Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland/Achtzehntes Kapitel

Siebenzehntes Kapitel Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland
von Heinrich Ferdinand Steinmann
Neunzehntes Kapitel
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Achtzehntes Kapitel.




Seit ich wieder in London war, verging kein Tag, wo ich nicht meinen Freund sah, wenn ich ihn auch nur selten sprechen konnte, denn er machte es immer möglich, mir entweder auf dem Spaziergange zu begegnen oder mich am Fenster zu sehen. Selten verging auch ein Tag, an dem er mir nicht eine Ueberraschung bereitete, die nicht selten in sehr kostbaren, immer in den gewähltesten Geschenken bestand, obgleich ich ihn wiederholt gebeten hatte, es zu unterlassen, weil diese Aufmerksamkeiten die Neugierde und Mißgunst meiner Umgebungen erregten. Allein v. T. pflegte zu sagen: „Glaube mir, es ist besser, wenn Dich Deine Vorgesetzten beneiden, als wenn sie Dich für isolirt und verlassen halten, denn der Alltagsmensch verachtet den Unglücklichen, nur der Glückliche imponirt ihm, und nur edle Seelen achten den Menschen nach seinem inneren Werthe. Und dann macht es mich unendlich glücklich, für Dich zu sorgen und Deinen Wünschen zuvor zu kommen, ich finde darin Kraft, die Schmerzen der Sehnsucht während Deiner Abwesenheit zu ertragen, und eine Ahnung des Glückes, wenn ich Dir jeden Augenblick meines noch übrigen Lebens werde widmen können.“

Eines Tages erhielt ich einen Brief von Frau E., sie war in London und bat mich, sie zu besuchen. Ich fand sie in einer Stimmung zwischen Kälte und Verdrießlichkeit; es schmerzte mich, den gewohnten herzlichen Empfang zu vermissen, Kälte statt Wärme zu finden, und gedachte der Drohungen der Miß Ch. Ihr gutes Herz gewann indessen bald die Oberhand, und nachdem sie sich sehr genau nach meinen gegenwärtigen Verhältnissen erkundigt hatte, begann sie folgendermaßen: „Ich bedauere, Ihnen eine unangenehme Mittheilung machen zu müssen, aber ich halte es für meine Pflicht, Sie aus einer Täuschung zu befreien, welche, wenn Sie darin beharren, Ihr Unglück werden müßte.“

[141] Ich wagte kaum zu athmen und blickte sie mit dem Ausdrucke der schmerzlichsten Spannung an.

„Ich habe mich, fuhr sie fort, nach Herrn v. T. erkundigt und aus zuverlässiger Quelle erfahren, daß er verheirathet ist!“

Mir vergingen einen Augenblick die Sinne und der Gedanke völliger Vernichtung zuckte schneidend durch mein Nervensystem. – Meine Erschütterung hinter erkünstelter Fassung bergend, sagte ich: „Es ist ein Irrthum, Herr v. T. war zweimal verheirathet, jetzt aber ist er Wittwer!“ – Mistreß E. blieb nichtsdestoweniger bei der Richtigkeit ihrer Nachricht stehen und forderte von mir bei Verlust ihrer Achtung und Protection, sofort mit Herrn v. T. zu brechen. Die Ankunft mehrerer Besucher unterbrach unser Gespräch, und ich benutzte die Gelegenheit, mich zu empfehlen. Sobald ich allein war, ging ich mit mir selbst zu Rathe, was ich thun sollte, war aber trotz meines Vertrauens zu T. so agitirt, daß ich kaum einen Entschluß gefaßt hatte, als ich ihn auch schon wieder verwarf. Ich prüfte T.’s Betragen und Handlungsweise gegen mich von Anfang unserer Bekanntschaft an genau, und fand sie so rein, so uneigennützig und edel, daß der bloße Gedanke an Täuschung oder Betrug von seiner Seite mir ein Verbrechen schien, dessen ich mich unmöglich schuldig machen mochte. Zuletzt dünkte es mich das Beste, ihm die Anklage offen vorzulegen, darauf schien er nach meinem Gefühle Anspruch zu haben; sollte er sich dann schuldig erweisen, so kümmerte mich die Lösung dieses psychologischen Räthsels nicht, hielt er diese erste Probe aus, so blieb mir eine weitere Untersuchung ja immer noch unbenommen. So ungefähr war der Gedankenzug in meinem erschütterten Innern. Da es eben die Zeit war, wo T. zu Hause zu sein pflegte, so nahm ich einen Wagen und fuhr bei ihm vor. Die Ueberraschung gelang vollkommen, man ließ mich unangemeldet bei ihm eintreten: er saß am Schreibtische, mit dem Rücken nach der Thüre gewandt, er mußte sich also nach mir umsehen und hatte nicht einen Augenlick Zeit, um sich zu fassen oder vorzubereiten. Mein Aussehen ist erschreckend gewesen, wie er mir später sagte, er sprang blitzschnell vom Stuhle auf und eilte mit den Worten auf mich zu: „Mein Gott, was ist Dir, Du bist bleich wie der Tod und zitterst wie Espenlaub!“

Obwohl ich mir unerschütterliche Ruhe zum Gesetze gemacht hatte, so war ich doch zu sehr Weib, um es halten zu können; ich brach in einen Strom von Thränen aus, indem ich rief: „Wollte Gott, ich hätte [142] diesen Tag nicht erlebt! Ich beschwöre Dich bei allem, was Dir heilig ist, sage mir die Wahrheit, lebt Deine Frau noch? Sei gewiß, daß ich die Wahrheit entdecken werde, daß also Lüge Dich nur völlig entwürdigen kann, und ich lege einen feierlichen Eid ab, daß ich dann nie Dein Weib werden will.“

v. T. blickte mit einer Art stummer Verzweiflung auf mich, seine Züge drückten einen bitteren Vorwurf aus und nahmen nur allmählig den Ausdruck des Schmerzes an, der durch alle Gradationen des Gefühls zum heftigsten Weinen überging. Der größte Schauspieler hätte in voller Ruhe kein größeres Meisterstück der Mimik liefern können. Dann stürzte er zu meinen Füßen und rief mit dem Tone emphatischer Freude: „Nein, schwaches Mädchen, ich bin frei, und keine Macht der Welt soll Dich mir entreißen!“

„Schwöre, daß Du frei bist!“ rief ich ekstatisch.

T. sprach einen feierlichen Eid aus; wir hatten eine großartige Scene aufgeführt, der Maler des Schwures der Horatier hätte uns zugejauchzt. Meine Ruhe konnte aber auch nur durch einen außerordentlichen Act wieder hergestellt werden.

Gegen Ende der Season traf die Familie des Marquis v. S. ein herber Verlust; der Tod raffte Lady Katharine, die dritte Tochter, plötzlich in der Fülle der Jugend und Schönheit hinweg. Nie ist mir der Tod mörderischer erschienen, als am Sarge dieses holden Mädchens von zweiundzwanzig Jahren, ich rief entsetzt aus: „Was ist unser Leben anders als eine Satyre auf die Zeit? Unsere Bestimmung ist nichts als ein Spott auf das Höchste und Letzte im Genie, wenn wir uns nicht an das ewige Gotteswort mit allen Seelenbanden klammern! Wehe denen, die da sagen, daß auch dieses nichts wisse von Unsterblichkeit und ewigem Leben! – War der Dichter nicht wahnsinnig, als er schrieb: diejenigen seien Thoren, nüchterne Philister, welche meinen, Jugend und Schönheit sei nur ein Traum? Und derselbe Poet schrieb auch: das Antlitz des Todes sei nicht furchtbar! – Ich konnte mich nicht fassen, ich eilte von diesem schönen Opfer des grimmen Vertilgers alles Lebendigen hinweg und fand nach langem Schluchzen und Weinen meine Haltung erst wieder, indem ich ein Gedicht niederschrieb.

Kurz nach diesem traurigen Ereigniß begab sich die Familie nach T… W…, einem reizenden Badeorte in Kent, wohin ich sie begleitete. Ich hatte indessen die Befriedigung, meine Zöglinge nicht nur [143] bedeutende Fortschritte machen, sondern dieselben auch von Lady S. anerkannt und gerühmt zu sehen. Ich verlebte Tage unsaglichen Glückes, T. schrieb mir einen Tag um den andern, überhäufte mich mit Beweisen seiner Zärtlichkeit und sprach immer bestimmter die Hoffnung auf die baldige Erreichung seiner Wünsche aus. Einen grellen Mißton in der Harmonie bildete ein Brief von Mistreß E., woraus ich ersah, daß es Miß Ch. doch gelungen war, mich der unschätzbaren Freundschaft dieser seltenen Frau zu berauben.

Eines Tages besuchte mich v. T. ganz unerwartet, um mir mitzutheilen, daß sein Schwager gestorben und seine älteste Schwester in einem sehr bedenklichen Zustande sei. Mit jenem Todesfalle war schon eines der Hindernisse unserer Verbindung beseitigt, auch hatte T. von seinen mächtigen Freunden die Versicherung erhalten, daß die Königin endlich sich geneigt erklärt habe, ihn zu begnadigen. Die strengste Prüfungszeit schien vorüber, und wir unterhielten uns schon mit tausend Planen für die Zukunft.

Zu Anfang des Winters traf die Familie ein neuer und noch härterer Schlag – der Marquis von S. starb, und Graf Altamont trat nun in die Rechte seines Vaters. Die Marquise, welche einen großen Wittwentheil und ihren Sitz auf den irländischen Familiengütern erhielt, eröffnete mir, daß sie sich mit den Kindern dorthin begeben wolle, um die Trauerzeit allda zu verleben, und daß sie voraussetze, ich werde sie begleiten. Diese Nachricht verursachte mir viel Kummer, denn ich wußte, daß jene Gegend, die Grafschaft Mayo, wegen ihrer tiefen und sumpfigen Lage wechselweise von der Cholera, dem Typhus und anderen Fiebern heimgesucht wird; ich war zu lange eine Märtyrerin körperlicher Leiden gewesen, um geneigt zu sein, meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Das Leben ist so unendlich süß, wenn das Herz sich geliebt weiß. Ich schrieb sogleich an meinen Freund, und war im Begriff, den Brief auf die Post zu tragen, als ich ihm begegnete. Er strahlte von Glück und Freude, denn er hatte soeben einen Brief erhalten, direct aus dem Kabinet der Königin, mit ihrer eigenhändigen Unterschrift, der seine Begnadigung aussprach. Ich war entzückt und konnte kein Ende der Exclamationen finden, v. T. war der erste, der an unsere bevorstehende Trennung dachte.

„Freuest Du Dich so, daß ich fort muß?“ fragte er mich plötzlich, indem finstere Wolken seine Stirn umzogen. Statt einer Antwort blickte [144] ich ihn schmerzlich an, und dies wirkte stärker als Worte auf ihn, denn er sagte, meine Hand an sein Herz pressend: „Verzeihe mir, Marie! ich will Dir vertrauen, und wenn mich die ganze Welt betröge.“

Er rieth mir, meine Stelle sogleich zu kündigen und wollte von einem Aufenthalt in Irland durchaus nichts hören; vielmehr war er der Meinung, wenn sich nicht gleich eine passende Unterkunft finde, so solle ich mit Anfertigung meiner Ausstattung und Ertheilung von Privatunterricht mich beschäftigen. Und allerdings giebt es sehr viele junge Personen, welche auf diesem Wege sich eine sehr angenehme Existenz verschaffen.

Die Marquise empfing meine Kündigung mit unverhohlener Bestürzung, und auch mir war es unendlich schmerzlich, mich von dieser liebenswürdigen Familie trennen zu müssen, nachdem ich gerade ein Jahr in ihrem Schooße verlebt hatte, das immer zu meinen schönsten Erinnerungen gehören wird. Ich begab mich zu derselben Dame in Pension, von der aus ich in das markgräfliche Haus S. getreten war, und es gelang mir auch bald, eine hinreichende Anzahl Lehrstunden zu finden, um meinen Lebensunterhalt zu decken. – So hatte v. T. vor seiner Abreise noch die Befriedigung, mich glücklich eingerichtet und vor Mangel geschützt zu sehen. Je näher die Zeit seiner Abreise rückte, um so schwermüthiger wurde v. T., sein Gesicht trug die Spuren des tiefsten Kummers, seine Augen waren oft von Thränen feucht, und nur die Versicherung meiner unwandelbaren Liebe und Treue vermochte ihn einigermaßen aufzurichten, und auch er gab mir alle erdenklichen Garantieen der seinigen. Am Tage unserer Trennung war er so sehr von Schmerz überwältigt, daß es meiner ganzen Standhaftigkeit bedurfte, um ihn aufrecht zu erhalten und ihn zu vermögen, seinen Vorsatz auszuführen. Ich beherrschte meine Betrübniß, so gut ich konnte, und bemühete mich, ihm Muth einzusprechen und Hoffnung einzuflößen; er aber nahm meine erkünstelte Ruhe für Gleichgiltigkeit und machte mir herzzerreißende Verwürfe. Es war ein schmerzlicher Abschied, wie es je einen gab, und schrecklich die Leere und Oede, welche darauf folgte. Ich ging zwar durch den Cyclus meiner Pflichten mit Gewissenhaftigkeit, auch gewährte mir diese Beschäftigung einige Erleichterung, aber ich war lange nicht im Stande, mich mit Ausdauer zu beschäftigen, so groß war meine Unruhe und Beklommenheit. Der jugendlichste Liebhaber hätte auf die Leidenschaft stolz sein können, die neben ihrem Feuer so [145] lauter und edel war. Seine Briefe, welche ich alle nummerirt hatte, waren meine einzige Lectüre, und meine Thränen flossen bei den zahllosen Beweisen von Anbetung, welche hieraus, wie aus den Gegenständen hervorgingen, womit er mich umgeben hatte. Schon vierzehn Tage nach seiner Abreise erhielt ich Nachrichten von ihm. Sein Schwager hatte zwar seine Frau zur Universalerbin eingesetzt, aber nichtsdestoweniger einen großen Theil seines Vermögens entfernten Verwandten in Legaten vermacht, mit gänzlicher Umgehung v. T.’s, weshalb dieser den Erben den Prozeß angekündigt hatte. Wir wechselten Briefe mit jeder Post, und seine Handlungsweise blieb unverändert dieselbe.

Ich hatte das Glück, bald bedeutende Verbindungen unter den höheren Klassen der Gesellschaft und somit viele Schülerinnen zu finden. Da diese alle in der Umgebung von Hyde-Park wohnten, meine Wohnung aber am entgegengesetzten Ende von London lag, so sah ich mich genöthigt, ein benachbartes Quartier zu suchen und miethete ein paar nette Zimmer in einem hübschen Hause am Stutfierd-Platz, wogegen meine Wirthin, Frau W., und ihre Tochter, anscheinend die anständigsten Personen von der Welt, meine Bedienung übernahmen. In diesem Hause begegnete ich oft einer jungen Dame, welche mich stets verbindlich grüßte und endlich Mistreß W. zu mir schickte, um mich zu bitten, ihr französischen Unterricht zu ertheilen. Auf meine Erkundigung nach der Dame sagte sie, es sei eine Kaufmannsfrau mit Namen Mistreß F., und empfahl sie mir zugleich sehr angelegentlich. Meine Zeit war jedoch schon hinlänglich besetzt, weshalb ich mich zu entschuldigen suchte; allein die Dame kam selbst und drang so lange mit Bitten in mich, bis ich endlich einwilligte. Ich fand in Frau F. eine höchst einnehmende und unterhaltende Gesellschafterin, die vermöge ihres unerschöpflichen Humors und einer eigenen Gabe, die englischen Dichter auswendig zu wissen, mich aufheiterte und anzog. Da ich mich während meines Aufenthaltes zu Hause mit Zuschneiden und Fertigung meiner Wäsche beschäftigte, so errieth sie, daß ich Braut war, und da ich noch eine gute Meinung von den Menschen hatte, so vertraute ich ihr meine Verhältnisse an.

Eines Tages sandte mir v. T. durch einen seiner Freunde, den Viscount de B., ein bedeutendes Kapital, angeblich, um bei mir eine Schuld abzutragen, im Grunde aber, um mich gegen Verlegenheiten zu schützen. Ich war entschlossen, dieses Geld nicht anzugreifen, und schloß [146] es einstweilen in einen meiner Koffer ein, um es später in die Bank zu hinterlegen.

Leider nöthigte mich mein Beruf, unaufhörlich auf den Straßen mich zu befinden, und bei meiner auffallenden Persönlichkeit konnte es kaum fehlen, daß viele Männer, die ich theils auf meinen unvermeidlichen Gängen, theils in den Familien antraf, mir Nachstellungen bereiteten; denn der Engländer glaubt nicht an eine Tugend ohne Zwang, und durch sein Gold glaubt er alle Hindernisse beseitigen zu können. – Ich sah mich also von einer Menge Wüstlinge umgeben, die mich mit Liebesanträgen schriftlich und mündlich auf’s äußerste verfolgten, und die mein Abscheu, den ich auf alle Weise zu erkennen gab, nicht nur nicht zurückstieß, sondern noch anzog.

Meine Stimmung wurde dadurch nach und nach in völlige Unzufriedenheit mit meiner gegenwärtigen Lage verwandelt, aber hätte ich in die Zukunft blicken und alle auf mich lauernden Larven und Ungeheuer erschauen können, so würde ich mein Loos von meinem Eintritt in Mistreß E.’s liebes Haus bis zu meinem Austritt aus dem des Marquis von S. für ein überwiegend glückliches erkannt haben.

Ungeachtet ich wöchentlich Briefe von meinem Bräutigam empfing, nebst zahllosen Beweisen seiner Liebe, so blieben doch seine Berichte über Familien-Angelegenheiten höchst unbefriedigend, und ich las zwischen den Zeilen, daß seine Gemüthsstimmung eine sehr kummervolle war. Dieser Umstand, so wie ahnungsvolle Briefe meines Vaters und einiger Freunde steigerten meine Schwermuth über die sich immer mehr ausdehnende Trennung bis zum Unerträglichen.

Lord P., in dessen Hause ich unterrichtete, gehörte unter meine lüsternen Verfolger, lauerte mir oft auf und drang einstmals heftiger als je in mich, ihm die Erlaubniß eines Besuches zu ertheilen.

„Mylord, erwiederte ich ernst, ich bin in meiner ärmlichen Häuslichkeit nicht auf so vornehme Besuche eingerichtet, empfange überhaupt grundsätzlich niemals Herren.“

„Sind Sie gegen alle Männer so unverbindlich wie gegen mich?“ fragte Lord P. mit satyrischem Lächeln.

„Mylord, entgegnete ich stolz, ich kann mit Recht sagen, daß ich das rechtlichste Mädchen in London bin, denn ich verschmachte des Tages in der Sonnengluth, während ich zu anderen Zeiten im Unwetter oft fast umkomme, einzig um den Grundsätzen der Tugend gerecht zu werden.“

[147] „Horchen Sie einmal, fuhr er liebreich fort, Sie sind ein schönes Mädchen und können glücklicher sein, wenn Sie mich zu Ihrem Schüler annehmen wollen; ich miethe Ihnen ein ganzes schönes Haus, halte Ihnen prächtige Equipage, und alle übrigen Bedingungen mögen Sie selbst stellen.“

„Entschuldigen Sie, Mylord, und wenn Sie sich selbst mir anböten, könnte ich Sie nicht annehmen, denn ich bin verlobt und fest entschlossen, meinem Versprechen treu zu bleiben.“

Als Lord P. dies hörte, versicherte er mich seines vollkommenen Beifalls wie seiner Hochachtung, und bat mich, von seinem Antrage nicht gegen Andere zu sprechen. Ich verschweige daher seinen Namen, da er niemals wegen meiner Weigerung Rache an mir geübt hat.