Berliner Plaudereien (Die Gartenlaube 1863/23)

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Berliner Plaudereien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 367–368
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[367] Berliner Plaudereien. Aus einer königlichen Residenz ist Berlin eine volksthümliche Fabrikstadt geworden. Die großartigen Maschinenbauanstalten von Borsig, Egels etc., die Cattun- und Wollenwebereien [368] und Druckereien von Reichenheim, Liebermann und Goldschmidt wetteifern mit denen des Auslandes, so daß ein großer Berliner Fabrikant dem Könige, als dieser ihn bei einer offiziellen Vorstellung nach seinem Namen frug, mit Recht sagen durfte: „Ew. Majestät, ich bin ja der Commerzienrath L....., der da hat die Engländer vom Continent verdrängt.“ Eigenthümlich für Berlin sind zwei kleinere Industriezweige, welche sich in kurzer Zeit zu einer kaum glaublichen Höhe emporgeschwungen haben: der Handel mit Stickmustern und das sogenannte Confectionsgeschäft mit hier angefertigten Mänteln und anderen Kleidungsstücken. Berliner Mantillen, Hüllen und Paletots wandern nach Dänemark und Schweden bis hoch nach dem Norden, sowie nach dem Süden bis in die Donauländer und in die Türkei, während die holde Miß und die stolze Lady, die Londoner und New-Yorker Damen nach Berliner Mustern und mit Berliner Wolle sticken, wenn sie es nicht vorziehen die bereits vollendeten Arbeiten zu kaufen und mit fremden Federn sich zu schmücken. Der Grund für den Aufschwung dieser Industrie liegt in den hiesigen Verhältnissen, besonders in der Billigkeit des Arbeitslohnes. Sehr viele Berliner Damen, selbst aus den sog. besseren und höheren Ständen, verschmähen es nicht, sich in ihren Mußestunden mit verschiedenen weiblichen Handarbeiten zu beschäftigen, um sich dadurch ein kleines Taschengeld für ihre Nebenausgaben, Toilette und sonstige Liebhabereien zu verschaffen. Holde Geheimrathstöchter, welche mit ihren zarten Händen so emsig an einer zierlichen Zigarrentasche oder an einem sanften Ruhekissen sticken, haben diese sauberen Kunstwerke nicht für einen poetischen Anbeter, einen gehalttosen Referendar oder Assessor, sondern für einen prosaischen, aber sicheren Kaufmann gegen baare Bezahlung bestimmt. Dagegen wird so mancher John Bull und Yankee von seiner holden Braut oder der zärtlichen Gattin mit einem reizenden Angedenken überrascht, das nicht sie, sondern eine fleißige Berlinerin heimlich auf Bestellung angefertigt hat. Das sind die Fortschritte des internationalen Verkehrs!

Die Kunst und das Theater gehen auch hier wie anderswo nach Brod und ziehen einen stets gedeckten Tisch der hungernden Unsterblichkeit vor. Große Historienmaler besitzt Berlin nicht, außer Cornelius, der immer noch auf die Vollendung des Campo Santo wartet, das er mit seinen Fresken schmücken sollte. Zuweilen begegnet man im Thiergarten in der Nähe des Raczynski’schen Palais einem kleinen Mann, welcher der große Cornelius ist. Wer ihn aber genauer kennen lernen will, der muß ihn in München aufsuchen, wo sich sein Genius in Kirchen und Museen offenbart. Dort weilt sein Geist, in Berlin nur sein Schatten, der aber immer noch groß genug ist, um alle übrigen Künstler zu verdunkeln. Es giebt hier auch, wie man von Zeit zu Zeit aus den Zeitungen durch verschiedene Ankündigungen erfährt, eine Akademie der Künste mit mehreren Professoren, die kein Mensch kennt. Desto berühmter sind die Herren Menzel, Knaus, Richter, Becker, Magnus, Hildebrand in ihrem Genre. Letzterer weilt gegenwärtig in Indien, von wo er, reich beladen mit Landschaftsstudien und Motiven, zurückerwartet wird. Eduard Hildebrand ist der größte Farben-Virtuose, dessen Palette vor keinem Wagnis, vor keinem noch so kühnen Lichteffect zurückschreckt; Morgenroth, Alpenglühen und Nordlicht sind ihm nur Kleinigkeiten und die Gluth des tropischen Sonnenuntergangs eine wahre Lumperei. Seine Farben brennen, leuchten, blitzen und zünden, obgleich er auch den bescheidenen Reiz und den stillen Zauber einer minder glänzenden, nordischen Natur mit bewunderungswürdiger Feinheit und Sinnigkeit in sich aufzunehmen und wiederzugeben weiß. Ein geistreicher Freund nennt ihn nicht mit unrecht den „Freiligrath der Malerwelt“. – Auf dem Theater herrscht die Berliner Posse, die zwar witzige, aber entartete Tochter der komischen Muse, eine kecke Dirne, der nichts heilig ist und die aller Welt ein Schnippchen schlägt. Sie hat ihren Hauptsitz im Wallner’schen Theater aufgeschlagen, das von der besten Gesellschaft besucht wird und in der That ein vorzügliches Ensemble bietet. Der urkomische Helmerding, der überraschende Reusche, der drastische Neumann und die reizende Soubrette Fräulein Schramm bilden ein vierblättriges Kleeblatt, wie es nur selten zum zweiten Mal befunden werden dürfte. Das kleine Theater in der Blumenstraße ist jetzt das Rendezvous für Fremde und Einheimische, für Aristokratie und Volk. Selbst Herr von Bismarck verschmäht es nicht mit fremden und einheimischen Diplomaten in der Prosceniumsloge zu erscheinen und über die Ausfälle und Anspielungen auf die neueste Aera und ihre Conflicte zu lachen. Als bei der letzten Anwesenheit des Ministerpräsidenten im Theater der Komiker Helmerding stürmisch gerufen wurde, sagte derselbe mit seinem eigenthümlichen Lächeln zu dem Publicum gewendet: „Ich höre schon, auch wenn ich hinter der Thüre stehe.“ –