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[510]
Kreuz,

das heiligste Zeichen in der Christenheit und das specifisch christliche Zeichen. Wo man das Kreuz sieht, herrscht christlicher Glaube. Da das heilige Zeichen vom Kreuzesstamme entnommen ist, an dem der Heiland blutete, so ziemt es sich, die Symbolik des Kreuzes mit dem zu beginnen, was von jenem geschichtlichen Urkreuz in der Tradition bewahrt ist.

[511] Die Legende vom heiligen Kreuz ist nach der Legenda aurea (s. 3. Mai Kreuzfindung und 14. September Kreuzerhöhung) folgende: Adam nahm einen Zweig vom Baume des Lebens aus dem Paradiese mit, Seth pflanzte denselben und es wuchsen daraus drei Stämme, die zu einem verschmolzen (Sinnbild der Dreieinigkeit). Moses brach sich davon seinen berühmten Stab. Salomo liess den Baum fällen, um eine Säule für seinen Pallast daraus zu machen, allein er blieb immer entweder zu kurz oder zu lang, und wurde deshalb als Brücke über einen Bach gelegt. Nur die Königin von Saba erkannte des Baumes Ursprung und Bedeutung und wollte nicht über die Brücke gehen, weil sie voraussah, durch diesen Baum würden einst die Juden zu Grunde gehen. Später zimmerte man aus dem Baume das Kreuz des Heilands. Nach dessen Tode verschwand es im Berge und wurde erst von der heiligen Helena wiedergefunden, später vom Perserkönig Chosroes geraubt, vom Kaiser Heraklius zurückerobert, und verrichtete bei allen diesen Gelegenheiten die erstaunlichsten Wunder, theils zur Bekräftigung seiner Echtheit, theils Heilungen, theils Siege über den Teufel. Die Legenda aurea berichtet aus einer andern Quelle, das Kreuz sey aus viererlei Bäumen zusammengewachsen, der Stamm unten eine Ceder, mitten eine Cypresse, oben ein Oelbaum, die beiden Arme aber eine Palme gewesen. So beschreibt es auch die Inschrift einer Kreuzpartikel zu St. Emmeran. Vgl. Nieremberg, hist. nat. 494. Sandini, hist. fam. sacrae p. 224. Hofmann, Apokr. 372. 430. Nach einer anderweitigen Legende soll Adam eine Ceder, Fichte und Cypresse gepflanzt haben, die zum Stamme des Kreuzes zusammenwuchsen. Man machte eine Bank daraus, auf der viele Leute sassen. Nur die Sibylle, die künftige Heiligkeit des Holzes vorahnend, wollte sich nicht darauf setzen[WS 1]. Gretser, de cruce.

Der Grundgedanke bleibt immer, das Kreuz ist aus dem Baume des Lebens gezimmert. Daher es auch auf griechischen Bildern nicht behauen, sondern noch als ein ganzer grüner Palmbaum abgebildet erscheint. Augusti, [512] Denkw. XII. 402. Sehr oft ist auch der behauene Stamm wenigstens grün gemalt. Waagen, Deutschland I. 106. Als Baum des Lebens ist das Kreuz Christi dargestellt am Grabmal der heiligen Elisabeth. Münter, christl. Sinnbilder II. 46. Als Baum des Lebens auch in Klingsors Räthseln im bekannten Sängerkrieg auf der Wartburg. Zuweilen als deutscher Maibaum. Hofmann, horae belg. II. 25. Vgl. den Artikel Crucifix.

Im Ganzen der Tradition getreu, im Einzelnen aber freier behandelt und in schöner poetischer Abrundung erscheint die Legende vom heiligen Kreuz in Calderons la sibila del Oriente (Seherin des Morgens). Hier ist es die Königin von Saba selbst, die dem König Salomon das Wunder des heiligen Holzes enträthselt. Adam, sagt sie, sandte auf dem Todtenbette seinen frommen Sohn Seth zum Paradiese zurück, Gott um „das Oel des Erbarmens“ anzuflehen. Aber der Engel, welcher das Paradies hütete, wies dem Seth einen mitten unter den grünen Bäumen des Paradieses einsam stehenden, ganz dürren Baum, den Baum des Todes. Als Adam die trostlose Botschaft bekam, starb er gleichwohl in der Hoffnung, aus seinem Grabe werde der Baum des Lebens wachsen. Da wuchs aus seinem Grabe ein Oelbaum, und von diesem pflückte nach der Sündfluth die Taube Noä das berühmte Blatt, das sie zur Arche trug. Noah aber pflanzte das Blatt mit dem daran hängenden Zweiglein auf den Berg Libanon, und es wuchs ein Stamm, der nicht mehr Oelbaum, sondern dreifach zugleich Cypresse, Palme und Ceder war. Als Salomon nun den Tempel baute und unter vielen andern Bäumen auf Libanon auch diesen fällen liess, ward er unbrauchbar gefunden und als Brücke über den Bach Kidron gelegt. Hier nun erkannte ihn die Königin von Saba und sah in einer Vision den am Kreuz hängenden Heiland und sein Blut in Gestalt von Rosen und Nelken vom Baume niederfallen. Da wollte sie die Erste seyn, die dem Heiland sein Kreuz tragen helfe, und legte zu seiner Erhebung die erste Hand an, unterstützt dabei von Salomon.

[513] Das Kreuz ist vorzugsweise Zeichen Gott des Sohnes, so wie der Kreis oder die Weltkugel Gott des Vaters, das Kreuz im Kreise stellt ihre vollkommene Verbindung durch den heiligen Geist dar und kommt mithin allen drei Personen der Gottheit zu. Damit hängt sehr genau die Symbolik des A und O zusammen. A ist das Kreuz, O der Kreis. Das Kreuz ist das Princip alles Radialen, Strahlenden, es streckt nur nach den vier Himmelsgegenden die Speichen des unendlichen Rades aus und ist somit unzertrennlich vom Kreise. Es tendirt als das absolut Strahlende zur Sternform.

Die Grundform des Kreuzes ist das gleicharmige, bisher sogenannte griechische Kreuz , welches sich, indem der senkrechte Stamm doppelt so lang wird als die beiden Arme, in’s lateinische Kreuz verwandelt. Dasselbe verkehrt ist des Kreuz Petri, der verkehrt gekreuzigt wurde , und rechts gesenkt das Kreuz des Apostels Philipp, der wagrecht gekreuzigt wurde . Dieses Kreuz wird wieder durch Verdoppelung der Arme zum sogenannten lothringschen oder erzbischöflichen, von Didron neuerdings als specifisch griechisch bezeichneten Kreuze [1], und durch Verdreifachung zum päpstlichen Kreuze . Durch Verstümmelung (Weglassung des obern Armes) entsteht des ägyptische sogenannte Schächer- oder Antoniuskreuz . Es kann auf die Dreieinigkeit bezogen werden, kommt jedoch schon als ein heiliges Zeichen im viel ältern Heidenthum, z. B. auf phönikischen Münzen vor. Tölken, Berliner Gemmen S. 37. Münter, Sinnbilder I. 70. Durch einfache Querstellung entsteht das sogenannte burgundische oder Andreaskreuz . Das sind [514] die drei Grundformen des Kreuzes crux immissa (griechisch-lateinisch), commissa (ägyptisch) und decussata (burgundisch). Vgl. Binterim, Denkw. IV. 1. 497.

Dazu gesellen sich eine Menge untergeordneter Formen: Erstens die Kreuze, die durch Umformung oder Theilung der Armenden gebildet werden, z. B. das aus gabelnden oder schwalbenschwanzartig auseinanderlaufenden Armen gebildete Ritterkreuz ✠; das in seinen Armen blühende französische Lilienkreuz und das in der gothischen Baukunst so oft vorkommende Rosenkreuz, dessen Arme in runde Rosen ausblühen; das in seinen Armen abermals gekreuzte Kreuz , das hauptsächlich oft in Spanien vorkommt. Zweitens die Kreuze, die sich in den vier Winkeln um die Mitte füllen, das grosse Kreuz mit vier kleinen Kreuzen in den Winkeln , als Wappen von Jerusalem; die Sternkreuze und Flammenkreuze, aus deren vier Winkeln Strahlen oder Flammen brechen . Drittens die Kreuze mit eigenthümlichen Untersätzen, z. B. das Ankerkreuz , das Kreuz auf dem Reichsapfel, als Sinnbild der Weltherrschaft und im Kalender der Erde ♁, das Herzkreuz , das Kreuz auf dem Berge als Sinnbild für Golgatha; das Kreuz auf dem dreifachen Hügel im Wappen Ungarns etc. Das unten dolchartig zugespitzte Kreuz (das Zeichen der Goldschmiede) heisst auch Bernharduskreuz, weil ein Hildesheimer Bischof dieses Namens eines von dieser Form selbst verfertigte und dem Stift hinterliess. Viertens das Kreuz durch verdoppelte Arme in der englischen Flotte. Das russische Kreuz mit Ketten, die von den Armen herabhängen . Das napoleonische Ordenskreuz mit fünf Armen, zu viel für ein Kreuz, zu wenig für einen Stern.

[515] Ein sehr altes, schon in den römischen Katakomben vorkommendes Symbol ist das Andreaskreuz, auf dem ein griechisches R steht, ‎ oder . Das Andreaskreuz gilt hier als Ch, mit dem R verbunden bedeutet das ganze Symbol den Namen Christus. Didron, icon. p. 401. Ein aus zwei quer über einander gelegten Palmenzweigen gebildetes Andreaskreuz bedeutet den Sieg des Kreuzes, weil die Palme Sinnbild des Sieges ist. In der Kirche S. Paolo fuori delle mure bei Rom besteht das Kreuz aus zwei über einander gebogenen Palmbäumen. Ein Kreuz, welches nur aus vier Lorbeerzweigen besteht, siehe Twining, symb. pl. 7.

Der lange Stab mit dem Kreuz am obern Ende ist ein in ein Kreuz verwandelter Hirtenstab oder Botenstab, daher ihn zuweilen Gabriel als Engel der Verkündigung trägt. Er ist zuweilen auch die in ein Kreuz verwandelte Lanze, z. B. beim Erzengel Michael. Auch Christus stösst mit einem solchen Kreuzstabe die Pforten der Hölle auf. Didron, icon. p. 394. Desgleichen im alten Psalterium der Stuttg. Bibliothek, Bibl.-Nr. 23. S. 29. Auf Bildern der Auferstehung trägt Christus an dem langen Kreuzstabe noch die Siegesfahne. Eben so das Lamm Gottes.

Das einfach aus zwei Rohrstöcken zusammengebundene Kreuz ist nicht nur Attribut des Heilands in den Ecce-Homo-Bildern, sondern auch Johannes des Täufers. In der Hand des Letztern wehen Flammen von dem Kreuze oder strahlt es Licht aus. Ein Kreuz blos aus Licht bestehend ist das Kreuz am Himmel, welches Constantin der Grosse über der Sonne sah und welches die Inschrift trug: „In diesem (oder mit diesem) wirst du siegen!“ Eine Erscheinung, die seine Bekehrung zum Christenthum veranlasste. Er nahm dieses Kreuz in seine Fahne auf, welche Fahne (labarum) die gewöhnliche Form der Siegesfahne, nämlich eine vom Kreuzstab herabhängende, gleichfalls mit dem Kreuz bezeichnete Fahne hat. Vgl. Schrökh, Kirchengesch. V. 66. Binterim, Denkw. IV. 1. 543. – Ein sehr schönes Lichtkreuz, von [516] 33 Fuss Höhe, wurde ehemals in der Peterskirche, nachdem in der Osternacht alle Lichter gelöscht waren, plötzlich im Strahlenglanze zahlloser, daran befestigter Lampen enthüllt. Bunsen, Beschr. von Rom III. 1. 180.

Als König Alfons die Kirche zu Oviedo baute und dieselbe mit einem kostbaren goldenen Kreuze schmücken wollte, meldeten sich zwei fremde Goldarbeiter, die das Kreuz nach seinem Geschmack auszuführen versprachen. Am andern Tage liess er nach ihnen fragen und erfuhr, man höre nichts in ihrer Werkstätte und sehe nur einen hellen Schein. Da ging er selbst hin und fand das Kreuz in wunderbarer Vollendung. Die Künstler waren Engel gewesen. Die Legende erlangte so grosses Ansehen, dass alle spanischen Handschriften aus dem 10ten und 11ten Jahrhundert das Kreuz der Engel an der Stirne tragen und daran kenntlich sind, Serapeum VII. 95. Die Form des Kreuzes ist .

Das sogenannte südliche Kreuz, ein aus vier prachtvollen Sternen gebildetes Sternbild am südlichen Himmel, soll nach einer schönen Legende in's Paradies gestrahlt haben und von Adam und Eva gesehen worden seyn, ehe sie auf die rauhen Nordgipfel der Erde verstossen wurden. Dante, Fegfeuer I. 22. v. Humboldt, Untersuchungen über die Entdeckung von Amerika I. 93. In einer Hymne des Damiani heisst es sehr schön: „Gott zeichnete die Sterne mit dem Zeichen des Kreuzes und erhob dadurch die Seligen zu den Sternen.“ Fortlage Nr. 103.

Nach Tavernier I. 97. haben die Johanneschristen im Orient eine schöne Sage vom Kreuz. Täglich, heisst es, kommen Engel und legen das Kreuz in die Sonne und in den Mond, davon komme ihnen all ihr Licht.

Eine Schlange, welche das Kreuz umwindet, sollte ursprünglich das durch das Kreuz besiegte Böse bedeuten, wurde aber von der gnostischen Secte der Ophiten im heidnischen Sinne als Symbol des Lebens aufgefasst und bezeichnete das Kreuz als den Baum des Lebens. Münter, Sinnbilder [517] II. 113. Waagen, Paris 257. Die eherne Schlange Mosis, vor deren Anblick die lebendigen Schlangen verdorrten, ist Vorbild des Crucifixes. – Auf einem spanischen Bilde des Morales im Berliner Museum hat das Christkind auf dem Schooss der Mutter deren Weife zum Kreuz erhöht und hält in der andern Hand die Spindel. Diese Umwebung des Kreuzes scheint ein Gegenbild zu der Umringelung mit der Schlange zu seyn. Spinnen und Weben sind alte Sinnbilder des Lebens, wie die Schlange des Todes.

Wie Christus am Kreuz zuweilen aus der Seitenwunde einen Springquell von Blut ergiesst, der als Quell des Lebens gilt, so wird zuweilen auch das Kreuz allein abgebildet, zu dessen Füssen die vier Ströme des Paradieses oder der Evangelien hervorfliessen. Zuweilen nahen sich durstende Thiere diesen Strömen, dieselben Thiere, die auf andern Bildern sich um den christlichen Orpheus sammeln, oder wenigstens zwei Hirsche als Sinnbilder der durstenden Seelen. Twining, symbols, pl. 7. und 36.

Weintrauben und Aehren als Schmuck des Kreuzes bedeuten die Grundlehre der christlichen Religion; Epheu, der sich um's Kreuz windet, die Treue des Glaubens; Rosen; um's Kreuz gewunden, die christliche Liebe.

Das Kreuz über der Wölfin, ein Sinnbild des christlichen Rom, ist eine unpassende Verbindung des christlichen mit dem heidnischen Symbol (die säugende Wölfin war bekanntlich das Wahrzeichen des alten Rom). Piper, Myth. I. 413. Noch unziemlicher ist ein Bild des Herrad von Landsberg, auf dem Gott das Kreuz als Angel in den Rachen des Leviathan wirft.[WS 2]

Was die Farbe des Kreuzes anbelangt, so ist unter Crucifix schon bemerkt, dass sie anfänglich die grüne des Lebensbaumes war, später aber zur rothen Blutfarbe wurde. Rothe Kreuze kommen oft als Ordens- und Wappenzeichen vor, z. B. bei den Templern, weisse bei den Johannitern. Das schwarze Kreuz wählten sich die deutschen Ritter zum Kennzeichen, und es kehrte noch einmal wieder im eisernen [518] Kreuz des Jahres 1813 und in den grossen Eisenkreuzen, die man in Preussen auf die Kirchendächer setzt, wo das Geld zum Thurmbau nicht hinreicht. Gelbe Kreuze waren das Kennzeichen der wiederbekehrten Albigenser. Llorente, Gesch. d. Inquis. I. 153.

Das Kreuz, als Princip alles Radialen, strahlt nach allen Richtungen durch die Sphären der Welt und galt mithin auch als eine göttliche Signatur und Heiligung alles Räumlichen. So fasste unser altdeutscher Otfried das Kreuz mystisch auf als Sinnbild des Weltalls.

Die pantheistischen Gnostiker machten das Kreuz zum Sinnbild der Natur, der Materie, des Raumes unter der Gestalt eines die Arme nach beiden Seiten ausstreckenden Zwitters, welcher zur Rechten ein Mann war und die Sonne auf der Brust trug, zur Linken ein Weib war, mit dem Mond auf der Brust. In den sibyllinischen Büchern VIII. 320. bezeichnen die vier Wundenmaale des Heilandes am Kreuze die Himmelsgegenden. Auch Dante fasste die räumliche Durchkreuzung des Thierkreises, Aequators, Colurus und unsers Horizontes im Aequinoctium als ein mystisches Naturkreuz auf. Paradies I. 38. Vgl. die Uebers. von Kopisch S. 280. Dem entspricht auch das ungeheure aus lauter Seligen geformte Kreuz in demselben Gedicht, Paradies XIV. 15. Zwei lange Reihen von Seligen durchkreuzen sich am Sternhimmel, nachgebildet in einem alten Stich. Didron, icon. p. 410.

Der Triumph des Kreuzes ist eine in der griechischen Kirche oft vorkommende Vorstellung. Das Kreuz steht auf der Erde, innerhalb der streitenden Kirche unter Fürsten und Völkern, reicht aber oben in den Himmel als in die triumphirende Kirche, umringt von Engeln und Heiligen. Didron, ic. p. 423. Ein eigenthümlicher Triumph des Kreuzes ist auf einem Bild in Rheims dargestellt. Engel tragen das Kreuz zum Himmel empor, das. p. 426. Eine grosse Anbetung des Kreuzes durch alle himmlische Heerschaaren, Didron, manuel p. 345.

Ein tiefpoetischer Contrast liegt darin, dass man das [519] Kreuz früher, wie etwa jetzt den Galgen, als eine Hinrichtungsmaschine für gemeine Verbrecher verachtete, und nun, seit Christus es geadelt, als das höchste Zeichen im Himmel und auf Erden verehrt.

Das Kreuz ist als Sinnbild der Welterlösung mit einer magischen Gewalt ausgerüstet, eine sichere Waffe gegen alles Böse. Daher der alte Gebrauch des Segnens Anderer mit dem Kreuz (hauptsächlich der Gemeinde durch den Priester) und der eigenen Bekreuzigung. Crux Christi terror daemonum, sagt Rupert. Tuit. p 150. In einem alten Kreuzliede des Paderborner Liederbuchs (1850) Nr. 90. wird das Kreuz genannt: die Leiter zum Himmel, die rechte Brücke, „darüber alle Frommen wohl durch den Strudel kommen,“ das Siegeszeichen, der Himmelschlüssel, der Pilgerstab, das Rosenbette. Nicht nur auf allen Kirchen prangt das Kreuz als Zeichen, wem die Kirche geweiht ist, und auf Gräbern, zum Zeichen, dass hier Christen ruhen, sondern man errichtet die Kreuze auch als Schutz gegen jegliche Anfechtung an den Wegen, besonders an gefährlichen Orten. Hiebei ist vor Missbrauch zu warnen. Das Kreuz kann auch entweiht werden. General Dumouriez fand es auf Schweinströgen zu Mergentheim und frug: Le cochon, est il aussi de l'ordre teutonique?

Die im Kreuzsymbole liegende magische, übernatürliche, unmittelbar göttliche Gewalt ist nirgends so energisch geltend gemacht, als in Calderons La devocion de la Cruz. Ein misshandeltes, verstossenes Weib gebiert in einer Wüste, indem sie das Kreuz hilfeflehend umarmt, Zwillinge, einen Knaben, und ein Mädchen, denen zum Zeichen, dass der Mutter Flehen erhört sey, ein rothes Kreuz auf der Brust angeboren ist. Beide Kinder werden getrennt und unterliegen jeder bösen Verführung, immer aber werden sie durch das heilige Zeichen gewarnt. Ohne einander zu kennen, wollen Bruder und Schwester in Liebe sündigen, als sie das Kreuz aneinander entdecken. Er als Räuber begeht grosse Verbrechen, sie als entsprungene Nonne überlässt sich Ausschweifungen; allein ihr Glauben an das Kreuz ist noch mächtiger als ihre Sünde. [520] Der Sohn fällt im Kampfe, indem er aber sterbend das Kreuz anruft, kommt ein Bischof, hört ihn Beicht und absolvirt ihn. Das Mädchen, Julia, soll eben auch von ihren Verfolgern eingeholt und ermordet werden, als es ein Kreuz umfasst und, mit ihm in die Luft erhoben, verschwindet. Vgl. v. Schack, Gesch. der dramat. Kunst in Spanien III. 131. Hier soll nicht etwa ein gemeines und grobes Kreuzwunder jeden Frevel decken und entschuldigen, sondern es soll nur gezeigt werden, welche Macht dem verliehen ist, der den Glauben nicht verliert. Das Kriterium liegt in der Macht des Glaubens, ohne welchen das Zeichen allein seine Macht nicht äussern würde.

Das segnende Kreuzzeichen macht der griechische Christ von rechts nach links und legt dabei, indem er den Zeige-, Mittel- und kleinen Finger als Sinnbilder der Dreieinigkeit aufreckt, den Daumen mit dem Goldfinger über’s Kreuz zusammen. Der römische Christ macht es von links nach rechts, erhebt den Daumen, Zeige- und Mittelfinger und drückt die beiden letzten Finger einfach ein. Didron, icon. 415. Binterim, Denkw. IV. 1. 520. Die griechische Weise bezweckt, den Namen Christus auszudrücken, indem die beiden sich kreuzenden Finger das Andreaskreuz oder griechische Ch bilden; die drei aufgereckten Finger aber so gegen einander gestellt werden, dass der Zeigefinger gerade steht als I, der Mittelfinger sich aber so krümmt, dass er mit jenem ersten zusammen ein Ρ (das griechische R) bildet, während der sich ebenfalls etwas neigende kleine Finger ein C (das griechische S) darstellt. Kreuser, Kirchenbau I. 242. Eigenthümlich und offenbar zu künstlich ist die Segnung des Ephraim und Manasse durch den alten Jakob ausgedrückt, indem der letztere seine Arme über ihren Häuptern kreuzt. Didron, man. p. 93.

Das Kreuz wurde auch in Gottesurtheilen gebraucht, die Wahrheit zu ermitteln. Der Angeklagte machte die Kreuzprobe, indem er mit ausgebreiteten Armen am Kreuze stand, oder ein hölzernes Kreuz in's Feuer warf. War er unschuldig, so konnte er im ersten Falle länger stehen als sein [521] Ankläger, und im zweiten Falle blieb sein Kreuz unverbrannt. Binterim, Denkw. V. 3. 62. Grimm, d. Rechtsalterth. VI. 926. – Sogar in der Zauberei bediente man sich des Kreuzes, um damit den bösen Geistern Zwang anzuthun und sie zu dem zu bewegen, was man wollte. Eine Menge von abergläubischen Handlungen verrichtet man über's Kreuz, um sie dadurch wirksam zu machen.

Die Kirche feiert am 3. Mai das Kreuzerfindungsfest, d. h. den Tag, an dem die heilige Helena das echte Kreuz entdeckte, und am 14. September das Kreuzerhöhungsfest, d. h. den Tag, an welchem Kaiser Heraclius dieses verlorne Kreuz den Muhamedanern wieder abnahm.[WS 3] Einzelne Partikeln dieses echten Kreuzes wurden als grösste Heiligthümer an Fürsten versandt und in Gold und Edelsteine gefasst, weil alle für wunderthätig galten. Auch glaubte man, das heilige Kreuz Christi sey immer ganz geblieben, wenn auch noch so viele Partikeln davon abgetrennt worden wären. Gfrörer, Kirchengesch. II. 2. 780. Viele christliche Sekten hielten diese hohe Verehrung des Kreuzes, als eines blossen Zeichens oder Holzes, für Abgötterei. So die Manichäer, Paulicianer, Bogumilen. Aber schon Tertullian verwies die Verächter des Kreuzes auf die Vögel, die, mit ihren Flügeln ein Kreuz machend, Gott lobsingen; und Minutius Felix sagte ihnen ein sehr verständiges Wort: „Wir beten das Kreuz nicht an, aber wir fürchten es auch nicht.“ Man soll nicht das Holz anbeten, sondern das Kreuz Christi auf sich nehmen und ihm nachfolgen. Matth. 10, 38. 16, 24. Marcus 8, 34.

Die Cruciferi in Rom sind Mönche, die sich einzig der Tröstung Sterbender widmen und von einem Todtenbette zum andern gehen. Sie tragen ein hölzernes Kreuz, welches sie nie ablegen. Franciscus a cruce trug ein grosses und schweres Kreuz allein bis Jerusalem und zurück. Görres, Mystik I. 410. Die selige Johanna von Jesu Maria, die am 24. August verehrt wird, empfing in einer Erscheinung vom Heiland selbst ein schweres Kreuz. Auch der heiligen [522] Landrada wurde eins vom Himmel geschickt, dem heiligen Humbert eins durch einen Engel auf die Stirn gedrückt.

Der heilige Rochus wurde mit einem rothen Kreuz auf der Brust geboren. Ein rothes Kreuz trägt auch der heilige Capistran auf der Brust und Fahne. Der heilige Ignatius von Loyola sah ein Kreuz in der Sonne, was sein Attribut wurde. Das Kreuz Christi ist Attribut der heiligen Helena, und doch auf Bildern zuweilen nur wie ein gestaltet. Dasselbe Kreuz ist Attribut der Königin von Saba, jedoch noch nicht zum Kreuz gezimmert, sondern nur als ein schwerer Balken. Dem heiligen Xaver brachte ein Seekrebs das aus dem Schiff in's Meer gefallene Kreuz zurück. Mandelsloh, Reise 128.

Auf des Bartholomäus Cerverini, eines ermordeten Dominicaners, Grabe wuchs zum Zeichen seiner Heiligkeit ein Baum, dessen Aeste und Zweige sämmtlich ein Kreuz bildeten und dessen Blätter sogar mit Kreuzen bezeichnet waren. Steills Ephemeriden vom 9. Juni. Ein sprossendes Kreuz ist Attribut des heiligen Bruno.


  1. Didron, annales V. 323: La forme est une croix à double traverse, celle que l’on devrait appeler spécialement, exclusivement peut - être, la croix grecque. C’est à tout, en effet, qu’ on donne le nom de croix grecque à celle dont les branches sont ègales, car ce genre de croix appartient à l’Occident presqu’ autant qu’ à la Grèce.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: setsen
  2. Herakleios gewann das im Jahre 614 verlorene Kreuz im Jahre 630 von den Persern (Sassaniden) zurück.