Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Sobek, Rudolph Graf
Band: 35 (1877), ab Seite: 217. (Quelle)
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Soave, Franz (Schriftsteller, Pädagog und Humanist, geb. zu Lugano im Juni 1743, gest. zu Mailand 17. Jänner 1806). Ein vielgenannter und seinem Lebensgange nach wenig gekannter, verdienstvoller, italienischer Pädagog aus der Zeit der österreichischen Herrschaft in Ober-Italien vor der französischen Invasion im Jahre 1796. Vergebens sucht man seinen Namen in deutschen Encyklopädien und selbst das mehr als ein halbes hundert Bände fassende, so inhalt- und artikelreiche „Meyer’sche Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände“ kennt seinen Namen nicht, obgleich seine „Novelle morali“ bis heute wohl an die hundert Auflagen erlebten, in die meisten lebenden Sprachen übersetzt worden und noch heute eine ungemein brauchbare und inhaltreiche Jugendschrift bilden. Bei den Somaskern, einem geistlichen, mit dem Unterrichte der Jugend sich beschäftigenden Orden in Lugano, erzogen, trat er, selbst im Jahre 1759 in diesen Orden, brachte in Mailand das Novizenjahr zu, setzte seine Studien in Pavia fort und beendigte sie im Collegium Clementinum zu Rom. Frühzeitig betrat er als Uebersetzer einzelner der Classiker des Alterthums das schriftstellerische Gebiet, u. z. zuerst mit Virgil’s „Bucolica“ und „Georgicon“. So wurde er bald in wissenschaftlichen Kreisen Ober-Italiens bekannt und als Du Tillot, Minister des Herzogthums Parma, eine Pagerie zur Erziehung des jungen Adels in Parma errichtete, berief er neben anderen Meistern auch Soave in diese Anstalt, in welcher dieser, ein geborener Pädagog, treffliche Dienste leistete. In dieser Zeit schrieb er seine „Grammatica ragionata della lingua italiana“, dann eine lateinische Anthologie und unterzog sich der Beantwortung der von der Berliner Akademie der Wissenschaften aufgestellten Preisfrage: „Ob die Menschen, auf ihre natürlichen Fähigkeiten allein angewiesen, im Stande wären, durch sich selbst eine Sprache zu bilden“, für welche ihm das erste Accesit zu Theil wurde. Soave veröffentlichte dieselbe im Jahre 1772 in Mailand, und wurde durch sie auf verwandte Forschungen hingeleitet, welche die Herausgabe seiner „Elementi di filosofia“ und seiner Schrift: „Modo di formare una lingua universale“ zur Folge hatten. Mißhelligkeiten und Intriguen von Seite des parmesanischen Hofes bestimmten Soave Parma zu verlassen, und so begab er sich im Jahre 1772 nach Mailand, wohin ihm ein vorteilhafter Ruf vorausgegangen war und wo er an dem geistvollen Staatsmann Karl Joseph Graf Firmian, damaligen kaiserlich österreichischen General-Gouverneur der Lombardie [Bd. IV, [218] S. 232], einen Mäcen fand, der, die Tüchtigkeit Soave’s sofort erkennend denselben auch alsbald an den rechten Platz stellte. Er übertrug ihm nämlich die Lehrkanzel der Moral-Philosophie, Logik und Metaphysik an der Brera. Für seine Zöglinge übersetzte nun Soave auch Winne’s Abhandlung über den Verstand, und Locke’s „Versuche über den menschlichen Verstand“; schrieb dann seine Grundsätze der Logik, Metaphysik und Ethik, welche auf allen Schulen Italiens als Lehrbücher eingeführt wurden. Als dann von Parma sein früherer College Amoretti [Bd. I, S. 31] gleichfalls nach Mailand übersiedelte, begann er mit ihm gemeinschaftlich die Herausgabe des noch heute in Italien geschätzten Sammelwerkes: „Opuscoli scelti sulle scienze e sulle arti“, welches Graf Firmian und der Wiener Hof unterstützten und förderten, und worin Abhandlungen über die wichtigsten Entdeckungen, Erfindungen und Fortschritte auf den Gebieten der Wissenschaften und Künste enthalten sind. Diese Sammlung, welche sofort zu erscheinen begann und bis 1807, also ein Jahr nach Soave’s Tode, fortgesetzt wurde, umfaßte 27 Bände. An den letzten drei Bänden hatte S. nicht mehr mitgearbeitet, hingegen für die anderen aus dem Englischen, Französischen, Deutschen und Spanischen eine ansehnliche Folge von Artikeln theils bearbeitet, theils übersetzt, aber auch einige Original-Arbeiten geliefert, wie z. B.: „Una Osservazione ottica“ – „Piano di studi metafisici“ – „Descrizione di un maraviglioso sonnambulo speziale milanese“ – „Descrizione di un Aurora boreale“ – „Congetture sulla scossa della torpedine“ in welch’ letzterer er der Entdeckung von John Walsh, welche dieser im Jahre 1774 in den Abhandlungen „On the electric property of the Torpedo“ und „On the Torpedo found on the coast of England“ veröffentlichte, zuvorkam. Der brescianische Edelmann Karl Graf Bettoni [Bd. I, S. 360] hatte nun seinerseits, um für eine bessere Erziehung der Jugend zu wirken, einen Preis von 100 Ducaten ausgesetzt für 25 sittliche Erzählungen, in welchen die mannigfachen Pflichten des Menschen in ebenso fesselnder als belehrender Weise dargestellt würden. Die Akademie von Padua und die patriotische Gesellschaft von Mailand sollten Schiedsrichter sein über die eingelaufenen Arbeiten. Für das Volk oder für die Jugend zu schreiben, war nie Brauch in Italien gewesen, in welchem eine eigentliche Volks- und Jugendliteratur bis zur Stunde fehlt. So geschah es denn, daß gar Niemand um Bettoni’s Preis sich bewarb und dieser sich zuletzt unmittelbar an Soave selbst wendete und ihn anregte, die Arbeit zu unternehmen. Soave ließ es sich nicht umsonst gesagt sein, und so entstanden Novellen, welche später auf 34 anwuchsen und den Preis erhielten. Das sind die nachmals so berühmt gewordenen, in alle lebenden Sprachen übersetzten „Novelle morali di Francesco Soave“, wovon bereits im Jahre 1787 eine deutsche Uebersetzung unter dem Titel: „Moralische Novellen für die Jugend“ (Leipzig 1787, Schneider, 8°.) erschien, und dann noch mehrere, manche mit gegenüberliegendem Urtext und grammatikalischen Anmerkungen folgten. Die Zahl der italienischen Ausgaben und Nachdrücke ist nicht anzugeben, das Werk mag dem Bedürfnisse der Gegenwart, wo die Anforderungen des modernen Lebens eine Menge neuer Gesichtspuncte eröffneten, nicht ganz mehr genügen, gewiß aber bleibt es unter allen [219] Umständen ein treffliches Jugendbuch, das jeder Vater seinem Sohne, jede Mutter ihrer Tochter ohne Sorge in die Hand geben kann – ein Vorzug, der vielen, ja sehr vielen Jugendschriften der Gegenwart leider nicht eingeräumt werden kann. Neben dieser Arbeit blieb aber S. auch sonst nicht unthätig; so übersetzte er die Odyssee und den Froschmäusekrieg, die Gedichte Hesiod’s, die Idyllen Geßner’s, dessen Brief über Landschaftmalerei, das Gedicht von Young über die Macht des Glaubens, in dessen zweiter Auflage er dem Original so nahe zu kommen suchte, daß die Uebersetzung sogar in der Zeilenmenge mit dem Original übereinstimmt. Die Vorzeichen der Revolution waren bereits fühlbar geworden. Die Fürsten, so sehr sie die Philosophen verschmähten, gelangten zuletzt doch durch die Schriften der Philosophen zur Ueberzeugung, daß es mit der Unwissenheit, in welcher man bis dahin die Völker zu erhalten bemüht gewesen, länger nicht gehe und das bisherige System doch zu keinem guten Ende führen könne. Der Schaden, der daraus entsprang, traf nicht blos die Regierten, sondern nicht weniger empfindlich auch die Regierer und es galt nun Anstalten dagegen zu treffen. Man beschloß demnach zunächst für einen entsprechenden Unterricht der Massen zu sorgen und so entstanden in Ober-Italien die Primarschulen. Zur Organisirung derselben und zur Verfassung der nöthigen Lehrbücher wählte die kaiserliche Regierung unseren Soave, welcher zu diesem Ende eine Reise nach Tirol unternahm, wo zu jener Zeit bereits solche Schulen bestanden, deren Zustand und Einrichtung er an Ort und Stelle kennen lernen und untersuchen sollte. Soave war von seiner Tiroler Reise zurückgekehrt und schrieb nun seine Elementar-Unterrichts-Bücher über das Schönschreiben, das Lesen, eine Sittenlehre, ein Rechenbuch u. m. a. Im Jahre 1789 wollte er mit Venini und Amoretti die Herbst-Monate in Frankreich verleben und sie waren bereits in Chambery angekommen, als in Paris die Revolution ausgebrochen war. Die Zustände in der Seinestadt hatten alsbald einen solchen Charakter angenommen, daß sie die Fortsetzung ihrer Reise unterbrachen. Sie kehrten demnach zurück, und als sie in Mailand ankamen, fanden sie die Regierung in nicht geringer Bestürzung über den Ausbruch der französischen Revolution. Um einer allfälligen Bewegung im Lande selbst vorzubeugen, hielt die kaiserliche Regierung für angemessen, rechtzeitig die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen. Es galt zunächst die aufgeregten Gemüther zu beruhigen und eine Darstellung der Ereignisse und ihrer Folgen in Frankreich zu geben. Mit der Ausführung dieser Arbeit wurde Soave von der Regierung betraut, und so entstand die Schrift: „Vera idea della rivoluzioe di Francia“, die er jedoch nicht mit seinem Namen, sondern in der Gräcisirung desselben Clice Ceresiano, was so viel bedeutet, wie Soave Luganese herausgab. Aber diese Schrift war, wie noch andere gegen die Bewegung getroffenen Vorkehrungen nicht imstande, dieselbe einzudämmen, umsoweniger als die Revolutionsmänner in Frankreich selbst ihr Augenmerk auf Italien richteten. Sie brachen 1796 in das Land ein und verwandelten es in die Cisalpinische Republik. Soave, der es nicht gerathen hielt, im Lande zu bleiben, suchte in der Fremde eine Zuflucht und blieb in derselben, bis ihn Fürst d’Angri einlud, die Erziehung seines einzigen Sohnes in Neapel zu übernehmen. Aber auch da wurde er in kurzer Zeit bedroht, als die [220] revolutionäre Bewegung auch über ganz Unter-Italien sich ausbreitete. Da aber Flucht unter den damaligen Umständen nicht gerathen war, überdieß die Republikaner sich gegen Soave nichts weniger denn drohend oder gewaltthätig benahmen, so blieb er längere Zeit in Unter-Italien, Als dann die Lombardie wieder in österreichischen Besitz zurückgelangte, kehrte auch Soave dahin zurück und erhielt sein Lehramt wieder, um es nach einem Jahre, nachdem die Franzosen wieder des Landes sich bemächtigt, von neuem zu verlieren. In die Zeit der vorerwähnten politischen Bewegungen fallen verschiedene Arbeiten des Gelehrten, darunter eine italienische Uebersetzung von Hugh Blair’s Vorlesungen über die Beredsamkeit, welche bei Bodoni in eleganter Ausgabe erschien, eine andere der Satiren und des Briefes an die Pisonen von Horaz und eine kritische Prüfung der Uebersetzung der Aeneide von Caro. Als sich allmälig die neuen Verhältnisse in Ober-Italien einigermaßen gefestigt hatten, begann auch das Wiederaufleben der Literatur und Kunst, und über Anregung Melzi’s, der für sein Unternehmen auch die Unterstützung der Regierung zu gewinnen verstanden hatte, begann ein Verein von Mailänder Gelehrten, die Herausgabe der italienischen Classiker, welche, weit entfernt, vollkommen zu sein, doch einem bis dahin bestehenden Mangel in dieser Richtung abhalf. Die Regierung, die sich mit namhafter Summe – 40.000 Franks, wofür 82 Exemplare an sie abzuliefern waren – betheiligt hatte, verlangte, daß der Leitung der Ausgabe auch Soave beigezogen werde, daher auch die von Fachmännern gerügten Uebelstände dieser Edition zum Theil ihm zur Last gelegt werden. Er selbst besorgte für dieselbe die Redaction des „Canzonière del Petrarca“, welche in zwei Bänden mit Petrarka’s und Laura’s Bildnissen 1805 in Mailand erschien. Der dieser Ausgabe beigefügte Katalog der vorzüglichsten bis dahin erschienenen Ausgaben des „Canzonière“ ist aber weiter nichts als ein wörtlicher Abdruck des Volpi’schen Verzeichnisses. Gleiche Mängel, wie die an der Ausgabe der italienischen Classiker gerügten, fand die Kritik auch an einer von Soave zusammengestellten Scelta di lirici italianiund an einer zum Schulgebrauche eingerichteten Antologia. Melzi, der überdieß Soave’s Tüchtigkeit im Erziehungswesen bald erkannt hatte, ernannte ihn zunächst zum Studiendirector des Erziehungs-Institutes in Modena, und als da die Dinge sich nicht in gedeihlicher Weise entwickelten, übertrug er ihm ein Lehramt an der Hochschule zu Pavia. Nun bearbeitete er noch eine neue Ausgabe seines Leitfadens der Logik und Metaphysik; einen Lehrcurs der italienischen Beredsamkeit nach den Principien von Blair; einen Grundriß der heiligen Geschichte und einen zweiten der Mythologie, und war eben daran, einen der griechischen und römischen Geschichte auszuarbeiten, als ihn mitten aus dieser Thätigkeit im Alter von 63 Jahren der Tod hinwegraffte. Soave war eines der 40 Mitglieder der Società italiana delle scienze und unter den ersten dreißig der von Napoleon in das von ihm gestiftete Istituto nazionale Berufenen befand sich auch sein Name. Als Mensch wie als Priester achtungswürdig in hohem Grade, war er im Erziehungswesen eine Autorität, als Schriftsteller im Lehrfache ein Bahnbrecher und seine „Novelle morali“, wenngleich sie nicht mehr alle Bedingungen erfüllen, wie sie an ein solches Buch in der Gegenwart gestellt werden, [221] bleiben nicht nur ein höchst verdienstliches Werk, sondern lösen neben anderen Schriften, welche die Lücken desselben ergänzen, noch immer ihre Aufgabe und werden neben den Meisterarbeiten eines Christoph Schmidt, Hoffmann und Nieritz ihre ehrenvolle Stelle behaupten.

Catenazzi (Luigi), Elogio di Francesco Soave (Como 1812, 4°.). – Savioli (Giovanni Battista), Elogio storico di F. Soave (Milano 1806, 8°.). – Elogium F. Soave (Pavia 1806, 8°.). – Vita di F. Soave (Milano 1815, 12°.).