Das St. Elmsfeuer im Januar 1863

Textdaten
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Autor: Ludwig Meyn
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Titel: Das St. Elmsfeuer im Januar 1863
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 138–140
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die St. Elmsfeuer im Januar 1863.[1]

Am Nachmittag des 20. Januar hatte ich in Geschäften meine 3 Meilen unterhalb Hamburg, nicht weit von der Elbe belegene Fabrik verlassen und wurde in dem benachbarten Orte von einem heftigen Gewitter überrascht, dessen hart auf den Blitz folgender Donner seine Nähe bezeichnete und mich veranlaßte, voll Besorgniß vor Unglücksfällen nach Hause zu eilen. Unterwegs überfiel mich ein so rasender Sturm mit Graupeln, daß ich kaum vorwärts kommen konnte und mehrmals in Gefahr war, in die breiten Marschgräben zu stürzen. Endlich erreichte ich meine Fabrik, deren Anblick mir bis kurz vor dem Eintritt in den Hof durch einen hohen Marschdeich entzogen wird. Als ich den Hof betrat, sah ich voll Schrecken meine Besorgniß vor dem Einschlagen des Blitzes zur Wahrheit geworden: die Windmühle brannte an den drei oberen Flügeln. Während ich nach dem ersten Schreck näher gehend noch mit mir überlegte, welche Maßregeln gegen das Feuer bei dem rasenden Sturme zu ergreifen seien, gewahrte ich deutlicher, daß die Flammen nicht züngelten, sondern mehr wie eine Garbe emporstanden und durch das dichte Schneegestöber ungestört an demselben Platze beharrten. Freudig bewegt von der schönen Erscheinung, welche zu sehen lange mein Wunsch gewesen war, rief ich alle Hausgenossen hervor, um den Anblick zu theilen, und etwa eine Viertelstunde (6½ Uhr), konnten wir uns dem Genusse hingeben, da erlosch das Feuer plötzlich nach einem heftigen Blitzschlage mit augenblicklich folgendem Donner. Anderen Morgens vernahm ich, eine benachbarte Windmühle habe gebrannt, es seien die Spritzen und die Löschmannschaften hingeholt. Als aber nähere authentische Nachricht eingeholt wurde, ergab sich, daß der Feuerlärm nur durch die gleiche Erscheinung entstanden sei, denn habe man einen Flügel herumgedreht, um den brennenden zu fassen, so sei der untere von selbst ausgelöscht und der oben kommende sofort in Flammen ausgebrochen, auch habe man an den zugänglichen Flügeln dann weder Kohle noch Erwärmung wahrgenommen, so daß man sich endlich beruhigt und, wie das bei solchen Gelegenheiten üblich, sich lieber dem Löschen des Durstes hingegeben habe.

Der Branddirector des Districtes theilte mir an demselben Tage mit, daß in einem benachbarten Kirchspiel, Rellingen, ein großer Zulauf von Menschen stattgefunden habe, weil die Kirche in Brand gestanden, man habe den spitzen, mit Schindeln gedeckten Thurm bis ziemlich tief herunter eine geraume Zeit in lichtem Feuer gesehen, die Spritzen seien requirirt, die Archive aus den benachbarten Predigerhäusern ausgeräumt, Alles sei auf den Beinen gewesen, nachher habe man das Feuer nicht wieder finden können, aber die Nacht hindurch doch eine Wachmannschaft von 50 Köpfen bei den Spritzen postirt gehalten.

Aehnliche Vorgänge waren zu Wedel an der Elbe geschehen, und weil daher die Erscheinung ungewöhnlich große Dimensionen gehabt zu haben schienen, theilte ich meine Kunde davon in einem Localblatte mit, indem ich zugleich um weitere Nachrichten aus dem Innern des Landes bat.

Briefe aus den verschiedensten Gegenden und mündliche Mittheilungen von meinen Collegen in der wenige Tage darauf zusammentretenden holsteinischen Ständeversammlung setzen mich in den Stand, jetzt ausführlicher zu berichten.

Wenn ich bei der Aufzählung der Thatsachen von der Gegend, wo ich selbst die erste Beobachtung gemacht, also der Nachbarschaft Hamburgs, ausgehend die Nordseeküste nach Norden hin verfolge und dann im Osten wieder nach Hamburg zurückkehre, so entsteht ein geschlossener Kreis, dessen Inneres jedenfalls als Gebiet der Erscheinung betrachtet werden kann, da man keinen Grund hat anzunehmen, daß eine lineare Verbreitung einer in sich zurückkehrenden Curve eine richtigere Vorstellung des Sachverhaltes sei.

In der Nähe von Rellingen, bei dem Dorfe Egenbüttel, ist nach mündlicher Mittheilung eines Ständeabgeordneten ein kleines Tannengehölz von lichten Flämmchen so übersäet gewesen, als wäre es aus lauter brennenden Weihnachtsbäumen aufgebaut. – Aus mündlichen Mittheilungen eines anderen Abgeordneten geht hervor, daß die Mühle zu Steinburg und der Kirchthurm zu Hohenfelde, etwa drei Meilen gegen Nordwesten, dieselbe Erscheinung gezeigt haben, wie die zuerst erwähnten Mühlen und Kirchen. Beide Orte liegen ebenso wie Uetersen und Wedel am Abhange der hohen Geest gegen die Marsch, während Rellingen und Egenbüttel mitten auf der Geest belegen sind.

Herr Mühlenbesitzer J. Kahlke aus Brockdorf, zwei Meilen westlich von Steinburg, inmitten der Marsch und hart an der Elbe wohnhaft, schreibt, daß auch an seiner Windmühle die Flammen des St. Elmsfeuers beobachtet worden sind. Das Kreuz der Mühle war gerade in schnellem Gange, und das Feuer erschien an den niedergehenden Flügeln in stärkerem Glanze als [139] an den aufsteigenden. Gleich nach der Erscheinung wechselten Regen, Hagel und Schnee mit einander ab, begleitet von einem orkanähnlichen Sturme und den heftigsten Blitz- und Donnerschlagen.

Herr Theodor Dyrssen, Landmann aus Strübbel in Norderditmarschen, schreibt, daß er an dem in Rede stehenden Tage Abends mit einem Freunde, beide beritten, von dem neuen Wesselburener Koog (etwa 7–8 Meilen nordwestlich von Brockdorf) zurückgekehrt sei, dem äußersten Marschlande, welches erst im vorigen Jahre der Nordsee in der Eidermündung durch Eindeichen abgewonnen ist und gleich die furchtbaren Sturmfluthen dieses Winters zu bestehen hat. Der Nordwestwind, schreibt er, welcher schon einige Zeit dauerte, nahm gegen Abend an Heftigkeit zu und war begleitet von Regen, Schnee und Hagelschauern, auch Blitzen, aber ohne vernehmbaren Donner. Plötzlich sahen beide Reiter an den Ohren ihrer Pferde und auf ihren eigenen Köpfen Feuerflammen, ebenso an der Mündung einer geladenen Flinte, die der Eine auf dem Rücken hängen hatte. Eine freilich unbegründete, aber bei der unheimlichen Natur der seltenen Erscheiuung sehr erklärliche Furcht vor Entladung, welche dadurch gesteigert wurde, daß Beide ein Knistern der Flammen wie von einem wirklichen Brennen vernahmen, veranlaßte denselben, das Gewehr von sich zu werfen, und die große Unruhe der Pferde nöthigte Beide abzusteigen, bis nach etwa 10 Minuten mit dem Unwetter auch die Lichterscheinung verschwand.

Aus Lunden, einem kleinen Flecken abermals 1½ Meilen nördlicher belegen auf einem langgestreckten niedrigen Geestrücken inmitten der horizontalen Marsch-, und Moorfläche, schreibt Herr J. H. Arnold, welcher dem Kirchthurme gegenüber wohnt und an dessen Spitze schon zu verschiedenen Malen während gelegentlicher Sommergewitter solche Feuer gesehen hat, daß am 20. Januar der Sturm mit Regen, Hagel und finsteren, ohne eigentlichen Blitz doch aufleuchtenden Wolken längere Zeit geweht habe. Um 6½ Uhr endlich sei eine Wolke ohne Regen grade über den Kirchthurm hingezogen, und sofort sei die Thurmspitze in starkes Leuchten gerathen, welches von ihm und seinen sämmtlichen Hausgenossen längere Zeit beobachtet worden.

Der Zimmermeister Johann Christian Johannsen aus Garding in der schleswigschen Landschaft Eiderstedt, etwa 2 Meilen westlich von Lunden und ebenso wie dieses auf einem Geestrücken inmitten der Marsch belegen, befand sich zwischen 7 und 8 Uhr des genannten Tages aus dem Wege zwischen Hülkenbüll und Garding und schreibt mir, wie folgt: „Es wehte ein heftiger Sturm aus Südwest begleitet von einem starken Hagelschauer, dann und wann mit furchtbaren Blitzen und Donnerschlägen. Endlich ward der Sturm zum Orkan, so daß ich mich kaum aufrecht erhalten konnte. Auf einmal gewahrte ich an den Fingerspitzen meiner Handschuhe Feuer, und zwar so, daß bei dem Reiben der Hände es förmlich herabzurollen schien. Auch mein wollenes Tuch, das ich der Kälte wegen ziemlich dicht vor den Mund gezogen, hatte, leuchtete auf, so daß ich anfangs glaubte, Tuch und Handschuhe seien mit dem Phosphor von Zündhölzern in Berührung gewesen. Als ich aber auch meinen Speichel wie flüssiges Feuer leuchten sah und nach etwa zehn Minuten die ganze Erscheinung ohne jede Spur von Wiederkehr verschwunden war, da hatte ich sofort die Ueberzeugung, daß ich eine elektrische Erscheinung gesehen.“ –

Im mittleren Holstein ist Nortorf, an der Rendsburg-Neumünsterschen Bahn belegen, der nördlichste Punkt, von wo mir Nachricht geworden. Sehr interessant namentlich in Betreff der Intensität und der Localisirung des Leuchtens ist, was Herr Dr. Dose von da beobachtete.

„Es wird Sie interessiren,“ schreibt der genannte Arzt, „daß die am 20. dieses Monats Abends zwischen 6 und 7 von Ihnen wahrgenommene elektrische Erscheinung auch in hiesiger Gegend nicht unbemerkt geblieben ist. Großartiger und prächtiger noch sah ich das St. Elmsfeuer einige Stunden später auf einer Tour nach Böken. Auffallend war es, daß gerade während eines Schneegestöbers das Leuchten am deutlichsten erschien. Auch sah man gleichzeitig solche Gegenstände, auf welchen der Hagel vorzugsweise haftete, besonders stark phosphoresciren. So schienen der Rock meines Kutschers, die Mähne und der Schweif der Pferde eine Flamme zu sein, während Gegenstände, von denen der Hagel abprallte, z. B. das Pferdegeschirr, der Wagen u. s. w., nicht im Mindesten leuchteten.

Streifte man die Hagelkörner von der Kleidung ab, so leuchtete die Hand so lange, bis der Hagel geschmolzen war; fuhr man mit der Peitsche durch die Luft, so sah man ähnlich phosphorescirende Streifen, wie man sie auf dem vom Schiffskiel durchschnittenen Wasserspiegel des Kieler Hafens im Frühling und Herbste bemerkt. Die Beobachtung dauerte ungefähr ¼ Stunde bis gegen 10 Uhr.“

Der Großherzoglich Oldenburgische Wegeinspector des Fürstenthums Lübeck, Herr Bruhns, in Eutin schreibt mir die Mittheilung eines Postillons, den er gleich nach dem Gewitter befragt hatte, wie es ihm während desselben ergangen sei. Zusammengehalten mit den Erzählungen eines vorurtheilsfreien und aufmerksamen Arztes, welche ich eben geben konnte und welche unbedingten Glauben verdient, wird die Schilderung des Postillons, welche, wenn man sie zuerst liest, unter dem Einflusse einer aufgeregten Phantasie entstanden zu sein scheint, zum nüchternen Berichte der Wirklichkeit.

„Am 20. dieses Monats,“ so erzählte der Postillon, „fuhr ich von Eutin nach Waltersmühle. Gegen 7 Uhr Abends wurde ich auf der Höhe des Sandweges zwischen der Ottersbrücke und dem Pepersee von einem heftigen Graupelschauer überrascht, so daß ich buchstäblich keine Hand vor Augen sehen konnte. Gleichzeitig brach ein Sturm los, wie ich ihn nie zuvor erlebte. Im Kampfe mit Sturm und Hagel wendete ich mein Gesicht nach der Windseite und erschrak nicht wenig, als ich plötzlich alle Spitzen des mir zur Rechten liegenden Knicks in hellen Funken glänzen sah, die etwa die Größe von kleinen Wachsstocklichtern hatten. Einzelne derselben hoben sich von dem Knick ab und zogen mit dem Winde quer über den Weg; diese hatten eine birnenförmige Gestalt und die Spitze war nach unten gekehrt. Die Erscheinung begleitete mich auf einer Wegestrecke von etwa 100 Ruthen Länge, da aber hatte mich Wind und Wetter mit meinem Fuhrwerk in den Befriedigungsgraben geworfen. Ich suchte im Innern des geschlossenen Wagens die Laternen, welche der Sturm gleich Anfangs ausgelöscht hatte, wieder anzuzünden und das Fuhrwerk auf den Weg zu bringen; als mir beides endlich gelungen war, hatte das Wetter sich aufgeklärt, und von der Erscheinung war keine Spur mehr zu sehen.“

Herr Wegeinspector Bruhns, ein höchst aufmerksamer Naturforscher, schreibt ferner, daß um 3½ Uhr in Eutin während eines heftigen Sturmes mit Graupeln sich ein Blitz und ein Donnerschlag gleichzeitig aus der dunkeln Wolke wahrnehmen ließen. Von mehreren glaubwürdigen Zeugen wurde dabei beobachtet, daß der Blitz vom Thurme hinuntergegangen und am untern Dache nach einer Theilung erloschen sei, während weder am Blitzableiter selbst noch an dem Thurme nachträgliche Spuren des Ereignisses hatten wahrgenommen werden können. In einem späteren Briefe schreibt aber Herr Bruhns: „Fast glaube ich jetzt annehmen zu müssen, daß der Blitz, der unseren Thurm getroffen haben soll, auch St. Elmsfeuer gewesen,“ und daraus würde dann hervorgehen, daß, wie Dr. Dose um 10 Uhr, Herr Bruhns um 3 Uhr, der Eine vor, der Andere nach dem Hauptereigniß, durch vereinzelte Wolken mit entsprechenden Windbahnen veranlaßt, die Spuren der beginnenden und erlöschenden Spannung gesehen haben, während sonst die Gleichzeitigkeit des Ereignisses auf so ausgedehnten Flächen wie das ganze Herzogthum Holstein sammt einem Theile von Schleswig im hohen Grade merkwürdig ist.

Niemand bezweifelt bei dem jetzigen Stande der Meteorologie, daß die Ursache eines solchen Gewitters das Einfallen des Nordstromes in den herrschenden Südstrom oder des Südstromes in den herrschenden Nordstrom sei; niemand bezweifelt, daß entweder direct vorhandene verschiedene elektrische Spannungen oder dergleichen hervorgerufen durch die zusammenstoßenden Wärmeunterschiede und differenten Dampfspannungen alle elektrischen Meteore hervorrufen können, welche überhaupt bereits durch Ueberlieferung bekannt sind; aber fast ganz anschaulich wird es in diesem Falle, wie der jetzt in den oberen Regionen herrschende Nordstrom in den seit so langer Zeit wehenden warmen Südstrom vor und nach dem Hauptereigniß sich an vereinzelten Stellen ein Loch bis auf die Erdoberfläche herabgebohrt hat und dann zwischen 6 und 7 Uhr auf einer sehr großen Fläche gleichzeitig, also nicht von der Stätte des ersten Herabkommens weiter vordringend, sondern auf der ganzen Fläche senkrecht von oben herunter eingebrochen ist, um sofort wieder zu verschwinden, so daß der Südweststurm nur eine kleine Drehung nach Nordwest annehmen konnte, ohne Norden und Osten zu erreichen, und dann gleich wieder in seine alte Bahn zurückfiel, die Möglichkeit einer baldigen Wiederholung des Phänomens eröffnend.

[140] Aus dem mittleren Holstein schreibt mir noch ferner ein Landmann, Herr Ernst Glismann von Klein-Kummerfeld, die nachfolgende Notiz:

„An dem 20. d. M. Abends zwischen 6 und 7 Uhr passirte ich in Begleitung eines Herrn aus Altona zu Wagen die Segeberg-Neumünstersche Landstraße und zwar auf der Strecke zwischen Kummerfeld und Gadeland. Bald nachdem wir ersteres Dorf verlassen, verfinsterte durch aufsteigende, augenscheinlich von Schnee oder Hagel erfüllte Wolken der Himmel sich dermaßen, daß mein Begleiter und ich, obgleich wir Seite an Seite auf einem gewöhnlichen Wagenstuhl saßen, uns nicht durch das Gesicht, sondern nur durch das Gehör von unserer beiderseitigen Gegenwart überzeugen konnten. Indem wir noch hierüber unsere Bemerkungen austauschten, sahen wir zu unserem Erstaunen aus den Bäumen, womit hier die Landstraße an beiden Seiten bepflanzt ist, sowie auf den Pfählen und dem Draht der ebenfalls hier befindlichen Telegraphenlinien unzählige kleine Flämmchen erscheinen, so daß das Ganze, weil die Landstraße sehr weit zu übersehen und sonstige Bäume nicht vorhanden, einer über alle Maßen großartigen Illumination zu vergleichen war, nur mit dem Unterschiede, daß die in Rede stehenden Flammen, obgleich sehr glänzend und der Zahl nach Legion, nicht die geringste Helligkeit verbreiteten. Während dessen hatten die schwarzen Wolken bereits begonnen sich ihres Inhaltes mit einer furchtbaren Wucht zu entladen, was die Flämmchen aber nicht im Mindesten zu stören schien. Ueber die Dauer der Erscheinung und namentlich darüber, ob, wie bei Ihnen, die Flammen in Folge eines Blitzes verschwanden, kann ich leider nichts sagen, weil meine Pferde, sehr beunruhigt bei der herrschenden Dunkelheit, eine Zeit lang unser Beider ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, und die Erscheinung verschwunden war, als wir uns ihr wieder zuwenden wollten.“

Aus diesen verschiedenen eben so klaren als reichhaltigen Schilderungen gewinnt man ein so deutliches und anschauliches Bild des ganzen Phänomens und des St. Elmsfeuers überhaupt, wie es vorher noch nicht zu haben war, und was die Verbreitung anlangt, so ist von ganz Holstein nur die östlichste Ecke ausgenommen, denn den Anschluß der zuletzt genannten Localitäten an unseren Ausgangspunkt, in der Nähe von Hamburg, kann ich durch die mündlichen Mittheilungen zweier Ständeabgeordneten vollenden. Bei Oldesloe, südlich von Segeberg, hat der Dampfmaschinenschornstein der Sonder’schen Papierfabrik oben so geleuchtet, daß man allgemein geglaubt hatte, er brenne aus, und in der Nähe des sogenannten Ochsenzolles der holsteinischen Zollgrenze im Norden von Hamburg sind noch die mit Lichtern bestreuten Hecken wahrgenommen worden.

Auffallend bleibt mir, daß aus Hamburg und Altona gar keine Nachrichten mitgetheilt worden, obgleich doch dort die höchsten Thurmspitzen dieser Gegend vorhanden sind, und obgleich der Natur der Sache nach selbst auf den durch Sturm und Schneegestöber verödeten Straßen doch immer noch mehr Augen offen sind, als in den theilweis höchst einsamen Landschaften, die genannt wurden.

Da nun aus den öffentlichen Blättern hervorgeht, daß an demselbigen Tage ein von Stürmen begleitetes Gewitter ganz Deutschland heimsuchte, ein Gewitter, das von unseren Nordseeküsten bis an den Fuß der Alpen reichte, und da gemeldet wird, daß während dieser Zeit die Telegraphendienste größtentheils unterbrochen gewesen sind, so bleibt kein Zweifel, daß auch in Mitteldeutschland ähnliche elektrische Spannungen obgewaltet haben.

Es war mir daher auffallend, daß ich in den hier gelesenen Zeitungen von St. Elmsfeuern nichts finden konnte, und ich kam daher zu der Vermuthung, daß das Elbthal, welches außer dem eigentlichen Flusse in gegenwärtiger regnerischer Zeit durch Auffüllung aller Gräben und Niederungen in den horizontalen Marsch- und Moordistricten eine nasse Fläche von 5 bis 6 und mehr Meilen Breite darstellt, wie es im Munde des Volkes stets als Wetterscheide gilt, auch in diesem Falle eine Scheide, wenigstens für das abnorme elektrische Phänomen, geworden sei. Nun aber theilt mir Herr Carl von Wehrs, Gutsbesitzer von Alt-Böternhöfen im mittleren Holstein, auch noch positive Nachrichten über eine weitere Ausdehnung des St. Elmsfeuers mit.

„Diese Dimensionen,“ schreibt derselbe, „gewinnen durch einen mir zugegangenen Bericht aus Hannover noch bedeutend. Man hat nämlich am 20. Januar zu Jork im Altenlande, am jenseitigen Ufer der Elbe und ungefähr Wedel gegenüber belegen, anfänglich geglaubt, der Kirchthurm brenne, sich dann aber bald überzeugt, daß es ein mehrere Minuten anhaltendes St. Elmsfeuer gewesen. Dann schreibt man mir weiter, dieselbe Erscheinung habe sich zu der nämlichen Zeit an den Bäumen der Chaussée, die von Hildesheim nach Osterode führt, gezeigt, also noch anderthalb Breitengrade weiter nach Süden.“

Diese Nachricht und die überraschende Thatsache, daß auch hier noch die Gleichzeitigkeit stattfand, bestätigt, daß wir ein höchst ungewöhnliches und bedeutendes meteorologisches Ereigniß erlebt haben, und das veranlaßt mich, diese Mittheilung gerade in der Gartenlaube, welche jetzt das beliebteste Volksblatt in Deutschland ist, mitzutheilen, um dadurch vielleicht Anlaß zu weiteren Nachrichten zu geben und einem Meteorologen von Fach für die strengere Beurtheilung der Sache Material von solcher Reichhaltigkeit zuzuführen, wie es weder durch Hülfe der streng wissenschaftlichen Journale, noch durch die meteorologischen Observatorien geliefert werden kann, deren Aufzeichnungen über die gleichzeitigen Stände und Bewegungen der meteorologischen Instrumente vollständig genug sein werden, um ohne Beobachtungslücken ein vollständiges Gemälde des Ereignisses den meteorologischen Annalen zu überliefern.

Dr. L. Meyn, Fabrikant zu Uetersen.




  1. Es ist als bekannte Erfahrung in den Lehrbüchern der Meteorologie mitgetheilt, daß die St. Elmsfeuer (kleine, bisweilen von einem zischenden Geräusche begleitete Flämmchen, welche sich namentlich an hochliegenden, besonders spitzen Körpern bei starker Gewitterluft zeigen) bei Wintergewittern hervorzutreten pflegen. Die großartigste Erscheinung dieser Art, welche bisher in den Annalen der Meteorologie erzählt wurde, ist die vom 17. Januar 1817, wo sich in vielen Gegenden der östlichen Küste der Vereinigten Staaten Gewitter mit Regen, Schnee, Blitzen und seltenen Donnern entluden.
    D. Red.