Textdaten
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Autor: Malvina von Humbracht
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Titel: Aus der guten, alten Zeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 640–641
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus der guten, alten Zeit.

„Was weben die dort um den Rabenstein?“
 – – – – – –
 – – – – – –
Eine Hexenzunft.“
                 Goethe’s Faust. I. Thl.

Teufel und Hexen haben von Alters her in Deutschland eine große Rolle gespielt und wir glauben kaum, daß es in Europa ein Volk gibt, bei dem der Gottseibeiuns eine größere Popularität genießt, als bei dem unserigen. Ueberall finden wir ihn, überall hat er sich heimisch zu machen gewußt; in der Literatur, wie im Leben, in der Volkssage, wie im Lied, in der Oper, wie im Drama, im dunkeln Wald, wie in der stillen Klause des Gelehrten, auf der Theaterbühne, in den Tribunalen der frühern Jahrhunderte, im Weinkeller am Zechtisch lustiger Gesellen – überall begegnen wir ihm; sei es nun als Mephistopheles, der in Auerbach’s Keller mit den Studenten trinkt, und allerlei wunderliche Lieder singt und Späße macht, oder als Samuel, der verwegenen Jägerburschen das Gießen der Freikugeln lehrt, die stets das Ziel treffen, oder als wilden Jäger, Brückenbauer – welche Menge von Teufelsbrücken gibt es nicht – als Spiritus familiaris, der den Stein der Weisen suchen hilft, oder auch nur als simpeln Teufel mit Schweif und Pferdefuß, die beide aber gewöhnlich durch einen schwarzen Mantel mit rothem Futter verhüllt sind. – Die Franzosen sind in dieser Beziehung viel ärmer, als wir. Ihren diable boiteux hat Le Sage aus Spanien geholt, und ihr „Herne“, wie bei ihnen der wilde Jäger heißt, ist lange nicht der tolle Geselle der Hölle, der bei uns in stürmischen Herbstnächten mit dem wüthenden Heer und schauerigem Windesgeheul über die Waldberge dahinraset; auch ist der Sagencyklus, welcher Herne umgibt, bei weitem kein so reichhaltiger, als der, welcher von unserem deutschen wilden Jäger erzählt… –

Eine gleich große Rolle spielen die Hexen, diese Spukgestalten der nordischen Völker, mit denen diese ihre entlegenen, einsamen Bergeshalden, ihre wüsten Sümpfe und Moore, ihre öden Heiden, waldigen Berggipfel und düsteren Höhlen bevölkerten, und sich auf diese Weise das gaben, was die heitere Götterlehre der Griechen und Römer, diesen beiden Kulturvölkern der alten Welt, in ihren Oreaden, Dryaden, Nymphen, Sirenen, Satyren und Faunen gab. Indessen waltet, auch abgesehen von dem verschiedenen inneren Wesen, schon in der äußeren Erscheinung ein bedeutender Unterschied zwischen den Hexen der nordischen Heiden und jenen Halbgöttern und Göttinnen, welche in den Olivenhainen Ioniens und auf den sonnigen Höhen der Sabinerberge hauseten, ob. Denn während die Wald- und Berggöttinnen der Hellenen und Römer in reizender, jugendlicher Schöne, lockend, üppig und verführerisch erschienen, geneckt und verfolgt von verliebten Satyren, Faunen und Pan selbst, diesem bocksbeinigen Hirtengott, malte sich die Phantasie der germanischen Völkerstämme, welchen der tiefblaue, heitere Himmel von Hellas und Italien mit seiner glänzenden Sonne fehlte, und über deren dunkle, schattige Eichenhaine und düsteren, kalten Fichten- und Tannenwälder die große Hälfte des Jahres hindurch graue Regen- und Schneewolken hingen, jene unheimlichen Bewohnerinnen abgelegener Orte in widerwärtig-abschreckender Gestalt, „so hager und so wild in ihrer Tracht,“ wie es von den drei Hexen heißt, die dem Macbeth auf der Heide bei Fores jene unheilvollen Glückwünsche zurufen.

Am schönsten hat diese beiden Gegensätze unstreitig Goethe in seinem Faust geschildert; die deutsch-nordische Hexenwelt in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg, in der „die Hexen zu dem Brocken ziehen“ und wo

„das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
Ein wahres Hexenelement!“

und die hellenische Mythenwelt in der klassischen Walpurgisnacht auf den pharsalischen Feldern, am Peneios und an den Felsbuchten des ägäischen Meeres, in deren buntes Gewühl sich Mephisto mit Faust verirrt, anfänglich aber unter den nackten, antiken Gestalten sehr fremd und ungemüthlich fühlt …

Doch wir wollten eigentlich weniger über die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der klassisch-griechischen und mittelalterlich-deutschen Sagenwelt sprechen, als vielmehr über einen Gegenstand, der in genauester Verbindung damit steht, und noch vor einem Jahrhundert von ernstester Bedeutung für das deutsche Volksleben war; von den Prozessen gegen Hexen- und Teufelsbündner. – Die meisten Leser dieser Blätter werden eine größere oder geringere Kenntniß von dem Wesen dieser Hexen- und Teufelsbündnerprozesse haben, von den Proben, welchen die Angeklagten unterworfen wurden, um zu sehen, ob sie wirklich leibhaftige Hexen wären, und von dem gewöhnlichen tragischen Schluß aller dieser außergerichtlichen und gerichtlichen Prozeduren, nämlich: dem Tod der Angeklagten auf dem Scheiterhaufen.

Gewiß gibt es aber noch Viele, die der Meinung sind, daß alle die Tausende von Todesurtheilen, welche von den geistlichen und weltlichen Gerichten über die der Hexerei und Teufelsbündnerei Angeklagten ausgesprochen wurden, die Folge von Geständnissen waren, die entweder auf der Folter oder aus Furcht vor der Folter abgelegt wurden. Diese Meinung ist theilweise eine irrige. Weder die Folter noch die sogenannten Suggestivfragen, d. h. Fragen, die so verfänglicher Natur sind, daß deren Beantwortung fast immer eine Art Geständniß involvirt, haben diese Masse von Geständnissen, die wir in den Hexenprozeßakten finden, herbeigeführt. Es kann vielmehr mit juristischer Gewißheit behauptet werden, daß eine große Anzahl dieser Geständnisse durchaus freiwillige waren, von den Angeklagten mit dem Bewußtsein, Hexerei getrieben oder einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben, abgelegt. Die Lösung dieses psychologischen Räthsels wird sehr leicht, wenn wir bemerken, daß alle diese Unglücklichen, welche mit so unerschütterlicher Bestimmtheit behaupteten: mit einer in Blut getauchten Feder den Vertrag mit Satan unterzeichnet oder Handgeld für den Verkauf ihrer Seele von ihm angenommen zu haben, um Mitternacht auf einem mit Schweinefett bestrichenen Besen oder Ofengabel zum Hexensabbath geritten zu sein, mit dem Teufel Buhlschaft getrieben, Menschen und Thiere behext, Unterhaltungen mit höllischen Geistern gepflogen zu haben, und was dergleichen unsinnige Dinge mehr waren, die man den Hexen und Teufelsbündnern nachsagte, daß alle diese Unglücklichen, die derartige freiwillige Bekenntnisse machten, von jenen Krankheitszuständen befallen waren, welche die Aerzte: Sinnestäuschungen – hallucinationes – nennen.

[641] Es ist dies bekanntlich eine Krankheit, welche in einer abnormen Steigerung der Empfindung besteht und bei welcher Sinnestäuschungen stattfinden, die nicht etwa Fehlern der Sinnesorgane, sondern einer abnormen Gehirnthätigkeit entspringen. Dergleichen Kranke haben die wunderlichsten Phantasmata; so sah z. B. ein solcher Kranker eine Menge Polizeidiener, welche sich auf seinen Löffel oder Krug setzten und ihn am Essen und Trinken verhinderten; ein Anderer hörte, wie sich alle seine eigenen Gedanken laut aussprachen und da es keine liebenswürdigen Gedanken waren, die sich so unbefangen über sich selbst aussprachen, so suchte er vor ihnen in die Wälder zu fliehen; noch Andere fühlten sich doppelt etc. Die nächsten Ursachen dieser Krankheit, welche entweder in einem zu heftigen Eindrucke, z. B. zu starkes Licht, mechanische Verletzungen, oder in einer abnormen Thätigkeit des Hirns oder Rückenmarks, z. B. in einer Entzündung derselben liegen können, sollen uns hier weiter nicht beschäftigen, da dies erstens in’s Bereich der Männer vom Fach, der Aerzte gehört, und zweitens uns auch von unserem Gegenstand zu weit abführen würde. Die entfernteren Ursachen zu dieser Krankheit aber, welche im 15., 16. und 17. Jahrhundert einen epidemischen Charakter annahm, müssen in der jener Zeit eigenen religiösen Schwärmerei, in der tiefen Unwissenheit besonders in naturwissenschaftlichen Dingen und den daraus entspringenden abergläubischen Vorstellungen, in der krankhaften Begier nach Ruhm und Reichthum, die sich besonders in dem Suchen nach dem Stein der Weisen und der Alchymisterei[1] offenbarte, besonders aber auch in den unerquicklichen und unnützen Zwistigkeiten auf kirchlichem Gebiet und der dadurch herbeigeführten Verwirrung der Ansichten gesucht werden. Statt nun diese bedauernswerthen Kranken der sorgfältigsten ärztlichen Behandlung anzuvertrauen, übergab man sie, die, in Folge jener krankhaften Einflüsse, solche absurde Dinge von Hexerei und Teufelsumgang, den sie gepflogen, behaupteten: dem geistlichen Gericht, welches die sich selbst Anklagenden zum Feuertod verurtheilte. Die meisten von diesen Unglücklichen starben wie Märtyrer einer erhabenen Idee, so ruhig und furchtlos. – Daß aber wiederum eine große Anzahl der der Hexerei Angeklagten blos auf der Folter und aus Furcht vor dieser Geständnisse über Verbrechen ablegten, deren Begehung, beim besten Willen sie zu begehen, in das Reich der Unmöglichkeiten gehört, darf wohl nicht erst erwähnt werden.

Das Verfahren vor diesen Gerichten war übrigens ein sehr summarisches, was schon aus der großen Masse von Prozessen hervorgeht, die vor diesen Tribunalen verhandelt und in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit erledigt wurden. Die größte Routine darin müssen aber unstreitig die geistlichen Tribunale des Bischofthums Straßburg gehabt haben, denn nach einer mir vorliegenden authentischen Quelle sind dort in einem Zeitraume von zwanzig Jahren, nämlich von 1615 bis 1635, nicht weniger als fünftausend Hexen und Teufelsbündner verbrannt worden. Ihre liegenden Güter aber, wenn die Verurtheilten solche besaßen, wurden in der Regel confiscirt und den Domainen der Prälaten zugeschlagen. Indessen gaben auch andere Bezirke dem Straßburger im Hexenverbrennen wenig nach und daß es im lustigen Alt-England einen General-Hexenfinder gab, dem alle alten Weiber mit rothen, entzündeten Augen vorsichtig aus dem Wege gingen, daß man in einem Zeitraume von fünf Jahren im Bamberg’schen gegen sechshundert Hexen und im Würzburg’schen gleichfalls in einem Lustrum neunhundert verbrannte, im Braunschweig’schen aber die Pfähle auf dem Rabenstein, wo die Hexen gepfählt wurden, so zahlreich standen, wie die Fichten und Tannen im Walde, das sind bekannte Sachen. Es wurde aber nicht blos alten, häßlichen, sondern auch jungen, hübschen Frauen der Prozeß gemacht; der Prozeß der jungen schönen Hexe von Schlestadt im Elsaß hat eine ganz besondere Berühmtheit erlangt.

Die Namen der Männer, welche diese bösartige Dummheit mit aller Entschiedenheit angriffen und nicht ermüdeten, bis ihr die Gesetzgebung endlich ein Ende machte, die Namen eines Weier, Friedrich von Spee, und vor Allem des trefflichen Christian Thoimasins sind wohl im Gedächtniß Aller –; höchst wahrscheinlich aber wird sehr Vielen das Kuriosum unbekannt sein, daß noch im Jahre 1728, in jenem Jahrhundert, das sich mit so vielem Stolz das philosophische nennt, im Heching’schen eine vom 18. Februar genannten Jahres datirte landesfürstliche Verordnung erschien, in welcher Demjenigen, welcher einen Kobold, eine Hexe, Gespenst, Alp oder Währwolf todt oder lebendig an den Oberjägermeister einliefert, eine Belohnung von fünf Gulden zugesichert wird. –

Es gibt jetzt so Viele, welche sich nach der guten, alten Zeit zurücksehnen und diese gute, alte Zeit mit ihren Sitten, Einrichtungen und Gebräuchen zurückführen möchten; auf einem in den jüngsten Tagen und noch heute allerwärts viel besprochenen Gebiet hat man schon hie und da den Anfang zu machen gesucht: im Interesse dieser glaubten wir durch Vorstehendes an jene gute, alte, fromme Zeit mit ihrer Rechtgläubigkeit erinnern zu müssen.

K. W.



  1. Wir wollen übrigens damit durchaus nicht alle sogenannten Alchymisten in die Reihe utopische Chimären suchender Phantasten stellen. Männer wie: Glauber, Berth. Schwarz, Böttger, Brand, Kunkel, Baptist van Helmont, Paracelsus, Tschirnhausen u. s. w., welche Alle Alchymisten waren, werden immer einen hervorragenden Platz in den Annalen der chemischen Wissenschaft einnehmen.