BLKÖ:Schulte, Johann Friedrich Ritter von

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Schulstein
Band: 32 (1876), ab Seite: 167. (Quelle)
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Schulte, Johann Friedrich Ritter von (Rechtsgelehrter, geb. zu Winterberg im Herzogthume Westphalen 23. April 1827). Nach beendeten Studien und erlangter juridischer Doctorwürde hatte S. im Herbste 1853 als Privatdocent an der Hochschule zu Bonn seine akademische Laufbahn begonnen; aber schon im folgenden Jahre wurde er von Minister Leo Graf Thun nach Oesterreich berufen und mit ah. Entschließung vom 10. August zum außerordentlichen Professor des canonischen Rechts und mit einer gleichen vom 11. November 1855 zum ordentlichen Professor desselben Faches und der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte an der Prager Universität ernannt. Mit 3. November 1863 erfolgte seine Ernennung zum auswärtigen Mitgliede des österreichischen Unterrichtsrathes, welchem er bis zu dessen Auflösung angehörte. Schon seit 1856 fungirte S. als Commissär bei den Staatsprüfungen rechtshistorischer Abtheilung für die zwei von ihm vorgetragenen Fächer; in den Jahren 1858, 1864 und 1866 versah er das Amt eines Decans des Professoren-Collegiums der rechts- und staatswissenschaftlichen Facultät und im Studienjahre 1868/69 die Würde des Rector magnificus an der Prager Hochschule. Schon im Jahre 1855 verliehen ihm Se. Majestät bei Ueberreichung seines „Eherechtes“ die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft, zwei Jahre später Papst Pius IX. mit Breve vom 24. April 1857 für seine Leistungen auf kirchenrechtlichem Gebiete das Ritterkreuz des St. Gregor-Ordens, eine Auszeichnung, welche S. nicht hinderte, bei Ueberhebung des Papstthums im Jahre 1870 mannhaft gegen dasselbe aufzutreten; und mit kais. Cabinetschreiben vom 14. August 1868 schmückte ihn der Monarch in „Anerkennung seiner ausgezeichneten lehramtlichen und literarischen Thätigkeit, sowie der von ihm stets an den Tag gelegten Treue und Ergebenheit [168] gegen das Kaiserhaus“ mit dem Orden der eisernen Krone 3. Classe, welchem zu Anfang 1869 statutengemäß die Erhebung in den erbländischen Ritterstand folgte. S.’s literarische Thätigkeit gibt sich in zahlreichen publicistischen Artikeln politischer Journale und in mehreren umfangreichen rechtswissenschaftlichen Werken kund, deren Titel sind: „Handbuch des katholischen Eherechts nach dem gemeinen katholischen Kirchenrechte und dem österreichischen, preussischen, französischen Particularrechte, mit Rücksichtnahme auf noch andere Civil-Gesetzgebungen“ (Gießen 1855, Ferber, gr. 8°.); – „Das katholische Kirchenrecht. Dessen Quellen und Literaturgeschichte. – System. – Einfluss auf die verschiedenen Rechtsdisciplinen überhaupt“, 3 Theile (ebd. 1856, Ferber, Lex. 8°.); – „Erläuterung des Gesetzes über die Ehen der Katholiken im Kaiserthum Oesterreich vom 8. October 1856 und des Kaiserlichen Patentes dazu“ (Prag 1856, Tempsky, gr. 8°.); Nachtrag dazu (ebd. 1857, gr. 8°.); die zweite umgearbeitete und bedeutend vermehrte Auflage, welche ebenda 1857 erschien, enthielt auch die Darlegung und Begründung der Bestimmung des Kirchengesetzes; – „Darstellung des Processes von den katholischen geistlichen Ehegerichten Oesterreichs, auf Grundlage des allgemeinen katholischen Kirchenrechts und der besonderen Vorschriften in Oesterreich. Nebst zwei Anhängen, enthaltend: die neueren einschlägigen Gesetze für Oesterreich und wichtige Formularien“ (Gießen 1858, Ferber, gr. 8°.); – „Die Erwerbs- und Besitzfähigkeit der deutschen katholischen Bisthümer und Bischöfe überhaupt und des Bisthums und Bischofs von Limburg insbesondere“ (Prag 1860, Tempsky, gr. 8°.); – Lehrbuch der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte“ (Prag 1860, Lehmann, Lex. 8°.); – „Ueber gemischte Ehen vom Standpuncte der Parität in besonderer Beziehung auf die deutsch-slavischen Kronländer Oesterreichs“ (Prag 1861, Rziwnatz, gr. 8°.); – „Aufgabe, Stellung und Wirksamkeit der Stifte und Orden in Oesterreich, die Stellung des Staates zu denselben“ (Gießen 1869, 8°.); – *„Die Dekretalen zwischen den „Decretales Gregorii IX.“ und „Liber VI. Bonifacii VIII.“, ihre Sammlung und Verbreitung ausserhalb des Liber VI. und im VI. Nach Handschriften, besonders Prager, dargestellt. Ein Beitrag zur Geschichte des Liber VI.“ (Wien 1867, Gerold, gr. 8°.); – *„Ueber drei in Prager Handschritten enthaltene Canonen-Sammlungen“ (ebd. 1868, gr. 8°.); – *„Ueber die Summa legum des Codex Cottwicensis Nr. 38 aus dem XII. Jahrhunderte“ (ebd. 1868, gr. 8°.); – *„Die Rechtshandschriften der Stiftsbibliotheken von Göttweih Ord. Bened., Heiligenkreuz Ord. Cisterc., Klosterneuburg Can. Regul. Lateran., Melk Ord. S. Bened., Schotten in Wien Ord. S. Bened.“ (Wien 1868, gr. 8°.); – *„Iter Gallicum. Mit IV Tafeln Schriftproben“ (ebd. 1869, gr. 8°.); – *„Ueber eine Summa legum des XII. Jahrhunderts“. Nachtrag (zu dem obigen Codex des Stiftes Göttweih) (Wien 1869, gr. 8°.); – *„Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratian’s. Beitrag I–III“ (ebd. 1870, gr. 8°.); – „Literaturgeschichte der compilationes antiquae etc.“ (Prag 1870, gr. 8°.); – „Beiträge zur Literatur über die Decretalen Gregor IX., Innocenz IV., Gregor X.“ (Wien 1871); – *„Die Compilationen Gilbert’s und Alanus“ (ebd. 1871, 8°.); – „Denkschrift über das Verhältniss des Staates zu den Sätzen der päpstlichen Constitution vom 18. Juli 1870“ (Prag 1871, Tempsky, gr. 8°.); – „Die Stellung der Concilien, Päpste und Bischöfe vom historischen, canonistischen Standpuncte“ (Prag 1871, gr. 8°.); – *„Die Summa Decreti Lipsiensis des Codex 986 der Leipziger Universitäts-Bibliothek“ (Wien 1871, Gerold, gr. 8°.); – [169] „Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen, nach ihren Handlungen seit Gregor VII., zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet und den entgegengesetzten Lehren der Päpste und Concilien der ersten acht Jahrhunderte über das Verhältniss der weltlichen Gewalt zur Kirche gegenübergestellt“ (Prag 1871, Tempsky, gr. 8°.); eine zweite, sehr vermehrte Auflage dieses Buches, das großes Aufsehen erregte, erschien noch im nämlichen Jahre. Die vorgenannten, mit einem * bezeichneten Schriften sind sämmtlich Sonderabdrücke aus den Sitzungsberichten phil.-histor. Classe der Wiener kais. Akademie der Wissenschaften. Diese schriftstellerische Thätigkeit bekommt aber erst nach der Verkündung des Unfehlbarkeits-Dogma’s ein bestimmtes Gepräge, das die Blicke der Kirche und der Laien auf den unerschrockenen Verfechter der gesunden Vernunft richtete. Als nämlich das Unfehlbarkeits-Dogma vom 18. Juli 1870 ein neues Schisma in die katholische Kirche brachte – es erhoben sich die Altkatholiken dagegen und trennten sich unter dem Münchener Stiftspropste Döllinger von der römisch-katholischen Kirche – da trat auch Professor Schulte in seiner Schrift: „Die Macht der römischen Päpste u. s. w.“ gegen das Papstthum auf, und seine Stimme, als die eines Mannes, der viel zur Vertheidigung der Rechte der Kirche und des Papstes geschrieben, der selbst bekennt, so gering seine Stellung war, doch im besten Glauben, auch das Seinige dazu beigetragen zu haben, der Strömung des blanken Absolutismus in der Kirche zum Siege zu verhelfen, mußte schwer in’s Gewicht fallen. S. handelte dabei im besten Glauben. Ueberzeugt von der Göttlichkeit seiner heiligen Kirche, überzeugt von der Nothwendigkeit und Stellung des Primates in der Kirche, wie ihn der alte Glaube hat; überzeugt davon, daß die Mission der Kirche heute, wie vor achtzehnhundert Jahren dieselbe sei, konnte er, wie er selbst gesteht, von dem Gedanken ausgehen, die Kirche könne und müsse unwandelbar in ihrem Fundamente, in ihrem äußeren Wirken sich derjenigen Mittel und Wege bedienen, welche dadurch als nothwendig bezeichnet werden, daß sie in der Zeit für die Zeit wirken muß. Was die Fesseln der Kirche brach, das mußte ihm lieb sein. Und so begrüßte er auch das österreichische Concordat freudig und trat für dasselbe wiederholt in die Schranken, obwohl er von Anfang an mehr als einen Punct nicht billigte. Aber in seinem guten Glauben durfte er für das ihm besser Scheinende nicht das Gute opfern, was vorlag, und konnte das minder Gute ignoriren. Jetzt, nachdem die Erfahrung von mehr als einem halben Menschenleben ihm den Einblick zu thun gewährte in die Zustände der Kirche vieler Diöcesen, nachdem er allmälig das innere Getriebe durch die vielfältigste Verbindung mit leitenden und arbeitenden Personen durchschaut, viele Reisen ihm eine Kenntniß der Zustände verschiedener Länder und Völker verschafften, jetzt, wo die Beschlüsse des 18. Juli 1870 ihm in der päpstlichen Constitution Pastor aeternus mit der ganzen Gesetzesschärfe des von Gott geoffenbarten Glaubenssatzes entgegentraten, konnte er nicht länger umhin, auszurufen: er habe in einer tiefen Täuschung gelebt. „Nicht meine Grundsätze“, schreibt S., „nicht meine Wünsche sind andere geworden. Ich hoffe mit Gottes Hilfe bis zum letzten Athemzuge zu halten an dem Glauben meiner Väter. Aber meine Anschauung über das Verhältniß von Kirche und Staat, sowie [170] über die Intentionen gewisser Kreise mußte ich allmälig als irrige insofern erkennen, als mir klar wurde, sie sei nicht die römische. Das päpstliche Breve Tuas libenter vom 21. December 1863 an den Erzbischof von München-Freising, welches in nuce die Scholastik canonisirt, das Schreiben des Nuntius mit den für Männer und öffentliche Lehrer wahrhaft unwürdigen Bedingungen, von welchen fernere Versammlungen katholischer Gelehrten abhängig gemacht wurden, das, was ich von verschiedenen Bischöfen und der römischen Frage kundigen Männern erfuhr – dieß Alles mußte an die Stelle jugendlicher Hoffnung die stumme, kalte Resignation treten machen. ... Aber bei dem heutigen Zustande der Kirche halte ich für Pflicht, daß Jeder, der den Muth und die Fähigkeit dazu hat, offen auftrete. Ein Mandat hat Niemand nöthig. Der Wahrheit Zeugniß zu geben, ist Pflicht; für meine Kirche zu thun, was ich noch in meinen schwachen Kräften kann, steht mir ebenso gut zu, als dem Papste, den Bischöfen und Priestern, denn die Kirche ist nicht gesetzt, damit die Hierarchie regiere, die Laien gehorchen, sondern der Herr hat seine Kirche gegründet, auf daß jeder in ihr den sicheren Weg finde, für sein Heil zu wirken.“ Mit diesen Worten sagte sich S. von den Römlingen los. Im Verlaufe der Schrift packt er, wie er es selbst als seine Aufgabe bezeichnet: den Stier bei den Hörnern, und er weist in Thatsachen nach, wie viele Päpste sich selbst für persönlich fehlbar bekannt und sich in dieser Erkenntniß an den Ausspruch von Concilien gewendet und demselben unterworfen haben. Er weist nach, wie keine frühere Zeit von päpstlicher Unfehlbarkeit, als einem Lehrsatze, etwas gewußt, wie nicht nur Bibel und Tradition von ihr schweigen, sondern auch viele kirchliche Acte geradezu das Gegentheil behaupten, und was allgemeiner Glaube war: die Unfehlbarkeit als eine Gabe der Kirche, als solcher nicht aber des einzelnen römischen Bischofs gelehrt haben. Schließlich, als letzten Schlag gegen Rom, führt S. den Beweis, daß das letzte vaticanische Concil kein ökumenisches gewesen und die Constitution dogmatica vom 18. Juli 1870 also keine bindende Glaubensnorm sei. Daß unter so bewandten Umständen das Werk: „Die Macht der römischen Päpste u. s. w.“ in Rom Sensation erregte, begreift sich leicht, und diese gipfelte darin, daß es nicht gleich anderen, der Curie mißliebigen Schriften unmittelbar auf den Index gesetzt, sondern daß gegen dasselbe ein eigenes Decret, datirt vom 15. Mai 1871, von Juvenal Pelami, Notar der h. römischen und allgemeinen Inquisition, unterzeichnet, erlassen wurde, worin es heißt, „daß nach eingeholtem Votum der Herren Consultoren Ihre Eminenzen die Cardinäle General-Inquisitoren bestimmt haben, daß das erwähnte Buch zu verdammen und zu verbieten sei, wie es mit diesem Decrete verdammt und verboten wird, und daß es auf den Index verbotener Bücher gestellt werde“. Im November 1872 erhielt Professor Schulte eine Berufung als Professor an der juristischen Facultät der Universität Bonn.

Ritterstands-Diplom ddo. 24. Jänner 1869. – Wappen. Von Silber und Roth quadrirter Schild. 1 und 4: in Silber ein schwarzer, rothbezungter, golden bewehrter Adler; 2 und 3: in Roth ein aufgeschlagenes Buch in schwarzem Einband mit goldenem Schnitt, schrägrechts überlegt mit einer weißen Schreibfeder. Auf dem Schilde ruhen zwei zueinander gekehrte gekrönte Turnierhelme. Auf der Helmkrone zur Rechten steht ein dem [171] im Schilde vorkommenden ähnlicher, einwärts sehender Adler: aus jener zur Linken wächst ein vorwärts gekehrter geharnischter Mann mit offenem Visir und rothem Helmkamm hervor, in der von sich gestreckten Rechten ein Schwert an goldenem Griffe pfahlweise, in der Linken ein dem im Schilde befindlichen ähnliches Buch, zur Brust gelehnt, haltend. Helmdecken. Die des rechten Helms schwarz, jene des linken roth, beiderseits mit Silber unterlegt. Unter dem Schilde schlängelt sich ein rothes Band, darauf steht in silberner Lapidarschrift die Devise: „Scientia et justitia“.