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Warth,
Gemeinde III. Kl. mit 377 Einw. wor. 3 Kath., – Ev. Pfarrei; die Kath. sind nach Rohrdorf eingepfarrt.


Der nicht große, ziemlich regelmäßig und etwas gedrängt angelegte Ort, dessen reinlich gehaltene Straßen durchaus gekandelt sind, liegt 21/2 Stunden nordwestlich von der Oberamtsstadt und hat auf der Hochebene zwischen dem Nagold- und Schwarzenbach-Thal eine freie Lage mit schöner Aussicht an die Alp. In Folge dieser Lage ist die Luft zwar gesund, jedoch etwas rauh und stets bewegt; Frühlingsfröste schaden zuweilen, dagegen kommt Hagelschlag selten vor.

Beinahe in der Mitte des Orts steht die Pfarrkirche auf einem freien Platz, von dem Vicinalstraßen nach Berneck, Ebershardt, Gaugenwald und Ober-Haugstett nach 4 Richtungen ausgehen; eine weitere Vicinalstraße führt nach Mindersbach.

Die im 15. Jahrhundert erbaute Kirche wurde im J. 1768/69 durchaus in einen einfachen Styl verändert und trägt auf der vorderen Giebelseite ein verschindeltes Thürmchen (Dachreiter) mit 2 Glocken, von denen eine im J. 1856 von Heinrich Kurtz in Stuttgart umgegossen wurde; die andere ist sehr alt und trägt weder Schrift noch Zeichen. Das Innere der Kirche hat außer einem alten hohlen Taufstein und einigen germanisch geschnittenen und bemalten Leisten an der flachen Decke nichts Bemerkenswerthes. An | den Unterhaltungskosten der Kirche hat die Gemeinde 2/3 und der Filialort Ebershardt 1/3 zu bestreiten. Die erste auf der Stelle der Kirche gestandene Kapelle ließen 11 Bauern, aus denen früher die Bürgerschaft des Orts bestand, auf ihre Kosten erbauen und machten sich nebenbei verbindlich dem aus ihren Mitteln bestellten Kaplan jährlich 11 Klafter Holz zu liefern, welche der gegenwärtige Ortsgeistliche noch bezieht.

Der früher um die Kirche gelegene Begräbnißplatz wurde im Jahr 1838 aufgegeben und außerhalb des Orts an der Straße nach Gaugenwald ein neuer angelegt.

Das in der Nähe der Kirche gelegene Pfarrhaus befindet sich in gutem Zustande und wird von dem Staat unterhalten.

Die Pfarrcollatur ist landesherrlich.

Das Schul- und Rathhaus ist ein sehr ansehnliches im mittelalterlichen Spitzbogenstyl im Jahr 1846 mit einem Aufwand von 7000 fl. hergestelltes Gebäude, das auf der vorderen Seite ein spitzes Giebelthürmchen trägt; es enthält 2 geräumige Lehrzimmer, die Wohnung des Schulmeisters und im oberen Stockwerke die Gelasse für den Gemeinderath. Eine Industrieschule besteht.

Ein öffentliches Back- und Waschhaus, in welchem sich auch das örtliche Gefängniß befindet, ist vorhanden.

Trinkwasser liefern 6 Pumpbrunnen, die jedoch in trockenen Jahrgängen ihren Dienst versagen, so daß das Wasser an dem 1/8 Stunde südwestlich vom Ort gelegenen Fruchtbrunnen, einer reichlichen, sehr guten Quelle, (Ursprung des Tiefenbachs) und an dem nahe bei derselben hervordringenden Scheltenbrunnen geholt werden muß. Auch besteht in der Nähe des Fruchtbrunnens ein Weiher und im Ort selbst wurde im Jahr 1849 eine Wette angelegt; früher bestand auf den Seewiesen ein weiterer Weiher, der längst in Wiesengrund umgewandelt wurde.

Die im Allgemeinen körperlich kräftigen und gutgewachsenen Einwohner sind fleißig, sparsam und haben regen Sinn für Religion; auch die Secte der Neukirchlichen hat hier Boden gefunden und gegenwärtig bekennen sich 18 Personen zu derselben. Die Erwerbsquellen bestehen in Feldbau verbunden mit Viehzucht und bei den minder Bemittelten in Holzmachen, Einsammeln von Tannenzapfen etc. durch letzteres kann sich ein gewandter Sammler in einem Winter 150–200 fl. verdienen. Von den Gewerben sind außer den gewöhnlichen Handwerkern nur 2 Schildwirthschaften, eine Bierbrauerei und 2 Krämer zu nennen. Die Vermögensumstände sind ziemlich gut und nur 6 Kinder und ein Mann werden von Seiten der Gemeinde | unterstützt. Etwa 5–6 Bauern haben je einen Grundbesitz von 60–70 Morgen Felder und 10–20 Morgen Waldungen; der sog. Mittelmann besitzt etwa 25 Morgen Felder und 4–5 Morgen Waldungen, während die minder bemittelten Taglöhner und Holzmacher immer noch einen Grundbesitz von 3–5 Morgen Felder haben.

Die Gemeinde ist im Besitz von 304 Morgen Waldungen, deren jährlicher Ertrag, als Langholz verkauft, der Gemeindekasse etwa 2000 fl. einträgt; überdieß bezieht dieselbe aus der Schafweide und der Pferchnutzung gegen 150 fl.

Die ziemlich große, beinahe zur Hälfte mit Wald bestockte Markung ist ziemlich uneben, kann aber noch gut bebaut werden und hat im Allgemeinen einen fruchtbaren Boden, der größtentheils aus den Verwitterungen des bunten Sandsteins, theils aus denen der Wellenmergel, die einen fruchtbaren sandigen Lehm liefern, besteht. Von den 2 vorhandenen Steinbrüchen liefert der eine gute Werksteine, der andere, 1/8 Stunde südwestlich vom Ort gelegene, schöne, gesuchte Platten; überdieß bestehen eine Lehmgrube und 2 Wellenmergelgruben, von denen eine ein reicher Fundort für den Petrefactensammler ist.

Die Landwirthschaft wird mit Umsicht getrieben und hat sich in neuerer Zeit sehr gehoben; landwirthschaftliche Neuerungen, wie der Flanderpflug, die Walze, die eiserne Egge etc. haben allgemein Eingang gefunden. Der landwirthschaftliche Betrieb geschieht vorzugsweise in Dreifelder-Eintheilung und nur der nordwestlich vom Ort gelegene Theil der Feldmarkung wird willkürlich bewirthschaftet; man baut Dinkel, Haber, Roggen, Gerste, Linsen, Erbsen, Wicken, Ackerbohnen, dreibl. Klee, etwas Luzerne, Kartoffeln, Kraut, Rüben, Angersen, Flachs, Hanf und zuweilen Reps, der gerne gedeiht. Flachs wird auch nach Außen verkauft. Bei einer Aussaat von 1 Scheffel Dinkel, 4–5 Sri. Haber, 4 Sri. Roggen und eben so viel Gerste per Morgen, beträgt der durchschnittliche Ertrag eines Morgens 7-8 Scheffel, ausnahmsweise 10 Scheffel Dinkel, 4–5 Scheffel Haber, 4 Scheffel Roggen und 3-4 Scheffel Gerste. Bei dem im Verhältniß zu dem Ackerbau nicht beträchtlichen Wiesenbau, dem nur wenig Wässerung zukommt, beläuft sich der durchschnittliche Ertrag auf 20–25 Ctr. Heu und 10–12 Ctr. Öhmd per Morgen. Die Preise der Güter bewegen sich bei den Äckern von 10 bis 120 fl. und bei den Wiesen von 60–200 fl. per Morgen. In günstigen Jahren erlaubt der Felderertrag einen Verkauf nach Außen von etwa 130 Scheffel Dinkel und 170 Scheffel Haber.

| Die nicht unbedeutende Obstzucht beschäftigt sich vorzugsweise mit Mostsorten und etwas Tafelobst, wie mit Wadelbirnen, Knausbirnen, Harigelsbirnen, Ammerthalerbirnen, Sommerbergamotte, Schnabelsbirnen, Spitzäpfeln, Zipperlesäpfeln, Murkenthaleräpfeln, Fleinern, Luicken, Lederäpfeln u. s. w. In reichlichen Obstjahren wird ziemlich viel Obst auswärts abgesetzt. Eine Privatbaumschule ist vorhanden.

Der im Allgemeinen gute Rindviehstand besteht aus einer tüchtigen Landrace, welche durch 2 Farren (eine Kreuzung von Simmenthaler und Landrace) verbessert wird; die Zuchtstiere hält ein Bürger Namens der Gemeinde gegen jährlich 100 fl. und der Nutznießung von 5/4 Morgen Wiese. Die Stallfütterung ist eingeführt. Mit Rindvieh, auch mit gemästetem, wird ein nicht unbeträchtlicher Handel auf benachbarten Märkten getrieben.

Schafzucht und eigentliche Schweinezucht bestehen nicht, dagegen läßt ein fremder Schäfer 130 Stück Bastarde auf der Markung laufen.

Die Ferkel werden eingeführt und theils für den eigenen Bedarf, theils zum Verkauf gemästet.

Auf der 1/8 Stunde südöstlich vom Ort gelegenen Anhöhe, Berg genannt, genießt man eine ausgezeichnet schöne Aussicht in das Nagoldthal, über einen Theil des Schwarzwaldes und an die schwäbische Alp, die hier von dem Plettenberg bis zur Achalm sichtbar ist.

In dem 1/4 Stunde westlich vom Ort gelegenen Walde Neubann befindet sich ein runder Schutthügel, das Pfaffenhaus genannt; vermuthlich stand hier eine Lollhardenwohnung.

In diesem Walde stand auch die wegen ihrer Größe und seltenen Wuchses bekannte „Muttertanne“, welche im Jahr 1855 gehauen und mit 95 fl. bezahlt wurde. Merkwürdiger Weise haben sich bei diesem Baume aus den wagrecht ausstehenden, eigentlichen Ästen mehrere Tannen frei aufwärts erhoben, welche zum Theil 40ger Stämme lieferten.

Warth ist wohl im 14. Jahrhundert an Württemberg gekommen; es wird übrigens in keiner der Ankaufsurkunden über benachbarte Herrschaften genannt.


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