Textdaten
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Autor: Emil Adolf Roßmäßler
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Titel: Der Kamm
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 386–388
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Teil 12 der Artikelreihe Aus der Menschenheimath.
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[386]

Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Eilfter Brief.
Der Kamm.

Wenn Du zu Deinem Nachbar, dem Schreiner oder zu dem Hufschmied des Dorfes gehst und ihnen ein Stündchen bei ihrer Arbeit zusiehst, so wird Dich’s ohne Zweifel wie mich unterhalten, zu sehen, wie sie bald dies, bald jenes Handwerkszeug zur Hand nehmen, um ihre Arbeit damit zu fördern, je nachdem ein jedes dazu geeignet ist. Kommt man aber nun erst in die Werkstätten einer großen Stadt, wo die Meister, wenn sie ihren Vortheil verstehen und nicht träge Stillstandsmänner sind, immer die neuesten vervollkommneten Werkzeuge haben, so staunt man oft über die sinnreichen Verbesserungen, die der Mensch ausgedacht hat, um sich seine Arbeit zu erleichtern und seine Gewerbserzeugnisse immer mehr zu vervollkommnen.

Unsereiner zerbricht sich da oft den Kopf, wozu wohl das oder jenes Werkzeug bestimmt sei, bis es der geschickte Geselle zur Hand nimmt und uns durch den Augenschein darüber belehrt.

Ueberhaupt die Werkzeuge sollten wir, die wir nicht damit arbeiten, und die dies thun erst recht, nicht so gedanken- und empfindungslos ansehen, als es meist geschieht. Mir giebt ein einfaches Instrument, ein [387] Hobel, eine Säge, eine Feile, gar oft Stoff zu stundenlangem Nachdenken und erweckt in mir die wohlthuendsten Empfindungen.

Sind nicht diese und andere allgemein angewendeten Werkzeuge Ehrendenkmale, welche sich die Menschheit auf ihrem langen Culturgange gesetzt hat? Stelle einen Menschen neben einen Baum ohne etwas Anderes als seine Hände – und dann gieb ihm Axt und Säge und Keil und Hobel und Hammer und Bohrer – und diese kleinen Helfershelfer vertausendfältigen die Kraft und Geschicklichkeit des vorher machtlosen Menschen, wie die Gnomen, die in Rübezahl’s Reich dem Bergmann beistehen.

Wie kommt es nur, mein Freund, daß die Menschheit mit einemmale so dankbar geworden ist, und jedem Tonsetzer ein Denkmal setzt? Kein Mensch kennt und ehrt den Namen des Mannes, der den Hobel ersann. Ich habe noch von keinem Denkmale für den Hobelmann gehört. Lache nicht! Ich meine es ernst. Es fällt mir freilich nicht im Traume ein, ein Denkmal für ihn zu beantragen. Ich will durch meine Worte nur Dein Nachdenken für diese Wohlthäter der Menschheit wecken.

Oder wäre diese Benennung: Wohlthäter der Menschheit, für die Erfinder der Werkzeuge unpassend und übertrieben?

Ich glaube es nicht. Du hast mir in früheren Unterredungen mit Theilnahme und innerer Zustimmung zugehört, wenn ich Dir zu beweisen suchte, daß unsere geistige Hälfte durchaus nur von äußeren körperlichen Dingen abhängt. Du wirst mir also beipflichten, wenn ich einen so hohen Werth auf die Erfindung und Vervollkommnung unserer Werkzeuge lege und für die Unbekannten, denen wir dieselbe verdanken, eine hohe Verehrung fühle.

Doch sind denn auch immer jene Erfinder wirklich die selbstständigen Erfinder gewesen? Hat nicht vielmehr oft ein Vorbild in der Natur sie auf ihre Erfindungen geleitet? Wenn wir auch Letzteres gewiß in manchen Fällen zugeben müssen oder wenigstens voraussetzen können, so schmälert dies Jener Verdienst nicht. Denn die Allen freundliche Mutter Natur hat für ihre Erzeugnisse keine Patente genommen.

Diese Beziehung zwischen den menschlichen Erfindungen und manchen Dingen in der Natur, glaubte ich den wenigen Worten vorausschicken zu müssen, welche ich zur Erklärung meines heutigen Bildchens hinzuzufügen habe. Der Mensch glaubt manches Werkzeug, manche zu Erreichung seiner alltäglichen Lebenszwecke erforderliche Vorrichtung, zuerst erfunden zu haben, während ihm hierin, von ihm ungeahnt, und daher seinen Erfinderruhm nicht schmälernd, die Natur Millionen Jahre vorausgegangen ist.

Der denkende und aufmerksame Beschauer der Natur und ihrer Formen findet nicht selten überraschende Vorbilder der menschlichen Erfindungen darin; und es scheint mir eine neue Seite der Naturwissenschaft, diese Beziehung zu sammeln, um einen neuen den tausend älteren Fäden hinzuzufügen, durch welche der Sohn Mensch an seine Mutter Natur geknüpft ist.

Sieh Dir jetzt einmal die ganz treue Abbildung an, die ich beigelegt habe. Das Ding, was Du abgebildet siehst, ist in Natur nicht größer als der Punkt hinter diesem Satze. Du wirst staunen und doch ist es buchstäblich wahr. Jede Spinne, welche ein Gewebe macht, hat am äußersten Ende jedes ihrer acht Füße eine solche Vorrichtung aus einem oder zwei zierlichen Kämmchen und vielen Borstchen bestehend, welche letztere zusammen einen lockeren Pinsel bilden. Du magst mit Deinen scharfen Augen einen Spinnenfuß ansehen wie Du willst, Du wirst die kleinen Dingerchen doch nicht erkennen; schon deshalb nicht, weil die Spinne dieselben, wenn sie sie nicht gerade anwendet, eingeschlagen trägt, ungefähr wie wir ein Taschenmesser, damit es sich nicht abstumpfe, in das Heft einschlagen; oder wie die Katze ihre scharfen Klauen zurückzieht, damit sie sich beim Gehen nicht abnutzen.

Du darfst das Ding nur ansehen, um zu begreifen, daß es ganz zweckmäßig dazu eingerichtet ist, um damit die Fäden des Spinnengewebes von anhängendem Staube und anderen Unreinigkeiten zu reinigen. Der große vordere Haken jedes Kammes dient ohne Zweifel dazu, um der Spinne das schnelle und sichere Hin- und Herlaufen auf den feinen Fäden des Gewebes möglich zu machen. Sie hakt sich dabei damit fest. Auch dienen sie der Spinne, um die Festigkeit der Fäden zu prüfen, denn wenn Du im Sommer darauf achten willst, so kannst Du leicht sehen, daß die Spinnen dann und wann ihre Gewebe förmlich begehen und untersuchen, und die einzelnen Fäden zuweilen dehnen und ausspannen, ob sie noch hinlängliche Festigkeit haben. Uebrigens sind an jedem der 4 Füße der einen Körperseite diese Kämmchen etwas anders gestaltet; ohne Zweifel weil jeder Fuß zur Instandhaltung des Netzes es etwas anders braucht. Die Kämmchen der entsprechenden Füße auf der andern Seite des Leibes gleichen dann denen der anderen vollkommen.

Wenn Du mein Bildchen ansiehst, was wie gesagt nach einer mit dem Mikroskop aufgenommenen vollständig naturgetreuen Abbildung gezeichnet ist, so macht es Dir gewiß Mühe, zu glauben, daß in einem mohnkorngroßen [388] Fußspitzchen einer Spinne zwei zwanzigzähnige Kämme und außerdem noch zahlreiche Härchen und Borstchen sein können. Das kleine Pünktchen in dem Kreise meines Bildchens giebt Dir, eher zu groß als zu klein, die natürliche Größe desselben an. Ueberhaupt das Mikroskop entdeckt uns nicht geringere Wunder und mehr verborgene Schönheiten als das Teleskop, durch dessen Hülfe die Astronomen eine Art Landkarte vom Monde gemacht haben. Im Kleinsten ist die Natur eben so groß, als im Großen und Gewaltigen.

Nicht alle Spinnenarten haben so ganz vollendete wahre Kämme an ihren Fußspitzen. Andere haben dafür blos mehrzähnige Haken und Klauen.

Sollte man nicht der verehrlichen Kammmacher-Innung empfehlen, eine Spinne auf ihr Innungs-Insiegel als Symbolum zu setzen?

Wo stecken nun die natürlichen Vorbilder für die Feile, Säge, den Hobel u. s. w.? Vielleicht kann ich Dir ein andermal etwas davon berichten.