zuließ, daß die Zeugin einen Vorfall wußte, bei welchem sich Sternberg gegen ein kleines Mädchen vergangen habe. – Die Zeugin erklärte, ihre Aussage hierüber zu verweigern. Auf wiederholten Vorhalt der Verteidigung erklärte die Zeugin, daß der Vorgang, den sie in ihrem Briefe erwähne, tatsächlich nicht vorgekommen sei, daß sie aber über den Zweck, den sie mit dem Briefe verfolgte, die Aussage verweigere. – Der Vorsitzende gab sich Mühe, aus der Zeugin herauszubekommen, wieso sie zu der heiklen Fassung gekommen sei; ein Erpressungszweck gehe doch nicht ohne weiteres daraus hervor. – Die Zeugin blieb dabei, daß sie zu einem besonderen Zweck diese Fassung gewählt habe, aber die Aussage darüber verweigere. – Vors.: Dann will ich nochmals die bestimmte Frage an Sie richten: Hat Herr Sternberg in Ihrer Wohnung mit Mädchen unter 14 Jahren unzüchtig verkehrt? – Zeugin: Nein, das hat er niemals getan. – Auf Befragen des Justizrats Dr. Sello gab die Zeugin zu, daß sie ursprünglich fälschlich einen Mann aus Frankfurt a. O. als den „Maler“ bezeichnet habe. In New York habe sie von der Frida Woyda niemals mit Auta Wender gesprochen, ihre Unterhaltungen drehten sich nur um den Fall Fournaçon, denn sie habe keine Ahnung von dem Fall Woyda gehabt. Sie habe auch von New York aus Briefe an verschiedene Personen, an Herrn v. Tresckow, die „Morgenpost“ usw. geschrieben, und auch darin nie mit einem Worte eines Falles Woyda Erwähnung getan. Auf weiteres Befragen des Justizrats Dr. Sello gab die Zeugin zu, daß, als sie die beiden Briefe mit Gesuchen um Geld an Sternberg gerichtet, sie sich in der Tat in großer Not befunden habe. Sie habe insbesondere beabsichtigt gehabt, durch Besuch eines Hebammen-Unterrichts sich einen neuen Erwerbszweig zu schaffen, ihr Gesuch um Geld habe nicht den Hintergrund gehabt, daß sie etwa Herrn Sternberg einer verbrecherischen Tätigkeit beschuldigen könnte. – Sehr lange wurde infolge einer Frage des Angeklagten die Zeugin nach dem Ursprung und der Urheberschaft der Modell-Annoncen befragt; sie wollte darauf die Aussage wiederholt verweigern, der Angeklagte wünschte aber bestätigt zu hören, daß er die Annoncen nicht veranlaßt habe. Die Zeugin erklärte schließlich stark indigniert: sie würde die Annoncen nicht erlassen haben, wenn sie nicht angenommen hätte, daß Sternberg sie den Mädchen gegenüber in dieser Beziehung nicht dementieren würde. Sie habe aus Gesprächen mit Sternberg entnommen, daß dieser Freude an jugendlichen Gestalten hatte. Sie habe allerdings gewußt, daß Sternberg kein Maler sei, aber angenommen, daß er als reicher Mann aus Passion vielleicht malte. Sie würde nie geduldet haben, daß in ihrer Wohnung unzüchtige Handlungen mit den Modell-Mädchen vorgenommen würden. – Hier trat die Callis vor und behauptete unter lebhaftem Protest der Zeugin, daß diese davon gewußt haben müsse, denn sie habe ihr gesagt, sie solle ihre Freundinnen mitbringen. – Zeugin Fischer erklärte schließlich noch: Sie habe die 20 000 M. keineswegs für eine falsche Aussage verlangt, sie sei von vornherein fest entschlossen gewesen, die volle Wahrheit zu sagen. Auch eine Erpressung gegen Sternberg habe sie nicht verüben wollen. – Die Zeugin Fischer wurde nochmals aufs eindringlichste ermahnt, unter der Zusicherung, daß sie volles freies Geleit habe, die reine Wahrheit zu sagen. Die Zeugin erklärte schließlich: Sternberg habe bei ihr in der Alexandrinenstraße verkehrt. Sie habe wohl gehört, daß Sternberg mit Frida Woyda Unsittlichkeiten vorgenommen habe, gesehen habe sie es aber nicht. – Frau Emilie Besser, die Tante der Frida Woyda, gab an: Frida habe zugestanden, daß sie mit Sternberg fünf- bis sechsmal unzüchtig verkehrt habe. – Frida Woyda, vom Vorsitzenden nochmals ermahnt, die Wahrheit zu sagen, bemerkte: Ich habe damals gelogen, ich sage jetzt die Wahrheit. Frau Besser stellte sich hierauf dicht neben Frida Woyda und brach unter Tränen in die Worte aus: „Frida, sieh mich doch mal an, Kind, du weißt, daß ich dich immer lieb gehabt habe, denke ich sei deine Mutter und sage endlich die Wahrheit!“ Das Kind zeigte keine Spur von irgendeiner Gemütsbewegung, es wiederholte ständig: Was ich jetzt sage, ist wahr. – Vors.: Frau Besser, entsinnen Sie sich jetzt? – Zeugin Besser: Jawohl, das Kind weinte und sagte, es wäre alles wahr. – Vors.: Frida, und du willst behaupten, du hättest damals gelogen? – Frida: Ja. – Vors.: Setze dich wieder hin. – Der folgende Zeuge, der 14jährige Knabe Hermann Burke, hat früher mit der Minna Teichert gespielt und ist dann mit ihr gemeinsam auf den Blumenhandel gegangen. Während dieser Zeit habe er wiederholt bemerkt, daß die damals 13jährige Minna Teichert Herren auf der Straße Blicke zugeworfen habe und auch einmal mit einem Herrn in der Droschke davongefahren sei. Die Teichert habe damals ein halblanges Kleid getragen und im ganzen den Eindruck eines Schulmädchens gemacht. – Der Vorsitzende ließ die Zeugin Miller-Fischer vorrufen. – Staatsanwalt Braut: Haben Sie vor dem Notar Kemptner in New York nicht zwei Aussagen in der Sternbergschen Sache sich beglaubigen lassen, die eine belastend und die andere entlastend, und haben Sie nicht die entlastende Aussage Herrn Justizrat Dr. Sello in einem Briefe zugeschickt, in welchem noch ein Privatbrief an den Angeklagten Sternberg lag? Sie sollen eine dahin gehende eidliche Aussage gestern vor dem Untersuchungsrichter Herrn Brandt gemacht haben? – Zeugin: Sie sei eines Tages von Eugen Friedmann zu dem Notar Kemptner bestellt worden, um daselbst eine Aussage in bezug auf Sternberg zu machen. Sie habe gesagt, sie habe keine Veranlassung, für Sternberg etwas zu tun. Einige Zeit darauf sei Eugen Friedmann, den sie für einen zuverlässigen Mann hielt und in dessen Familie sie damals wohnte, mit dem Plane an sie herangetreten, daß sie eine belastende und eine entlastende Aussage aufschreiben und ihre Unterschrift beglaubigen lassen solle. Er wolle damit nach Berlin fahren, der Verteidigung das Schriftstück zum Kaufe anbieten und das Geld dann mit ihr teilen. Sie habe das entlastende Schriftstück, welches einzig die Wahrheit enthielt, nach Berlin geschickt, das belastende habe sie zerreißen wollen, Eugen Friedmann habe es aber nicht herausgegeben, sondern gesagt, er wolle es noch verwerten. Das belastende Schriftstück sei unwahr, das entlastende sei wahr gewesen. – Staatsanwalt: Sie geben also zu, daß Sie ein solches Manöver gemacht haben? – Zeugin: Es tut mir ja leid, daß ich es getan habe. – Auf Befragen des Rechtsanwalts Dr. Werthauer bekundete die Zeugin, daß der Vorgang mit den zweierlei Protokollen im September geschehen sei, daß Fritz Friedmann davon nichts gewußt habe und daß Eugen Friedmann direkt den Gedanken des zweierlei Protokolls angeregt habe. In dem belastenden Protokoll habe nur allgemeines gestanden, aber nichts von der Frida Woyda‚ denn von dieser sei nichts bekannt gewesen. In dem entlastenden Schriftstück habe die Wahrheit gestanden. – Rechtsanwalt Dr. Werthauer: Wieviel Geld wollte sich denn Eugen Friedmann mit den Schriftstücken machen? – Zeugin: Er sprach von 20- oder 50 000 M., die wir uns teilen wollten. – Rechtsanwalt Dr. Werthauer: Das entlastende Schriftstück ist bei Justizrat Dr. Sello eingegangen, aber nicht benutzt worden; ich habe es hier in den Akten. – Vors.: Wie viele junge Mädchen haben nach Ihrer Schätzung mit dem Angeklagten bei Ihnen verkehrt? – Zeugin: Es können 30–50 gewesen sein. – Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Sie wollen doch wohl nur sagen, daß auf die Annonzen 30–50 Mädchen zu Ihnen gekommen sind. Darunter sind doch gewiß auch solche gewesen, die nicht angenommen worden sind, oder solche, denen gesagt wurde, sie sollten ein andermal wiederkommen? – Zeugin: Jawohl. – Vors.: Wollen Sie angesichts der von Ihnen angegebenen großen Zahl noch dabei bleiben, daß Ihnen von unzüchtigen Handlungen, die gegen die Mädchen begangen sein sollen, nichts bekannt war? – Zeugin: Ich habe geglaubt, Sternberg habe Freude an jugendlichen Körpern; von Unzüchtigkeiten war mir nichts bekannt.

Die Verteidiger beantragten schließlich die Vertagung der Verhandlung, da neben dieser Sache noch zwei Sachen vor dem Untersuchungsrichter geführt werden, die mit dieser Angelegenheit in engster Verbindung stehen, von der Verteidigung aber nicht nachgeprüft werden können. Dies widerspreche dem Grundsatz der mündlichen Verhandlung. Es empfehle sich daher, diese Verhandlung bis zum Abschluß der anderen Verfahren zu vertagen. – Der Gerichtshof beschloß, den Antrag abzulehnen. – Inzwischen betrat Frida Woyda den Saal. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Frida Woyda, tritt doch mal hier vor. Ich habe gesehen, daß du soeben in den Saal gekommen bist und sehr geweint hast. Welchen Grund hattest du dazu? Bist du etwa inzwischen beim Herrn Untersuchungsrichter vernommen worden? – Frida: Ja. – Vert.: Worüber denn? – Vors.: Was soll das? – Vert.: Auf andere Weise werden wir Verteidiger doch nicht erfahren können, wie die Zeugen in den anderen Sachen vernommen werden, da uns die Akten vorenthalten werden. Ich frage also die Zeugin, worüber sie befragt worden ist. – Zeugin: Ich bin über meinen Aufenthalt bei Fräulein Fischer befragt worden. – Vert.: Und was hast du ausgesagt? – Zeugin: Genau dasselbe, was ich hier gesagt habe. – Vert.: Wie hat sich der Herr Untersuchungsrichter dazu gestellt? – Zeugin: Der Herr Richter sagte immer: Es ist ja doch vorgekommen! – Vert.: Du bliebst aber bei deiner Aussage? – Zeugin: Ich sagte: Sie haben doch nicht dabei gestanden und können es nicht beurteilen. – Vert.: Hat dich Herr Stierstädter nach oben gebracht? – Zeugin: Nein, Herr Stierstädter war auch oben, um vernommen zu werden. Wir wurden gegenübergestellt, ich habe gesagt, er habe mir die erste Aussage ja eingeredet, Herr Stierstädter hat es bestritten, ich bin aber dabei geblieben. – Vert.: Du hast also vor dem Untersuchungsrichter genau so ausgesagt wie hier? – Zeugin: Ja.

Die medizinischen Sachverständigen begutachteten, daß Frida Woyda ein Kind von deutlich krankhafter Veranlagung sei, die eine sexuelle Grundlage habe. Frida Woyda sei zu allen Lügen fähig. Der sexuelle Akt mit Sternberg könne gar nicht so ausgeführt sein, wie ihn das Mädchen geschildert habe. –

Am letzten Verhandlungstage nahm das Wort zur Schuldfrage Staatsanwalt Braut: Meine Herren Richter! Im vorigen Prozeß hat Frida Woyda, von Abweichungen abgesehen, erzählt: Als sie ungefähr acht Tage bei der Fischer gewesen sei, habe ihr diese eines Tages gesagt, der Hausarzt sei gekommen, sie zu untersuchen. Bei Beginn dieses Prozesses ein ganz anderes Bild: Frida Woyda hat alles vergessen, weiß sich kaum noch zu erinnern auf das, was sie damals gesagt hat, und sagt: es ist alles nicht so gewesen. Wenn man nach den Motiven für diese Änderung der Aussage sucht, so war bei dem ungeheuren Maß von Beeinflussungen, das bei diesem Prozeß zur Anwendung gekommen, der erste Gedanke nicht: ist die Frida Woyda beeinflußt? sondern: wer hat sie beeinflußt? Zunächst lag der Gedanke nahe, an Blümkes zu denken. An diese ist früh der Versucher herangetreten, schon im ersten Stadium des Verfahrens hat Rechtsanwalt Möhring die Scheding zu Blümkes geschickt mit dem Auftrag, dafür zu sorgen, daß Frida Woyda zu Blümkes komme gegen ein Monats- oder Jahresgehalt von 200 M. Dann ist bei Blümkes Wolff gewesen, der dem Mann schriftliche Arbeiten für das „Fremdenblatt“ in Aussicht gestellt und versprochen hat, ihm zur Gründung eines Geschäftes 15 000 M. zu geben, und der auch das Wohlwollen der Frau Blümke zu erwerben gesucht hat. Blümkes sind eine goldene Uhr, goldene Ringe geschenkt, und es ist ihnen in Aussicht gestellt worden, Goldsachen zum halben Preise zu erhalten. Richtig ist, daß Blümkes diese Versuche der Polizei gemeldet haben; dem Schutzmann Stierstädter, der darüber wachen sollte, daß keine dunkle Gestalten sich an Blümkes herandrängten, haben sie alles mitgeteilt. Als dem Stierstädter die weiteren Nachforschungen bei Blümkes untersagt waren, da ist auch die Familie Blümke von ihm abgefallen und hat die Briefe, die Stierstädter ihr geschrieben hatte, an Wolff weitergegeben, dessen Persönlichkeit ich wohl nicht zu schildern brauche. Ich brauche nur an die Aussage der letzten Zeugin zu erinnern, die da sagte: Wolff ist ein Mensch gewesen, der in der Kneipe laut zu den Zeuginnen gesagt hat: „Ihr dürft aber nur die Wahrheit sagen!“ und dann leise hinzugesetzt hat: „Ihr braucht Sternberg ja nicht zu kennen!“ Ein wirklicher Beweis dafür, daß Blümkes die Frida Woyda wirklich beeinflußt haben, ist nicht erbracht. Es gibt aber noch eine andere Lösung: Blümkes haben tatsächlich noch kein Geld bekommen, es ist auch nicht strikt bewiesen, daß es ihnen, abgesehen von den 15 000 M. für das Geschäft, versprochen worden ist. Aber haben wir nicht gesehen, daß die Hoffnung auf die spätere Dankbarkeit Sternbergs manchen bewogen hat, von seiner früheren Aussage abzugehen? Dasselbe ist auch bei der Frida Woyda der Fall gewesen. Diese ist in der Welt herumgeworfen, zunächst bei den ehrenwerten Leuten Schindler gewesen, hat nach dem ersten Prozeß dies Haus verlassen müssen, weil die Kinder auf der Straße und in der Schule mit ihr nicht mehr spielen wollten. Sie ist dann in ein Waisenhaus gekommen, und es scheint, nach den Bemerkungen über das schlechte Essen usw., daß sie wohl große Angst vor dem Waisenhause gehabt habe; sie wollte lieber frei bleiben. Es ist sehr gut möglich, daß sie hoffte, bei Blümkes bleiben zu können, wenn sie bestritt, daß mit ihr irgend etwas Unsittliches passiert sei, denn dann habe der Vormund keine Veranlassung, sie in eine Besserungsanstalt zu bringen. Vielleicht ist auch das alte Wort: „Schweigen ist Gold!“ nicht ohne Einfluß auf das Mädchen gewesen, vielleicht hofft sie auf die spätere Dankbarkeit Sternbergs, vielleicht sind ihre Reden von der Erbschaft, von dem späteren Besuch der hohen Schule nicht eitle Luftschlösser, sondern haben einen realen Untergrund. Erst im letzten Sommer hat sie von der Erbschaft gesprochen. Das ist vielleicht nicht, wie die Sachverständigen meinen, ein Ausfluß ihrer Kunst zum Fabulieren, sondern der unvorsichtige Ausdruck der Hoffnungen, welche Frida bewegen. Wenn man nun fragt, welche Gründe die Frida haben kann, ihre frühere Aussage vollständig umzuwerfen, so könnte man ja antworten: das Mädchen stelle sich jetzt als ein reuiges Kind dar, welches bereut, daß es durch Lügen einen Menschen unglücklich gemacht hat, und nun die Wahrheit sagen will. Wer schon jemals einen reuigen Menschen gesehen hat, der weiß, daß ein solcher Mensch ganz anders aussieht wie Frida Woyda! Es liegt auch gar kein Anhalt dafür vor, daß Frida Woyda von außen her, von dritter Seite, zur Reue gebracht worden ist, man weiß davon nichts aus der Zeit, wo sie im Waisenhause, nichts aus der Zeit, wo sie bei Blümkes war. Wenn die Reue bei einem 13jährigen Mädchen durchbricht, dann äußert sie sich durch einen Tränenerguß, und ein solches Mädchen zeigt an ihrem Auftreten ein ganz anderes Wesen. Man sieht es ihr an, daß sie sich von einer Schuld und Last befreit habe, sie tritt dann frei und offen mit ihren Bekundungen hervor. Beispiele dieser Art hat ja die Verhandlung gezeitigt. Von der Ehlert will ich ganz absehen; ich brauche bloß an die Callis zu erinnern: diese hat gelogen, wochenlang gelogen, daß sich die Balken bogen, und erst, als sie vor dem Eide stand, hat sie der Wahrheit die Ehre gegeben und sich ganz frei und offen gezeigt. Ganz anders ist es mit der Frida Woyda! Sie hat keinen Menschen ansehen können und sich im Notfalle immer damit zu helfen gesucht, daß sie sagte: Das weiß ich nicht! Wenn jetzt wirklich Reue bei ihr vorläge, dann würde dies doch dahin führen müssen, daß ein plausibler Grund für ihre früheren Lügen vorhanden sein müßte. Sie sagt: Stierstädter habe es ihr eingeredet. Diese Behauptung liegt in demselben scheußlichen System, in der Art, wie Stierstädter hier angegriffen worden ist. Nachdem feststand, daß Frida Woyda ihre Aussage abänderte, mußte man nach einem Grunde suchen, weshalb sie es tat. Nur über die Leiche Stierstädters konnte der Weg gehen zu den Hintertüren, durch welche man den Beweis erbringen wollte, daß das Mädchen früher die Unwahrheit und jetzt die Wahrheit sage. Was hat man nicht alles gegen Herrn Stierstädter vorgebracht und was ist von alledem an Herrn Stierstädter hängen geblieben?

Stierstädter soll beim Militär als Schwindler bekannt gewesen und wegen Gehorsamsverweigerung entlassen worden sein. Keines von beiden ist wahr. Der Zeuge Telegraphen-Assistent Schulz hat bekundet, daß Stierstädter ein zuverlässiger, braver Soldat war und in Ehren aus dem Militärdienste ausgeschieden ist. Und nun soll Stierstädter mit dem Fräulein Pfeffer, wie die Verteidigung behauptet, ein scheußliches Komplott geschmiedet haben. Er soll Geschenke von ihr angenommen haben. Nichts davon ist erwiesen! Einen alten Regulator hat Stierstädter für wenig Geld von Fräulein Pfeffer erstanden; das ist alles! Wenn Sternberg eine ganze Einrichtung für eine Villa verschenken kann, dann kann der Regulator wohl kaum in Betracht kommen. Die verschiedenen Begegnungen, die Stierstädter mit Personen gehabt hat, die in diesem Prozesse eine Rolle spielten, werden von der Verteidigung als berechnet und vorbereitet hingestellt. Nein, Zufall war es und wenn Stierstädter es sagt, so glaube ich ihm. Er hat sich als ein Mann gezeigt, der durch keine Verlockungen, weder durch eine Villa am Genfer See, noch durch andere Versprechungen vom Wege der Pflicht abzubringen war. Allerdings, er hat sich als Beamter des Ehebruchs schuldig gemacht und dafür wird er die Folgen zu tragen haben. Aber er hat unter seinem Eide erklärt, daß es nur einmal geschehen ist. Und da ist denn Sternberg die geeignete Persönlichkeit, um auf Stierstädter den ersten Stein zu werfen! – Es erschienen die Artikel in der „Morgenpost“, die Fischer war verschwunden. Da kam der Vater der Hedwig Ehlert zu Stierstädter und teilte ihm mit, daß seine Tochter verschwunden war. Stierstädter forschte im Hause nach, in welchem die Fischer gewohnt hatte, und erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß die Frida Woyda auch dort gewesen und zu den Schindlerschen Eheleuten gebracht worden sei. Nach einigen Tagen holte er die Frida in einer Droschke aus der Schule ab. Er soll nun unterwegs, wie Frida Woyda behauptet, sie in ärgster Weise beeinflußt haben. Ich glaube es nun und nimmermehr. Wie das Kind selbst erklärt hat, hat sie zu ihm gesagt: „Belästigen Sie mich nicht, ich werde oben die Wahrheit sagen!“ Darauf wird sie vom Kriminalkommissar v. Tresckow vernommen, einem Beamten, gegen dessen Urbanität und loyales Verhalten wohl nichts einzuwenden ist. Vor ihm gibt Frida alle die belastenden Tatsachen gegen Sternberg zu Protokoll. Sternberg wird geholt. Er bestreitet, die Frida zu kennen, und fragt schließlich: Wie alt ist das Kind? – „Es ist unter 14 Jahren, Herr Sternberg“, erwiderte der Beamte. Die Woyda wird dann vom Untersuchungsrichter vernommen, sie gibt haarklein dieselbe belastende Aussage ab und als sie dann in der Verhandlung, auf das eingehendste zur Wahrheit ermahnt, vernommen wird, da wiederholt sie ihre früheren Aussagen. Und dies alles soll der Beeinflussung des Herrn Stierstädter zuzuschreiben sein? Ich halte dies für vollständig ausgeschlossen, abgesehen davon, daß es mit der Persönlichkeit des Stierstädter unvereinbar ist. Er soll mit den großen Augen gerollt haben. Ich glaube kaum, daß einer im Gerichtssaale bemerkt hat, daß Stierstädter große Augen hat und damit rollen kann. Frida Woyda hat von dem, was Sternberg mit ihr vorgenommen hat, nicht nur an Stierstädter, sondern auch an andere Personen Mitteilung gemacht. Als Frau Dreßler die Geschichte in der Blümkeschen Wohnung hörte und beide Frauen bitterlich weinten, da fragte Frau Dreßler: „Aber Frida, ist das wirklich wahr?“ – Frida erwiderte darauf: „Ja, es ist alles wahr, Sternberg hat noch lange nicht genug gekriegt!“ Die Frida Woyda ist auch der Scheding gegenüber bei ihrer Erzählung geblieben.

Wir haben uns nun zu fragen, was war das Motiv, was gibt uns eine Erklärung für die Annahme, daß Frida Woyda früher gelogen haben sollte? Wir haben gehört, daß Frida Woyda als Kind wiederholt gelogen hat und daß sie als Kind mit anderen Kindern Unzüchtigkeiten vorgenommen haben soll. Das ist alles, was bis dahin gegen Frida Woyda vorlag. Die Sachverständigen nehmen dies ohne weiteres als wahr an und gründen darauf ihre sexuelle Veranlagung. Ich nehme dies nicht als bare Münze, ich meine, diese Erzählungen sind meist als Hausklatsch anzusehen. Und nun denken Sie sich, in ein solches Haus kommt ein Mann wie der Detektiv-Vorsteher Schulze, ein Mann, der auf Bestellung Ehebruch treibt, der hier auch sonst zur Genüge gekennzeichnet ist und dem im Falle einer Freisprechung Sternbergs 50 000 M. versprochen sind. Er erkundigt sich bei den Frauen, was sie vor 7 bis 8 Jahren von der Frida gesehen haben wollen, und nun erzählen diese Geschichten, die sie damals gesehen haben wollen! Es ist richtig, daß die Frida Woyda kleine Unwahrheiten gesagt hat. Aber daraus kann man doch nicht folgern, daß sie fähig ist, eine so große und, wenn es eine Lüge wäre, über alle Maßen und über alle Begriffe hinaus schamlose und rücksichtslose Lüge zu sagen. Das Ungünstige über die Frida kommt von der Frau Huth und von Hausklatsch her, der so und so viel Jahre zurückliegt, auf den Detektivdirektor Schulze von dem Bureau Jus. Andere haben die Frida aber durchaus gelobt. Sie hat sich in der Schule durchaus ehrsam und sittlich betragen und ist von ihren Lehrern gelobt worden. Das Ehepaar Schindler, offenbar zwei treffliche Leute in guter Lage, haben uns übereinstimmend erklärt, Frida habe nie gelogen, sie war immer anständig und sittsam. Auch Frau Dreßler kennt sie eine Reihe von Jahren und lobt auch ihre Mutter als eine ordentliche Frau. So war die Frida damals: sie trat überall kindlich und bescheiden auf, wenn sie an den Richtertisch gerufen wurde, hat sie einen Knix gemacht und bescheiden geantwortet. Herr v. Tresckow hat gesagt: Das Kind sei jetzt gar nicht wiederzuerkennen, sie ist wie umgewandelt, denn früher war sie freundlich und durchaus kindlich. Der Vormund Huth hat dasselbe gesagt. Jetzt konnte das Kind bei seinen Aussagen ihn nicht ansehen, auch an Frau Dreßler hat sie immer vorbeigesehen. Ihre Tante hat gesagt: der Frida sieht man es immer gleich an, wenn sie lügt. Und jetzt? Jetzt macht Frida Woyda den Eindruck, daß sie stolz darauf ist, als das Wunderkind angestaunt und angeschaut zu werden. Nun sagen die Sachverständigen, daß sie sexuelle Anlage habe. Aber weshalb? Der Fall Sternberg hat die Anregung dazu gegeben. Hat jemand sie beeinflußt oder hat der Prozeß die Wirkung gehabt, daß sie den Entschluß gefaßt hat, so zu reden, dann mag der Fluch, dieses Kind verdorben zu haben für ewige Zeiten, derjenige tragen, der sie dazu veranlaßt hat. Die Frida ist von ganz unparteiischer Seite in der ausgedehntesten Weise zur Wahrheit ermahnt worden, Herr v. Tresckow, Staatsanwalt Dr. Romen, Amtsgerichtsrat Hagen, der Vorsitzende der Strafkammer haben sich alle bemüht, sie zur Wahrheit zu ermahnen, und sie ist trotzdem bei ihrer jetzigen Aussage geblieben: also gelogen hat sie damals. Nun ist die Frage aufgeworfen: wenn sie auch nicht gelogen hat und vielleicht Selbsterlebtes hat erzählen wollen, so ist ihre Erzählung doch deshalb unzuverlässig, weil sie sich die ganze Sache eingebildet hat. Die Sachverständigen sagen, sie sei zu fehlerhafter Wiedergabe des Erlebten disponiert, und dazu komme eine abnorme sexuelle Anlage. Wenn für die Glaubwürdigkeit eines Menschen in Betracht kommt, ob er sehr viele unzüchtige Handlungen vorgenommen hat, so würde wohl der Angeklagte Sternberg der letzte sein, dem man glauben darf. Das ärztliche Gutachten spricht auch nur von Fehlern der Auffassung der Dinge und der Wiedergabe des Erlebten. Ich halte es für vollkommen ausgeschlossen, daß ein Kind ohne jede Grundlage, ohne es selbst gesehen zu haben, und selbst wenn es das gesehen hat, imstande sein soll, aus eigener Einbildung heraus eine Geschichte zu erfinden und Monate hindurch konsequent ohne wesentliche Abweichung festzuhalten, ohne daß die Sache irgendwie mit der Wahrheit übereinstimmt. Diese meine Annahme, daß die Einbildung nicht so ist und nicht so sein kann, wird bestärkt durch die Erwägung, wie die Sache an das Tageslicht gekommen ist. Von derartigen Einbildungen könnte man ja reden, wenn es sich um Klatsch und Tratsch handelte, bei dessen Weiterverbreitung jeder immer noch ein bißchen hinzusetzt. Von derartigen Dingen ist aber hier doch gar keine Rede. Frida Woyda hat über ihre Erlebnisse mit keinem Menschen gesprochen. Dann ist sie eines Tages von einem Schutzmann abgeholt worden, und nun sollten plötzlich die paar schmutzigen Bilder, die sie bei der Fischer gesehen hat, auf die Phantasie des Kindes so eingewirkt haben, daß sie sich eine solche Geschichte vollkommen ausdenken konnte? Selbst wenn man den Sachverständigen die theoretische Möglichkeit zugeben wollte, so trifft es doch hier in dem konkreten Fall nicht zu.

Weshalb hat Frida Woyda so lange geschwiegen? Sie sagt: aus Scham. Das dürfte nicht zutreffen. Der Frida hat die Sache bei der Fischer offenbar Spaß gemacht, sie wollte deshalb auch ganz gerne bei der Fischer bleiben, und sie hat keinen Grund gehabt, ihre eigenen Sünden einem anderen zu beichten. Gewalt ist bei ihr nicht angewendet worden, das gebe ich ohne weiteres zu, das steht ja auch ganz deutlich in dem Briefe, den Margarete Fischer an die Zeugin Pfeffer gerichtet hat. Ist es nach alledem ausgeschlossen, daß Frida Woyda bewußt gelogen hat, daß sie sich die ganze Sache ausgedacht, so gibt es keine Motive für ihren Umfall, so muß man zu dem Ergebnis kommen, daß Frida Woyda damals nach bestem Wissen Erlebtes erzählt hat. Das würde aber nicht ausreichen zur Überführung eines Mannes; die Aussagen eines solchen Kindes können keine bindigen Beweismittel abgeben, und kein Richter würde darauf allein verurteilen. Aber es kommen noch viele Momente hinzu. Frida Woydas Aussage wird in objektiver Beziehung durch zahlreiche andere Momente unterstützt. Was Frida Woyda ausgesagt hat, behauptete sie nicht von einem sittenreinen Mann, sondern von einem Manne wie Sternberg. Wir wissen aus seinem Vorleben so viel, daß er seit vielen Jahren in ausgedehntem Maße Ehebruch mit jugendlichen Personen getrieben hat, daß schon 1885 ein solches Strafverfahren gegen ihn geschwebt hat, das aber fallen gelassen werden mußte, weil objektiv feststand, daß damals das betr. Mädchen den Eindruck eines siebzehnjährigen machte. Nun haben wir ja dank der eigenen Unvorsichtigkeit Sternbergs eine ganze Reihe von Zeugen, die gegen ihn sprechen. Wir sehen wohl alle noch die Szene vor uns, als die Verteidiger nach der Vernehmung der Pfeffer offen erklärten, daß sie nun nicht mehr an eine Konspiration der Pfeffer mit Herrn Stierstädter glauben. Da stand dann Herr Sternberg auf und redete nach seiner bekannten Art so viel, daß er sich schließlich ins Unglück redete, daß er Fräulein Pfeffer in Erregung brachte, in welcher sie dann mit allem auspackte, was sie auf ihrer gequälten Seele hatte. Da haben wir denn alle die Beschuldigungen gehört, mit denen sie das Verlangen Sternbergs nach jungen Mädchen, die aber „noch nicht alte Weiber von 15 und 16 Jahren sein durften“ klar darlegte, ferner alle die scheußlichen Zumutungen, die er ihr selbst gemacht hat, als sie hungerte und darbte, und endlich die Frivolität, mit der er ihr, die sich gegen diese Zumutungen mit dem Hinweis auf das Zuchthaus sträubte, sagte: „Na, was machen für Sie ein paar Jahre Zuchthaus?“ Das war Sternberg! Der Pfeffer wird gewiß niemand im Saale die Glaubwürdigkeit versagen! Kein Mensch wird der Spuk- und Gespenstergeschichte des Angeklagten über das angebliche Komplott glauben. Jetzt wird das immer klarer, nachdem wir den Brief der Fischer an Fräulein Pfeffer kennen, dessen Existenz Sternberg sicher auch kannte. Das ist aber noch nicht alles. Auch andere Zeugen und die Schnörwange haben uns Spezialfälle von den unzüchtigen Handlungen des Angeklagten mitgeteilt. Der gegen die Glaubwürdigkeit der Schnörwange noch zu guter Letzt inszenierte Sturm war geradezu „erschütternd“. Im übrigen kann sich doch Herr Sternberg über das hier aufmarschierende weibliche Zeugenmaterial gar nicht beschweren. Die Schnörwange ist sicher keine Tugend-Perle, aber Geheimrats-Töchter werden sich Gottlob nicht mit ihm abgegeben haben! Er hat sich in dem Schlamm der Straße bewegt, und wenn die Gestalten aus diesem Schlamm hervorgeholt werden und nun vor Gericht erscheinen, so kann er sich nicht darüber beschweren! Er verkehrte in dem der Unzucht dienenden Quartier der Margarete Fischer. Kein Mensch war zweifelhaft, daß er der Maler sei, schließlich hat es auch Margarete Fischer zugegeben. Er behauptet, er habe diese besucht, um mit ihr zu „plaudern“. Er hatte wohl in der Weise noch mehr solche Plauder-Boudoirs gehabt Sternberg ist doch ein ganz gebildeter Mann, und niemand wird es ihm glauben, daß er, wenn er auch in geschlechtlicher Beziehung einen unglaublich schlechten Geschmack gehabt hat, sich gerade eine Person wie Frau Miller zum Plaudern aussuchen wird.

In diesem Kuppelquartier verkehrte Sternberg. Was wollte die Fischer mit der Frida Woyda? Es ist selbstverständlich, daß sie sie für den Angeklagten wollte. Die Woyda ist zur Arbeit gar nicht herangezogen worden. Der Fischer ging es nicht gut, und doch nahm sie sich ein Kind umsonst an! Die Grete Fischer hat dann ihrer Schwester vorgelogen, sie bekomme 30 M. Pflegegeld, sie hat dem Vormund vorgeredet, als sie die Frida abschob, daß sie nach Beuthen übersiedeln wolle und das Kind dorthin nicht mitnehmen könne. Alles dies ist nicht wahr gewesen. Warum hat sie alles dies sich ausgesonnen? Weil sie wußte, daß sie das Kind nur zu unsittlichen Zwecken haben wollte. Die Wender hat jetzt die Geschichte von dem „Hereintänzeln“ in das Zimmer erzählt; dies klingt ganz anders als der Ausbruch des Zornes, den die Wender in der vorigen Verhandlung zeigte, als die Woyda ihre Anschuldigungen gegen sie erhob. Jetzt ist die Wender natürlich instruiert, und die Woyda hat plötzlich alles übrige vergessen und nur das Tänzeln behalten. Der Angeklagte sagt, er würde doch nicht dem Mädchen 10 Pf. gegeben haben, das will gar nichts sagen. In der Verhandlung ist nichts davon hervorgetreten, daß der Angeklagte trotz seines Reichtums übermäßig viel für seine Gelüste bezahlte, und so dumm ist er doch nicht, einem solchen kleinen Mädchen ein Goldstück zu geben, denn das wäre gleich überall aufgefallen. Die Behauptung des Angeklagten, daß er diese Dinge doch nicht in Gegenwart dritter Personen vorgenommen haben würde, hat durch die Beweisaufnahme keine Stütze gefunden, im Gegenteil! Auch der Hinweis des Angeklagten, daß er nichts dazu getan habe, um die Woyda wegzubringen, beweist gar nichts. Zunächst würde ein solcher Schritt sofort bekannt geworden sein, und dann wußte doch damals noch niemand, als er selbst, daß er bei dem Woyda-Fall in Frage kommen könnte. Ferner sagt der Angeklagte: er hätte sich doch nicht in die Hände zweier Frauen begeben, die eine Erpresserschraube ohne Ende gegen ihn in Bewegung setzen konnten. Auch das trifft nicht zu. Die Fischer und die Wender konnten nicht eidlich als Zeugen gegen ihn auftreten, sondern höchstens als Mitschuldige. Und dann: er hat ja auch die beiden Frauenzimmer weggeschickt, nicht „aus Mitleid“ für sie, wie er in der vorigen Verhandlung behauptete, und auch nicht aus Angst, in einen Prozeß wegen gewöhnlicher Wohnungs-Kuppelei verwickelt zu werden, sondern aus Angst, daß sie seine Schandtaten aufdecken könnten. Ich bin der Überzeugung, daß er mit Fleiß seine Geldspenden an die Margarete Fischer so knapp eingerichtet hat, daß diese nicht auf einmal in den Besitz von 1000 M. und damit in die Lage kommen könnte, nach Europa zurückzukehren.

Sternberg hat das Zeugnis der Margarete Fischer gefürchtet. Hätte die Fischer sich nur der Kuppelei schuldig gemacht, so hätte er keine Furcht haben brauchen, daß sie als Zeugin gegen ihn auftreten werde. Die Wender hat er nicht gefürchtet, denn er wußte: sie macht ein freundliches Gesicht und macht ihre Aussage, und dann bist du heraus. Aber die Grete hat er nicht herhaben wollen. Hier wurde ihr Zeugnis verlangt; die Kehrseite war ein Telegramm nach New York: „Nicht herüberkommen! Der Staatsanwalt wird Dich nicht wieder weglassen.“ Tatsächlich hat man der Grete Fischer auch Geld dafür geboten, daß sie falsch aussagen solle. Wenn noch ein Zweifel bestehen könnte, daß Sternberg im Fall Woyda schuldig ist, so wird dieser Zweifel gelöst durch einen Brief der Margarete Fischer an die Pfeffer. Dieser Brief gibt ein vollkommenes Bild von dem Seelenzustand der Schreiberin, sie bemüht sich, zu gestehen und stoßweise herauszubringen, was vorgekommen ist. Ein Erpresserbrief ist dieser Brief nun und nimmer. Es ist geradezu eine Kühnheit gewesen, diesen Brief als Entlastungsmittel benutzen zu wollen. Man hätte nämlich gesagt, wenn der Brief zuerst der Verteidigung in die Hände gefallen wäre: Dieser Brief belastet, aber weil ein Komplott besteht, so ist er nicht wahr und entlastet. Auf so etwas wird sich, glaube ich, das Gericht nicht einlassen. Aus den Umständen, wie der Brief gekommen und gefunden worden ist, kann absolut kein anderer Schluß gezogen werden, als daß er ein Geständnis enthält. Deshalb ist er der Schlußstein in dem Gebäude, das ich Ihnen vorgeführt habe, um die Schuld des Angeklagten im Falle Woyda nachzuweisen.

Der Fall Callis hat als solcher auszuscheiden, aber er charakterisiert doch den Angeklagten. Die Callis hat unter dem Eide bekundet, daß sie mindestens sechs- bis siebenmal mit ihm zusammengekommen sei, und auf die Verteidigung haben die Szenen, die sich abgespielt haben, insoweit Eindruck gemacht, daß die Erklärung abgegeben wurde, Sternberg wolle das nicht weiter bestreiten. Die Callis hat bekundet, sie habe nur deshalb die Unwahrheit gesagt, weil man ihr in Aussicht gestellt hatte: wenn du schwören mußt und fällst mit der Geschichte herein, dann bekommst du Geld und gehst ins Ausland.

Die Teichert lügt. Sie hat nach dem Bilde Sternberg ursprünglich erkannt und sagt jetzt, er ist es nicht. Sie braucht ja nicht zu schwören! Sie hat 500 M. bekommen; ihre Eltern leugnen, daß sie die 500 M. bekommen hätten. Das mag sein; die Teichert ist eben eine verdorbene Person, und es kann ja sehr leicht sein, daß sie die 500 M. mit ihren Freundinnen verjuxt hat oder sonst irgendein Abnehmer ihr dabei geholfen hat. Die Teichert war damals schon ein verdorbenes Mädchen; Sternberg hätte sich sagen müssen, daß sie auch unter 14 Jahre alt sein könne, und er hat sich dies auch gesagt. Es liegt also mindestens der dolus eventualis vor.

Ist der Angeklagte also schuldig, so tritt die Frage nach mildernden Umständen und nach dem Strafmaß heran. Der Angeklagte Sternberg hat das vorige Mal milde Richter gefunden, und es kann im Fall Woyda auf eine höhere Strafe, als das vorige Gericht festgesetzt hat, nicht erkannt werden. Aber das muß ich sagen: wenn irgendeinem Angeklagten keine mildernden Umstände zugebilligt werden können, dann ist es der Angeklagte Sternberg. Wer sich so verteidigt, wie sich Sternberg verteidigt hat, geht der mildernden Umstände unter allen Umständen verlustig. Es streift an das Undenkbare, daß der Mensch es gewagt hat, die Spur der Behörde von sich abzulenken auf einen andern Mann, von dem er ganz genau gewußt hat, daß der es nicht gewesen ist. Das hat er nicht nur in der ersten Instanz, sondern auch noch in der zweiten Instanz getan. Daß er als Maler aus Frankfurt bei der Fischer ausgegeben wurde, kann er doch nicht bestreiten, und doch sagte er, der Maler sei der Herr Schneider aus Frankfurt a. O. in der Richtstraße! Der Angeklagte Sternberg hat sodann alles getan, um die Margarete Fischer in Amerika zurückzuhalten, damit sie nicht als Zeugin hier auftreten könne. Und dann die Briefe! Daß Sternberg sagt: es sind so viele Kisten da, da müssen sie drin sein, – das ist doch alles Kohl, das ist geradezu kindisch. Aber es geht noch weiter. Als Sternberg damals vernommen wurde und die Frida Woyda dann vernommen wurde, da war die Sache klar; die näheren Verwandten hatten der Frida Woyda ein gutes Zeugnis ihrer Glaubwürdigkeit ausgestellt; der Staatsanwalt hätte die Anklage erhoben, der Gerichtshof vielleicht eine halbe Stunde beraten, und der Angeklagte wäre abgeurteilt worden – wenn der Angeklagte nicht Sternberg, sondern vielleicht ein armer Fabrikarbeiter gewesen wäre! Sternberg hätte leicht Aufklärung verschaffen können, wenn er es hätte wollen; er hat uns dagegen in dieser Verhandlung eine Sorte Menschen vorgeführt, auf deren Kennzeichnung ich nicht näher eingehen will. Und mit welchen Mitteln ist gekämpft worden? Bestechung und Beeinflussung von Zeugen waren an der Tagesordnung. Die Detektivs des Angeklagten drängten sich in unverschämtester Weise bis an die Türen des Gerichtssaales, um die Beamten zu beobachten. Was wurde nicht alles aufgeboten, um die Wahrheit, nach der wir alle lechzen, zu verdunkeln! Was hat Sternberg durch die Art seiner Verteidigung für Unheil angerichtet! Wenn er das alles dereinst vor seinem ewigen Richter verantworten soll, was er über eine große Menge seiner Mitmenschen heraufbeschworen hat, dann wird ihm wohl jetzt schon die Last zu schwer werden. Luppa hat sich, um seinem Herrn zu dienen, schwerer Verfehlungen schuldig gemacht und flüchten müssen; Kriminalkommissar Thiel, der Agent Wolff und Frau Stabs befinden sich in Haft; Popp und die Suchart sind flüchtig! Und wer weiß, welch weitere Folgen dieser Prozeß noch haben wird?

Es werden noch schwere Straftaten zur Erörterung kommen, und ich hoffe, daß ich auch deren Verüber noch hier vor Gericht sehen werde. Sternberg erklärt: „Ich kann nicht für das, was meine Freunde ohne mein Zutun für mich getan, verantwortlich gemacht werden.“ Wer solche Dienste leistet, wie Luppa sie geleistet hat, der weiß auch, wem er sie leistet, und er weiß auch, daß Sternberg Verbrechen begangen hat. Er hat zum Verbrechen gegriffen, um den „armen unschuldigen Mann“ zu befreien. Ein solcher Angeklagter, dessen ganze Vergangenheit in moralischer und geschäftlicher Beziehung skrupellos, rücksichtslos, anrüchig ist, der es gewagt hat, den Dollar rollen zu lassen, gegen die staatliche Justiz, mit seinem schnöden Mammon einzugreifen in einer Weise, die einem das Blut in die Schläfen treiben möchte, der seine Millionen benutzt hat, um die festen Säulen der Justiz ins Wanken zu bringen, dieser Mann, wenn er jetzt von der Justiz niedergeworfen wird, verdient keine mildernden Umstände, trotzdem die Teichert ein verdorbenes Geschöpf war, dem weder sittlich noch körperlich ein Schaden zugefügt ist.

Ich beantrage wegen des Falles Woyda zwei Jahre Gefängnis, wegen des Falles Teichert eine Zuchthausstrafe von zwei Jahren. Diese beiden Strafen ersuche ich zusammenzufassen in eine Zuchthausstrafe von drei Jahren. Ich beantrage außerdem die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf fünf Jahre. Gegen Auta Wender, die sich fortwährend als verkörperte Lüge hingestellt hat, beantrage ich sechs Monate Gefängnis. Gegen die Scheding beantrage ich 20 Tage wegen Begünstigung und drei Tage Gefängnis wegen der Beleidigung im Gerichtssaal, insgesamt drei Wochen Gefängnis. Gegen Luppa liegt außer dem Verdacht der Begünstigung auch der Verdacht wegen Verleitung zum Meineid vor. Es liegt also Idealkonkurrenz mit einem anderen Verbrechen vor. Da er geflohen ist, beantrage ich die Aussetzung des Urteils gegen ihn.

Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Nach den glänzenden Ausführungen meines Kollegen werde ich nicht notwendig haben, auf die Sache einzugehen. Ich werde mich, wie es von vornherein meine Absicht war, auf einige allgemeine Bemerkungen beschränken, zu denen der Prozeß, der uns nunmehr sechs Wochen in Anspruch nimmt, reichen Anlaß gibt. Zu den Faktoren, die es der Justiz schwer gemacht haben, ihres Amtes zu walten, gehört auch die Presse. Am Anfang dieses Prozesses schrieb ein Hamburger Blatt: Zu den Eigentümlichkeiten dieses Prozesses gehört es auch, daß ein junger, unerfahrener Staatsanwalt beauftragt ist, gegen sechs der gewiegtesten Berliner Rechtsanwälte zu plädieren. Ich weiß nicht, ob das Blatt diese Behauptung jetzt noch aufrecht erhalten wird. Dieser junge Staatsanwalt hat eine Schlußrede gehalten, wie sie von keinem anderen vortrefflicher hätte erwartet werden können. Ich glaube also, daß die Auswahl dieses Staatsanwalts durchaus gut getroffen war. Schmerzlich hat es mich berührt, daß die Verteidigung den Vorwurf erhoben hat, Licht und Schatten seien nicht gleich verteilt, man kämpfe mit ungleichen Waffen. Ich kämpfe nicht mit ungleichen Waffen; wenn ich es aber muß, dann habe ich lieber die schlechteren auf meiner Seite. Selten hat es einen ungerechteren Vorwurf gegeben als diesen. Die Prozeßordnung schreibt für die Voruntersuchung geheimes Verfahren vor. Der Untersuchungsrichter ist ein unabhängiger Richter, in seine Hände kann die Voruntersuchung ruhig gelegt werden. Aber Licht und Schatten werden gleichmäßig verteilt; weder der Staatsanwalt noch die Verteidiger dürfen bei der Vernehmung der Beschuldigten zugegen sein. Der einzige Unterschied ist, daß die Staatsanwaltschaft schon während des Verlaufes des Verfahrens von den Akten Kenntnis nehmen kann, während die Verteidigung dies erst nach Abschluß der Voruntersuchung verlangen kann. Ein billig denkender Untersuchungsrichter wird ihr aber die Akten auch schon früher zugänglich machen, sobald er es ohne Schädigung oder Verdunkelung des Verfahrens tun zu dürfen glaubt. Wir haben mit großer Offenheit und Ehrlichkeit alles, was wir aus den Vernehmungen vor dem Untersuchungsrichter erfahren haben, hier vorgeführt. Die Verteidiger sind nicht im Dunklen geblieben. Es ist ein geschlossener Brief, den die Zeugin Miller nur für Sternberg bestimmt hatte, hierher gelangt. Nun weiß jeder, der mit dem Strafverfahren zu tun hat, und insbesondere ein Rechtsanwalt und Verteidiger, daß ein verschlossener Brief an einen Untersuchungsgefangenen nur unter Zustimmung und Kenntnisnahme eines Richters an seine Adresse gelangen darf. Die Kollusionsgefahr erfordert eine solche Kontrolle der Behörde. Es war überaus wichtig, daß der Vorsitzende der Strafkammer von dem Briefe Kenntnis erhielt, ehe er in Sternbergs Hände gelangte. Der Vorsitzende hat aber nichts von dem Inhalte gewußt, wohl aber Sternberg! Ob er einen so harmlosen Inhalt gehabt hat, wie Herr August Sternberg behauptet, können wir nicht nachweisen, aber daß wir es nicht können, ist die ungünstige Lage, in die wir gebracht worden sind, nicht kraft des Gesetzes, sondern kraft der von Ihnen geschaffenen Tatsachen! Wir müssen uns damit abfinden und werden auch so das Recht finden. Aber das können Sie uns nicht zumuten, daß wir glauben sollen, der Brief habe einen harmlosen Inhalt gehabt. Wenn Margarete Fischer ihrer eidesstattlichen Versicherung nach einen intimen Brief an Herrn August Sternberg beilegt, so wird sie sicher darin die ihr zukommende Belohnung besprochen und angedeutet haben, daß sie auf seine Dankbarkeit für das ganze Leben rechnet.

Mein Herr Kollege hat angedeutet, wie viele Personen Herr August Sternberg in diesem Prozesse zu Leichen gemacht hat. Dazu gehört auch die Zeugin Frau Miller. Ausgestoßen von ihrem Vaterlande muß sie flüchtig umherirren und darf es nicht mehr wagen, die heimatliche Scholle zu betreten. Das ist der Fluch, der sie immer begleiten wird. Und doch wäre es ihr wohl nicht schwer gewesen, sich durch ein offenes Geständnis mildernde Umstände zu sichern! Auch bei Sternberg könnte man dies behaupten.

Ich habe viel Erfahrung in den verschiedensten Provinzen gesammelt und viele Angeklagte gesehen, aber das muß ich sagen, kein Angeklagter ist schlechter verteidigt worden, als der reiche Herr Sternberg. Den Herren Verteidigern selbst ist kein Vorwurf zu machen, denn der Angeklagte selbst hatte sich die Führung nicht nehmen lassen, und die Verteidiger haben wiederholt erklären müssen, daß ihre Anträge das Ergebnis stundenlanger Konferenzen mit dem Angeklagten seien. Ich wiederhole, Sternbergs Verteidigung war die denkbar schlechteste. Er hätte sich wohl mildernde Umstände verschaffen können, wenn er als reuiger Sünder gestanden hätte, daß er ein Opfer seiner perversen Leidenschaften geworden wäre. Jetzt hat er sich jede Sympathie durch die Art seiner Verteidigung verscherzt. Ich gehe nicht so weit wie mein Kollege, der da meinte, daß ein anderer Angeklagter in einer halben Stunde abgeurteilt worden wäre, nein, an der üblichen Gründlichkeit der Verhandlung würde es in keinem Falle gefehlt haben. Sternberg, der den Kampf mit Hilfe seines Portemonnaies aufnahm, hat sich verrechnet, das Recht ist keine Ware, keine Dirne, die sich kaufen läßt. Herr August Sternberg mag bei der Gründung von Aktiengesellschaften gewandt sein, bei seiner Verteidigung ist er es nicht.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Fuchs I: Ein höchst fragwürdiges Zeugenmaterial ist es, mit dem wir zu rechnen haben. Dirnen, wie die Callis und die Teichert, können Anspruch auf Glaubwürdigkeit nicht erheben. Als der Callis zum ersten Male die Photographie Sternbergs vorgelegt wurde, war sie unsicher und zweifelhaft. Nach zwei Tagen erklärte sie mit Bestimmtheit „Ja, das ist er“. Das ganze Verhalten der Callis und Teichert läßt darauf schließen, daß sie es mit der Wahrheit nicht genau nehmen. Es ist nicht denkbar, daß der Gerichtshof lediglich auf Grund solcher Aussagen zu einer Verurteilung kommen wird. Noch weniger hat die Verteidigung geglaubt, daß die Staatsanwaltschaft wegen des Falles Teichert Zuchthaus beantragen würde, selbst wenn man in diesem Falle die Schuld des Angeklagten für erwiesen erachtet. Wie kann man einem Angeklagten mildernde Umstände versagen, bloß weil er in einem Falle seine Verteidigung so geführt hat, daß sie Mißfallen erregte? Sternberg hat von vornherein erklärt, daß die ganze Geschichte bezüglich der Zusammenkünfte mit der Frida Woyda aus den Fingern gesogen sei. Das Mädchen hat dies auch in der gegenwärtigen Verhandlung zugegeben. In der sechswöchentlichen Verhandlung ist Frida Woyda trotz der eindringlichsten Verwarnungen seitens des Vorsitzenden, des Staatsanwalts, des Vormundes, der Pflegemutter usw. bei ihrer entlastenden Aussage geblieben. Welche Beweise liegen überhaupt vor, daß Sternberg Mädchen unter 14 Jahren mißbraucht hat? Man darf doch nicht mit bloßen Vermutungen rechnen. Die Zeugin Fischer hat bekundet: Sie habe nur wenige Mädchen gesehen, die Sternberg besuchten, die sie aber gesehen habe, seien über 14 Jahre alt gewesen. Es ist gewiß sehr bedauerlich und vom Standpunkte der Moral nicht zu billigen, wenn ein Mann Neigung für 15- bis 16jährige Mädchen hat. Aber nach dem Gesetz ist es nicht strafbar. Möge man doch bedenken, daß Sternberg auf diesem Gebiete kein Neuling ist. Schon zweimal hatte er sich die Finger verbrannt. Sternberg ist ein Mann, der ganz genau wußte, wie weit er zu gehen hat. Schon in den früheren Verhandlungen ist zur Sprache gekommen, daß Sternberg Mädchen wieder fortschickte, wenn er nur Verdacht hatte, daß sie unter 14 Jahren seien. Der Verteidiger beleuchtete im weiteren die einzelnen Aussagen der Frida Woyda und fuhr alsdann fort: Die Aussagen eines Kindes, das solche Geschichten erzählt, kann man unmöglich für ausreichend erachten, um drei Menschen zu verurteilen. In der ersten Verhandlung hat das Kind alle möglichen Einzelheiten erzählt über die Gewalt, die gegen sie angewendet worden sei. Die Sachverständigen haben bekundet, daß diese Einzelheiten nicht passiert sein können, da sie in der geschilderten Form einfach unmöglich sind. Der Gerichtshof wird diese Einzelheiten nicht glauben, weil sie nicht wahr sein können. Das Gericht kann und wird auch nicht glauben, daß Sternberg dem Kinde 10 Pf. gegeben habe. Wenn aber die Gewalt fällt und die Einzelheiten fallen, dann bleibt nichts Verwertbares übrig. Wenn der Gerichtshof sich die Frage vorlegt, ob und was geschehen ist, dann kann er nur zu dem Schluß kommen: Ignoramus. Wie solche Mädchen lügen können, ist ja bekannt, das hat sich auch bei der Ehlert erwiesen. Frida Woyda ist aber im Lügen eine wahre Virtuosin. Das ist das Kind, auf dessen Aussage man einen Angeklagten jahrelang der Freiheit berauben will. Will der Gerichtshof wirklich sagen: Es muß so sein, wie Frida Woyda es in der ersten Verhandlung gesagt hat und es kann nicht so sein, wie sie es diesmal sagt? Das würde den alten Rechtsgrundsatz: „Im Zweifelsfalle für den Angeklagten“ in sein Gegenteil verwandeln. Der Weisheit letzter Schluß kann auch bezüglich der Frida Woyda tatsächlich nur dahin gehen: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ Ich will gern zugeben, daß Stierstädter nicht in böser Absicht auf Frida Woyda eingewirkt hat. Aber es läßt sich doch nicht leugnen, daß er sich bei seinen Ermittelungen nicht immer in den Grenzen gehalten hat, die ihm sein schweres Amt zieht. Jedenfalls hat Stierstädter unbewußt einen kolossalen Einfluß auf das Mädchen ausgeübt. Das Sachverständigen-Gutachten gewährt einen tiefen Blick in das Seelenleben dieses Kindes und läßt keinen Zweifel, daß man der Frida Woyda überhaupt nichts glauben kann.

Daß die Staatsanwaltschaft nicht mit „ehrlichen“ Waffen kämpfe, wird wohl niemand behauptet haben, aber daß die Waffen der Staatsanwaltschaft und die der Verteidigung nicht gleiche sind, diese Behauptung möchte ich doch aufrecht erhalten. Der Staatsanwaltschaft stehen Akten zu Gebote, die der Verteidigung vorenthalten bleiben, sie erfährt die Aussagen der Zeugen vor dem Untersuchungsrichter, die Verteidigung nicht. Das sind keine gleichen Waffen.

Kriminalkommissar Thiel hat sich als ein Opfer hingestellt, das für seine Mitteilungen einen kargen Lohn erhalten hat. Es sind doch immerhin 8000 M. gewesen. Es scheint sogar, als habe Luppa seinen Auftraggeber gehörig übers Ohr gehauen. Was hat denn Justizrat Dr. Sello eigentlich getan? Thiel ist zu ihm gekommen und hat ihm offenbart, was er in der Sternbergschen Sache getan. Dr. Sello hat ihm erklärt, daß das, was er bisher getan, noch nicht strafbar sei. Es ist aber etwas höchst Gefährliches, was er vorhabe, und er rate ihm mit aller Entschiedenheit, seine Finger davon zu lassen. Mußte Dr. Sello nun nicht aufs höchste überrascht sein, als er nach einem Zeitraum von beinahe vier Monaten, während er nichts von Thiel gesehen oder gehört hatte, erfahren mußte, daß sein Rat nicht befolgt worden war? Sollte er deswegen den Angeklagten, dessen Akten er genau kannte, ohne Verteidigung lassen? Ich kann etwas Tadelnswertes in dem Verhalten des Justizrats Dr. Sello nicht erblicken.

Der Gerichtshof hat den Menschen zu beurteilen, seine Moral kann man verdammen, aber ich hoffe, daß der Gerichtshof bei Prüfung der Frage, ob Sternberg der ihm zur Last gelegten Straftaten überführt sei, zu einem „Nein“ kommen wird. In dem Schmutz, in dem die Callis, die Schnörwange und die Ehlert lebten, ist nichts mehr zu verderben, verderben kann nur der, der da hinuntersteigt. Die Einbuße, die der Moral dadurch zugefügt wird, würde das deutsche Volk leicht verwinden, es würde aber nicht überwinden, wenn es sich nicht mehr darauf verlassen könnte, daß Gerechtigkeit das Fundament des Staatslebens ist.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Heinemann (für die Wender) wies darauf hin, daß die Wender zur Zeit der Tat kaum 18 Jahre alt war und im Höchstfalle der Beihilfe für schuldig befunden werden könne. Nach den Bekundungen der Fischer habe die Wender weiter nichts getan, als die Mädchen zu Sternberg hineingeführt. Selbst wenn sie aber Augenzeugin gewesen sei, habe sie sich höchstens einer vorbereitenden Handlung schuldig gemacht, oder der Kuppelei, die nicht strafbar sei, weil weder die Gewohnheitsmäßigkeit noch die gewinnsüchtige Absicht nachgewiesen sei. Auch das Gutachten der Sachverständigen sei zu gunsten der Wender auszulegen. Diese sei freiwillig aus Amerika zurückgekehrt, ein Beweis ihrer Unschuld. Sie müsse gewußt haben, daß sie bestraft werden würde, wenn sie schuldig sei, denn sonst wäre sie keine lächelnde Lügnerin, sondern eine lächelnde Idiotin. Sie würde freizusprechen sein, selbst wenn Sternberg für schuldig befunden würde.

Der Verteidiger legte alsdann nochmals die Gründe dar, die für die Unglaubwürdigkeit der Woyda sprechen. Es sei nicht richtig, was der Staatsanwalt behauptete: daß man geglaubt habe, nur über Stierstädters Leiche den Weg zur Freisprechung Sternbergs erringen zu können. Sternberg müsse freigesprochen werden, nicht weil man annimmt, daß Stierstädter der Woyda die Beschuldigungen eingeredet habe, sondern weil sie überhaupt erlogen sei und man ihr überhaupt nicht glauben könne. Stierstädter habe gewiß im besten Glauben und mit der besten Absicht, die Wahrheit zu ergründen, gehandelt. Der Verteidiger zitierte einen Ausspruch des Justizrats Staub in der „Deutschen Juristenztg“, in welchem auf das Bedenkliche solcher Wahrheits-Ermahnungen durch einen Schutzmann hingewiesen werde, und schloß mit dem Bemerken, daß ihm selten ein Fall vorgekommen sei, in welchem so wenig Material zu einem Schuldigspruche vorliege, wie hier. Mindestens müsse man zu einem non liquet kommen.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Mendel suchte in längerer Rede nachzuweisen, daß sein Klient Luppa sich nicht der Begünstigung schuldig gemacht habe. – Verteidiger Justizrat Wronker suchte den Nachweis zu führen, daß die Freisprechung seiner Klientin Scheding aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen geboten sei. –

Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Rechtsanwalt Fuchs fordere mit Recht Gerechtigkeit. Um so mehr müsse er sich wundern, daß er ihm diese Gerechtigkeit nicht widerfahren lasse. Er habe absolut nicht daran gedacht, einen ganzen Stand, den Rechtsanwaltsstand, anzugreifen. Er habe die größte Hochachtung vor dem Rechtsanwaltsstande; er habe keinen Namen genannt, sich der größten Zurückhaltung befleißigt und nur mit Tatsachen gerechnet. Er habe nur gesagt, die Handlungen, die hier vorgenommen werden, schädigen die Stellung der Staatsanwaltschaft. Ganz ungeheuerlich sei die Behauptung des Rechtsanwalts Fuchs, daß die Fälle zu zählen seien, in denen die Staatsanwaltschaft zur Entlastung der Angeklagten die Hand reiche. Die Staatsanwaltschaft sei die objektivste Behörde bis zur Erhebung der Anklage und prüfe das Für und Wider sehr sorgsam. Dann strecke sie die Waffen und überlasse das weitere dem Gericht. Rechtsanwalt Dr. Fuchs kenne eben die Akten der Staatsanwaltschaft nicht, sonst würde er wissen, daß in dem überwiegenden Teile der Fälle das Verfahren eingestellt werde, weil die Staatsanwaltschaft den Belastungen skeptisch gegenüberstehe. Vor den Ausführungen des Herrn Justizrats Wronker müsse er den Hut ziehen. Dieser habe ihn derartig überzeugt, daß er seinen Ausführungen beitrete und nun selbst die Freisprechung der Angeklagten Scheding beantrage.

Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Fuchs I wendete sich zunächst gegen die vom Oberstaatsanwalt geäußerte Anschauung, daß die Staatsanwaltschaft die objektivste Behörde sei. Wenn Staatsanwalt Braut sage, man müsse dem Angeklagten die mildernden Umstände schon aus Prinzip versagen, um dem Laster und der Prostitution entgegenzuwirken, so erwidere er: Die Prostitution sei so alt wie die Welt, und wenn sie – was er bestreiten möchte – heute größer sein sollte als früher, so sei dies nicht Schuld eines einzelnen Mannes, sondern Schuld gewisser sozialer Schäden, durch welche täglich ganze Scharen in den Schlamm hinabgedrückt werden. Das Übel werde nicht verstopft werden, wenn man einen einzelnen Mann als Sühneopfer vor aller Welt schlachtet, sondern die Quelle könne vielleicht einmal durch gesetzliche Mittel verstopft werden. Und dann: die Teichert sei die letzte, über die man in Klagetöne ausbrechen müsse; sie sei ein verdorbenes Mädchen gewesen. Wenn man einen Mann, der in Verblendung einem mächtigen Naturtrieb folgend, mit solchen verdorbenen Mädchen in Berührung tritt, ins Zuchthaus schickt und das Gesetz mit verschränkten Armen zusehe, wenn ein junger Mann ein unbescholtenes 17jähriges Bürgermädchen verführt, so würde dies keine Gerechtigkeit sein.

Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Herr Dr. Fuchs sei ausschließlich „Zivilist“ und er begreife nicht, wie dieser auf so ungeheuerliche Angriffe gegen die Staatsanwaltschaft verfallen sei. Die Staatsanwaltschaft habe die schöne Aufgabe, die Rechtsgüter zu schützen und wenn Rechtsanwalt Fuchs einmal in die Lage käme, sie zu diesem Schutz anzurufen, so würde er sehen, daß dies in vollstem Maße geschieht. Was das Strafmaß betrifft, so habe sein Kollege den durchaus richtigen Satz vertreten: es würden nicht so viele Mädchen auf den Weg des Verderbens geraten, wenn nicht so viele reiche Männer vorhanden wären, die sie darin unterstützten.

Angeklagter Sternberg erklärte, indem er um Nachsicht wegen seiner leisen Stimme bat, da er gänzlich erschöpft und kampfesmüde sei, daß er derartige Handlungen, wie sie ihm in der Anklage zur Last gelegt werden, nie getan habe. Die Versuchung liege für ihn nahe, das ganze Gebiet der Anklage einzeln durchzugehen, er verzichte darauf und wolle sich darauf beschränken, sich gegen einige gegen ihn erhobene Vorwürfe zu verteidigen. Zunächst wolle er betonen, daß er keine Schuld an der langen Verhandlung habe. Er habe nichts verabsäumt zu seiner Verteidigung, aber er habe das Verfahren nicht frivol verschleppt. Wenn es sich um Zeugen, wie die Ehlert, die Schnörwange usw. handle und man deren Glaubwürdigkeit zeigen wolle, so müsse man sich doch in die Kreise begeben, in denen sie leben, um nachweisen zu können, wes Geistes Kinder sie seien. Den Zustand, in welchem er in dem vollen Gefühle seiner Unschuld hier auf der Anklagebank sitze, könne sich ein anderer gar nicht ausmalen. Es würde für ihn noch erträglicher gewesen sein, wenn dieser Prozeß, wie das erstemal, unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt worden wäre. Er gestehe zu, daß die bedauerlichen Zwischenfälle, die sich hier ereigneten, das öffentliche Interesse lebhaft erregen mußten. Unter der täglich größer werdenden Öffentlichkeit habe er aber furchtbar gelitten, und die Wirkung sei gewesen, daß die Zeitungen sich täglich mehr und mehr des Stoffes bemächtigten. Wenn er, wie er hoffe, freigesprochen werde, so sei er doch ein toter Mann, und seine Familie habe darunter furchtbar zu leiden. Er könne nur immer wieder und wieder versichern, daß er unschuldig sei, und könne versichern, daß seine Verteidiger von seiner Unschuld vollständig überzeugt seien. Der Fall Teichert, mit dem er tatsächlich gar nichts zu tun habe, stehe und falle mit der Aussage der Callis, die doch gänzlich unglaubwürdig sei. Er müsse sich auch gegen den Vorwurf verwahren, als ob er durch seine Nachforschungen nach Herrn Schneider aus Franfurt a. O. in frivoler Weise auf einen sittlich intakten Menschen einen bösen Verdacht habe werfen wollen. So ungeheuer penibel habe er doch mit einem Manne nicht umzugehen brauchen, der mit einem Mädchen seit einem Jahre in Konkubinat lebe und Frau und Kinder verlassen habe. Er gestehe jetzt ohne weiteres, daß der von ihm gegen Herrn Schneider seiner Zeit gehegte Verdacht keinerlei Hintergrund habe. Aber damals mußte er es annehmen, weil er wußte, daß er mit der Woyda nichts begangen habe und weil er annehmen mußte, daß, wenn überhaupt etwas begangen worden sei, es von einem anderen begangen sein müsse. Würde die Woyda damals Herrn Schneider bezichtigt haben, dann wäre dieser in viel üblerer Lage gewesen als er selbst; denn wenn er auch durch Leichtsinn moralisch gefehlt habe, so habe er doch sein häusliches Leben so geführt, daß ihm nach dieser Richtung Vorwürfe nicht gemacht werden können. Für ihn waren damals die Ermittelungen nach Herrn Schneider durchaus nicht frivol, sondern sehr notwendig. Als er in diese Verhandlung eintrat‚ habe er noch nicht gewußt, daß Woyda jetzt eingestehe, wie er den sogenannten Umfall wohl nennen dürfe. – Was die Verwendung von Detektivs und die privaten Ermittelungen anlange, so bekenne er, daß er, der mit dem Bewußtsein‚ unschuldig zu sein, eine schwere Leidenszeit durchzumachen habe, selbstverständlich alles tun und alles aufbieten mußte, um die Hinfälligkeit der gegen ihn erhobenen schweren Vorwürfe zu erweisen. Ohne Detektivs sei dies absolut nicht möglich gewesen. Es sei doch nun einmal so: wer Bausteine zu einem Baukasten sucht und blaue Steine brauche, der suche eben nur nach blauen Steinen und ebenso sei es doch bei der Polizei, die es nicht als ihre Aufgabe betrachte, Entlastungsmaterial zu ermitteln, sondern immer nur nach Belastungsmaterial ausschaue. Im Falle Fournaçon und im Falle Erhardt hatten die Ermittlerdienste doch schon wesentliche Dienste geleistet und bewirkt, daß diese beiden Fälle ohne weiteres fallen gelassen werden mußten. Gegen die Verwendung des Detektivs Schulze haben damals keinerlei Momente vorgelegen; gegen diesen sei Ungünstiges nicht bekannt gewesen und er habe auch nichts darin gefunden, wenn er ihm für einen günstigen Erfolg seiner korrekt gedachten Tätigkeit eine große Belohnung zusicherte. Inkorrekte Handlungen, die in seinem Interesse unternommen sein sollten, können und dürfen ihm nicht zur Last gelegt werden, denn er habe davon keine Ahnung gehabt. Alles, was an schiefen Sachen vorgekommen, habe ihn völlig überrascht und verblüfft. Er bedauere, wenn sich Wolff, um ihm zu helfen, zum Unrecht habe hinreißen lassen. Er sei daran nicht beteiligt. Durch dieses Beiwerk und die ganze Atmosphäre, die durch diese Dinge hier verbreitet wurde, sei zu Unrecht seine eigene Position verschlechtert worden. Die Geschichte von der angeblich beabsichtigten Bestechung des Reichsgerichts sei eine so unsinnige Sache, daß er sie nur für eine Burleske halten könne. Er halte es für ganz ausgeschlossen, daß Fräulein Platho mit Dr. Werthauer das behauptete Gespräch gehabt haben könne. Solchen Unsinn begehe ein Verteidiger nicht, er sei aber auch völlig überzeugt, daß kein einziger seiner Verteidiger auch nur im entferntesten daran gedacht habe, irgendwelche unlauteren Mittel zu seinen Gunsten anzuwenden.

Den tiefbetrübenden Zwischenfall mit dem Kommissar Thiel bedauere er unendlich. Er könne es nicht fassen, daß Luppa einen solchen Weg gegangen sein sollte. Er selbst habe von Thiel nichts, absolut nichts gewußt, er müsse aber auch sagen, daß Thiel nach dem, was bisher bekannt geworden, außerordentlich geringfügige Dienste geleistet und dafür doch die sehr hohe Summe von 7–8000 M. erhalten habe. Luppa sei ein älterer Herr, der ihm treu ergeben sei, und der es sich zur Ehrenpflicht gemacht habe, alles daran zu setzen, um seine Unschuld an den Tag zu bringen. Wenn Luppa nun in diesem ganz uneigennützigen Streben zu weit gegangen sei, so bedauere er dies unendlich, um so mehr, als der gänzlich unbescholtene Luppa sich dadurch selbst in schwere Bedrängnis gebracht habe. Er wiederhole, daß er von der Thielschen Affäre nichts gewußt habe und müsse doch darauf hinweisen, daß Thiel ihm nicht als Opfer an die Rockschöße gehängt werden könne, da nicht Luppa sich an Thiel, sondern Thiel sich an Luppa gewandt habe.

Was Stierstädter anlange, so müsse er doch sagen, daß er nicht ganz der Meinung, die von autorativer Stellung ausgesprochen worden, sei. Stierstädter sei von Haß und Verfolgungssucht gegen ihn erfüllt gewesen, derselbe Haß habe unbegründeterweise auch die Pfeffer erfüllt, Fräulein Pfeffer und Stierstädter seien eng miteinander in Verbindung gewesen; sie waren befreundet und deshalb mußte der Verdacht ganz dringend werden, daß Fräulein Pfeffer der Mittelpunkt eines Komplotts sei. Dadurch seien seine Freunde dazu gekommen, darüber nachzudenken, wie man diese beiden Leute unschädlich machen könne. – Der Angeklagte wendete sich sodann in langer Ausführung zu dem Falle Pfeffer und verteidigte sich mit besonderem Nachdruck gegen den Vorwurf, daß er das Leben des Fräulein Pfeffer vergiftet und verdorben habe. Er habe das nicht getan. Sie habe sich, als er noch Junggeselle war, auf eine Annonce, in welcher für einen alleinstehenden Mann eine Wirtschafterin gesucht wurde, bei ihm gemeldet. Es sei grundfalsch, wenn eine Zeitung behaupte, sie sei als „Stütze“ bei ihm eingetreten. Fräulein Pfeffer habe die Situation durchaus klar überblickt, sie habe sich sofort am Tage nach ihrem Eintritt zu einem Verkehr mit ihm bereit erklärt, von einem romantischen Liebesverhältnis sei gar nicht die Rede gewesen. Das Verhältnis habe sich in Ruhe gelöst, er habe ihr vollauf das gewährt, was er ihr gewähren zu müssen meinte; er habe sie keineswegs hilfs- und mittellos in die Welt gestoßen, sondern auch noch für Mitglieder ihrer Familie gesorgt. Er habe die Pfeffer keineswegs auf seinem Gewissen, deren Haß sei aber so groß, daß sie hier auch ihre Schwester in den Kreis ihrer Beschuldigungen hineinzog und die sofort herbeigeholte Schwester ihr erklären konnte, daß sie von alledem nichts wußte. Die Geschichte mit dem Briefe der Fischer an Fräulein Pfeffer halte er für eine zwischen diesen beiden Personen abgekartete Sache, um Geld von ihm zu erlangen.

Er sei keineswegs bloß den Weibern nachgelaufen, sondern sei auch bemüht gewesen, Wohlfahrtseinrichtungen für die Arbeiter zu schaffen. Er sei auch nicht ein Schlemmer, sondern ein Freund anstrengender geistiger Arbeit und besitze den Ehrgeiz, eine angesehene Position zu erlangen. Sein Vermögen sei ihm sicher nicht in den Schoß gefallen, sondern die Frucht seines Fleißes. Seine Lieferanten und viele Geschäftsleute könnten davon erzählen, wie er noch spät abends mit ihnen verhandelt habe. Er habe sparsam gelebt und in seinem Hause sei nie eine Lotterwirtschaft gewesen, er habe sein Haus stets rein gehalten. Allerdings, seine Frau habe er unglücklich gemacht – hier brach der Angeklagte in Schluchzen aus. Er sei seinem fürchterlichen Bedürfnis nachgegangen, aber er habe sich Personen ausgesucht, bei denen er einen moralischen Schaden nicht anrichten konnte. So viel Klugheit müsse man ihm doch zutrauen, daß er nicht alles dadurch aufs Spiel setzen würde, indem er sich zu Handlungen hinreißen lasse, die das Gesetz schwer bestrafe. Er habe, wie er es früher getan, jedes Mädchen, das ihm zu jung erschien, fortgewiesen. Er bitte dringend, ihm zu glauben, daß Margarete Fischer, die Wender und er selbst in dem Woyda-Falle die volle Wahrheit gesagt haben, er bitte, ihm zu glauben, daß er nicht annahm, ein Mädchen unter 14 Jahren vor sich zu haben, als er mit der Teichert in Berührung gekommen sei und bitte dringend um seine Freisprechung.

Die Angeklagte Wender versicherte nochmals, daß alles, was die Frida Woyda in der ersten Verhandlung von ihr behauptet habe, unwahr sei.

Nach mehrstündiger Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Müller, folgendes Urteil: Der Angeklagte Sternberg ist des Verbrechens gegen die Sittlichkeit in vier Fällen schuldig und deshalb zu zwei Jahren sechs Monaten Zuchthaus, wovon sechs Monäte als verbüßt zu erachten sind, ferner zu fünf Jahren Ehrverlust zu verurteilen, von der Anklage des Sittlichkeitsverbrechens in einem fünften Falle aber freizusprechen. Die Angeklagte Wender ist der Beihilfe in drei Fällen schuldig und deshalb zu sechs Monaten Gefängnis, unter Anrechnung von zwei Monaten Untersuchungshaft, zu verurteilen. Die Angeklagte Scheding ist freizusprechen. Die Kosten fallen, soweit eine Verurteilung erfolgte, den Angeklagten, soweit Freisprechung erfolgte, der Staatskasse zur Last.

Durch die Hauptverhandlung ist festgestellt, daß Sternberg lange Jahre hindurch in zügelloser Weise geschlechtlichen Ausschweifungen gefrönt hat. Er selbst hat zugegeben, daß er, obgleich er verheiratet ist, häufig mit Frauenspersonen verkehrte, die ihm von Kupplerinnen, darunter der Margarete Fischer, zugeführt wurden. Nach der Beweisaufnahme waren es 30–50 in einem halben Jahre. Weiter ist erwiesen, daß Sternberg seine sträfliche Begierde besonders auf unerwachsene Mädchen gerichtet hat. Dies ergibt sich schon aus einem früheren Urteil, ferner daraus, daß Margarete Fischer, welche die Maler-Modelle zu Unzuchtszwecken anlockte, nur Mädchen von 14–16 Jahren verlangte und daß Barbier Sandmann Mädchen im gleichen Alter ein- und ausgehen sah. Der Pfeffer gegenüber hat der Angeklagte Sternberg offen erklärt, daß er nur an Mädchen jugendlichen Alters Gefallen finde und daß ihm 15jährige schon zu alt seien. Seine Geneigtheit, seine Begierden zu befriedigen und dabei nicht bloß die Grenzen der Sittlichkeit, sondern auch die des Strafgesetzbuches zu überschreiten, wird dadurch bewiesen, daß er die Pfeffer zu schwerer Kuppelei anhalten wollte und ihr auf ihre Bedenken eine zynische Äußerung machte. Nach alledem ist Sternberg ein Mann, dem man die Begehung solcher Straftaten zutrauen kann.

Was die Verbrechen gegen die Woyda betrifft, so hat der Gerichtshof auf Grund des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, daß sich der Vorgang so zugetragen hat, wie ihn die Frida Woyda in der früheren Verhandlung geschildert hat, daß namentlich dreimal unzüchtige Handlungen dieser Art mit ihr vorgenommen worden sind. Daß in Einzelheiten sich Abweichungen vorfinden, ist sehr erklärlich. Frida war damals ein Kind mit freundlichem offenen Wesen. Sie zeigte Schamhaftigkeit und sprach zunächst mit niemandem über ihre Erlebnisse. Die erste Mitteilung hat sie erst gemacht, als sie darum befragt wurde, und dann hat sie der Frau Schindler gesagt, daß sie sich geschämt habe. Weinend hat sie wiederholt, daß sie nicht dafür könne. Frida wußte, daß sie bei Schindlers bleiben konnte, wenn sie alles leugnete und sie hat es doch nicht getan, ferner hat sie den Frauen Koslowski und Dreßler gesagt, Sternberg hätte noch mehr verdient. Ähnliche Äußerungen hat sie gegenüber der Frau Piper und anderen Schulmädchen gemacht. Alles das spricht klar dafür, daß die Erzählungen nicht Erfindungen einer krankhaften Phantasie gewesen sind. Es wäre auch ganz undenkbar, daß Frida Woyda solche Erfindungen monatelang behalten und in der ersten Verhandlung trotz aller Einreden der Verteidigung aufrecht hielt. Dazu werden die Erzählungen noch mit unterstützt durch die Auta Wender. Die Gutachten der medizinischen Sachverständigen sind voll berücksichtigt worden, aber der Gerichtshof ist der Meinung, daß Frida in diesem konkreten Falle nicht die Unwahrheit gesagt hat. Wenn sie jetzt anders aussagt, so beruht dies augenscheinlich auf Beeinflussung. Es ist festgestellt, daß zahlreiche Verbrechen begangen sind, um die Taten des Angeklagten zu verdunkeln, daß mit Sternbergschem Gelde die unsaubersten Machenschaften Platz gegriffen haben und es liegt auf der Hand, daß diese vor der Hauptzeugin Frida Woyda nicht Halt gemacht haben. Mit Sicherheit ist nicht festgestellt worden, von wem die Beeinflussungen ausgegangen sind, aber Herrn v. Tresckow und dem Lehrer ist das veränderte und verstockte Benehmen nach der ersten Verhandlung aufgefallen. Dazu kommt, daß dem Zeugen Stierstädter plötzlich das veränderte Verhalten der Eheleute Blümke ihm gegenüber auffiel. Frida fiel um in dem Augenblick, als Stierstädter den Befehl erhielt, seine Ermittelungen einzustellen. Auf eine Beeinflussung deutet ferner, daß Blümkes keine Anzeige von der anderen Aussage des Mädchens gemacht haben, endlich die gleichlautende Motivierung Fridas: „Stierstädter hat mir es eingeredet!“ Die Richter müßten in geradezu grenzenloser Weise leichtgläubig sein, wenn sie dies glauben sollten. Der Gerichtshof ist der Meinung, daß sie zu der diesmaligen Aussage abgerichtet ist, und zwar nach der bestimmten Methode, immer zu sagen: „Ich weiß es nicht.“ Das behält sich leichter, als die bogenlangen Instruktionen, die ihr angeblich auf dem Gerichtskorridor oder auf der Straße beim Rasseln der Wagen eingepaukt sein sollen. Alle Behauptungen Sternbergs, daß ein Komplott gegen ihn geschmiedet sei, um ihn zu verderben, daß die Pfeffer, die Clara Fischer usw. sich an ihm rächen wollen, erscheinen dem Gerichtshof völlig widerlegt. Daß ferner eine Anwendung von Gewalt nicht vorgekommen, zeigt schon der Brief der Margarete Fischer vom 1. Mai, der vom Gerichtshof als das Geständnis einer schuldbeladenen Seele aufgefaßt worden ist. Das Gericht hat sich hiernach auch für zuständig in dieser Sache erachtet.

Die Teichertsche Tat wird nachgewiesen durch die Callis in Verbindung mit der eigenen Aussage der Teichert und des Angeklagten selbst. Nach Ansicht des Gerichts hat der Angeklagte gewußt oder annehmen müssen, daß die Teichert damals noch nicht 14 Jahre alt war. Herr v. Tresckow‚ Herr Stierstädter und andere haben bekundet, daß das Mädchen damals noch den Eindruck eines Schulkindes machte. Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Angeklagte, selbst wenn die Teichert gesagt haben sollte, sie sei schon 14 Jahre, mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß sie doch noch unter 14 Jahre alt sei. Sein Bestreben ging eben dahin, mit möglichst jungen Mädchen Verkehr zu haben. Sonach liegen drei Verbrechen gegen die Sittlichkeit im Falle Woyda, eins im Falle Teichert vor. Der Fall Callis scheidet aus, weil dies Mädchen schon über 14 Jahre alt war.

Was die Zumessung der Strafe betrifft, so kann der Gerichtshof bezüglich des Falles Woyda nicht über das früher erkannte Strafmaß von zwei Jahren Gefängnis hinausgehen; es liegt aber auch kein Anlaß vor, die Strafe zu ermäßigen. Der Fall Teichert liegt milder als der Fall Woyda; hier ist die moralische Schädigung nicht so groß, denn die Teichert war schon früh verdorben, während die Frida Woyda ein unschuldiges, in Pflege gegebenes Waisenkind war. In der ersten Verhandlung sind dem Angeklagten mildernde Umstände zugebilligt worden, weil der Fall Woyda als vereinzelte Verirrung angesehen wurde. Jetzt ist aber jeder Zweifel gehoben, daß ihm ein Hang innewohnt, sich an Kindern zu vergehen. Deshalb hat der Gerichtshof eine Zuchthausstrafe für angemessen erachtet, ist aber im Falle Teichert nicht erheblich über das Strafminimum hinausgegangen und hat auf ein Jahr drei Monate Zuchthaus erkannt. Die zwei Jahre Gefängnis im Falle Woyda sind in ein Jahr acht Monate Zuchthaus umgewandelt und die Gesamtstrafe auf zwei Jahre sechs Monate Zuchthaus, wovon sechs Monate als verbüßt erachtet werden, festgesetzt worden. Bei der Schwere der Tat und der Ehrlosigkeit der Gesinnung ist auch auf fünf Jahre Ehrverlust erkannt.

Bei der Wender liegen drei Fälle der Beihilfe vor. Mit Rücksicht darauf, daß sie noch jugendlich und bei der Fischer verdorben worden ist, ist auf sechs Monate Gefängnis erkannt, wovon zwei Monate als verbüßt erachtet wurden.

Bezüglich der Scheding war der Gerichtshof nicht überzeugt, daß sie sich der Begünstigung schuldig[WS 3] gemacht hat, obwohl erhebliche Gründe dafür sprechen. Der Gerichtshof war außerdem der Ansicht, daß die Scheding die Beleidigung in Wahrung berechtigter Interessen ausgesprochen hat.

Die Verhandlung gegen Luppa mußte vertagt werden. Die Wender wird aus der Haft entlassen.

Die von Sternberg gegen das Urteil eingelegte Revision wurde vom Reichsgericht verworfen. –

Das auf eigenen Antrag eingeleitete Disziplinarverfahren gegen Justizrat Dr. Sello, Rechtsanwalt Dr. Werthauer und Rechtsanwalt Dr. Mendel endete in allen drei Fällen und zwar in beiden Instanzen mit völliger, glänzender Freisprechung. Dagegen wurden noch mehrere Leute wegen Verleitung zum Meineid, Erpressung und Beleidigung zu hohen Strafen verurteilt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: fasch.
  2. Vorlage: gertoffen
  3. Vorlage: sculdig