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Titel: Bessemer’s Eisenfegfeuer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 673-675
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[673]

Bessemer’s Eisenfegfeuer.

In natürlichem Zustande findet man das Eisen so massenhaft auf der Erde, ja als ganze Gebirge in Amerika, daß es, außer dem Preise des Aufnehmens und Fortschaffens, fast gar nichts kosten würde. Aber in diesem natürlichen Zustande klammert sich eine Menge schlechte Gesellschaft an das noble Eisen, wie Speichellecker und Spione an jede noble Größe, und zwar so fest, daß es durch eine ganze Menge Fegfeuer getrieben werden muß, ehe man es erträglich von dieser schlechten Gesellschaft reinigen und in seinem noblen, zähen, dauerhaften, festen und scharfen reinen Zustande gewinnen kann. Ohne uns hier auf die Technik der Eisenproduktions-Industrieen – eine gar gewaltige Industrie und Wissenschaft – einzulassen, bemerken wir nur, daß das natürliche Roheisen im Durchschnitt erst durch sechs höllenheiße Fegfeuer – jedes ein kostbarer industrieller, chemischer Prozeß – schwitzen und fließen muß, ehe es nur als rohe Eisenbarre vom Grobschmied verarbeitet werden kann. Und der macht noch lange keine Damascener Klingen, keine haardünne Nähnadeln und andere Eisenkunstwerke, in welchen der Preis der Eisenbarre um mehr als das Zehntausendfache erhöht und veredelt erscheint. Das Haupthinderniß für den Eisenverbrauch d. h. die Civilisation, den Wohlstand und die Völker im Groben und Großen, für Acker- und Handwerkszeuge, Bauten und Bildungen aller Art, Großindustrie, kosmopolitische Straßen und Brücken zu Wasser und zu Lande, liegt bisher in der Kostbarkeit der sechs ersten Fegfeuer, aus welchen es zuerst für den Hammer brauchbar hervorgeht.

Wer diese sechs Fegfeuer vereinfachte, aus sechs wohl gar eins machte, der wäre auf einmal einer der größten Wohlthäter der Menschheit. Die Meisten werden wohl schon gelesen haben, wie sich die Engländer seit mehreren Wochen rühmen, in dem Londoner Civil-Ingenieur Mr. Bessemer diesen Heiland gefunden und der Welt geliefert zu haben. Wir bemerken hier gleich, daß die Erfindung Bessemer’s selbst noch eines bedeutenden Fegfeuers bedarf, da sie in der Ausführung bis jetzt sehr unsicher ist und oft mißlingt. In der Sache selbst ist sie aber richtig. Das Mittel, diese sechs kostbaren Fegfeuer in ein verhältnißmäßig billiges einziges zusammenzudrängen und so die Hauptwaffen der Civilisation aller Menschheit zugänglicher zu machen, ist gefunden.


Suchen wir hier, mit Vermeidung bestimmter wissenschaftlicher und praktischer Technik, die Sache durch Bild und Wort klar zu machen.

Der große praktische Werth des Eisens vor allen anderen Metallen besteht hauptsächlich in der ungeheueren Zähigkeit und Zärtlichkeit, womit dessen Molekulen, Atome oder kleinste Theile an- und ineinander haften. Eine Eisen- und eine Eichenstange von derselben Große, Länge und Dicke verhalten sich in ihrer Kraft wie fünf zu eins; d. h. um erstere zu zerbrechen, gehört fünf Mal mehr Kraft dazu, als zur Durchbrechung der letzteren. Zu dieser fünffachen Eichenkraft des Eisens kommt aber auch als Haupttugend die unerschöpfliche Hämmerbarkeit, so daß es sich in jeder Form und Fassung, in jede Größe ziehen, verdichten, verdicken, verdünnen, biegen und schmiegen läßt. Der ungeheuere hohle Eisenbalken, der über die Menai-Meerenge hin England mit einer Meeresinsel verbindet, läßt Eisenbahnzüge durch sich hindurchschießen, ohne daß er sich nur rührt. Aber vorher war das Eisen nachgiebig genug, sich um diesen großen, hohlen Gedanken herumschmiegen zu lassen, die „Theorie hohl“ zu lassen, aber auch eine ungeheuere Praxis mit Dampf solid durch sich hin- und herzutragen.

Aber diese Festigkeit und Gefügigkeit des edelsten (nicht blos eines edeln) Metalles hängt von seiner Reinheit und, da es in [674] der Natur stets in schlechter Gesellschaft, als da sind Kiesel, Kohle, Schwefel, Phosphor, Sauerstoff u. s. w. (an sich und in ihrer Sphäre gar keine schlechte Gesellen) gefunden wird, von unserer Kunst und Geschicklichkeit und den schweren Kapitalien, welche die Ausübung derselben erfordert, ab. In dem rohen Eisenerze finden sich diese chemischen und mechanischen Vergesellschaftungen in unentwirrbarer Confusion. Die sechs kostbaren Fegfeuer treiben nun zwar die flüchtigeren Gesellen Kohlenstoff, Sauerstoff u. s. w theils durch die Hitze direkt, theils durch Begünstigung neuer, chemischer Prozesse aus, aber nicht ganz, so daß nach allen diesen kostbaren hitzigen Arbeiten immer noch kleine Bruchtheile und geringe Prozente der ehemaligen Gesellschaft in dem sechsfach gereinigten Eisen zurückbleiben und dessen Hämmerbarkeit und Festigkeit beeinträchtigen. Aber diese Unreinheit ist nur noch chemisch von Bedeutung, für praktische Zwecke im Großen ist das dreifach gereinigte Gußeisen und das sechsfach gereinigte, drei Mal stärkere und elastischere Schmiedeeisen gut und praktisch. Das Haupthinderniß bleibt also immer noch die Kostbarkeit dieser sechsfachen Reinigung mit dem üblen Umstände außerdem, daß in den großartigsten Anstalten nur immer geringe Quantitäten auf einmal „gepuddelt“ werden können.

Um die Paulskirche in London läuft ein Eisengitter, das blos 7000 Pfund Sterling zu puddeln kostete. (Ich weiß nicht, ob der Ausdruck in Deutschland den bestimmten Sinn hat, wie in England. Hier versteht man unter dem „Puddling“-Prozeß die Ausreinigung des geschmolzenen Eisens oder Gußeisens zu einem hämmerbaren Zustande durch Austreibung von etwa vier Prozent Kohlenstoff.)

Diese 7000 Pfund Sterling Kosten würden sich unter dem Bessemer’schen Verfahren auf 230 Pfund reducirt haben.

Diese beiden Zahlen machen die ungeheuere Wichtigkeit der Bessemer’scher Erfindung mit einem Schlage Adam Riese’s anschaulich. Sie ist sehr einfach, wie alles Große, nicht nur thatsächlich aus der Luft gegriffen, sondern besteht auch thatsächlich blos aus Luft, welche durch die zum ersten Male geschmolzene Eisenerzmasse gleich mit solcher Macht und Masse getrieben wird, daß sich nichts in dem kochenden, sprudelnden, unreinen Brei halten kann, als blos das noble, solide Eisen. Luft, blos überall umsonst zu habende Luft für fünf Fegfeuer, die an Holz oder Kohlen jedes Mal einen kleinen Wald auffressen, abgesehen von der verzehrenden Hitze der Arbeit, der Kostbarkeit dazu gehöriger Lokale, Oefen und sonstiger Materialien. Nach Bessemer’s Erfindung wird die zum ersten Male geschmolzene Eisenerzmasse in ein Becken geleitet mit Löchern unten ringsum, durch welche aus ein paar mächtigen, dampfgetriebenen Blasebälgen Luft in die unreine, flüssige Eisenmasse gezwungen wird, so daß sie furchtbar aufkocht und statt sich durch diesen fürchterlichen Luftzug abzukühlen, nur immer hitziger und leidenschaftlicher quackert und gurgelt, weil der Luftstrom den bisher in Eisen gebundenen Kohlenstoff losreißt und entflammt mit sich fortreißt, so daß der schädliche Bestandtheil sich im Augenblicke seiner Entbindung immer sofort zu einem thätigen, brennenden Heiz- und Schmelzmaterial verwandelt. Zuerst brechen brennende Flammenbüschel und feuerspeiende Krater aus den Oeffnungen des Beckens oben hervor; dann schwillt die kochende Flüssigkeit innerhalb und schickt mit der hindurchrasenden Luft die nicht eisernen Bestandtheile, alle Unreinigkeiten auf die Oberfläche, wo sie sich wie eine erdige Kruste ansammeln. Schwefel und Phosphor müssen im Verbrennungsprozesse mit der Luft in die Luft hinaus. Kurz nach einer gehörigen Durchkochung und Durchblasung bleibt Eisen zurück, welches nach diesem einen Prozesse reiner ist, als sonst nach den üblichen sechs, d. h. aber, wenn das „wenn“ und „aber“ dabei gut gerathen sind. Das so rein geblasene Eisen hängt in seiner Qualität von der Dauer und Energie ab, womit Blasius hindurchfuhr und mitnahm, was nicht in die solide, noble Masse gehörte. Davon hängen nicht nur die verschiedenen Eisenarten ab, wie Gußstahl, Hartstahl und weiches Schmiedeeisen, sondern auch der Umstand, ob’s hernach überhaupt brauchbar sei. Die Operation ist eine große, grobe, aber zugleich auch eine sehr feine, die nur durch feine Praxis und genaue wissenschaftliche Einsicht gesichert werden kann.

Mr. Bessemer behauptet, in diesen Prozessen der Reinigung, d. h. der Verwandlung des Eisens zu verschiedenen Verbindungen mit weniger und weniger Kohle (Gußstahl, Hartstahl, Schmiedeeisen) eine Stufe sichern zu können, die er Halbstahl nennt, härter wie Schmiedeeisen und weniger zerbrechlich, als Stahl, welches für Zwecke, wo Leichtigkeit, Stärke und Dauerhaftigkeit vorzüglich erforderlich sind (also bei allen architektonischen Zwecken, für welche das Eisen in geometrischen Proportionen zunimmt), von der größten Wichtigkeit sein wird.

Das ist Bessemer’s Erfindung. Einige Minuten lang Luft in das erste Fegfeuer einblasen, und die andern fünf sind als unnöthige Eisen- und Brennmaterial- und Arbeiterquälerei gestrichen. Bester Stahl, jetzt bis 30 Pfund Sterling die Tonne, wird in jeder beliebigen Menge für ein Fünftel des Preises zu haben sein. Schmiedeeisen wird um ein Drittel des Preises fallen. England wird direkt jährlich 15 Millionen Pfund Sterling an Eisenproduktion sparen, d. h. es kann für 5 Millionen Pfund Sterling jährlich mehr produciren, ohne das Anlagekapital zu vergrößern. Das heißt für England noch viel mehr. Es bezieht sein gutes Eisen bis jetzt von Schweden, Rußland u. s. w. für 20 bis 30 Pfund per Tonne. Dies wird England mit Bessemer’s Prozeß für 6 bis 8 Pfund per Tonne selber und besser machen. Dies gibt eine Handels-, eine Kulturrevolution von der unermeßlichsten „Tragweite.“

Um die hiermit im Allgemeinen gegebene Sache noch in ihren Einzelheiten anschaulich zu machen, verweisen wir auf unsere Abbildung eines patentirten Bessemer’schen Apparates. Der Hauptschmelzofen ist wie andere construirt, und besteht aus einem gußeisernen Außenmantel und einer gemauerten innern Haut. Wir sehen auf der Abbildung beide Kopieen seiner Anstalt in Baxter-House, H. Pancras, London. Der Ofen in der Mitte ist der äußere, oben rund, gebaut auf ein starkes Fundament von Steinen. Die innere Konstruktion wird durch Sektionen, die drei abgezeichneten Durchschnitte, anschaulich. Der Schmelzofen besteht aus einem obern und untern Stockwerke. Die geschmolzene Eisenmasse wird durch eine Seitenöffnung in der Mitte aus dem Schmelzofen in den Reinigungsapparat geleitet. Unten in letzterem ist eine ähnliche Oeffnung zur Ableitung des gereinigten Metalls. Die Luft wird durch fünf Röhren von Unten hineingezwungen. Sie drückt mit etwa 10 Pfund auf jeden Geviertzoll, hinreichend, um sie durch die geschmolzene Masse hindurchzutreiben, und sie mit allen bewegten, kochenden, kleinsten Theilen derselben reinigend und ausbrennend in genaue Berührung zu bringen und die brennenden und chemisch sich zersetzenden fremden Bestandtheile mit furchtbarer Gewalt aus den beiden Oeffnungen oben mit sich fortzureißen. Die Richtung der Luft und der von ihr ergriffenen Unreinigkeiten ist durch Pfeile in dem zweiten Querdurchschnitte angezeigt.

Wir sehen unter No. I.: 1) Röhre für die Flamme aus dem Eisen; 2) Oeffnung zum Entweichen derselben; 3) Behälter für das geschmolzene Metall; 4) Eisen zur Weißglühhitze gebracht und geschmolzen; 5) Oeffnung zur Einführung des Metalls aus dem Schmelzofen; 6) Oeffnungen zur Einführung der Luft; 7) eine zweite der Art; 8) innerer Mantel; 9) Zapfen zur Ableitung des gereinigten Metalls.

II. B. Behälter für das geschmolzene Eisen; C. Luftröhre; D. Zapfen.

III. 1) Aeußerer Mantel; 2) innerer Mantel; 3) Luftweg durch die geschmolzene Masse; 4) Luftröhre in Verbindung mit einem Apparate zum Pumpen ; 5) Zapfen; 6) Luftweg in Verbindung mit B, den Behälter für die geschmolzene Masse vermittelst der hier eingezeichneten Röhren; 7) Ausweg für die Luft und die Unreinigkeiten.

Vermittelst dieser Verbildlichung wird die merkwürdige, bisher verwickelte, kostbare, schwere Arbeiten einem einfachen chemischen Prozesse überweisende Verwandelung des Roheisens in Schmiedeeisen und Stahl einleuchtend. Man sieht, daß der Apparat neben einem ordinären Schmelzofen steht, aus welchem die geschmolzene Eisenerzmasse in den patentirten Apparat geleitet wird. Hier wird durch mächtig eingezwungene Luft eine ganze Reihe reinigender und ausscheidender chemischer Prozesse durch die höchste Temperatur auf die hitzigste und schnellste Weise hervorgerufen, die bei kalter Luft entweder gar nicht möglich sind, oder viele Jahre brauchen würden, um zu vollenden, was hier in 20 bis 30 Minuten gründlich abgemacht wird. Der Sauerstoff der eingeführten atmosphärischen Luft bemächtigt sich zuerst der in Eisen versteckten Kohle und führt sie unter Entwickelung der heißesten Flamme als Kohlensäure mit sich fort. Dadurch wird zugleich kohlenstoffgebundenes Eisen frei, welches zum Theil mit Sauerstoff sich verbindend verbrennt, d. h. schnell verrostet oder zu Eisenoxyd wird. Aber so schnell und unter [675] solcher Hitze in Rost verwandelt, hat es in der hindurchbrausenden Luft keinen Augenblick Ruhe, sondern wird in der geschmolzenen Masse umhergetrieben und unterstützt dadurch die Ablösung anderer fremder Bestandtheile vom Eisen. Das flüssige Eisenoxyd scheuert und wäscht namentlich das Silicium (Kiesel) des Eisens von jedem Atome ab, und reißt es in der flammend brausenden Luft mit fort. Ebenso geht’s dem Schwefel, der bei niederer Temperatur ganz besonders hartnäckig am Eisen hängt, jetzt aber von den feurigen Armen des Sauerstoffs als schwefelsaures Gas an die Luft gesetzt wird.

Dieser Lüftungsprozeß wird etwa 20 bis 30 Minuten fortgesetzt, um hämmerbares gutes Eisen zu gewinnen. Zwanzig bis dreißig Minuten! Ja, da liegt der Haken. Manchmal kömmt’s auf eine Minute an. Bei der ungeheuern Feurigkeit und Schnelligkeit der chemischen Prozesse kann eine Minute zu lange Alles verderben, und die ganze Masse in spröde, krystallinische, unbeugsame zerbrechliche Schlacke verwandeln. Das Schlimmste ist, das die rechte Zeit nicht vom besten Chronometer gemessen werden kann. Sie hängt von der Masse des Eisenbreies, der Energie der Blasebälge und deren Luftzufuhr und andern Kleinigkeiten ab. Das läßt sich jedoch von feiner Beobachtung, Wissenschaft und deren Instrumente, mit denen man Quantitäten und Qualitäten der Körper auf’s Genaueste messen und reguliren kann, Alles überwinden.[1]

Und so steht zu hoffen, daß wir „fünffaches Eichenholz“ sehr wohlfeil als Bauholz und Mauerwerk, und tausenderlei wohlfeile Werkzeuge der Freiheit über die Erde und ihre Gewalten, der Fülle und Schönheit des Lebens, aus dieser Erfindung hervorquellen sehen.

„Heiland soll das Eisen sein,“ sang ein deutscher Dichter. Und ein anderer:

„Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
Der wollte keine Knechte!“



  1. Wie es scheint, ist bereits diese Schwierigkeit überwunden und Bessemer’s Erfindung durch eine sicherere von Uchatius in Wien, Eisenerz durch Schmelztiegel in Gußstahl zu verwandeln (in England bereits patentirt), geschlagen, um so mehr, als Bessemer’s Fegfeuer immer noch unvollkommen reinigen und namentlich Phosphor und Schwefel nicht ganz austreiben können.
    D. Redakt.