Textdaten
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Autor: Adolf Müller und Karl Müller
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Titel: Der Edelmarder
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 117–119
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Edelmarder auf der Jagd.
Originalzeichnung von C. Deiker.

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Charaktere aus der Thierwelt.

Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
2. Der Edelmarder.

Der erste Schnee („eine Neue“), ist während einer Novembernacht gefallen und deckt durchschnittlich einen viertel Fuß das Feld. Rasch, ehe die Sonne auf den Lichtungen des Waldes und auf Aesten und Zweigen der Bäume ihn bei dieser geringen Kälte schmilzt, hinaus und hinauf in die stillen Waldberge, an die steilen, felsigen Abhänge, in die Schluchten, den Ufern der Forellenbäche entlang, um die jungen Fichten- und Kiefernhegen herum, kreuz und quer durch den Hochwald und über Haidestriche oder über Waldwiesen drunten im Thal; ja, hinaus in den Wald, um dem schlauesten, gewandtesten und mörderischsten, aber auch zugleich schönsten Mitgliede der Marderarten, dem werthvollen Edelmarder, nachzuspüren. Wir kennen seine Künste, die ihn Mißtrauen und Vorsicht auf seinem Heimgang vor Tagesanbruch gelehrt haben, und rüsten uns darum zur ausdauernden und mühsamen Verfolgung. Ein guter Steiger, mit Handbeil und Baumsäge versehen, an der Leine den scharfen „Caro“ führend, begleitet uns. Bald nimmt uns der Wald in seinen stillen Dämmerkreis auf, und wir entwerfen den Plan für die beginnende Suche. Wir umkreisen Hügelgruppen und Dichtungen, spüren Waldwege und Wiesengründe ab.

In einer tiefen Schlucht, hart am Rande des unter Wurzeln und Gestein rieselnden Bächleins, entdeckte der sichere Blick des Steigers die Spur des Edelmarders. Leuchtenden Blickes deutete er auf die deutlichen Abdrücke der leicht behaarten Sohlen. Wir folgten rasch, denn so lange keine Dickung berührt wird oder der Marder nicht „gebaumt“ ist, haben wir keine Schwierigkeiten vor uns; sorgfältig traten wir jedoch die Spuren zur Controle aus oder, um mit dem Jäger zu reden, wir „gingen sie aus“. Bald verlor sich die Spur in einer Fichtendickung. Anstatt in diese einzudringen, umkreisten wir sie und nahmen die Spur jenseits oder abseits, wo sie wieder zu Tag trat, von Neuem auf. In das Stangenholz führend, verschwand sie uns mit einemmal. Jetzt hieß es: aufgepaßt! Die Stauden wurden genau untersucht und weiterhin ward der Schnee am Boden geprüft, bis wir den durch die Sprünge des Marders in kleinen Bällchen abgefallenen Schnee wahrgenommen hatten und von diesem Merkzeichen uns leiten ließen. Wir legten so eine Strecke von nahezu dreihundert Schritten zurück. Plötzlich sahen wir uns außer Stand gesetzt, das untrügliche Zeichen der von dem Marder eingehaltenen Richtung wahrzunehmen. Wir hielten schärfere Umschau und siehe da, es fielen uns einige Bröckchen Erde und Reisig auf der blendenden Schneedecke in die Augen. In ahnungsvoller Hoffnung blickten wir empor, und richtig! droben in einer Höhe von dreißig Fuß stand gerade über dem verrätherischen Merkmal ein Eichhornnest, in welchem unfehlbar der überlistete Schlaukopf sein Tagesschläfchen hielt. Einige Schläge wider den Stamm der jungen Buche weckten und trieben den Schläfer aus. Mit geschwungenem Schwanz sprang er in eiligen Sätzen von Ast zu Ast empor. Wahrlich, ein schöner Anblick! Ganz anders nehmen sich hier im Freien die schlangenartigen Windungen des wieselartigen, beinahe zwei Fuß langen Körpers und die gewaltigen, energischen, mit Sicherheit auch auf die kleineren Aeste ausgeführten Bogensätze aus, als in den engen Behältern der zoologischen Gärten die beschränkten Bewegungen nach rechts und links.

Man sieht es dem Flüchtling an, wie sehr ihm im luftigen Bereich des Gezweiges nicht blos seine Kletterfähigkeit, sondern auch der rasche Ueberblick zu Statten kommt. Wo ein Büschel dürren Laubes hängt, sucht er sich vor dem feindlichen Auge zu verbergen; wo der Ast einen Knorren hat, drückt und kauert er sich nieder. Und wenn er gar, einmal aufgescheucht, ein Astloch erreicht, in das er sich einzwängen kann, so bleibt er darin hocken, bis das Beil oder die Säge ihn an das Tageslicht fördert. Ein muthiger Steiger mußte einst zwei in einem und demselben Astloch steckende Edelmarder an den Schwänzen fassen und herausziehen. Den ersten warf er zu Boden, damit die drei unter dem Baum anstehenden Schützen Gelegenheit fänden, ihre Kunst zu erproben, und als diese sämmtlich ihn gefehlt hatten, zog er den zweiten hervor, schwang ihn, um seinen Kopf und schlug ihn gegen den Stamm, daß ihm Hören und Sehen verging.

In unserem Falle nun bedürfen wir keiner weiteren künstlichen Mittel, sondern schießen den Flüchtling entweder im Klettern oder den sich nach Rettungswegen umsehenden Stillsitzenden vom Baum herunter. Springt er nach dem Sturz als Angeschossener noch fort, so fängt und würgt ihn der Hund.

So leichtes Spiel, wie diesmal, haben wir aber nicht immer. Oft reicht aller Jägerscharfsinn nicht aus, um den sogenannte „Widergänge“ machenden und sehr weite Strecken fortbaumenden Edelmarder zu entdecken. Einst standen wir unter einer alten Eiche, nachdem der Marder ausgehauen und erlegt war, und konnten uns nicht erklären, wie er auf den Baum gekommen sein mochte, da die Spur acht Schritte vom Stamm entfernt endigte und die Eiche auf einer großen Blöße stand. Endlich lösten wir das Räthsel. Der Schlaue hatte, um Aufsehen zu vermeiden, den schwierigeren, aber ungewöhnlichen Weg eingeschlagen, indem er vom Boden auf einen herabhängenden Zweig gesprungen und dann dem hohlen Aste zu geklettert war. Auf der höchsten Stufe der Gewandtheit, Kraft und Ausdauer zeigt sich der Edelmarder bei der Verfolgung des Eichhörnchens.

Wir stiegen abermals in das Gebirg, in die schweigsame Nacht einer Nadelwaldung. Aber jetzt lag kein Schnee, sondern der Mai hatte bereits alle seine Pracht entfaltet. Auch die den Schwarzwald gleichsam wie helle Luftgeister begleitenden Lärchenbäume zierte die ganze Entfaltung ihres jungen lachenden Grüns. Ihre dunklen Schwestern, die Edeltannen und Fichten, waren eben erst im Ausbruch ihrer neuen Kreuztriebe begriffen. Doch, was fiel hier von dem Lärchenbaume herab? Es ist ein junger Blüthentrieb, der zu andern auf dem Boden zerstreuten Lärchen- und Fichtenzweigen herabgefallen ist. Was bedeutet das? Da fiel wieder einer zu unseren Füßen – und sieh! nun traf’s uns von oben auf Kopf und Rücken, als würfen Elfen uns um und um, wie einst das Gefolge des Ritters „Harald“, wie es unser großer Dichter Uhland so schön besingt. Aber wir, im Panzer der Nüchternheit des neunzehnten Jahrhunderts, sind gegen allen Elfen- und Nixenzauber gefeit und entdeckten die Geister alsbald über uns in Form unserer ebenso niedlichen wie schädlichen Waldteufelchen Eichhörnchen. Ein Pärchen war da droben emsig beschäftigt, junge Blüthen und Nadeltriebe der äußeren Zweige zeitweilig mit ihren händeartigen Vorderfüßen auf ihren Ast zu holen, Affen gleich in sitzender Stellung das Zarteste zu fressen und das Andere in kindischer Sorglosigkeit herabzuwerfen.

Im Verborgenen aber hatte ein Edelmarder das Eichhornpaar von einer benachbarten Fichte aus beschlichen und fuhr eben mit einem Satze zwischen die begierig Tafelnden. Welch’ ein Schreck ergriff diese! Sie warfen sich grunzend und pfeifend vor unseren erstaunten Augen die bedeutende Höhe von siebenzig und mehr Fuß kopfüber von Ast zu Ast herab bis zur Erde; der Marder ihnen nach. Die Verfolgten theilten sich, das eine diesen, das andere jenen Stamm hinauf. Eines ersah sich der Verfolger zum Opfer aus, denn ein Eichhörnchen ist dem Edelmarder ein Leckerbissen. Auf Tod und Leben ging nun die Hatze Baum auf Baum ab; hier über uns hinweg über eine Reihe Wipfel, dort ringelförmig um die Stämme herum. Alles versuchte das geängstigte Thierchen: es entwickelte seine ganze Behendigkeit, die ihm der außerordentliche Bau seiner Schlüsselbeine und Kletterfüße mit den stets feuchten Sohlen giebt; es gebrauchte den Fächerschwanz wie ein Segel und Ruder der Luft, sich von den höchsten Aesten herab zur Erde stürzend – Alles vergebens.

Der Marder, wenn auch nicht so behende, doch durch überwiegende Kraft und Ausdauer des ausnehmend starten Muskelbaues seiner Läufe unterstützt, folgte unermüdet, ja mit immer teuflisch zunehmender Gewalt dem gejagten Opfer. Schon schien dessen Schnellkraft abzunehmen – die Sprünge wurden seltener, das Aufraffen nach einem niedergehenden Satze war nicht so plötzlich mehr, der Abstand bei einem aufwärtsgehenden wurde kürzer, schwerfälliger – immer kleiner ward der Raum zwischen Marder und Eichhörnchen, dessen Herzschlag der unsere gleichsam begleitete. Meistere deine Angst menschlicher Leser! Auch wir fühlten, was du fühlst; längst schon [119] nahmen wir Partei für das verfolgte Thierchen. Noch einen Augenblick Stille! – Sieh’, nun erreichte das Eichhorn den ausgelichteten Theil eines Tannenschlags. Dort standen die Bäume in weiten Abständen von einander. Jetzt erfolgte von einer Randtanne ein Sprung wahrer Todesangst. Bravo, er ist ihm glücklich auf die Zweigspitze der nächsten Tanne im Lichten gelungen – der nacheilende Marder springt zu kurz und muß nun, zur Erde gefallen, von unten den Baum hinauf. Das Eichhorn aber war bereits auf dem Wipfel der Tanne angelangt und warf sich mit einem zweiten, ihm von oben leichter fallenden Sprunge auf den zweiten Baum. Aber nun schnitt unser lautes „Hallo!“ den Räuber plötzlich von seiner Verfolgung ab; überrascht drückte er sich auf einen Tannenast regungslos hin, uns mit seinen Spitzbubenaugen anblinzend. –

Nun könnten wir durch ein „Gespenst“, das heißt durch ein Kleidungsstück über einem unweit des Baumes aufgepflanzten Stocke, den Marder auf seinen Baum bannen, um ein Jagdgewehr zu holen und ihn herunter zu schießen, wenn wir den in gar manchen Naturgeschichten eingeschlichenen Fabeln abergläubisch Gehör geben wollten. Allein ganz abgesehen von unserer Erfahrung, welche dies Mittel als erfolglos erkannt, schonten wir den Marder, weil wir wußten, daß er in irgend einer hohlen Eiche oder in einem alten Neste eines Eichhorns, einer Elster oder eines Raubvogels seine Jungen zu versorgen hat. Freilich ist’s wahr, daß er keine Gnade verdient, denn er ist ein durchaus schädlicher Lauerer, Schleicher und Mörder.

In der Abenddämmerung und im Dunkel der Nacht verfolgt er hauptsächlich die Schleichwege mit der seiner Art eigenen List. Sobald das wache Auge und die sichernde Nase am Rande des Astlochs oder des Nestes die Gegend sicher befunden, beginnt das Spähen, Lauschen und „Winden“ nach schlummernden Vögeln und deren Nestern. Leise und vorsichtig bewegt er sich auf den Aesten hin und naht sich der schlummernden Taube auf Sprungweite, dann fährt er mit wohlgezieltem Satz zu, packt den Vogel und hält sich oft nur mit einer Pfote noch am Gezweig, um den Sturz in die Tiefe zu vermeiden, der ihm übrigens nicht schadet, weil er entweder unterwegs ein Aestchen fängt oder unten mit den Füßen aufspringt.

Ein andermal hat er den Wechsel der alten „Geis“ mit dem „Kitzchen“ ausgespürt, oder er sieht sie unter sich vertraut sich „äßen“. Unbemerkt schleicht er von Ast zu Ast und fährt wie ein Blitz aus heiterer Höhe dem ahnungslosen Kitzchen in den Nacken, um es zu würgen. Ein Schrei, ein plötzliches Zusammenbrechen des erschreckten Thierchens, das Herbeieilen der Mutter, die vergebens ihre Vorderläufe zum Prügeln und zur Abwehr des Mörders gebrauchen würde, weil ihr Junges sie hindert, das Davonrennen des sich aufraffenden Kitzchens, wenn es stark genug dazu ist, sein Hinstürzen und Verenden – alles Dies geschieht in unablässiger Folge. Aeltere Rehe dagegen, die im Winter zuweilen von dem hungrigen Edelmarder überlistet werden, tragen den Festgebissenen weite Strecken mit sich fort, schütteln ihn ab, indem sie ihm ein Stück Haut ihres Nackens oder Halses lassen, oder der Reiter springt aus erregter Furcht bei längerer Dauer des Rittes von selbst ab und verzichtet auf die Beute.

Neben dem Blutdurst spielen Jähzorn und Eifersucht im Leben des Edelmarders eine bedeutende Rolle. Ende Januars und im Februar, wo gewöhnlich mehrere Männchen um die Gunst des Weibchens werben und seiner Spur nachschnüffeln, finden heiße Kämpfe statt. Die Männchen stürmen wüthend auf einander ein, schlagen mit den Vordertatzen, beißen schreiend gleich den Steinmardern um die Wette, daß die Wollfetzen und Haare davonfliegen. Der Besiegte eilt plötzlich in hastiger Flucht davon, noch eine Strecke von dem Sieger verfolgt; hierauf kehrt dieser zu dem Weibchen zurück und wird huldvoll empfangen, während jener sich begnügen muß, in respectvoller Entfernung den Schmerz seiner Niederlage und den noch größeren der Entsagung zu verwinden, und endlich sich entschließt, anderwärts als ritterlicher Freier und Kämpe aufzutreten. Bei gleicher Stärke der Männchen dauern indeß die Kämpfe lange und wiederholen sich allnächtlich. Das Weibchen sitzt oft lange zwischen den sich gegenseitig fürchtenden und den ernstlichen Zusammenstoß meidenden Männchen. Nähert sich der eine Bewerber, so hält ihn der andere durch eine Drohung oder einen herausfordernden Sprung im Schach, bis die Eifersucht sie zu entscheidendem Kampfe zwingt. Es ist Thatsache, daß die Eifersucht sie Hunger leiden und die Raubgier beherrschen lehrt. In mondhellen Nächten überzeugt man sich von ihrer Ausdauer in Liebeshändeln.

Freilich angenehmer ist der Beobachtungsstand bei stillem Sommerwetter in der Nähe des Edelmardernestes, wenn man das anmuthige Familienleben beschauen will, das sich vor unseren Blicken entfaltet und ein Gegenstück zu dem Familienleben der weißkehligen Vettern und Basen der Edelmarder, nämlich der Steinmarder, bildet, welches letztere die Gartenlaube vielleicht in einem spätern Artikel zu schildern gedenkt.

Adolf Müller.