Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha

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Titel: Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 275–276
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[275] Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha. Von diesem hervorragenden Werke, über dessen ersten Band wir in Nr. 17 des Jahrgangs 1888 unseres Blattes ausführlich berichtet haben, ist jetzt der zweite Band erschienen. Kein anderes ähnliches Werk kann sich mit diesem messen, was seine Bedeutung für die Zeitgeschichte betrifft; man wird die Akten derselben nach dem Erscheinen dieser Denkwürdigkeiten unzweifelhaft einer Durchsicht unterziehen müssen. Der Herzog von Gotha, der Schwager der Königin von England, der Neffe des Königs Leopold I. von Belgien, eng befreundet mit dem preußischen Hofe, namentlich dem Prinzen von Preußen, gern gesehen in Wien und auch in Paris, wo er oft mit dem Kaiser Napoleon vertrauliche Unterredungen hatte, stand wie kein anderer im Mittelpunkte der sich vorbereitenden und vollziehenden Zeitereignisse und sah sie unter einem ganz anderen Gesichtswinkel als die Publizisten und Geschichtschreiber, selbst solche, welche den Kabinetten nahe standen. Aus dem Gewirre der sich kreuzenden Interessen der Diplomatie, der herüber und hinüber gesponnenen Fäden erhebt sich indeß das Bild des Herzogs selbst als eines echten und unerschütterlichen Patrioten in trüber Zeit, der für die gute Sache des deutschen Vaterlandes unermüdlich thätig ist.

Der Zeitraum, den uns diese Denkwürdigkeiten schildern, ist für Deutschland selbst in der That einer der trostlosesten; es sind die fünfziger Jahre von den Dresdener Konferenzen 1850 bis zur Gründung des Nationalvereins 1859. In dies Jahrzehnt fallen die beiden großen Kriege, der Krieg gegen Rußland und der italienische Krieg. Beide warfen auf die inneren deutschen Zustände das gleiche unerfreuliche Licht. Längere Zeit hindurch schien Oesterreich geneigt, den Krieg gegen Rußland mitzuführen; am meisten schwankte Preußen. Das übrige Deutschland spielte kaum eine Rolle. Ueber die Verhandlungen, die damals schwebten, die Stimmungen der Fürsten und der Kabinette erhalten wir aus den Denkwürdigkeiten des Herzogs genaue und zum Theil bisher unbekannte Aufschlüsse; zahlreiche Briefe der maßgebenden Fürstlichkeiten ergänzen diese Berichte und die Charakterbilder, welche der Herzog selbst von ihnen entwirft.

In diesen Porträts besteht überhaupt ein nicht geringer Vorzug des Werkes. Wenn der Herzog in unbefangener Weise seine Erlebnisse und Eindrücke schildert, so treten die Gestalten der Machthaber mit jener Klarheit vor uns hin, wie sie der durchsichtige und überaus bezeichnende Stil der Darstellung, welcher dem Werk als schriftstellerischem Erzeugniß einen so hohen Rang anweist, mit sich bringt. Vor allem wird das Bild des Königs Friedrich Wilhelm IV. die lebhafteste Theilnahme erwecken. In allen seinen Briefen erkennt man das oft überströmende Gefühl des Monarchen; aber ihr Inhalt ist ein geistig springender und widerspruchsvoller. Das Ende will in der Regel nicht recht zum Anfang passen. Das herannahende Unheil geistiger Zerrüttung kündigt sich lebhaft an. Herzog Ernst erzählt uns, wie er schon bei dem Manöver bei Halle im September 1857 peinliche Scenen erlebt, die sich seinem Gedächtniß tief einprägten. Er ritt dem Könige zur Seite, als dieser das Gefechtsfeld verließ, um zu seiner Equipage zurückzukehren. Plötzlich winkte er den Herzog näher zu sich heran. „In demselben Moment,“ erzählt uns dieser, „gab er dem Pferde eine Wendung, als wolle er querfeldein reiten, während er dem Gefolge deutete, zurückzubleiben. Ich faßte die Zügel seines Pferdes, welche ihm entfallen waren, da wir an einem scharfen Abgrunde standen. Ich meinte, er wolle mir eine Mittheilung machen, und war gespannt, seine Befehle zu vernehmen; aber in demselben Augenblicke stürzten ihm die hellen Thränen aus den Augen; er schien sprechen zu wollen, rang nach Athem und ergriff mich am Arme. Endlich brachte er einige mir unvergeßliche Worte hervor: ‚Ich bin sehr krank, lieber Herzog, viel kränker als man glaubt. Sie werden mich wohl nie wiedersehen – vergessen Sie mich nicht!‘“

Nicht lange darauf mußte der Prinz von Preußen die Regentschaft übernehmen, welcher dem Herzog von Gotha persönlich nahe stand. Im Gegensatze zu den Briefen des Königs zeichneten sich diejenigen des Prinzen, des späteren Kaisers Wilhelm I., durch ihren festen und klaren Ton, durch ihre ruhige Sachlichkeit aus. Der Prinz war mit der innern und äußern Politik, welche das damals herrschende Regierungssystem befolgte, keineswegs einverstanden. Er trifft stets den Nagel auf den Kopf; in jeder Zeile spricht sich sein gediegener Charakter, seine staatsmännische Tüchtigkeit aus. Die zahlreichen Briefe des Prinzen Albert bilden eine willkommene Ergänzung der Martinschen Biographie; sie sind überaus scharf, oft sarkastisch geschrieben; der Prinz zeigt sich als ein [276] ausgezeichneter Kopf, und dies mußte ihm bei seiner Stellung den wichtigsten Einfluß auf die Geschicke Englands sichern. Mit seltenem Freimuth bespricht er die Weltlage, die europäischen Kabinette und ihre Leiter. Die mitgetheilten Briefe des Kaisers Napoleon sind zwar von Interesse, rücken aber den Charakter desselben nicht gerade in neue Beleuchtung. Wohl aber lassen die Aufzeichnungen des Herzogs über seine Begegnungen mit dem Kaiser manches interessante Licht auf diesen fallen. Ueber keinen öffentlichen Charakter gehen die Ansichten so auseinander wie über Napoleon III.; man besinnt sich, daß Fürst Bismarck im Reichstage gelegentlich keine allzuhohe Meinung von der geistigen Bedeutung des Kaisers aussprach. Der Herzog ist gänzlich anderer Ansicht: er erklärt sich gegen das so sehr verbreitete ungünstige Urtheil über dessen Begabung. „Nicht daß er suchte, über einen Gegenstand sofort prägnante Worte auszusprechen, aber jede interessante Seite desselben, die berührt wird, ruft auf seinem sonst unbeweglichen Gesicht eine Veränderung hervor, die das lebhafte Interesse zeigt, das in ihm rege wird. Er äußert sich dann natürlich und verständig, mitunter geistreich, immer ohne Phrase und Deklamation. Richtig dagegen ist es, daß er eine sehr langsame Art zu denken hat und daß man leicht den Eindruck empfing, als wüßte er nur schwer zu begreifen.“ Die Aufzeichnungen aus dem Jahre 1854 schließen mit den prophetischen Worten: „Diese Züge, die nur wesentlich günstige Seiten hervorheben, mögen dazu dienen, dem Ungünstigen, was die Geschichte liefert, eine Beschränkung zu geben. Jedenfalls ist der Kaiser ein außerordentlich organisirter Mensch. Das verkannt zu haben ist der Fehler und zugleich das Unglück seiner Gegner in Frankreich und auf den Thronen gewesen. Er hegt unzweifelhaft große Entwürfe; wenn er zunächst als ein Vertheidiger der europäischen Freiheit auftritt, so wird sie vielleicht noch einmal gegen ihn vertheidigt werden müssen. Für Deutschland kann er viel gefährlicher werden, als es sein Onkel war.“

In Deutschland selbst war der Herzog unermüdlich thätig, ein Gegengewicht gegen das damalige Regierungssystem herzustellen und für nationale Zwecke zu wirken. Der von ihm gestiftete litterarisch-politische Verein, für welchen besonders Gustav Freytag thätig war, der Vorgänger des Nationalvereins, legte in jener Epoche Zeugniß ab für solche hochherzige Bestrebungen. Niemand wird jetzt die Rolle, welche der Herzog in der europäischen Politik spielte, unterschätzen, aber unser deutsches Volk wird ihm von Herzen Dank dafür wissen, daß er in einer Zeit unseligster Zersplitterung den Glauben an die Zukunft des Vaterlandes nicht verloren und eine Fahne hochgehalten hat, um welche jetzt sich das geeinigte Deutschland sammelt.