BLKÖ:Szerencsy, Stephan von

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Szerencsens, Johann
Band: 42 (1880), ab Seite: 141. (Quelle)
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Szerencsy, Stephan von (Personal, d. i. Präsident der königlichen Tafel auf dem ungarischen Landtage [142] von 1844, geb. um 1795, gest. 1850). Eine der denkwürdigsten Persönlichkeiten im parlamentarischen Leben Ungarns. Im Jahre 1830 Gerichtstafelbeisitzer, war er schon auf dem Landtage 1839 Personal, d. i. personalis praesentiae regias in judiciis locumtenens, oder Präsident der königlichen Tafel, welcher vom Könige ernannt wird und in der Deputirtenkammer den Vorsitz führt. Die Aufgabe des Personals ist eine der schwierigsten, die sich denken lassen: da er einerseits in seiner Stellung als königlicher Beamter die Rechte, Wünsche und Interessen der Regierung zu vertreten, anderseits in seiner Eigenschaft als Kammerpräsident selbst den Schein von Parteilichkeit in der Leitung und Zusammenhaltung der Kammerverhandlungen, sowie in der Bestimmung der Majorität sorglich zu meiden hat. Wenn nun in Folge heftiger Debatten oder auch aus anderen Ursachen in der Kammer eine Vereinbarung der Meinungen oder eine Abstimmung nicht möglich wird, so finden Circularsitzungen statt, welchen ihrer vertraulichen Eigenschaft wegen der Personal nicht beiwohnt. Nun aber werden eben in denselben die Reichstagsangelegenheiten am erschöpfendsten behandelt, werden die meisten Nuntien, Gesetz- und Repräsentations-Vorschläge redigirt, und es bildet sich daselbst in der Regel die Mehrheit der Kammer, welche dann den Vorschlägen und Einwürfen des Vorsitzenden, mögen diese nun die Ansicht der Regierung aussprechen oder aus seiner individuellen Ueberzeugung geschöpft sein, nicht selten ohne erst auf deren Erörterung einzugehen, ein keinen Widerspruch duldendes „maradjon!“ (soll bleiben), entgegensetzt. Am schwierigsten aber wird diese Stellung, wenn, wie oben bemerkt, heftiger Wortstreit entbrennt, wenn die Deputirten sich gegenseitig oder die Regierung oder den Personal selbst, als deren Organ, angreifen, und zwar meist nicht eben in parlamentarischer Taktik, sondern in einer Weise, welche eher auf das Rákosfeld, als in den Sitzungssaal paßt; und wenn es dann gilt, bei ärgerlichen Ausbrüchen nicht nur des gesetzgebenden Körpers, sondern auch des vorlauten Publicums die gestörte Ordnung einigermaßen aufrecht zu erhalten. Dabei ist man in Ungarn, wie denn auch anderswo, meist noch immer der Ansicht, daß hinter dem Präsidentenstuhl nicht eben das Banner des Fortschrittes und des wahrhaften Patriotismus flattere. Aus allen diesen Gründen wird man es denn leicht begreiflich finden, daß die Stellung des Personals eine ebenso heikliche als undankbare ist und daß, wenn unter solchen Umständen Stephan von Szerencsy nichtsdestoweniger einer der populärsten Menschen seiner Zeit war, derselbe eine eigengeartete ganz merkwürdige Persönlichkeit gewesen sein müsse. Und das war denn auch der kleine wohlbeleibte Mann mit den gutmüthigen jovialen Zügen, dem olivenfarbenen Teint, den dunklen, aber lebhaften, scharfblickenden Augen und jenem derben gesunden Phlegma, dessen Niemand mehr bedarf, als eben der Personal. In dem Holzschnitt, den die „Illustrirte Zeitung“ (Band II, 1844, Seite 345) seinerzeit brachte, scheint Szerencsy nicht ganz glücklich wiedergegeben zu sein. Die vorstehenden Zeilen erschienen uns unerläßlich, um Stellung, Bedeutung und Charakter dieses Mannes vollkommen zu würdigen. Szerencsy, nebenbei Publicist, war mit den Bestrebungen und politischen Verhältnissen des gebildeten [143] Auslandes genau bekannt, in der vaterländischen Gesetzgebung und Gerichtspraxis gleich gut bewandert; er kannte aus eigener privater und dienstlicher Erfahrung den Zustand des Landes, den Charakter seiner Nation, den natürlichen Zusammenhang der damaligen (1844) Uebergangsperiode mit der Vergangenheit und verstand diese seine Kenntnisse in den schwebenden Fragen verfassungsmäßig den Forderungen der Zeit Rechnung tragend und den Wünschen der fortschreitenden Nation möglichst entsprechend, zur Geltung zu bringen. In seinem ganzen Wesen, mit dem heiteren freien Blicke, mit dem ruhigen Selbstgefühl des Mannes, der stets nur das Rechte will, gab er in seiner ganzen Erscheinung das unverfälschte Bild ungarischer Offenheit, Aufrichtigkeit und Herzlichkeit, und eben durch dieses Wesen hatte er die Sympathie, das Vertrauen und die Achtung der Stände erworben. Auf den ersten Moment, nach seiner physischen Individualität zu schließen, hätte man erwartet, dieser Mann werde mit den tödtlichsten parlamentarischen Waffen dreinhauen, und man werde überall, wo der Biß seiner Zähne getroffen, die Spuren davon gewahren. Nichts von alledem! Er war sanft wie ein Lamm, sein Geist feiner als seine Geberde, seine Dialektik ästhetischer als seine Toilette. Mit einer anziehenden Natürlichkeit verband er eine Leichtigkeit, sich in die schwierigsten Situationen zu finden, ein warmherziger Patriot, verstand er es, bald mit süßer Vertraulichkeit, bald mit ernster Würde seine Präsidentenpflicht zu erfüllen. Und so kam es denn, daß, wenn er auch unter mißbilligenden Bemerkungen schneller zum Ziele führende Anträge empfahl, diese dann in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen angenommen wurden. Fand aber sein Vorschlag keinen Anklang, dann beharrte er nicht auf demselben und griff nie zu Mitteln, welche seinen Charakter oder die parlamentarische Würde in Schatten stellen konnten, dann ließ er dem Drama der Verhandlung – unten folgt eine der merkwürdigsten aus seiner Zeit – eine freie Entwickelung und sprach die Meinung der Majorität, sie klar und ruhig zusammenfassend, unparteiisch mit voller Ruhe aus. Dazu besaß er im hohen Grade das Geschick, aus dem verworrenen Knäuel abspringender oder widersprechender Meinungen den Ariadnefaden herauszufinden, die aufgeregten Parteien zu beschwichtigen und, ward er auch noch so heftig angegriffen, nie die Fassung, das Gleichgewicht zu verlieren und so durch seine Selbstbeherrschung, seine Ruhe und echte edelmännische Haltung selbst die gereiztesten Gemüther für sich zu gewinnen. Dabei unterließ er es aber nie, jene Redner, welche sich aus Absicht oder im Selbstvergessen ihres oratorischen Ergusses nicht genau an den Gegenstand hielten, sondern in ihre weit ausgesponnenen Vorträge Dinge mischten, die gar nicht hineingehörten, entschieden zurückzuweisen und strenge zu mahnen, bei der Sache zu bleiben. Auch verstand er es, das Publicum, namentlich die Landtagsjugend, welche in oft ungebührlicher Weise Kunde von ihrem Dasein gab und durch jedes Maß überschreitende Aeußerungen des Beifalls oder Mißtrauens störend in den Gang der Verhandlungen einzugreifen gewohnt war, durch einen Blick, eine Geste, im schlimmsten Falle durch eine kurze, aber klare Ansprache, aus welcher jedoch gar vernehmlich der Ton wahrhaft väterlicher Herzlichkeit herausklang in Ordnung [144] zu halten. Die Zügellosigkeit, welche früher in den Zuhörerräumen nicht selten vorkam, verschwand allmälig, seit er als Personal sein Amt handhabte. Aber auch als Redner war er an seinem Platze. Jederzeit schlagfertig, schnell gefaßt, fand er, wenn er sie brauchte, Vertheidigungs- und Beweisgründe. Sein fließender, natürlicher, faßlicher Vortrag verschmähte jeden oratorischen Schmuck, erhob sich aber, wenn es nöthig war, zu voller Würde, Kraft und Eindringlichkeit. Seine Rede klang bald feierlich ernst, bald gemüthlich heiter, wie es der Gegenstand oder die Situation eben mit sich brachte. Dazu unterstützten eine lebhafte Mimik, ein heller, aber nichts weniger als kreischender Klang seiner Stimme, rasche, aber immer entsprechende Bewegungen die Lebendigkeit seines Vortrages. Das waren die Eigenschaften, die der Präsident jenes Landtages besaß, welcher als Vorläufer der 48er Bewegung angesehen werden muß. Szerencsy ward von den Deputirten geliebt und hoch verehrt. Als am Tage nach der denkwürdigen Sitzung vom 1. December 1844, in welcher die Sprachenfrage nicht verhandelt, sondern vergewaltigt worden war (siehe unten), Alles in neugieriger Erwartung auf die Galerie strömte, um das großartige Schauspiel zu genießen, wie die Deputirten ihren Präsidenten wegen Pflichtversäumniß zur Rechenschaft ziehen würden, da sah man, welche Popularität Szerencsy genoß, deren Mächtigkeit er selbst vielleicht nicht ahnte: denn als er die Sitzung verließ, flossen Freudenthränen über die olivenfarbenen Wangen des kleinen im seligsten Behagen vor sich hinschreitenden Mannes, man hatte ja in Masse Vertrauen, Liebe, Achtung für seine. Person, für seine Vaterlandsliebe ausgesprochen. Das war wohl Szerencsy’s schönster Tag. Im Jahre 1847 legte er seine Stelle nieder, indem ihm ein Ehrenamt – wir glauben das Oberstmundschenkenamt – war verliehen worden. Seine einzige Tochter Anna hat sich mit Anton Freiherrn Balassa vermält.

Sitzungen des ungarischen Landtages vom 1. und 2. December 1844 anläßlich der Sprachenfrage. Am 20. Juni 1844 gebot ein Beschluß des ungarischen Abgeordnetenhauses den croatischen Deputirten ungarisch zu sprechen. Diese weigerten sich dessen, weil ihre Instruction den Gebrauch der lateinischen Sprache vorschrieb. Ueber diesen Zwiespalt, dessen Lösung blos zur Polizei des Saales gehörte, erwärmten sich die Gemüther, und man spitzte die sonst unbedenkliche Angelegenheit – welche eben für die Gegenwart, die denn auch mehr als billig mit der Sprachenfrage behelligt wird, nicht unwichtig erscheint – zu einer Lebensfrage zu. Die Regierung schritt mit einem Rescript ein, welches darauf hinauslief, daß die croatischen Deputirten nicht gehindert werden könnten, an den Debatten in lateinischer Sprache theilzunehmen, indem diese lange Zeit im Gebrauch gewesen und bisher noch durch kein Gesetz aufgehoben sei. Ueber dieses Rescript wurde viel und heftig, Wahres und Falsches gesprochen. Endlich ward für den 1. December der obigen Frage wegen eine Reichstagssitzung angesagt, welche das Schicksal des Landtages und überhaupt entscheiden sollte: ob der König mit seinem Rescript oder der Landtag mit seinem Beschluß Recht behalte. Die Sitzung war auf 1/211 Uhr angesetzt. Das Publicum, eines Spectakels, für das es kein Entrée zu bezahlen hatte, gewärtig, fand sich in ungewöhnlicher Menge ein, verhielt sich aber, obgleich viel Jugend zu sehen war, in anständigster Weise. Szerencsy (Personal) nahm seinen Präsidentenstuhl ein und eröffnete die Sitzung; der Protonotar Széll verlas die Antwortsadresse auf das königliche Rescript. Als dieser geendet hatte, erhob sich der Personal; Zeichen gespanntester Erwartung waren auf Aller Mienen sichtbar. Nun ergriff er das Wort und sprach im Wesentlichen: „Der [145] merkwürdigste Gegenstand liegt vor uns: die Frage der Nationalität. Ich fühle mich verpflichtet, hierüber meine Ansicht auszusprechen, meine gut gemeinten Rathschläge zu ertheilen. Dies ist meine Pflicht als Ungar und als Präsident dieser Tafel. Die Meinungen sprechen sich hauptsächlich in zwei entgegengesetzten Richtungen aus. Einige glauben, wir wollten durch unsere Nationalität andere Völker unterdrücken, Andere wieder, daß unsere Nationalität gewaltsam unterdrückt wird. Beide Ansichten sind falsch. Die Nationalität ist die höchste Idee im Leben eines Volkes, von ihr erwartet es Glück und Wohlsein. Die Nationalität zu erhalten, ist noch mehr als Pflicht, sie ist die Bedingung des Daseins eines Volkes. Mögen Sie hieraus schließen, wie sehr sie mir am Herzen liegt. Doch überall gibt es Extreme, Uebersprünge, die ihrer Natur nach von keinem Bestande sind. Auch die Idee der Nationalität scheint heutzutage auf die Spitze getrieben zu sein, eine Idee, die nicht im intellectuellen und materiellen Leben der Völker fest begründet ist, sondern als Steckenpferd der heutigen Mode prunkt. Solche Modeideen tauchten in den letzten vierzig Jahren öfters in Europa auf, indeß sie ebenso schnell wieder verschwanden; ich erinnere z. B. an die kosmopolitischen Extravaganzen. Die nationalen Eifersüchteleien scheinen ihren Ursprung daher zu nehmen, weil die Völker durch die nationalen Bestrebungen näher an einander gerückt, von dem Schreckbilde ergriffen werden, als wäre eben hierdurch ihre Nationalität, ihre Selbständigkeit gefährdet. Doch das ist eitler Wahn“. Nun gibt Szerencsy einige Erläuterungen aus der Geschichte und entwickelt seine Ansicht über die Vortheile einer allmäligen Reform, mit dem Ausdrucke seiner vollen Ueberzeugung schließend, daß der am 20. Juni gefaßte Beschluß, infolge dessen die croatischen Deputirten ungarisch zu sprechen bemüssigt würden, in seinen Augen ungesetzlich sei. Er rathe, den Streit auf gesetzlichem Wege zu schlichten und danach das königliche Rescript anzunehmen, oder, wenn die Kammer trotz alledem bei ihrem Beschlusse vom 20. Juni beharre, mindestens jetzt die croatischen Deputirten sprechen zu lassen. Szerencsy hatte seine Rede kaum geendet, als von den Tischen der Deputirten ein beinahe einstimmiges „Maradjon!“, was auf deutsch bedeutet: „es solle bei dem Beschlusse bleiben“, erscholl. Nun ergriff der croatische Abgeordnete Karl Klobucharich [Bd. XII, S. 108] das Wort. Kaum aber hatte er die erste Sylbe gesprochen, so sprangen von allen Seiten die Deputirten auf, ihm laut zurufend: „ungarisch“! – Er versuchte lateinisch fort zusprechen, viele Deputirten rufen und reden dazwischen, viele andere ergreifen zugleich das Wort, wodurch einzelne Stimmen verhallen. Aus Allem stellt sich zuvörderst heraus, daß die Opposition die Aufrechthaltung des Beschlusses vom 20. Juni fordere, wonach im Parlamentssaale nur ungarisch gesprochen werden dürfe. – Der Personal erinnert, daß die Reihe des Sprechens an dem Deputirten von Croatien sei, man möge ihm das Wort gestatten. – „Nein, nein, er spreche ungarisch!“ ertönte es von allen Seiten. – Klobucharich begann von neuem zu sprechen, man fiel ihm ins Wort. Der Lärm nimmt zu, Viele wollen reden, Viele schreien, und diejenigen, welche die Ruhe herzustellen suchen, machen, wie gewöhnlich, den größten Lärm. Da übertönt die Stimme Eugen Beöthy’s [Bd. I, S. 286] alle anderen: „Ich fordere den Präsidenten feierlichst auf, den Beschluß vom 20. Juni aufrecht zu erhalten!“ Klobucharich will ihn unterbrechen, Beöthy schreit diesem zu: „Ich werde sehen, wer mich hier hindern wird, ungarisch zu sprechen.“ Mit großer Anstrengung kam endlich der Personal zum Wort: „Man verlangt, ich soll den Beschluß vom 20. Juni aufrecht erhalten“ (Ja, ja!). Szerencsy wendet sich nun zu dem croatischen Deputirten: „Sie sehen, die Tafel will Sie nicht anhören“ (Nein, nein!), „ich fordere Sie also auf, dem Wunsch der Tafel nachzugeben. Geben Sie nach, inwiefern Ihr Gewissen und Ihre Instruction es Ihnen gestatten (sich zu dem Deputirten wendend) und mehr kann, mehr darf ich nicht thun. Das Gesetz verbietet es, und dieses bin ich als Vollstrecker desselben zu achten verpflichtet“. (Sich neuerdings zu dem Croaten wendend) „Ich fordere Sie nochmals auf, mehr kann ich nicht“. – Klobucharich beginnt von Neuem lateinisch zu sprechen. Die Emeute ist im vollen Gange; mehrere Deputirte drohen, Franz Kubinyi [Bd. XIII, S. 290, Nr. 1] zeigt nach der Thür, während der Personal beständig ruft: „Hören Sie den Deputirten von Croatien!“ – [146] Nein, nein! – Beide croatischen Deputaten fordern das Wort. Da ruft Gabriel Klauzal [Bd. XII, S. 24]: „In welcher Sprache?“– Beide croatischen Deputirten heben zu gleicher Zeit in lateinischer Sprache an an. – Furchtbarer Lärm, man sieht Gesten, welche physische Drohung bedeuten, viele Stimmen rufen: „Der Personal erfülle seine Pflicht!“ Klauzal: „Unter diesen Verhältnissen ist eine Circularberathung nöthig, damit die Kammer beschließen könne, was zu thun sei. Ich verlange vom Präsidium, die Sitzung aufzuheben, damit wir einen Cirkel halten können“. – Die Unordnung scheint unterdessen den höchsten Grad zu erreichen. Der Personal ruft mit angestrengter Stimme: „Ich habe gethan, was ich thun konnte“ – Eine Stimme: „Das genügt nicht“. – Da erhebt sich Moriz Perczel [Bd. XXI, S. 461]: „Ihre Pflicht ist, den Beschluß aufrecht zu erhalten“. Szerencsy: „Ich hindere nicht den Cirkel, doch Sie sehen, die Deputirten von Croatien wollen Ihrem Beschlusse keine Folge leisten“. – Klobucharich will sprechen. – Lärmendes Rufen: „Schweigen Sie!“ – Szerencsy: „Ich kann sie nicht physisch oder moralisch zum Stillschweigen zwingen“. – Stimmen: „Sprechen Sie den Beschluß der Majorität aus, daß die Antwortsadresse angenommen ist“. Szerencsy: „Es ist ein gesetzlicher Gebrauch, daß, so lange Jemand über den Gegenstand sprechen will, der Beschluß nicht ausgesprochen werden darf, und die Deputirten von Croatien wollen sprechen“. Indessen steigert sich die Erbitterung von Secunde zu Secunde, die Situation wird eine immer drohendere. Man hört die Rufe: „Cirkel! Cirkel! Heben Sie die Sitzung auf! Den Beschluß der Antwortsadresse!“ Szerencsy: „Wollen Sie einen Cirkel? Gut! Merken Sie aber, ich liebe meine Nationalität so wie Sie. Bringen Sie einen guten Beschluß. Videant Consules, ne quid detrimenti capiat res publica“. Die Sitzung wurde aufgelöst, Szerencsy, der als Personal dem Cirkel nicht anwohnen darf, entfernt sich sammt den Beisitzern der königlichen Curie und den croatischen Deputirten; darauf beantragte Klauzal, am nächsten Tage im Cirkel zu berathschlagen, was nun zu thun sei. Die Circularsitzung fand am 2. December statt. Der Andrang des Publicums war noch stärker, denn nun sollte es sich zeigen, ob Regierung, ob Parlament Sieger sein werde. Auf der Tribüne der Magnaten bemerkte man den eben damals aus Serbien angekommenen Baron Lieven, welchem Stephan Graf Széchenyi den Gegenstand der Debatte erklärte. Das Publicum verhielt sich auch heute in angemessener Ruhe. Nun ergriff Klauzal das Wort und seinem Vortrage folgte alles mit gespanntester Aufmerksamkeit. Er begann: „Löbliche Stände! Wir waren gestern Zeugen eines ungesetzlichen scandalösen Auftrittes. Ungesetzlich und scandalös nenne ich ihn, weil die Deputirten Croatiens, durch das königliche Rescript ermuntert, unseren Beschluß vom 20. Juni gewaltsam verletzten. Ungesetzlich und scandalös, weil unser Präsident (Personal), von dem wir bisher glaubten, er handle so, wie dies in andern constitutionellen Ländern gebräuchlich, durch sein gestriges Betragen bewies, daß er nicht im Sinne der Majorität dieser Tafel, sondern nach Instructionen handelt, die er von Ofen empfing, indem er den Beschluß vom 20. Juni nicht nur nicht aufrecht erhielt, sondern noch dem croatischen Deputirten Gelegenheit bot, denselben zu verletzen. Unter so betrübenden Umständen fragt sich’s nun, was zu thun sei? Ich freue mich zum Theil des gestrigen Tages, denn das Benehmen des Präsidenten wird der Nation über ein dringendes Bedürfniß die Augen öffnen, es wird allseitig den Wunsch rege machen, daß die Tafel darauf hin arbeite, ihren selbstgewählten Präsidenten zu erhalten. Doch auf factischem Wege können wir dies nicht thun, hierzu ist ein Gesetz erforderlich. So lange der Personal kraft des Gebrauches Präsident dieser Tafel ist, muß er auch als solcher anerkannt werden. Auch ist es nöthig, auf gesetzlichem Wege vorzubeugen, daß solche Scandale sich je wiederholen. Ich verdamme nicht den Präsidenten, ich bedauere ihn, denn sein gestriges Benehmen war nur die Folge jener abhängigen Lage, in welcher er sich gegenüber einer höheren Gewalt befindet. Doch hiedurch ist das verletzte Recht noch nicht gesühnt, im Gegentheil, es muß Alles geschehen, um die Rechte der Nation sicher zu stellen. Ich schlage zweierlei vor: 1. beantrage ich einen feierlichen Protest gegen den Präsidenten, der den Beschluß vom 20. Juni, wiewohl er ihn selbst ausgesprochen (dies geschah in der Reichstagssitzung am 28. Juni), [147] für ungesetzlich erklärt, ihn nicht aufrecht erhalten, ja den croatischen Deputirten zur Verletzung desselben mehrmals Gelegenheit geboten hat. Hierdurch hat er sich factisch über die Tafel erhoben. 2. In dem Protest beantrage ich die Erklärung, daß die Tafel unter keinen Umständen von ihrem Beschlusse vom 20. Juni abweicht. Da es jedoch unter ihrer Würde ist, bis zur thätlichen Gewalt herabzusteigen, und diese gegen die croatischen Deputirten zu gebrauchen, so werden wir uns ihrem lateinischen Vortrage nicht widersetzen, nehmen aber von diesem keine amtliche Notiz, betrachten ihre Reden als nicht gesprochen und verbieten deren Aufnahme in das Reichsdiarium. Ebenso verbieten wir den Censoren, diese lateinischen Reden zur Censur aufzunehmen. Ich beantrage dies einzig, um die Würde dieser Tafel unter solchen Drangsalen aufrecht zu erhalten, und bitte darum auch jene Deputirten, welche das Rescript angenommen, sich meiner Motion nicht zu widersetzen. Vereinigen wir uns! Wäre kein Meinungszwiespalt zwischen uns gewesen, vielleicht wäre es dann nicht bis zu dem gestrigen Auftritte gekommen, und oben hätte man sich wohl nicht unterfangen, die Croaten auf solche Weise zu unterstützen“. Die Rede war geendet, ein Antrag gestellt, den Niemand im entferntesten geahnt. Von allen Sitzen hörte, man das beistimmende „Elfogadjuk!“ (wir nehmen es an). Die Motion wurde ohne Debatte angenommen. Des anderen Tages kam dieser Beschluß in der Reichstagssitzung zur Verhandlung. Die croatischen Deputirten sprachen lateinisch, während die ungarischen conversirten. Diese glaubten dadurch ihre Würde gerettet. Der Präsident (Szerencsy), blos von einem einzigen Mitgliede der Kammer angegriffen, erfuhr an diesem Tage, daß, wenn seine Ansichten auch nicht immer mit der Majorität sympathisirten, er dennoch als Mensch und Staatsmann eine große Popularität genoß. Dieser Ausgang kam Jedermann unerwartet. Die Sprachenfrage war bis auf die Spitze getrieben, war zu einer Ehrensache gemacht worden, und nun hatte Alles einer Motion beigestimmt, welche den Beschluß vom 20. Juni factisch aufhob. So beging die ungarische Deputirtenkammer einen großen Fehler gegen die Klugheit und Würde des Landes. Gegen die Klugheit, weil sie eine Frage unpolitischer Weise auf die Tagesordnung brachte und bis auf das Aeußerste trieb; gegen die Würde des Landes, weil sie in ihrem Nachgeben Feigheit an den Tag legte, deren sich eine moralische Person nie zeihen lassen darf. Diese unerwartete Wendung einer Krisis, welche möglicherweise die Auflösung des Landtags herbeiführen konnte, machte einen fast wehmüthigen Eindruck auf das Publicum, vornehmlich aber auf die Jugend, die bekanntermaßen den meisten Antheil an Parlamentsdebatten nimmt. Im ersten Moment dachte man an eine Demonstration behufs Mißbilligung über die Handlungsweise der Deputirtenkammer. Als der croatische Deputirte Klobucharich, eine bis dahin haßverfolgte Persönlichkeit, auf der Promenade erschien, wo die Jugend, in Gruppen versammelt, eben über die Demonstration berathschlagte, wurde er von ihr mit einem Eljen empfangen, seine Kühnheit, Energie und Ausdauer gelobt. Solchen Umschlag in der öffentlichen Meinung hatte dieser Mißgriff der Kammer hervorgebracht. Die Opposition derselben wurde vom Publicum mit Zischen empfangen, so daß Beöthy mit Entrüstung apostrophirte: „Die Galerien werden nie dem legislativen Körper imponiren“. Klauzal sah sich veranlaßt, eine Philippica gegen jene Jugend zu halten, welche sich eben während des ganzen Vorgangs so musterhaft verhalten hatte. Nur der kaustische, aber stets den Nagel auf den Kopf treffende Moriz Szentkirályi [s. d. S. 94 dieses Bandes], im Jahre 1848 Capitän der Jazygier und Cumanier, der in einer echt edelmännnischen Rede die Sympathien für den wackeren Präsidenten Szerencsy weckte, sprach sich über das Zischen auf den Galerien zu seinen Collegen in den geflügelten Worten aus: „Wenn Euch früher der Beifall gefiel, so muß Euch nun auch das Gegentheil gefallen“. Hier aber wurde dieser denkwürdige Vorgang zu beherzigenswerther Erwägung mitgetheilt, weil das österreichische Staatsschiff ja eben wieder von den wilden Wogen der Sprachenfrage umhergeworfen wird.
Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, kl. Fol.) Bd. II, 25. Mai 1844, Nr. 48, Seite 343.
Porträt. Ebenda S. 345. – Ein anderes, ziemlich seltenes Porträt radirte im Jahre 1827 Baron Ferdinand Lütgendorf, und ist dasselbe auf einem Octavblatte mit dem [148] Facsimile der Unterschrift: „Szerencsy István Ung Varmegyei követ“ vorhanden.