Beethoven’s neunte Symphonie

Textdaten
Autor: Herrmann Hirschbach, Georg Dietrich Otten, Robert Schumann
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Titel: Beethoven’s neunte Symphonie
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aus: Neue Zeitschrift für Musik, Band 9
Herausgeber: Robert Schumann
Auflage:
Entstehungsdatum: 1838
Erscheinungsdatum: 1838
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Neue Zeitschrift für Musik 1838, Jahrgang 5, Band 9 Commons
Kurzbeschreibung: Eine Artikelfolge
– Herrmann Hirschbach: Beethoven’s neunte Symphonie – Eine Ansicht
Nr. 5, 17. Juli 1838, Seite 19-21;
Nr. 7, 24. Juli 1838, Seite 27-28;
Nr 8, 27. Juli 1838, Seite 31-32

– Georg Dietrich Otten: Beethoven’s neunte Symphonie – Eine andere Ansicht
Nr. 15, 21. August 1838, Seite 59-60;
Nr. 16, 24. August 1838, Seite 63
– Herrmann Hirschbach: An Hrn. O. in Hamburg, betreffend Beethoven’s neunter Symphonie
Nr. 20, 7. September 1838, Seite 80-81
– Georg Dietrich Otten: Beethoven’s neunte Symphonie – An Herrn Hirschbach
Nr. 41. 20. November 1838, Seite 163-164;
Nr. 42, 23. November 1838, Seite 167-168

Die Partitur, auf die sich die Autoren beziehen, ist die Erstausgabe, 1826 bei Schott in Mainz erschienen (Plattennummer 2322): Commons
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[19]

No 5. Den 17. Juli 1838.

Beethoven’s neunte Symphonie.
Eine Ansicht von H. Hirschbach.

Es herrscht über dieses Werk des großen Meisters solcher Meinungszwiespalt, daß eine kritische Besprechung nicht uninteressant sein möchte, um so mehr, da gedachte Symphonie nur selten zur Aufführung gebracht wird, und deshalb Gelegenheit zum Verständniß derselben durch öfteres Hören den Meisten unzugänglich ist. Durch einmaliges Vernehmen aber kann selbst der tiefer musikalisch Gebildete irre geleitet werden, und bei der Eitelkeit der Menschen, jedes Kunstwerk gleich verstanden haben zu wollen, bleibt der Künstler oft gänzlich mißverstanden und verkannt. Der gerade an Genie Reichste kann so für geistesarm, das kühn in sich Fest-Gegründete für unnatürlich und verzerrt gehalten werden, während dem blos seinem Genie folgenden Künstler noch ganz neue Welten unerhörter Erfindung sich zeigen, gegen welche er selbst seine bisherigen, den Kunstfreunden noch unbegreifliche Schöpfungen, für bloße Vorbereitungen und Versuche halten muß. – Dies war und wird stets das Schicksal großer Künstler sein, während die kleinen gerade die umgekehrte Laufbahn machen: erst überschätzt, dann zurückgesetzt zu werden. – Beethoven ist im Vergleich zu dem, was er geliefert, von der Welt bei seinem Leben gänzlich vernachlässigt worden, und wenn der große Künstler den Lohn und den Drang zu immer neuen Schöpfungen nicht in sich fände, wahrlich, sein Zustand wäre bedauernswerther, als der des gemeinen Handwerkers [/] gewesen. – Mit welchen Gefühlen muß nun zehn Jahre nach dem Tode des jetzt von so Vielen geliebten Meisters eine Kritik über seine letzte, von ihm in tiefem Seelenergriffensein und zugleich schmerzlichster Dürftigkeit geschriebene Symphonie abgefaßt werden, besonders gar, wenn dieselbe, des Strebens entgegengesetzter Meinungen wegen, kalt und herzlos die Blätter des geheimen Buches auseinanderzufalten und zu entziffern hat. Aber eben, weil des ächten Künstlers ganzes Wesen und Streben nur Wahrheit ist, darum kann auch die Wahrheit über ein Werk von ihm sein Andenken nicht kränken, sondern nur zeigen, wie weit er sich über die Gewöhnlichkeit erhoben; sein Großes wird klar hervortreten, und das Mißlungene als nicht ganz von ihm abhängig sich darthun. –

Zur Symphonie selbst.

Der erste Satz beginnt damit, daß unter fortwährendem leisen Tremuliren von 2ter Violine und Cello auf A-Moll, und dem Aushalten der Hörner, denen sich später nach und nach die höheren Blaseinstrumente zugesellen, die Anfangsfigur des Themas leise abwechselnd von 1ster Violine, Bratsche und Baß angegeben wird.

[WS 1]

Das Orchester steigert sich immer mehr, sowohl durch [20] ein crescendo, wie durch die stets bewegter werdende Figur, bis endlich, im 17ten Tacte, das ganze Thema vom vollen Orchester ertönt. – Eine durchaus treffliche Anfangsweise. –

Das Thema an sich
[WS 2]
ist zwar durch nichts ausgezeichnet, kündigt aber den energischen Charakter des ganzen Satzes schon im Voraus an. Folgende 3 Figuren aus diesen 4 Tacten sind es, die ganz besonders unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen werden:
[WS 3]

Der Autor führt nach diesem Themaeintritt den Satz in würdiger Weise auf Seite 2 und 3 der Partitur fort, bis in der 2ten Hälfte dieser, die vorherige leise Anfangsstelle nur kürzer und in D-Moll wiederkehrt, welche hier mit dem Themaeintritt in B-Dur schließt.

Folgt eine kurze angemessene Bearbeitung der mittleren Figur, dann ein schon da gewesener Gedanke, und mittelst eines Querstandes (g-ges) wird ein Uebergang nach B-Dur bewirkt. Hier leiten nun S. 6 die Blaseinstrumente, während die Saiteninstrumente unisono, später imitirend begleiten, eine zu dem großartigen Charakter des Ganzen würdig passende, nur etwas trockene Episode ein, von welcher das, was sich auf S. 9 in der 2ten Hälfte und auf S. 10 findet, das Interessanteste ist. Seite 11, anfangs der 2ten Klammer, steht ein schlechter Querstand [1] (a-as). Ende der Seite 13 kehrt das leise Tremuliren in A-Moll wie im Anfange zurück, und der Satz wendet sich rasch nach D- und G-Moll, worauf von den Holzblaseinstrumenten allein, folgende auf die 2te Figur beruhende Stelle ertönt:
[WS 4]

Nach kurzem Gebrauch der ersten Figur, wodurch sich der Satz nach C-Moll wendet, folgt dieselbe mittlere Figur der Holzblaseinstrumente ohne Flöte und mit anfänglich [/] anticipirenden Oberstimmen. Nun erscheint aber folgende Behandlung der 3ten Figur:
[WS 5]

welche mit Hinzufügung noch einer selbstständigen Mittelstimme von der 1sten Violine in der Dominante G-Moll fortgesetzt wird, wonach die 2te Violine in B-Dur das Thema ergreift, welches von der Primo kurz darauf in eben der Tonart, aber in weiterer Ausdehnung, befolgt wird. Wiederum zeigt sich die Mittelfigur, und unmittelbar nachher S. 21 beigefügte Unterstellung der mittlern und letzten Figur:

[WS 6]

S. 22 kehrt eine Stelle aus der B-Dur-Episode zurück, darauf abermals eine reich combinirte Unterstellung der mittlern und letzten Figur. Das Stück hat sich wieder nach D-Moll gewendet, und unter fortwährendem Paukenwirbel und dem Fortissimo aller Instrumente tritt der nach und nach bis zum vollen, von den Blaseinstrumenten imitirend unterbrochenen Thema anschwellende Gedanke:

[WS 7]

ganz wie im Anfange auf. Seite 26 folgen einige kurze Imitationen, immer unter fortwährendem Paukenwirbel und ganzer Orchesterkraft, und S. 27 kehrt die ganze frühere B-Dur-Episode, nur freilich in anderer Tonart zurück. Dieser schließen sich S. 54 die ersten 3 Tacte des [21] Themas, auf verschiedenen Tonstufen wiederholt, an, und nach einigen schon da gewesenen Uebergängen ergreift S. 38 das Horn die 3te Figur, während Oboe, Fagott und Flöte sich successiv mit der 2ten, als Contrapunct, einfinden. Alle Saiteninstrumente haben nun unisono die 3te Figur, und S. 42 wird wirkungsvoll wie folgt, der ungemein energische Schluß eingeleitet:

[WS 8]

(die untere Stimme beharrlich so fortrollend) in welchem noch einmal 8 Tacte lang als mächtiges Unisono die 3te Figur in Zweiunddreißigsteln auftaucht. S. 44 endet das ganze Thema, nur etwas erweitert, unmittelbar den ersten Satz.

Ich habe gesucht, den Inhalt desselben auf die einfachsten Principien zurückzuführen, und glaube, daß der Leser sich von jenem selbst aus dieser Darstellung eine genügende Einsicht verschaffen kann, vorzüglich, da dieser Inhalt mehr aus geistvoller Fremdbehandlung, als aus freier Erfindung besteht. Mein Urtheil ist folgendes:

Der Satz ist in Beziehung auf Themenbehandlung durchaus meisterlich, so daß es nicht wohl möglich scheint, etwas würdigeres aus den im Thema vorhandenen Figuren zu produciren. Aber eben aus Schuld dieses wenig bildsamen Themas leidet der Satz an Einförmigkeit, an zu öftern Wiederholungen, an Mangel an Abwechselung. Darum wird und kann er nie die Wirkung machen, wie andere, wenn auch noch so meisterlich an das Thema gebundene Symphoniesätze Beethoven’s; denn in diesen bieten oft ganz gewöhnliche Thema-Figuren das reichste Feld für originelle, eindringliche Erfindung dar, was bei den hier gewählten wegfällt. So ist denn der Eindruck dieses ersten Satzes ein blos energischer und großartiger.

[27] Das Scherzo (Seite 45)

[WS 9]

ist bis Seite 52 mit Geist durchgeführt, leidet aber von da an, gleichfalls aus Schuld des Themas, Mangel an mannigfaltiger Erfindung, was der Componist durch Abwechslung in der Instrumentation *)[2] zu verdecken gesucht hat. Das Trio (S. 66) mit Posaunenbegleitung beruht auf einem sehr einfachen aber interessanten Gedanken mit doppeltem Contrapuncte, welche beide in verschiedene Instrumente verlegt werden. Mit Ausnahme des 1sten Theils des Trios sollte man weder von diesem, noch vom Scherzo die Theile wiederholen, um den Hörer nicht durch die Einförmigkeit beider, in Hinsicht auf ihren Inhalt zu lang ausgesponnenen Stücke zu ermüden.

Das Adagio (Seite 75) beginnt nach kurzer Einleitung durch Fagotten und Clarinetten damit, daß die 1ste Violine unter Begleitung der Streichinstrumente (ohne Contrabaß) abschnittsweise das einfache, nicht gerade bedeutsame Thema angiebt, während die Clarinette, unterstützt von den tiefern Blasinstrumenten, dasselbe stets mit der Wiederholung des Ausganges vor jedem Abschnitte unterbricht. [/]

[WS 10]

Darauf führt S. 77 die 2te Violine in D-Dur 3/4 den gleichfalls nicht sehr interessanten Gedanken:

[WS 11]

ein, welchen die Blasinstrumente mit ergreifen. S. 78 hat die Clarinette das erste Thema etwas erweitert wieder, wozu die erste Violine einen entsprechenden sanften Gegensatz in Sechzehntheilen angiebt. In G-Dur 3/4, S. 81 haben die Blaseinstrumente nochmals die 2te Figur. Nach einer kurzen Episode in Es 4/4, S. 83 wiederholt die Flöte B-Dur 12/8 das erste Thema, wozu die 1ste Violine in Sechzehntheilen einen neuen Gegensatz hat. Auf solche Weise wird mit einigen Nachsätzen, welche weiter zu verfolgen unnöthig, das Ganze bis zum Schluß S. 95 fortgeführt.

[28] Das Finale beginnte mit einem kurzen Tutti aller Blasinstrumente in D-Moll 3/4 Presto, welches zweimal Baß-Recitative (gleichsam das Hineinsprechen der Menschenstimme in die Instrumentenwelt vorstellend) unterbrechen. Darauf werden die Anfänge des ersten Satzes, Scherzo’s und Adagio’s, durch nicht sehr bedeutende Baßrecitative immer von einander gesondert, dem Hörer vorgeführt, welcher dadurch einen bedeutsamen Ueberblick über das Vorhergegangene erhält. Ein in jeder Hinsicht trefflicher Gedanke. – Nach dem letzten Recitative spielen S. 101 Allegro assai, D-Dur 4/4 die Bässe leise das anziehende Hauptthema des Finale (die Melodie des „Freude, schöner Götterfunken“).[WS 12] Dieser einstimmige Satz wird durch Hinzutritt des Fagotts und der Bratsche bei der Wiederholung in der höheren Octave dreistimmig, was er auch nach Hinzutritt beider Violinen bleibt. Nun ergreifen beim 4ten Male die Blasinstrumente kräftig die Melodie, wozu die Saiteninstrumente in starken Schlägen harpeggiren, was sich als Gegensatz zu dem vorhergegangenen dolce sehr gut ausnimmt. Die Zwischensätze S. 107–112 sind trocken *)[3] Die Instrumentation war bisher die gewöhnliche ohne Posaunen, nur durch ein Contrafagott verstärkt. S. 113 beginnt nach vorhergegangenem, zum Gesang auffordernden Recitativ der Baßstimmen, der Solo-Baß das: „Freude, schöner Götterfunken“, vorher abwechselnd mit dem Chorbaß den Ruf: „Freude“ anstimmend. Bald gesellen sich Chorstimmen als Refrain hinzu, und so wird die Melodie bis S. 123 gut fortgeführt, wo bei den Worten: „Freude trinken alle Wesen“, unter kurzen Trillern des Streichquartetts ein reger Vocalsatz eintritt, welchen der Chor wiederholt. – Pag. 132 (Allegro assai vivace B-Dur[WS 13] 6/8 von Fagott, Contrafagott und großer Trommel eingeleitet) hat die Piccolo-Flöte mit der Clarinette das ursprüngliche Hauptthema, wobei Becken, Triangel und große Trommel sich fleißig mit vernehmen lassen. Darauf singt, indeß die Piccolo-Flöte ihr Thema wiederholt, der Solotenor das „froh wie seine Sonnen fliegen“, in dessen beide letzte Strophen der Männerchor einstimmt. Die Vocalpartie an diesen Stellen ist ganz trocken, aber die jubelvolle Auffassung völlig gegründet, obgleich sie, vorzüglich in Bezug zur letzten Zeile, etwas militairisch scheinen könnte.

[31] Mit dem Gesange schweigt auch die türkische Musik, und von Seite 145–160 steht ein lebhafter, nach D-Dur sich wendender Instrumentalzwischensatz, dem aber, wenn nicht etwa seiner Stimmenführung wegen, kein Interesse abzugewinnen ist. S. 160 singt wieder nach einer Pianissimo-Ueberleitung der ganze Chor in D-Dur 6/8 kräftig das: „Freude, schöner Götterfunken“, wogegen die Saiteninstrumente, unterstützt von dem gewöhnlichen Orchester, einen lebhaften Unisono-Contrapunct in Achteln durchführen. S. 168 Andante maestoso G-Dur 3/2 hat der Baß im unisono begleitet von der Baßposaune, das „seid umschlungen Millionen“, einfach, großartig und eindringlich, welchen Satz der ganze Chor, unter reicher schöner Figuration des Steichquartetts und Begleitung des übrigen, durch Posaunen verstärkten Orchesters wiederholt. Das folgende „Brüder über’m Sternenzelt“ von Baß und Tenor mit Begleitung der Bässe und Posaunen eingeführt, und in F-Dur vom übrigen Gesang- und Instrumentalchor auf gleiche Weise erfaßt, ist weniger anziehend. Ebenso das in B-Dur vom ganzen Chor angestimmte, fast nur von Blasinstrumenten und Cello begleitete „Ihr stürzt nieder Millionen!“ dem sich erst gegen das Ende hin alle Instrumente pianissimo tremulirend anschließen *)[4]. [/]

S. 177 (All° energico D-Dur 6/4 mit Posaunen) beginnt der Sopran das „Freude, schöner Götterfunken“, aber im Texte nur bis zur Hälfte, und hinsichtlich der Melodie nur die ersten beiden Tacte treu behaltend und progressiv durchführend, während der Alt das „seyd umschlungen Millionen“ singt, und die erste Violine letztern Gedanken figurirt, was nach und nach, wie die Vocalthemata durch alle Sing- und zum Theil Instrumentalstimmen, durch das ganze Streichquartett wandelt. Der ganze schöne Abschnitt schließt mit einem Orgelpuncte des Soprans, unter dem sämmtliche Themata übereinander gestellt werden. – Das S. 192 folgende „ihr stürzt nieder Millionen, ahnest du den Schöpfer der Welt“ ist ganz einfach, wie ahnungsvoll in dem Unermeßlichen suchend, nach und nach anschwellend und sich wieder verlierend behandelt.

S. 197 All° ma non tanto D-Dur 4/4. Nach einigen Tacten leiser Instrumentaleinleitung haben Soli und Chor abwechselnd und mit neuer, aber trockener Melodie das „Freude, Tochter aus Elysium“ im Texte verkürzt, was mit einer nur ganz einfach von Streich- und einigen Blasinstrumenten begleiteten, kurzen, reich geführten Solo-Vocalquartett-Stelle über „alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt“ schließt. Vemmittelst kurzer Instrumentalüberleitung beginnt nun S. 212 der letzte Abschnitt, prestissimo, D-Dur 4/4 mit türkischer Musik und Piccolo-Flöte, wobei der Chor jubelvoll, und in anderer als bisheriger Weise, das „seid umschlungen Millionen“ vollständig und zuletzt noch [32] „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium“ singt. Ein geräuschvoller, kurzer Instrumentalauslaß beschließt darauf das Ganze S. 226.

Soll ich dieser hoffentlich klaren Darlegung des großen Satzes meine Meinung von der Symphonie zusammenstellen, so ist sie folgende:

Der erste Satz meisterhaft combinirt, aber, aus Schuld des zu wenig bildsamen Themas, hinsichts der Erfindung, einförmig. Das Scherzo, anfangs interessant, bald aber, gleichfalls aus Schuld des Themas, einförmig. Das Trio anziehend, beide letzten Sätze, vorzüglich das Scherzo, zu lang ausgesponnen. Das Adagio etwas matt *)[5]. Das Finale in der Intention durchweg gegründet und trefflich, meisterlich combinirt, aber hinsichtlich der Erfindung oft gar zu trocken und überhapt zu lang. – Resultat: Das ganze Werk leidet, besonders in Bezug auf seine Ausdehnung, an Einförmigkeit der Erfindung und ermüdet deswegen den Hörer.

Was nun die Ursache sein mag, daß diese Symphonie dem Meister nicht so gelungen, wie seine früheren, ob der Gang seines Genies selbst, ob Ermattung nach so großen Leistungen, ob Einfluß des Gehörmangels oder gar drängende Dürftigkeit, darüber ist keine Gewißheit vorhanden, und weise ich nur noch auf die spätern, dieser Symphonie verwandten Quartette,[WS 14] wie auch schon auf einige frühere Leistungen Beethoven’s hin. – Daß aber selbst nach diesem großen Vorgänger noch in sämmtlichen Fächern der Instrumentalmusik Unerhörtes zu leisten, davon wünscht zum Frommen der Tonkunst allen die Gewißheit.

Berlin.   Herrmann Hirschbach.



  1. Wir gestehen, nichts Schlechtes drin finden zu können. D. Red. [Robert Schumann]
  2. *) Auch im Rhythmus. D. Red. [Robert Schumann]
  3. *) Auch S. 109 der letzte Tact, S. 110 die ersten? D. R. [Robert Schumann]
  4. *) Diese Stelle (S. 175 zu 176) scheint uns mit obigen Worten zu gering hingestellt; sie ist von der ungeheuersten Wirkung. D. Red. [Robert Schumann]
  5. *) Wir können durchaus nicht beistimmen. D. Red. [Robert Schumann]




[59]

No 15. Den 21. August 1838.

Beethoven’s neunte Symphonie.
Eine andere Ansicht.
An Herrn H. Hirschbach *)[1].

 Mein Herr!

So eben lese ich Ihre Zeilen über Beethoven’s 9te Symphonie, und ungeachtet mir noch der Schluß Ihres Aufsatzes fehlt, so drängt es mich doch, schon jetzt über das in Nr. 5 Enthaltene einige Worte an Sie zu richten, zumal das dort Ausgesprochene ein in sich abgeschlossenes Urtheil über das erste Allegro jener Symphonie enthält. Es war mir zu auffallend über jenen Satz, den ich immer für sehr groß und dessen Thema ich gerade für sehr geeignet zu ergiebiger Behandlung gehalten habe, ein meinen Empfindungen gerade entgegentretendes Urtheil zu lesen. Ich theile also hier meine Ansichten mit.

Sie finden, daß das Thema:

[WS 15]

„wenig bildsam“ sei; daß es „zwar durch nichts ausgezeichnet sei, aber dennoch schon den energischen Charakter des Ganzen verkünde; daß eben in Folge dieses Themas der Satz an öfteren Wiederholungen und Einförmigkeiten leide, und so endlich der Eindruck des Allegros nur ein energischer und großartiger sei.“

Um das Alles zu beweisen, führen Sie mehre Stellen [/] in Noten an, die meiner Meinung nach gerade das Gegentheil bestätigen. Ich dagegen theile hoffentlich mit recht Vielen die wohlbegründete Ueberzeugung, daß das Thema jeder Anforderung für ein Allegro genügt, dessen Charakter unbestreitbar: heroische Kraft, männlicher Ernst, ja beinahe tragischer Untergang sind. Ich bitte jeden Leser, sich nur die einfachen Noten, wie sie dastehen, forte aber nicht zu schnell zu singen oder zu spielen und dann zu entscheiden. Und daß wir uns ja nicht zu bemühen brauchen, die Schönheiten aufzusuchen, die etwa, der sogenannten Arbeit fähig und werth, darin versteckt liegen, so brauchen wir nur in das Zauberbuch des Componisten zu sehen, das alles fertig und herrlich vor unsern Blicken gestaltet. Ich ersuche Sie noch einmal, mit mir die Partitur durchzugehen.

Der Beginn, in welchem die einfachen zwei Noten das Thema verkünden, findet mit seinem wunderbar großen Crescendo etc. selbst Ihren unbedingten Beifall. Werfen Sie einen Blick auf die originelle Art, in welcher die Violinen (Seite 3 der Partitur) mit der D-Moll-Leiter in Zweiunddreißgsteln sich nach dem leisen Tremulo zurückwenden. – Indem ich noch einmal diese beiden scharf abgerissenen Noten ansehe [WS 16] erinnere ich mit leisem Schauder mich des Eindrucks, den die Contrabässe hier mit derselben Figur machen, und ebenso der unbeschreiblich großen Wirkung, die in dem einzigen Piano D der Trompete liegt (S. 3, 8ter Tact), was beim Uebergang in den zweiten Theil eben so herrlich sich wiederholt. S. 5, 7ter Tact ist die Gegenbewegung [60] in der 1sten Violine und den Bässen, wobei die 2ten Violinen und Violen mit dem Baß in Sext-Accorden gehen, ausgezeichnet schön. S. 6 folgt nun der Satz der Blasinstrumente in B-Dur, den Sie „zwar würdig passend, aber ein wenig trocken“ nennen. Klingt er trocken, so verschulden das nur die Bläser, welche ohne Zartheit und Ausdruck blasen. Die Melodie an sich ist wahrlich schön genug. Bei der Betrachtung des Gedankens [WS 17] erfreuen wir uns an dem himmlisch schönen Uebergang nach H-Dur (S. 9, 2ter Tact), wobei die Violinen in halben Noten singen, während die Bässe jene Figur unten fortsetzen. [WS 18] Der Querstand a – as (S. 11) fällt mir eben so wenig auf, wie der Redaction dieses Blattes. – Es folgt nun der Schluß des ersten Satzes in B-Dur unisono, wobei dann plötzlich der Rückgang nach der Dominante A sehr schön. Nun geht es erst recht an. Hören Sie nur das vekündende a der Trompeten, zu denen sich nun auch die Pauken gesellen. Sehen Sie ihn nicht heranschreiten, fühlen Sie es nicht beben vor dem Tritte des Heros, der gewaltsam ringend vor unsern Augen stürzen wird? – Gleich S. 14 im 5ten Tact das Fis im Baß – diese plötzlich zugleich mit dem D der Trompeten erscheinende Dur-Terz zu jener Figur, die zuerst in unbestimmten Schwanken sich ohne Terz zeigte, dieses unbeschreiblich schöne Fis dringt wie ein Lichtstrom herein und erfüllt mit leisem Beben. Nun erklingen die Trompeten immer schneller, immer fester gestaltet sich das bis dahin verstückelte und zerrissene, bis endlich, nach mehrmaligem Beginnen, in den Violinen dieses edle große Klagelied durchbricht:

[WS 19]

Mich dünkt, Sie stehen hier in großer Rührung; Ihr feuchter Blick haftet auf diesen Tönen, in welchen die allergrößten menschlichen Empfindungen würdig geschildert werden. Und hören wir dazu die reich verschlungene Begleitung, in der doch keine Note zu viel: die Bässe mit ihrem dumpfen Piccicato in der Gegenbewegung, die nachschlagenen Achtel der Trompeten und Pauken und endlich das leise Rauschen der 2ten Violinen und Celli: – nicht wahr, es läßt sich etwas machen aus diesem Thema? – Weiterhin entgeht Ihrer Einsicht [/] nicht das Riesige in der Figur: [WS 20] vorzüglich wenn Sie schon im Voraus mit mir sich ergötzen über die Wirkung, die eben diese Figur am Schlusse des Allegro den Bässen ertheilt.

[63] Unter fortgesetzter Behandlung der einzelnen Theile des Themas geht es immer crescendo zum Sturmgemälde S. 24. Hier nun fehlen die Worte so Gigantisches zu schildern. Der Gipfelpunct des großartigen Kampfes ist erreicht in dem Augenblick, wo gleich krachendem Donner der D-Dur-Sexten-Accord einfällt und dann unter unaufhörlichem Brausen der Blasinstrumente und der Pauken alle Streichinstrumente jene einem Blitz ähnliche Figur dazwischen schneiden . [WS 21] Und dann das unermeßliche:

[WS 22]

Ist es nicht als zögen Erd’ und Himmel gegen einander zum Vertilgungskampf? Und das Thema ist „durch nichts ausgezeichnet“? – Mehre Seiten lang tobt der Sturm so fort; endlich stürzt alles zusammen vor der Kraft der Götter. – Alles wankt – immer leiser rollt die Pauke im Orgelpunct fort, bis (S. 27, 5ter Tact) die schmerzliche Wehklage ertönt. [/] Noch einmal erscheinen alle die früheren Gedanken, noch einmal kehren strebender Muth und belebende Hoffnung zurück: – aber vergebens! Schon ist die Wurzel des herrlichen Baumes gefällt, und dasselbe Thema, das zuerst immer so himmelanstürmend einhertrat, das rieselt jetzt wehmüthig leise dem Ende zu (S. 34, 11ter T.). Seht doch, wie schmerzlich weich, wie geknickt dies Piano nach dem unmittelbar vorhergehenden Fortissimo auftritt, wie tief bewegt die Violinen ihre edle Klage ergießen:

[WS 23]

Nimmt auch das Ganze noch einmal einen heftigen Aufschwung (S. 37), so bleibt doch von alle dem nur der endliche Trost (S. 38 das Horn D-Dur), daß das Geistige nicht vernichtet, sondern nur zu veredeltem Seyn geläutert werde. Auf das kurze D-Dur folgt sogleich in ergreifender Wirkung wieder D-Moll (S. 39 die Bässe); so geht es bald zum Schlußsatz (S. 42). Diesen nun bildet ein Trauermarsch, so großartig, so wahrhaft heroisch, daß, sollte ich glauben, selbst derjenige in der Eroica ihn an Wirkung nicht übertrifft. Die dumpf rollenden chromatischen Bässe, die synkopirten Einsätze der Hörner und Trompeten mit dem D-Moll-Accord, die immer gesteigerte Wiederholung des an sich so einfachen Gedankens, – der wehmütige Triller, der vorzüglich in den Oboen so leise weint, und endlich jene schon oben erwähnte Figur in den Bässen, – das Alles bildet einen Schluß, wie er nicht passender könnte gedacht werden, um Beethoven’s [64] eigenen Abschied nach schwerer thatkräftiger Laufbahn zu bezeichnen.

Das Herrlichste und Meiste nun von dem, was ich hier aufgezählt habe, ist dem ersten großen Thema entnommen, das auf diese Weise einen immensen Reichthum zeigt. Ja es ist wohl zu behaupten, daß schon darin, daß B. diesen Satz zum Grundgedanken seiner letzten großen Symphonie macht, der sicherste Beweis für die Befähigung dieser Idee liegt. – Es kann meine Absicht nicht sein, hier Beethoven vertheidigen zu wollen; die Symphonie spricht besser für sich. („Beethoven kann schreiben“: s. Beethoven’s Brief an Ries.)[WS 24] Aber durch meine Worte Ihnen eine günstigere Ansicht über dies Allegro abzugewinnen und Andere anzuregen, mit derselben sorgfältigen Neigung in den Werken Beethoven’s zu lesen – dazu trieb mich an die Liebe, die ich dem edlen großen Meister zolle, und zu der ich gern alle leiten möchte, die Sinn haben für das Größeste und Edelste in der Kunst.

Sollten Sie fortfahren, den weiteren Verlauf der Symphonie zu besprechen, so behalte ich mir vor, Ihnen auch da Schritt für Schritt zu folgen.

Hamburg.   O.





  1. *) S. Nr. 5 dieses Bandes.
[80]

[No 20. Den 7. September 1838.]

An Hrn. O. in Hamburg,
betreffend Beethoven’s neunte Symphonie.

Als ich das mit O. unterzeichnete offene Sendschreiben an mich, betreffend die neunte Beethoven’sche Symphonie las, konnte ich mich zuerst des Lächelns nicht erwehren bei dem Gedanken: für welchen Philister hält dich vielleicht der geehrte Briefsteller! und wahrlich, ich muß noch lächeln. – Nun, ich habe das Schreiben von Anfang bis Ende mehrmals gelesen, und was ich im [/] Voraus vermuthete, darin gefunden: eine Phantasie, welche sich allerdings von den vielen Phantasieen über diese Symphonie dadurch unterscheidet, daß sie in die Noten geblickt (freilich nicht mit dem ruhigen Blicke des Untersuchers und Selbstschaffers, sondern mit dem trunkenen des begeisterten Liebhabers) und diese zum Vorwande nimmt. Und doch, achtungswürdiger Herr, ist nicht Phantasie genug in Ihrer Phantasie. Betrachten Sie nur das Thema des ersten Satzes der Symphonie genauer: welche Welt von Schicksalen liegt darin! Das Zaudernde des ersten Tactes, das immer rascher Fortstürzende des zweiten, das An’s-Ziel-gelangen und Sichlosreißen des dritten, der Trotz des vierten! – Warum haben Sie mich darauf nicht aufmerksam gemacht? und es ist doch alles Wahrheit. – Aber freilich, alles was der Genius Gelungenes geschafft, übt einen solchen Zauber aus, daß es der geistvollsten Auslegung fähig. Nur das Eine hätte ich gebeten, geehrter Herr, sich streng an meine Worte zu halten, und nichts von Riesigem, Ungeheurem, Thränenschwerem und dieselben hineinzulegen, wenn sie es nicht selbst sagen (allerdings bin ich damit zu karg gewesen; erhaben Stürmendes und tief Rührendes wechseln auf erschütternde Weise in diesem ersten Satze; ich wollte aber auch gar kein poetisches Bild, sondern nur eines des musikalischen Zusammenhanges geben;), auch nicht zu glauben, als hielte ich das Thema für ungeeignet; nein, es ist nur blos nicht reich genug zu mannigfaltiger, verschiedenartig wechselnder Erfindung. Indem ich Ihnen nun aber danke für die Aufmerksamkeit, die Sie, der Sache willen, meinem Aufsatze geschenkt, möchte ich fragen: wozu dies alles? Wäre es nicht das allereinfachste, wenn Sie sich mit kurzen Worten gegen meine Ansichten verwahren (und Sie werden hoffentlich darin noch viele Anhänger finden) und Alles, was ich für trefflich, für ungeheuer, was ich für weniger interessant, für wunderbar erklärten? In der That, ja! Sie bewundern Alles. Mein Aufsatz hat eine innere Nothwendigkeit des Daseins, weil er, hervorgerufen durch die streitenden Meinungen, eine Analysis des in Rede stehenden Werkes enthält; mein allgemeines Urtheil betrachte ich als nothwendige Zugabe; ob Jemand in dasselbe mit einstimmt, ist an sich ganz gleichgültig; meine Auseinandersetzung ist aber ein Führer für den, welcher in dieses geheimnißvolle Symphoniewunder (mit den Enthusiasten zu sprechen) eindringen will. Was Sie mir, gleichsam als hätte ich es übergangen, etwa nachträglich nachweisen, ist ja aber nur wieder das unverhüllte Thema, dessen kleine, unbedeutende, nicht erfindungs-, aber empfindungsvolle und wirksame Veränderung Ihnen bewundernswerth scheint, während ich es blos mit Theilnahme anhöre, und den himmelweiten Unterschied zwischen eigentlicher Erfindung und Effectspiel darüber nicht aus den Augen verliere.

[81] Und woher nun dieser Widerspruch zwischen den Ansichten des Hrn. O. und den meinen? Darauf muß ich mit schon an einer anderen Stelle von mir gesagten Worten antworten. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob ein zu einer selbstständigen, bedeutenden Leistung Befähigter, ob ein Anderer über ein gegebenes Werk urtheilt; was jener im Gefühle seiner Kraft für blos gut hält, betrachtet dieser schon als ungeheuer und unerreichbar, weil es dies für ihn selbst ist. Als ich über die Beethoven’sche Symphonie schrieb, hatte ich nicht meine Mittelkräfte, sondern meine höchsten als Vergleichungspuncte genommen; von diesem Standpuncte aus bin ich zu demjenigen Resultate gelangt, das ich in dem besprochenen Aufsatze niedergelegt. Wenn ich nun z. B. das Thema des Allegrosatzes nicht für so bewundernswerth halte, so kommt es daher, weil ich noch in keinem Augenblicke über eine solche Stelle erst besonders habe nachdenken müssen, und so mit dem Folgenden verhältnißmäßig fort. Das Hr. O. die Melodie in der B-Dur-Episode so sehr schön findet, kommt ganz aus demselben Grunde, weswegen darüber zu sprechen unnöthig. Mit einem kurzen offenen Worte: ich selbst getraue mir, eine solche Melodie hervorzubringen. Ich habe Ehrfurcht vor dem großen, herrlichen Meister (wie könnte denn das anders sein), aber keine Furcht; ich sehe in dieser Symphonie nicht, wie viele Andere, das Ende, das Ziel der Tonkunst; im Gegentheil, ich sehe in Vielem erst den Anfang, der freilich aber auf ganz andere und abweichende Art fortzuführen. Genug nun. Möge mein geehrter Gegenmann fortfahren in seinen Bemerkungen zu meinem Aufsatze, in dem rühmlichen Kampfe für Alles über das Gewöhnliche Erhabene. Ich werde theilnehmend lesen, aber Nichts mehr erwiedern; die Zukunft besiegele meine Antwort mit der That. *)[1]

Berlin.   Herrmann Hirschbach.





  1. *) Anm. d. Red. [Robert Schumann] – Wir stellen Hrn. O. in Hamburg ganz anheim, mit seinen Bemerkungen über den Aufsatz des Hrn Hirschbach fortzufahren und wünschen es sogar. Solcher Austausch kann nur fördern. Unser Urtheil über die Symphonie selbst steht seit lange fest (Vgl. Bd. II, S. 116[WS 25], Bd. VI, S. 146[WS 26]) und hat allerdings mehr vom Enthusiasmus des Hrn. O. Dies konnte aber kein Grund sein, einer wenn auch kälter ausgesprochenen Ansicht wie der Hirschbach’schen, den Weg zu vertreten, zumal wir in der Hauptsache, über die Größe des Werkes und seines Schöpfers wohl Alle übereinstimmen. –



[163]

No 41. Den 20. November 1838.


Beethoven’s neunte Symphonie.
An Herrn Hirschbach.
(Siehe Nr. 15, 16 u. 20.)

Sehr spät erhalte ich zu gleicher Zeit Nr. 7 bis 20 dieser Zeitschrift, worin zuerst die Fortsetzung Ihres Aufsatzes, dann meine Ansicht und endlich Ihre Antwort enthalten. War es schon bei dem Niederschreiben meiner ersten Zeilen mir schwer geworden, den rechten Ton gegen Sie zu treffen, (so sehr frappirte mich die göttliche Ruhe, mit der Sie Alles kurzweg tadelten,) so ist es doch jetzt eine noch schwierigere Aufgabe geworden. Sie haben sich selbst in Nr. 20 d. Bl. auf einen so erhabenen Standpunkt hingestellt, daß es vermessen sein wird, noch ferner andrer Meinung zu sein. – Indessen wag’ ich es doch! –

Sie tadeln mich, daß ich die Symphonie nicht mit dem ruhigen Blick des Untersuchers und Selbstschaffers, sondern mit dem trunkenen Auge des Liebhabers angesehen. Gesetzt, gegen diese Art zu sehen wäre gegründeter Tadel möglich, so hoffe ich doch immer, Ihnen gezeigt zu haben, daß ich die Symphonie kenne und sie ruhig auf dem Papier durchgegangen bin. Aber ich kann unmöglich zugeben, daß ein wirkliches Verständniß eines solchen Kunstwerkes stattfinden kann, wenn der Untersuchende den bestimmten Charakter, der jedem wirklichen Thema auf das geheimnißvollste angeboren ist, durchaus nicht anerkennen will. Ist es möglich, das in Rede stehende Thema auf dem Papier zu sehen, ohne alles das zu fühlen, was darin enthalten ist? Wie konnte [/] ich nun anders, als meiner Ueberzeugung nach mit Wärme aussprechen: Beethoven benutzt denselben Gedanken, bald im Ganzen, bald stückweise, bald donnernd daher stürmend, bald wehmütig klagend etc. etc.? Auf diese Art webt er mit Hülfe weniger Neben-Ideen auf seine alte gute Weise ein Allegro zusammen, das, ich wiederhole es mit voller Ueberzeugung, sich mit seinen beßten Sätzen messen kann. – Unsere ganze Differenz besteht darin: Sie habe dem Thema die Fähigkeit abgesprochen, sich in verschiedenartiger Behandlung zur Darlegung contrastirender Empfindungen benutzen zu lassen. Das Gegentheil habe ich zu beweisen gesucht; wer von uns beide Recht hat – das müssen wir dem Urtheil der Leser überlassen.

Ich wende mich zum Schluß Ihrer Replik. Sie sprechen hier in wirklich Staunen erregender Bestimmtheit aus: „Die verschiedenen Urtheile über diese Symphonie erklären sich leicht, da Sie, als ein zu selbstständiger, bedeutender Leistung Befähigter, im Gefühle Ihrer Kraft das nur gut finden können, was wir andere schon als ungeheuer und unerreichbar anstaunen müßten.“ Das ist doch wirklich etwas stark! Ja Sie fahren fort, uns zu versichern: „daß Sie die Beurtheilung jener Symphonie Ihre höchsten Kräfte zum Vergleichungspuncte genommen haben, und von diesem Standpuncte aus zu jenem“ (für Beethoven so höchst kläglichen) „Endurtheile gekommen sind!“ Das kann man nun freilich nur zur Erbauung deutscher Nation wieder abschreiben, daß jeder lese und staune! – Weiter wüßte ich nichts darauf zu erwidern. Ist man denn aber wirklich [164] in Berlin schon auf so hohen Gipfel gelangt, daß Sie wagen konnten, auszusprechen: Um über ein solches Werk ein gründliches, auf Anerkennung Anspruch machendes Urtheil zu fällen, müsse man selbst genug Schöpferkraft im Busen tragen, um eine ähnliche Symphonie, nein, um eine viel bessere zu schreiben? Und wir armen andern alle, (denn ich wüßte nicht, wen Sie unter den Lebenden für fähig halten möchten, neben Beethoven und Hirschbach hier aufzutreten) wir alle dürfen gar nicht hoffen, daß unser so warmer Genuß, unser inniges Entzücken etwas anderes sei, als Täuschung, zu der uns unsere Schwäche, unsere Ohnmacht verleitet?! – Nein, so leicht dürfte es Ihnen doch nicht werden, Ihre apodictischen Urtheile als untrüglich hinzustellen. Wenn Sie, wie gerade in diesen Blättern berichtet wird, wirklich Werke voll Zeugen hoher schöpferischer Kraft vorlegen können, so seien Sie allen Verehrern der edlen Tonkunst herzlich willkommen. Aber beginnen Sie nicht damit, unsere alten Götterbilder zu stürzen, um auf ihren Trümmern den Tempel Ihres Ruhms zu gründen. Daß wir alle aber bei der Veröffentlichung Ihrer Werke mit vollem Fug und Recht den größten Maßstab, nämlich Beethoven, an dieselben anlegen werden, das wird Sie nur freuen.

Wenn ich nun noch fortfahre, in den Bemerkungen über die drei letzten Sätze der 9ten Symphonie, so werde ich, da ich einmal so begonnen habe, meine Ansichten immern den Ihrigen Schritt für Schritt folgen lassen.

[167] Indem gleich das Scherzo wieder kurz mit den Worten abgefertigt wird, daß es Mangel an mannigfaltiger Erfindung leide, möchte ich Sie bitten, nur einmal zu sagen, wie weitläufig denn das Thema sein müsse, das Ihnen passend zu einem Scherzo erscheine? Ich meine, der Name und der ganze Zuschnitt dieser Form bedinge in sich selbst die abgeschlossenste Kürze und den entschieden ausgeprägten Charakter des heitern, neckischen, der jede Beimischung von contrastirenden Empfindungen in diesen engen Gränzen zu einem hors d’oeuvre machen würde. So weit es aber selbst hier passend erscheint, Abwechslung eintreten zu lassen ohne den Grundton zu verwischen, so weit ist, denke ich, auch hier das Trio wohl geeignet, allen Anforderungen zu genügen. Dies Trio mit seiner reizenden, naiven Behandlung der beiden Ideen in Horn, Violinen und Oboen, mit der zarten flüchtigen Wendung nach F-Dur (S. 69) mit jenem pompösen forte und diminuendo der Posaunen (am Schluß der 71. Seite) – das alles erscheint Ihnen nur einförmig. –

Nun aber gelange ich an die Stelle, wo Sie den allerbesten Sprung gemacht und durch Ihr sicher treffendes Urtheil uns wirklich beschämt haben, daß wir so innige Verehrung einem Satze schenken konnten, von dessen Erbärmlichkeit Sie mit kühner Hand den Schleier hinwegziehen. Die Art, in welcher Sie das Adagio kurz zergliedern, gränzt wirklich an das Unglaubliche! Das Hauptthema ist: „einfach, nicht gerade bedeutsam“,[/] das zweite Thema „gleichfalls nicht sehr interessant“, und so geht es im Galopp zu Ende. Und damit ist jener Satz gemeint, vor dem wir alle voll heiliger, stummer Rührung gehorcht haben, in welchem jene sanften Echo der Blasinstrumente die tiefsten Regungen der Seele erweckten? Und jene Episode in Es-Dur (S. 83), wo das Horn den unterirdisch düsteren Baß bildet, ist hier nicht das Thema das zuerst wehmüthig weich erscheint, erschütternd groß und ernst? Ist hier auch kein Contrast von Empfindungen den beiden Hauptideen entnommen? Beinahe widert es mich an, so vielem dreisten Tadel noch ferner entgegenzutreten. Und doch wird vielleicht ein Abwehren gegen Ihre Urtheile Sie zu der Herablassung bringen, uns zu sagen wie denn die Grundformen eines solchen Werkes Ihren Ansichten gemäß beschaffen sein müssen. –

Bei dem Urtheile über das Finale entschlüpft Ihnen zum höchsten Erstauen ein kleines Lob über die Anordnung dieses Satzes. Aber freilich ist doch auch hier Vieles sehr tadelnswerth. Der Satz (Seite 101), worin das Quartett nur mit 1 Fagott das Thema immer piano zuerst einstimmig, dann immer reicher behandelt, hätte in seiner zarten, sanft feierlichen Wirkung doch wenigstens einige Anmerkungen verdient. Sie gehen darüber hinweg, als gelte es nicht der geistreichen Beurtheilung der letzten Beethoven’schen Symphonie, sondern der buchhändlerischen Anzeige eines Addreßbuches. Die Zwischensätze sind natürlich wieder „trocken“. Dagegen erfreut das Urtheil, daß „die Melodie bis Seite 125 gut durchgeführt ist“. Wie das wohl thut, so etwas aus Ihrem [168] Munde zu hören! Und gerade hier würde ich am bereitwilligsten in Ihren Tadel einstimmen, wenn er die Behandlung der Stimmen träfe, die sicher nicht den Worten angemessen und ihrer Fähigkeit entsprechend ist. Wenn nun das Ganze sich nach B-Dur 6/8 wendet, so erscheint (S. 137) ein Tenorsolo mit Chor von Männerstimmen, wobei, nicht wie Sie sagen, die Piccoloflöte und Clarinette, sondern sämmtliche Blasinstrumente in reichster Fülle das erste Thema als Begleitung ausführen, ein Satz, der für mich zu dem Schönsten im ganzen Finale gehört. Die rege Bewegung des syncopirten Themas in den Blasinstrumenten, das schöne Pianissimo, das hier so viele Kraft, so viel Feuer ahnen läßt, endlich die Kühnheit in den Einsätzen des Solotenors, das Alles ist den Worten so entsprechend und so originell, daß, wer nur hören will, hier sicher mit Genuß hören kann. Aber wohin gerath’ ich! – Hören wir Ihre Meinung über eben diese Stelle: „Die Vokalpartie an diesen Stellen ist ganz trocken!“ (Sic!) – Ihre Meinung über den Instrumentalsatz (S. 145 – 160) unterschreibe ich gern. Dagegen der folgende! – Oft genug habe ich Ihre Zeilen gelesen in der Hoffnung, daß sie mir minder hart erscheinen möchten; und doch muß ich wahrlich wieder die Dreistigkeit Ihres Tadels hervorheben. Ist es denn möglich, daß diese Stelle: „Ihr stürzt nieder“ (S. 173) Sie kalt gelassen hat? Diese Instrumentation mit Bratsche, Celli und Blasinstrumenten, diese einfache, so tief gefühlte Declamation, die Kraft in dem Es-Dur-Accord: „Ueber Sternen muss er wohnen“. Der leise Schauer in dem pianissimo folgenden Septimen-Accord der Violinen, das ist ganz spurlos an Ihrem verfeinerten Gehör vorüber gegangen. Das alles ist „weniger anziehend!“ – Ueber das ganze nun folgende Finale mag ich mir kein Urtheil zutrauen, insofern ich nämlich unbedingt glaube, daß wir alle erst einmal Begriffe haben müßten von einer so kolossalen Besetzung der Singstimmen, wie Beethoven sie sicher gedacht hat und mit Recht denken durfte. Daß der Chor, so wie wir ihn hören, gegen die ungeheuren Orchestermassen zwergartig erscheint, und dabei in dem lächerlichen Contrast der Ausführung gegen die Kraft und Würde der Worte tadelnswert erklingt, das ist unbedingt wahr; eben so sicher aber auch, daß uns einzelne Stellen schon jetzt ahnen lassen, wie es ungefähr wirken könnte, wenn der Chor der Singstimmen diesen Jubelchor erst einmal so siegend und kräftig sicher wird ausführen können, wie uns jetzt z. B. Händel’s Hallelujah geboten wird.[WS 27] Ich glaube fast, daß es dann tönen wird, wie ein Hymnus ganzer Völkerschaaren, ja wie der Jubel der Menschheit selbst. Freilich wird diese Zeit vielleicht nicht erscheinen, wenn noch mehre solche Anathemen gegen dieses Werk geschleudert werden sollten. Dann bleibt uns endlich nur die Hoffnung, daß die Hand, die jetzt so tiefe Wunden [/] schlägt, uns später durch eigene Schöpfungen viel reicher noch beschenken werde. Quod Deus bene vertat![WS 28]

Hamburg.   O.





Anmerkungen (Wikisource)


  1. In seinem Notenbeispiel fasst Hirschbach die Tremoli von Violinen II und Violoncelli der Takte 2–4 zusammen. Auffällig bei Beethoven ist das ausnotierte Tremolo: im Original als zwölf 6tolen über zwei punktierten Vierteln im 2/4-Takt notiert – nicht wie bei Hirschbach als 16tel-Tremolo über Halben. Vor der letzten Viertel fehlt ein Taktstrich (die Viertelnote a in Violen und Kontrabässen fällt also auf den ersten Schlag des nächsten Taktes). Commons

  2. Vergl. An die Freude (Beethoven)
  3. Vorlage: B oder
  4. Zu den sogenannten späten Streichquartetten Beethovens verfasste Hirschbach im folgenden Jahr einen mehrteiligen Aufsatz: „Ueber Beethovens letzte Streichquartette“, in: Neue Zeitschrift für Musik, Band 11, 1839, Nr. 2 Seite 5–6, Nr. 3 Seite 9–10, Nr. 4 Seite 13–14 und Nr. 13 Seite 49–51
  5. Ein Zitat aus dem Anfang eines Briefes von Ludwig van Beethoven an Ferdinand Ries:
    „Wien, den 20. December 1822.
    Mein Lieber Ries!
    Ueberhäuft beschäftigt konnte ich Ihr Schreiben vom 15. November erst jetzt beantworten. – – Mit Vergnügen nehme ich den Antrag an, eine neue Sinfonie für die philharmonische Gesellschaft zu schreiben, wenn auch das Honorar von Engländern nicht im Verhältnisse mit den übrigen Nationen kann gebracht werden, so würde ich selbst umsonst für die ersten Künstler Europa’s schreiben, wäre ich nicht noch immer der arme Beethoven. Wäre ich nur in London, was wollte ich für die philharmonische Gesellschaft Alles schreiben! Denn Beethoven kann schreiben, Gott sei Dank, sonst freilich nichts in der Welt. Gibt mir nur Gott meine Gesundheit wieder, welche sich wenigstens gebessert hat, so kann ich allen den Anträgen von allen Orten Europa’s, ja sogar aus Nordamerika Genüge leisten, und ich dürfte noch auf einen grünen Zweig kommen.“
    Zitiert nach: Franz Gerhard Wegeler, Ferdinand Ries: Biographische Notizen über Ludwig van Beethoven, Coblenz: Bädeker 1838, S. 154 Google
  6. Robert Schumann: Fastnachtsrede von Florestan – Gehalten nach einer Aufführung der letzten Symphonie von Beethoven, in: Neue Zeitschrift für Musik, Band 2, Nr. 29, 10. April 1835, Seite 116-117
  7. Schumann äußerte:
    „Den Beschluß des diesjährigen Concertcyclus machte die neunte Symphonie von Beethoven. Das unerhört schnelle Tempo, in dem der erste Satz gespielt wurde nahm mir geradezu die ganze Entzückung, die man sonst von dieser überschwenglichen Musik zu erhalten gewohnt ist. Dem dirigirenden Meister gegenüber, der Beethoven kennt und verehrt, wie so leicht niemand wieder, mag dieser Ausspruch unbegreiflich erscheinen, und endlich, wer könnte hier entscheiden als Beethoven selbst, dem dies leidenschaftliche Treiben unter Voraussetzung eines makellosen Vortrages vielleicht gerade recht gewesen? So muß ich denn diese Erfahrung, wie so manche, zu meinen merkwürdigen musikalischen zählen, und mit einiger Trauer, wie schon alleine über die äußere Erscheinen des Höchsten ein Meinungszwiespalt entstehen kann. Wie sich aber freilich im Adagio alle Himmel aufthaten, Beethoven wie einen aufsteigenden Heiligen zu empfangen, da mochte man wohl alle Kleinigkeiten der Welt vergessen und eine Ahnung vom Jenseits die Nachblickenden durchschauern“,
    abschließender Absatz des Artikels Fragmente aus Leipzig II., in: Neue Zeitschrift für Musik, Band 6, Nr. 36, 5. Mai 1837, Seite 144-146
  8. Gemeint ist der Satz Halleluja am Schluss des zweiten Teils des Oratoriums Messiah von Georg Friedrich Händel.
  9. Zu deutsch: „was Gott zum Guten wende“.