Textdaten
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Titel: Das Pariser Opernhaus
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 20
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[20] Das Pariser Opernhaus. Man schreibt uns aus Paris: „Ich habe hier Nichts verändert gefunden. Es ist immer dasselbe reizende, amüsante, müßige Paris, das an Nichts denkt, als sich und andere zu zerstreuen, das immer den Plan irgend eines großen Festes im Kopfe hat. Das Fest, welches Paris in diesem Augenblicke beschäftigt, ist die Eröffnung des neuen Opernhauses. Worin wird dieses Fest bestehen? Die Programme, welche man in den Zeitungen findet, sind weder sehr zahlreich noch sehr mannigfaltig. Die Einen sprechen von einer Galavorstellung, welcher der Präsident der Republik und alle Staatsbehörden beiwohnen würden; die Anderen schlagen einen großen Ball vor, welcher von der Stadt Paris oder durch Subscription veranstaltet werden soll. Ich lese soeben in einer Morgenzeitung, welche für ein ernstes Blatt gilt, man solle den Besuch des Opernhauses wenigstens für acht Tage umsonst gestatten, damit es dem Volke ermöglicht sei, die Pracht diesen ’National-Museums’ zu bewundern. Ein Schauspielhaus ’Museum’ zu nennen, das ist eine Idee, die uns Deutschen nicht kommen würde, aber der Gedanke, während einer Woche die Thüren des Opernhauses dem Volke unentgeltlich zu öffnen, würde uns um so richtiger scheinen, als es das Volk ist, welches die sechszig Millionen zahlt, die dieses Gebäude kosten wird.

Sechszig Millionen für ein Opernhaus! Wenn irgend ein excentrischer Fürst uns in eine solche Ausgabe gestürzt hätte, würden wir sie abbezahlt haben: Wir würden uns jedoch die größte Mühe gegeben haben, uns selbst und Andern diese Thorheit zu verbergen. Hier scheint Jedermann stolz darauf zu sein, und es giebt fast keinen Pariser, der nicht geneigt wäre, das Opernhaus und die sechszig Millionen, die es gekostet hat, in die Zahl jener Einrichtungen einzureihen, ’um die Europa ihn beneidet’.

Sechszig Millionen zu fünf Procent Zinsen machen jährlich drei Millionen. Ich habe einen alten Theaterdirector, der in diesen Dingen sehr erfahren ist, gefragt, wie hoch er den Zuschuß veranschlage, welcher nöthig sei, um die Ausgaben des Opernhauses zu decken. ’Wenigstens zwei Millionen,’ antwortete er mir. Drei Millionen Zinsen und zwei Millionen Zuschuß ergeben eine Summe von fünf Millionen, verwendet, um ein Theater zu unterhalten. Das ist ein hübsches Sümmchen für ein Land, in welchem man nicht einmal den Schullehrern und Lehrerinnen ein Stück Brot für ihr Alter sichert.

Wenn von dieser jährlichen Ausgabe von fünf Millionen wenigstens noch die Tonkunst Nutzen hätte! Ich habe mich jedoch bei einem Journalisten meiner Bekanntschaft nach dem Namen der Oper erkundigt, der es beschieden wäre, zuerst auf der neuen Bühne aufgeführt zu werden. ’Wir haben keine’, sagte er mir, ’und wir hoffen kaum eine zu finden. Rossini, Meyerbeer, Auber, Halevy sind todt; unsere lebenden Componisten leiden an allgemeiner Mittelmäßigkeit. Wir haben zwar Gounod, aber eben so gut könnte man auf die Wankelmüthigkeit selbst zählen. Hätte man selbst ein neues Werk von einigem Werth entdeckt, so würde es an Künstlern fehlen, es auszuführen; wir haben nicht mehr Sänger in Frankreich als Componisten und ich glaube, Ihnen kein großes Geheimniß zu verrathen, wenn ich Ihnen mittheile, daß die Musik bei uns in gänzlichem Verfall begriffen ist.’

Glücklicherweise brauchen wir weder Componisten noch Sänger; nur Maschinisten haben wir nöthig. Die französische und ausländische Neugierde wird während zwei bis drei Jahren, vielleicht auch länger, genügen, um das Haus zu füllen. Das alte Repertoire, gehörig durch den Theaterschneider und den Decorationsmaler aufgefrischt, wird uns gestatten, ruhig das Erscheinen irgend eines neuen großen Componisten zu erwarten. Wir haben übrigens noch das Ballet und, wenn es Noth thut, die Zauberposse zur Aushülfe. Keinen Componisten und ein Opernhaus, das sechszig Millionen zu bauen und zwei Millionen jährlichen Zuschuß kostet – das charakterisiert Frankreich. Es ist unnöthig, die Bewaffnung unserer neuen Grenzen zu beeilen; die Franzosen haben vorläufig nicht die Zeit, uns Elsaß-Lothringen wieder abzunehmen.
A.“