Das Ornament im Kunstgewerbe

Textdaten
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Autor: Georg Buß
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Titel: Das Ornament im Kunstgewerbe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 706–707
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Ornament im Kunstgewerbe.

Von Georg Buß.

Wer an reich besetzter Tafel sitzt, gerät in Gefahr, sich zu überessen. Unser Kunstgewerbe macht gegenwärtig den Eindruck, als sei dieser wenig erfreuliche Zustand der Ueberladung bei ihm eingekehrt. Seinen Jüngern sind im Laufe der seit fünfundzwanzig Jahren sich vollziehenden Reformbewegung die Ornamente aller Stilepochen und des Orients in so überschwenglicher Menge vorgesetzt worden, daß jegliches Gerät unter ihren Händen zum Ornament oder zu einem Mosaik von Ornamenten geworden ist. Man ist mehr und mehr in die verfehlte Auffassung geraten, daß ein wesentliches Kennzeichen einer kunstgewerblichen Leistung in reicher ornamentaler Ausstattung bestehe, und ihre Unterstützung hat diese Anschauung in einem Zeichenunterricht gefunden, der sich fast ausschließlich auf eine überlieferte Ornamentik zuspitzt und mit dem Vorführen zahlreicher, aus dem Organismus losgerissener Ornamentbrocken wenig imstande ist, das Verständnis des Schülers dahin zu fördern, daß das Ornament nur schmückendes Beiwerk sein darf, welches sich dem Ganzen selbstlos unterzuordnen und die Schärfe der Konstruktion nicht zu beeinträchtigen hat. Tritt ein solcher Schüler in die Praxis, so sucht er seinen Schatz angelernter Ornamente nach Möglichkeit anzuwenden, denn – „wir sind ja kunstgewerblich!“

Was diese Sucht zu ornamentieren uns gebracht hat, ist ein prunkvoller Reichtum und eine erhebliche Verteuerung kunstgewerblicher Leistungen, so daß die solideren sich schon wieder fast nur an die Kaufkraft der oberen Zehntausend wenden, während das mäßig bemittelte Bürgertum mit Gegenständen „beglückt“ wird, bei welchen der Handwerker bezw. Industrielle die Kosten für das Ornament wieder herauszuschlagen sucht durch Minderwertigkeit des Materials und der technischen Arbeit.

Hand in Hand mit dieser Ueberladung geht das Bestreben, jedem Ding und, weiter gefaßt, jeder Einrichtung ein bestimmtes historisches Stilgepräge mit Hilfe der herkömmlichen Ornamentik aufzudrücken. Es hat sich für bessere Einrichtungen geradezu eine feste Schablone gebildet, nach welcher die Wahl des Stils für die einzelnen Zimmer getroffen wird; man speist in deutscher Renaissanceumgebung, trinkt den Thee im japanischen oder englischen Gemach, huldigt den Wissenschaften in barocken Bibliothek- und Arbeitszimmern, bewährt sich als Mann oder als Frau von Welt in dem Rokokosalon und schläft und macht Toilette im Rokoko-, Zopf- oder Empireschlafzimmer. Der Herr Dekorateur oder Tapezierer kommt und gieht der Einrichtung die höhere Weihe, daß sie auch „stilvoll“ erscheine; er arbeitet mit einer Unmenge von Stoffen, legt sie in malerische Falten über Spiegel, Sofas, Betten, Thüren und Fenster, baut Baldachine auf, breitet ein halbes Dutzend orientalischer Gebetteppiche und etliche Tiger- oder Bärenfelle über den Boden, wirft über das Chaiselongue in genialem Wurf eine farbenreiche Decke, daß sie über den Boden schleppt, und bedenkt leider nicht, wie durch diesen textilen Aufwand ein wahres Staubnest geschaffen wird und dem Zimmer Luft und Licht, die ersten Bedingungen eines gesunden Wohnens, verloren gehen. Sich für einen solcheu Ateliergeschmack, welcher die Benutzbarkeit und die gesunde Wohnlichkeit der Räume geringer anschlägt als den theatralischen Aufputz, zu begeistern, geht nicht an. Aber er macht sich leider in bedauernswertester Weise breit und beeinflußt, besonders durch seine Herrschaft auf den Ausstellungen, den Geschmack des weniger urteilsfähigen Publikums.

Dringt man tiefer in die Einrichtungen ein, betrachtet man die einzelnen Möbel, so ist das Ergebnis noch weniger erfreulich, als es auf den ersten Blick scheinen mochte. Im Speisezimmer ist insbesondere das Büffett ein wahrer Ausbund ornamentaler Ueberschwenglichkeit geworden. Eine übertriebene Häufung kleiner und kleinster scharfkantiger und an den Ecken spitz vorladender Profile in Verbindung mit einem erstaunlichen Aufwande von Säulen, Pilastern, Karyatiden, Konsolen, Nischen, Balkönchen, Galerien, Giebeln, Spitzen und geschnitzten Füllungen – so stellt sich das Möbel dar, ohne daß doch in den meisten Fällen seine Wirkung eine angenehme wäre, denn es fehlen die ruhigen Flächen und nur zu oft die feinen Verhältnisse im Aufbau. Dieser zwecklose, in der Konstruktion nicht begründete Ornamentenschwall regt geradezu zum Spott an, denn wer soll ernst bleiben, wenn sich die Säulen oder Karyatiden, welche scheinbar mit höchster Anspannung ihrer Kräfte das Gebälk tragen, beim Oeffnen irgend einer Thüre um ihre Achse drehen und die Architektur scheinbar lebendig wird. Man empfindet, hier wird Täuschung angestrebt, während das Wesen jeder echten und tüchtigen Kunst die lautere Wahrheit sein soll. Diese Täuschung ist auf einen groben Effekt berechnet und mindert die Benutzbarkeit eines solchen Möbels derart herab, daß sich mit Fug und Recht von Paradebüffetten reden läßt. Der untere Kasten liegt so tief, daß die Hausfrau bei seiner Benutzung auf den Knien herumrutschen muß, der obere so hoch, daß sie eines Stuhles bedarf, um in die höchsten Gefache hineinzulangen. Werden größere Gegenstände, wie Karaffen, Flaschen oder Terrinen, auf die Platte gestellt, so laufen sie Gefahr von den oberhalb sich öffnenden Thüren umgestoßen zu werden. So steht als gewaltiges „Prachtmöbel“ das Büffett im Speisezimmer da, ohne großen Nutzen zu gewähren und vorwiegend bestimmt zum Schaustellen etlicher Prunkgeräte.

Diese Prunkgeräte – auch bei ihnen spielt der ornamentale Karneval eine Rolle, und es blitzt und blinkt die Bronze oder das cuivre-poli oder das Silber infolge der übermäßigen reliefierten Ornamentik mit tausend Glanzlichtern. So stehen diese Prunkgeräte in den Nischen und auf den Eckbrettern des Büffetts, auf den Borten an den Wänden und über dem Paneelsofa, als meist unbenutzbare, nur zum Anschauen bestimmte Ausstattungsstücke da, welche mit der Zeit dem Beschauer langweilig werden, weil sie nicht durch häufigen Gebrauch in innige Beziehung zu ihm treten.

Aehnlich dem Büffett erscheint das Paneelsofa – mit einer senkrecht und hoch aufsteigenden Lehne, welche auf die Biegung des [707] Rückens keine Rücksicht nimmt und kein bequemes Sitzen gestattet, zudem aber auch den Ruhenden bei irgend einer kräftigen Bewegung der Gefahr aussetzt, daß die oben auf dem Borte sehr wacklig stehenden Gefäße auf ihn herabschmettern. Als neuester Witz tritt noch hinzu, daß mit dem Paneelsofa ein Spiegel fest verbunden wird; während der Spiegel gerade recht beweglich zu halten ist, damit er im Zimmer diejenige Stelle erhalten kann, in welcher er unter der besten Beleuchtung steht.

Weiter in solche Speisezimmereinrichtung einzudringen, wollen wir uns versagen und nur der dunklen Nußbaumstimmung noch einige Worte widmen. Sie wirkt meist trübselig und bedrückend, zumal noch bei Butzenscheiben und schwer lastender Balken- oder Kassettendecke. Wenn Speisen den Magen beschweren und geistige Getränke das Haupt umnebeln, so sehnt man sich nach heller, freundlicher, luftiger Umgebung, nicht nach einer solchen, welche sich wie ein Alp auf unsere Brust legt. Aber dieses dunkle Braun, diese Butzenscheiben, diese schweren Balkendecken, diese scharfkantigen, gehäuften Profile, diese architektonischen Glieder, so entgegnet man, sind ja gerade charakteristisch für die Renaissance. Nun, wenn das der Fall ist, so verzichten wir eben auf die Renaissance, auf das Nachäffen eines Zeitgeschmackes, welcher unseren modernen Anschauungen nicht mehr entspricht. Wir wollen keine scharfen Kanten und Ecken, welche uns die Schienbeine zerschlagen und bei jedem Umzuge absplittern, keine subtile Häufung von Profilen, wo eine energisch geschwungene Hohlkehle und eine Platte denselben günstigen Eindruck hervorrufen; wir wollen keine übermäßige Häufung von Ornamenten, in deren Ecken und Winkeln nur der Staub festklebt, so daß die Hausfrau mit dem Putzen und Wischen nicht fertig wird; wir wollen – wenigstens in allen wichtigen Wohnräumen – keine Butzenscheiben, da wir uns freuen sollen der großen Scheiben, dieser Triumphe der modernen Glasindustrie. Was wir wollen, sind Möbel, welche wirklich ihren Zweck in bester Weise erfüllen, tüchtig und dauerhaft sind, den Stürmen eines Umzuges Widerstand leisten können und zudem einen ruhigen, schönen Eindruck gewähren – Kastenmöbel, in denen sich in bequemer Weise möglichst viel bergen läßt, Sitzmöbel, auf denen sich behaglich ruhen läßt, Tische mit breiter Fläche und standfesten Füßen und ohne scharfe Ecken. Was wir wollen, sind Zimmer in freundlicher heller Stimmung, in welchen nicht der Staub sich einnistet, sondern Reinlichkeit herrscht und Gesundheit waltet.

Es ließe sich diese Sucht, jegliches Ding zu ornamentieren, weiter verfolgen durch alle Räume, durch den Rokokosalon mit den stark ausgeschweiften dünnen Beinchen der Tischchen und Stühlchen, welche nur für ein ätherisches Geschlecht bestimmt zu sein scheinen, und mit den reich geschnitzten, hell lackierten und bemalten Schränkchen, die wie Porzellan aussehen, bis zu dem Schlafzimmer, dessen Betten an Haupt und Ende mit Gemälden von Künstlerhand geschmückt werden, und bis zur Küche, deren Schrank und Topfbank geschnitzt und deren Stühlchen sogar bemalt werden. Aber es möge genug sein mit dem Hinweis, daß diese Sucht, jegliches Ding mit Ornamenten zu überladen und auf diese Weise Wirkung hervorzubringen, auf allen Gebieten des Kunstgewerbes, in der Metall-, Textil- und keramischen Industrie mehr und mehr Platz gegriffen hat. Diese Sucht wirkt wahrhaft abstoßend bei Geräten aus billigem Material, beispielsweise bei den üblichen Schränken und Bettstellen, die an Stelle kräftiger gesägter Fourniere mit papierdünnen geschälten Fournieren aus dem undauerhaften amerikanischen Nußbaumholz bekleidet sind, gleichwohl aber als Bekrönung den aufgesteckten, meist bedenklich vornüber geneigten Giebel- oder Muschelaufsatz, sowie etliche Spitzen und Kugeln erhalten haben. Man merkt die Absicht, über das Elend des Materials mit glänzend scheinendem Aufputz hinwegzutäuschen, und man wird verstimmt.

Gewiß, wir sind in technischer Beziehung vorwärts gekommen, aber wir sollen auch von der gewonnenen Fertigkeit den richtigen Gebrauch machen. Nicht im Ornament und in der Wiedergabe eines historischen Stils soll der Schwerpunkt liegen, sondern in einem klaren, scharfen Bau, welcher entwickelt ist aus dem Zweck, den das Gerat erfüllen soll, und aus dem Material. Einem so entstandenen Gerüst mag in sinnvoller Weise Fleisch und Blut mit ruhigen Flächen und einer angemessenen Ornamentik gegeben werden. Konstruieren wir wirklich aus dem Bedürfnis heraus, so wird auch das eigentümliche deutsche Wesen unserer Tage in den Leistungen zum charakteristischen Ausdruck gelangen und von unseren Nachkommen in seiner Eigenart erkannt werden, wie wir selbst es an den besten Werken der deutschen Renaissance des 16. Jahrhunderts erkennen. Wo man in dieser Weise ihrem Vorbild gefolgt ist, hat dasselbe auch sehr wohlthätig gewirkt. Dieses Konstruieren aus dem Bedürfnis heraus, diese knappe Strenge, welche alles Ueberflüssige und Wahrheitswidrige abweist, dieses Hochhalten des Tüchtigen und Dauerhaften ermöglicht es, auch den Wünschen der mäßig bemittelten Volksklassen mehr als bisher entgegenzukommen und dieser gesamten kunstgewerblichen Bewegung zu ihrem eigenen Besten wieder den Stempel des Volkstümlichen aufzuprägen.