Der König vom goldenen Berg (1850)

Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Der König vom goldenen Berg
Untertitel:
aus: Kinder- und Hausmärchen. Große Ausgabe. Band 2.
S. 39-46
Herausgeber:
Auflage: Sechste vermehrte und verbesserte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1850
Verlag: Verlag der Dieterichschen Buchhandlung
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Erscheinungsort: Göttingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Der König vom goldenen Berg.


[39]
92.
Der König vom goldenen Berg.

Ein Kaufmann, der hatte zwei Kinder, einen Buben und ein Mädchen, die waren beide noch klein und konnten noch nicht laufen. Es giengen aber zwei reichbeladene Schiffe von ihm auf dem Meer, und sein ganzes Vermögen war darin, und wie er meinte dadurch viel Geld zu gewinnen, kam die Nachricht, sie wären versunken. Da war er nun statt eines reichen Mannes ein armer Mann und hatte nichts mehr übrig als einen Acker vor der Stadt. Um sich sein Unglück ein wenig aus den Gedanken zu schlagen, gieng er hinaus auf den Acker, und wie er da so auf- und abgieng, stand auf einmal ein kleines schwarzes Männchen neben ihm und fragte warum er so traurig wäre, und was er sich so sehr zu Herzen nähme. Da sprach der Kaufmann „wenn du mir helfen könntest, wollt ich dir es wohl sagen.“ „Wer weiß,“ antwortete das schwarze Männchen, „vielleicht helf ich dir.“ Da erzählte der Kaufmann daß ihm sein ganzer Reichthum auf dem Meer zu Grunde gegangen wäre, und hätte er nichts mehr übrig als diesen Acker. „Bekümmere dich nicht,“ sagte das Männchen, „wenn du mir versprichst das, was dir zu Haus am ersten widers Bein stößt, in zwölf Jahren hierher auf den Platz zu bringen, sollst du Geld haben so viel du willst.“ Der Kaufmann dachte „was kann das anders sein [40] als mein Hund?“ aber an seinen kleinen Jungen dachte er nicht und sagte ja, gab dem schwarzen Mann Handschrift und Siegel darüber und gieng nach Haus.

Als er nach Haus kam, da freute sich sein kleiner Junge so sehr darüber, daß er sich an den Bänken hielt, zu ihm herbei wackelte und ihn an den Beinen fest packte. Da erschrack der Vater, denn es fiel ihm sein Versprechen ein und er wußte nun was er verschrieben hatte: weil er aber immer noch kein Geld in seinen Kisten und Kasten fand, dachte er es wäre nur ein Spaß von dem Männchen gewesen. Einen Monat nachher gieng er auf den Boden und wollte altes Zinn zusammen suchen und verkaufen, da sah er einen großen Haufen Geld liegen. Nun war er wieder guter Dinge, kaufte ein, ward ein größerer Kaufmann als vorher und ließ Gott einen guten Mann sein. Unterdessen ward der Junge groß und dabei klug und gescheidt. Je näher aber die zwölf Jahre herbei kamen, je sorgvoller ward der Kaufmann, so daß man ihm die Angst im Gesicht sehen konnte. Da fragte ihn der Sohn einmal was ihm fehlte: der Vater wollte es nicht sagen, aber jener hielt so lange an, bis er ihm endlich sagte er hätte ihn, ohne zu wissen was er verspräche, einem schwarzen Männchen zugesagt und vieles Geld dafür bekommen. Er hätte seine Handschrift mit Siegel darüber gegeben, und nun müßte er ihn, wenn zwölf Jahre herum wären, ausliefern. Da sprach der Sohn „o Vater, laßt euch nicht bang sein, das soll schon gut werden: der Schwarze hat keine Macht über mich.“

Der Sohn ließ sich von dem Geistlichen segnen, und als die Stunde kam, giengen sie zusammen hinaus auf den Acker, und [41] der Sohn machte einen Kreiß und stellte sich mit seinem Vater hinein. Da kam das schwarze Männchen und sprach zu dem Alten „hast du mitgebracht, was du mir versprochen hast?“ Er schwieg still, aber der Sohn fragte „was willst du hier?“ Da sagte das schwarze Männchen „ich habe mit deinem Vater zu sprechen und nicht mit dir.“ Der Sohn antwortete „du hast meinen Vater betrogen und verführt, gib die Handschrift heraus.“ „Nein,“ sagte das schwarze Männchen, „mein Recht geb ich nicht auf.“ Da redeten sie noch lange mit einander, endlich wurden sie einig, der Sohn, weil er nicht dem Erbfeind und nicht mehr seinem Vater zugehörte, sollte sich in ein Schiffchen setzen, das auf einem hinabwärts fließenden Wasser stände, und der Vater sollte es mit seinem eigenen Fuß fortstoßen, und dann sollte der Sohn dem Wasser überlassen bleiben. Da nahm er Abschied von seinem Vater, setzte sich in ein Schiffchen, und der Vater mußte es mit seinem eigenen Fuß fortstoßen. Das Schiffchen schlug um, so daß der unterste Theil oben war, die Decke aber im Wasser; und der Vater glaubte, sein Sohn wäre verloren, gieng heim und trauerte um ihn.

Das Schiffchen aber versank nicht, sondern floß ruhig fort, und der Jüngling saß sicher darin, und so floß es lange, bis es endlich an einem unbekannten Ufer festsitzen blieb. Da stieg er ans Land, sah ein schönes Schloß vor sich liegen und gieng darauf los. Wie er aber hineintrat, war es verwünscht: er gieng durch alle Zimmer, aber sie waren leer bis er in die letzte Kammer kam, da lag eine Schlange darin und ringelte sich. Die Schlange aber war eine verwünschte Jungfrau, die freute sich, wie sie ihn sah, und [42] sprach zu ihm „kommst du, mein Erlöser? auf dich habe ich schon zwölf Jahre gewartet; dies Reich ist verwünscht, und du mußt es erlösen.“ „Wie kann ich das?“ fragte er. „Heute Nacht kommen zwölf schwarze Männer, die mit Ketten behangen sind, die werden dich fragen was du hier machst, da schweig aber still und gib ihnen keine Antwort, und laß sie mit dir machen was sie wollen: sie werden dich quälen, schlagen und stechen, laß alles geschehen, nur rede nicht; um zwölf Uhr müssen sie wieder fort. Und in der zweiten Nacht werden wieder zwölf andere kommen, in der dritten vier und zwanzig, die werden dir den Kopf abhauen: aber um zwölf Uhr ist ihre Macht vorbei, und wenn du dann ausgehalten und kein Wörtchen gesprochen hast, so bin ich erlöst. Ich komme zu dir, und habe in einer Flasche das Wasser des Lebens, damit bestreiche ich dich, und dann bist du wieder lebendig und gesund wie zuvor.“ Da sprach er „gerne will ich dich erlösen“ Es geschah nun alles so, wie sie gesagt hatte: die schwarzen Männer konnten ihm kein Wort abzwingen, und in der dritten Nacht ward die Schlange zu einer schönen Königstochter, die kam mit dem Wasser des Lebens und machte ihn wieder lebendig. Und dann fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn, und war Jubel und Freude im ganzen Schloß. Da wurde ihre Hochzeit gehalten, und er war König vom goldenen Berge.

Also lebten sie vergnügt zusammen, und die Königin gebar einen schönen Knaben. Acht Jahre waren schon herum, da fiel ihm sein Vater ein und sein Herz ward bewegt, und er wünschte ihn einmal heimzusuchen. Die Königin wollte ihn aber nicht fortlassen [43] und sagte „ich weiß schon daß es mein Unglück ist,“ er ließ ihr aber keine Ruhe bis sie einwilligte. Beim Abschied gab sie ihm noch einen Wünschring und sprach „nimm diesen Ring und steck ihn an deinen Finger, so wirst du alsbald dahin versetzt, wo du dich hinwünschest, nur mußt du mir versprechen daß du ihn nicht gebrauchst, mich von hier weg zu deinem Vater zu wünschen.“ Er versprach ihr das, steckte den Ring an seinen Finger und wünschte sich heim vor die Stadt, wo sein Vater lebte. Im Augenblick befand er sich auch dort und wollte in die Stadt: wie er aber vors Thor kam, wollten ihn die Schildwachen nicht einlassen, weil er seltsame und doch so reiche und prächtige Kleider an hatte. Da gieng er auf einen Berg, wo ein Schäfer hütete, tauschte mit diesem die Kleider und zog den alten Schäferrock an und gieng also ungestört in die Stadt ein. Als er zu seinem Vater kam, gab er sich zu erkennen, der aber glaubte nimmermehr daß es sein Sohn wäre und sagte er hätte zwar einen Sohn gehabt, der wäre aber längst todt: doch weil er sähe daß er ein armer dürftiger Schäfer wäre, so wollte er ihm einen Teller voll zu essen geben. Da sprach der Schäfer zu seinen Eltern „ich bin wahrhaftig euer Sohn, wißt ihr kein Mal an meinem Leibe, woran ihr mich erkennen könnt?“ „Ja,“ sagte die Mutter, „unser Sohn hatte eine Himbeere unter dem rechten Arm.“ Er streifte das Hemd zurück, da sahen sie die Himbeere unter seinem rechten Arm und zweifelten nicht mehr daß es ihr Sohn wäre. Darauf erzählte er ihnen er wäre König vom goldenen Berge und eine Königstochter wäre seine Gemahlin, und sie hätten einen schönen Sohn von sieben Jahren. Da sprach der Vater „nun und nimmermehr [44] ist das wahr: das ist mir ein schöner König, der in einem zerlumpten Schäferrock hergeht.“ Da ward der Sohn zornig und drehte, ohne an sein Versprechen zu denken, den Ring herum und wünschte beide, seine Gemahlin und sein Kind, zu sich. In dem Augenblick waren sie auch da, aber die Königin, die klagte und weinte, und sagte er hätte sein Wort gebrochen und hätte sie unglücklich gemacht. Er sagte „ich habe es unachtsam gethan und nicht mit bösem Willen und redete ihr zu; sie stellte sich auch als gäbe sie nach, aber sie hatte Böses im Sinn.

Da führte er sie hinaus vor die Stadt auf den Acker und zeigte ihr das Wasser, wo das Schiffchen war abgestoßen worden, und sprach dann „ich bin müde, setze dich nieder, ich will ein wenig auf deinem Schooß schlafen.“ Da legte er seinen Kopf auf ihren Schooß und sie lauste ihn ein wenig, bis er einschlief. Als er eingeschlafen war, zog sie erst den Ring von seinem Finger, dann zog sie den Fuß unter ihm weg und ließ nur den Toffel zurück: hierauf nahm sie ihr Kind in den Arm und wünschte sich wieder in ihr Königreich. Als er aufwachte, lag er da ganz verlassen, und seine Gemahlin und das Kind waren fort und der Ring vom Finger auch, nur der Toffel stand noch da zum Wahrzeichen. „Nach Haus zu deinen Eltern kannst du nicht wieder gehen,“ dachte er, „die würden sagen, du wärst ein Hexenmeister, du willst aufpacken und gehen bis du in dein Königreich kommst.“ Also gieng er fort und kam endlich zu einem Berg, vor dem drei Riesen standen und mit einander stritten, weil sie nicht wußten wie sie ihres Vaters Erbe theilen sollten. Als sie ihn vorbei gehen sahen, riefen sie ihn an [45] und sagten kleine Menschen hätten klugen Sinn, er sollte ihnen die Erbschaft vertheilen. Die Erbschaft aber bestand aus einem Degen, wenn einer den in die Hand nahm und sprach „Köpf alle runter, nur meiner nicht,“ so lagen alle Köpfe auf der Erde: zweitens aus einem Mantel, wer den anzog, war unsichtbar; drittens aus ein paar Stiefeln, wenn man die angezogen hatte und sich wohin wünschte, so war man im Augenblick da. Er sagte „gebt mir die drei Stücke damit ich probieren könnte ob sie noch in gutem Stande sind.“ Da gaben sie ihm den Mantel, und als er ihn umgehängt hatte, war er unsichtbar und war in eine Fliege verwandelt. Dann nahm er wieder seine Gestalt an und sprach „der Mantel ist gut, „nun gebt mir das Schwert.“ Sie sagten „nein, das geben wir nicht! wenn du sprächst „Köpf alle runter, nur meiner nicht!“ so wären unsere Köpfe alle herab und du allein hättest den deinigen noch.“ Doch gaben sie es ihm unter der Bedingung daß ers an einem Baum probieren sollte. Das that er und das Schwert zerschnitt den Stamm eines Baums wie einen Strohhalm. Nun wollt er noch die Stiefeln haben, sie sprachen aber „nein, die geben wir nicht weg, wenn du sie angezogen hättest und wünschtest dich oben auf den Berg, so stünden wir da unten und hätten nichts.“ „Nein,“ sprach er, „das will ich nicht thun.“ Da gaben sie ihm auch die Stiefeln. Wie er nun alle drei Stücke hatte, so dachte er an nichts als an seine Frau und sein Kind und sprach so vor sich hin „ach wäre ich auf dem goldenen Berg,“ und alsbald verschwand er vor den Augen der Riesen, und war also ihr Erbe getheilt. Als er nah beim Schloß war, hörte er Freudengeschrei, Geigen und Flöten, [46] und die Leute sagten ihm seine Gemahlin feierte ihre Hochzeit mit einem andern. Da ward er zornig und sprach „die Falsche, sie hat mich betrogen und mich verlassen, als ich eingeschlafen war.“ Da hieng er seinen Mantel um und gieng unsichtbar ins Schloß hinein. Als er in den Saal eintrat, war da eine große Tafel mit köstlichen Speisen besetzt, und die Gäste aßen und tranken, lachten und scherzten. Sie aber saß in der Mitte in prächtigen Kleidern auf einem königlichen Sessel und hatte die Krone auf dem Haupt. Er stellte sich hinter sie und niemand sah ihn. Wenn sie ihr ein Stück Fleisch auf den Teller legten, nahm er ihn weg und aß es: und wenn sie ihr ein Glas Wein einschenkten, nahm ers weg und tranks aus; sie gaben ihr immer, und sie hatte doch immer nichts, denn Teller und Glas verschwanden augenblicklich. Da ward sie bestürzt und schämte sie sich, stand auf und gieng in ihre Kammer und weinte, er aber gieng hinter ihr her. Da sprach sie „ist denn der Teufel über mir, oder kam mein Erlöser nie?“ Da schlug er ihr ins Angesicht und sagte „kam dein Erlöser nie? er ist über dir, du Betrügerin. Habe ich das an dir verdient?“ Da machte er sich sichtbar, gieng in den Saal und rief „die Hochzeit ist aus, der wahre König ist gekommen!“ Die Könige, Fürsten und Räthe, die da versammelt waren, höhnten und verlachten ihn: er aber gab kurze Worte und sprach „wollt ihr hinaus oder nicht?“ Da wollten sie ihn fangen und drangen auf ihn ein, aber er zog sein Schwert und sprach „Köpf alle runter, nur meiner nicht.“ Da rollten alle Köpfe zur Erde, und er war allein der Herr und war wieder König vom goldenen Berge.