Textdaten
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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Aus dem alten Burgtheater
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 874–875
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus dem alten Burgtheater.
Erinnerungen von Rudolf v. Gottschall.

Das Theater am Michaelerplatze in Wien hat seine Pforten für immer geschlossen; gewiß werden eingehende Memoiren dieses ehrwürdigen Theaters geschrieben werden, für eine längere Spanne seiner Geschichte hat ja schon Heinrich Laube vorgearbeitet. Wiener Berichterstatter, welche die Chronik desselben von Tag zu Tag miterlebten, werden genauere Aufzeichnungen daraus veröffentlichen können als der Fremde, der nur hin und wieder und zwar nach längeren Zwischenräumen die Burg besuchte; aber ganz werthlos werden auch die flüchtigen Blätter der Erinnerung nicht sein, die er ihr widmet, denn der Fremde ist eindrucksfähiger für alles, was sich gewandelt hat im Laufe der Zeit.

Als ich das erste Mal im Fahre 1863 nach Wien kam, hatte Laube bereits lange sein vielfach gefeiertes und vielfach angegriffenes Regiment geführt; ich kam zunächst in einige Kreise, in denen man gerade nicht für ihn schwärmte. Da war die geistvolle Frau Rettich, die noch der älteren Wiener Schule angehörte. Ihr Hausfreund war Friedrich Halm, der Dichter der „Griseldis“, der ja nach Laubes Abgang Intendant des Hoftheaters wurde. Halm gehörte zu den Mißvergnügten; der hochgewachsene Herr war weder mit Laube noch mit dem Publikum besonders zufrieden. Der Thespiskarren schien ihm aus dem Reiche der Dichtung allzusehr hinausgeschoben in das Geleis des alltäglichen Lebens. Halm, den ich auch öfters auf der Universitätsbibliothek sprach, deren Vorstand er war, sah übrigens durchaus nicht wie ein idealistischer Dichter aus; er hatte etwas Verdrossenes in seinem faltenreichen Gesicht und seine Augen verschwanden fast unter den in die Höhe gezogenen Falten. Bei den Abendthees der Frau Rettich thaute er etwas auf; doch seine Urtheile über den Machthaber des Burgtheaters hatten immer einen diplomatischen Rückhalt.

Ebenso versteckten Widerspruch gegen Laubes Bühnenleitung fand ich bei Friedrich Hebbel, zu dem ich mich durch die Wolke der Vergötterung, die ihn umschwebte, hindurchzukämpfen suchte; es war das theils Selbstvergötterung, theils die Vergötterung einer fanatischen Jüngerschaft, die alles, was er sprach, bedeutend fand. Und er hat ja des Bedeutenden genug gesprochen und gedichtet, aber beim persönlichen Verkehr störte doch etwas der Gedanke, alles, was er sagte, bewundern zu müssen; man wurde gleichsam darauf hin angesehen, bis zu welcher Höhe der Bewunderung man sich zu erheben vermochte. Es wurde einem etwas eisig dabei zu Muthe, wie beim Monolog der auf ihrer Nordlandsinsel sagenhaft eingefrorenen Brunhilde. Hebbel war gewohnt, als Orakel zu „Posen“, sich als Meister unter lauter Jüngern zu bewegen. So gab es keine Unterhaltung mit ihm, sondern man hatte nur das Recht, ihm zuzuhören. Er war von Gestalt kein Riese, immerhin aber ziemlich groß und kräftig und er hatte etwas von nordischer Reckenhaftigkeit, etwas Kühles, Festes, ja Starres und dabei Genieblitze wie Gewitter im Winter.

Es war nicht lange nachher, daß ich in den Kreis der begeisterten Anhänger Laubes gerieth, zu denen in erster Linie die von ihm engagirten Darsteller der Burg gehörten. Anlaß dazu gab die Aufführung meines Lustspiels „Pitt und Fox“ am Burgtheater, zu welcher sich Laube erst entschloß, als er in Sonnenthal einen für den Fox geeigneten Darsteller gefunden zu haben glaubte. Das Stück war schon zehn Jahre vorher über die meisten deutschen Bühnen gegangen. Nun trat ich in das Laubesche Atelier. Zunächst die Leseprobe. Da saß der Direktor in der Mitte der Seinen, die er entdeckt und gefördert hatte; er war nicht bloß Direktor, er war der Hahn im Korbe. Jede seiner Aeußerungen fand Beachtung und Beifall; es war ein volles Behagen über diesen Kreis ausgebreitet. Laube hatte zwei kleine lustige Auftritte zu dem Stück hinzugedichtet; er las sie selbst vor und jeder Witz wurde mit stürmischem Gelächter belohnt. Dann folgten die Theaterproben. Da war er ganz in seinem Element; er kümmerte sich wenig um das Drum und Dran der Bühne, der Dialog war ihm alles; er sprach einzelne Stellen vor mit seinem nicht sehr bestechenden, barschen Organ; aber die Schauspieler wußten sogleich, wie sie gesprochen werden müssen. Er hatte auch für das Spiel allerlei gute Einfälle, drollige Nuancen. Bei den Proben auf der Bühne war er in seinem Element [875] und unantastbar sein Princip, ein Theater müsse nicht vom Bureau aus, sondern von der Bühne aus geleitet werden; da sah er, wie die Stücke Leben gewannen und wo er nachhelfen mußte für den Erfolg; da sah er, wie die darstellenden Kräfte sich bewährten, wo ihre Achillesferse war, für welche Rollen sie paßten nach ihrer ganzen Persönlichkeit – und da griff er durch trotz Laune und Protest.

Ich fand unter den Mitgliedern des Burgtheaters manche alte Bekannte: Frau Gabillon, die ich von der Alsterstadt her kannte, wo sie als Fräulein Zerline Würzburg zusammen mit Marie Seebach bei Frau Glasbrenner-Perroni Stunden in der Vortragskunst hatte und neben jenem Mustergretchen auf der Bühne durch pikanten Geist und einen leidenschaftlichen Zug interessirte; Sonnenthal, den ich zuerst auf der Königsberger Bühne gesehen, als dort Arthur Woltersdorff noch sein Scepter führte; er spielte damals den König in meinen „Diplomaten“ mit Grazie und Feinheit; schon war er auf dem Wege nach der Donau, wo er nach anfänglichen Schwankungen des Erfolges bald ein Liebling des Publikums werden sollte. Er half durch Darstellung des „Fox“ an der Burg diesem Lustspiel die dauernde Stätte im Repertoire des Wiener Hoftheaters sichern; es war eine Glanzleistung in Bezug aus Jovialität, und dabei bewahrte er eine staatsmännische Haltung, welche dem Charakter das nöthige geschichtliche Relief gab. Viele seiner Meisterleistungen auf dem Gebiete des Konversationsstückes habe ich später bewundert. Eine seiner zündendsten Leistungen ist der ältere Risler in dem Daudetschen Drama; die Umwandlung des ruhigen Mannes in den von stürmischer Leidenschaftlichkeit Ergriffenen ist von wahrhaft überwältigender Wirkung. Im Verkehr ist Sonnenthal durchaus liebenswürdig; ich traf ihn beim Grafen Wimpfen und in anderen geselligen Kreisen, wo er überall den Rang seiner Kunst einnahm. Dem Künstlerkreise der Burg gehörten als hervorragende Mitglieder auch der überaus strebsame, feinsinnige Lewinsky an und August Förster, Laubes rechte Hand, ein Mann von großer dramaturgischer Einsicht und tiefer litterarischer Bildung, der jetzt als Direktor der Burg dieselbe Stellung einnimmt, wie Laube sie bekleidet hatte.

Doch noch eine Säule des Burgtheaters muß ich erwähnen. In Gemeinschaft mit dem Dichter des „Schutt“, dem Grafen Auersperg, suchte ich den alten Grillparzer auf, dem merkwürdigerweise der jungdeutsche Laube die allergrößten Sympathien entgegenbrachte und den er durch Aufführung seiner Stücke dem neuen Wien wieder näher brachte, wie er denn später vorzugsweise das große Grillparzerfest inscenirte, an welchem ganz Wien sich betheiligte. Der österreichische Klassiker, von Laube mit Schiller und Goethe in eine Linie gestellt, wohnte in einem ziemlich hohen Stockwerke, und wenn man ihn dort hinter seinem Pulte sitzen sah, machte er anfangs den Eindruck eines Subalternbeamten. Er hörte nicht gut und besuchte deshalb das Theater nicht mehr; er ließ sich über dasselbe nur berichten von seinen Besuchern oder wenn er im benachbarten Matschakerhof sein bescheidenes Mittagessen einnahm. Jener erste Eindruck verschwand indeß bald hinter dem geistig Bedeutenden des alten Herrn, der keineswegs in spanischer Lyrik aufging, sondern auch recht schlagende und beißende Bemerkungen zu machen wußte, wie ja auch seine Aufzeichnungen beweisen.

Das waren die Eindrücke, die ich zur Zeit der Laubeschen Direktion von diesem Theater erhielt. Inzwischen waren Jahre ins Land gegangen; die Direktion hatte unter Halms Intendanz der Regisseur Wolff geführt, ein gewandter und gebildeter Mann, aber gegenüber den Größen des Burgtheaters ohne den Nimbus einer überlegenen Bedeutung. Dann aber war Franz Dingelstedt, der sich als Direktor der Oper zuerst in Wien eingeführt, an die Burg übergesiedelt, in einen seinem Talent und seinen früheren Leistungen entsprechenden Wirkungskreis. Als Operndirektor beschränkte er sich auf glänzende Arrangements und war sehr entrüstet, wenn sich ein Mitglied in musikalischen Angelegenheiten an ihn wendete; er setzte bei seinen Mitgliedern so viel Bekanntschaft mit den Verhältnissen voraus, daß sie wissen mußten, er verstehe nichts davon, und wies sie an den Kapellmeister. An der Burg aber war dies natürlich anders; doch der Ton seiner Bühnenleitung war wesentlich von dem der Laubeschen verschieden.

Ich war zweimal in Wien, während Dingelstedt das Scepter führte; er war in jeder Hinsicht das Gegenbild von Laube. Diese hohe schlanke Gestalt, dies geistreiche Gesicht mit dem sarkastischen Zuge, diese weltmännische Gewandtheit – wie stachen sie ab gegen die schlichte Derbheit des kleinen Laube, seinen halbasiatischen Gesichtsausdruck, sein schroffes, kurzangebundenes Wesen! Dingelstedt kam von der lyrischen Dichtung her und hatte daher Sinn für die Lyrik der Bühne, die Pracht der Scene. Das war für Laube etwas sehr Gleichgültiges; die Lyrik lag ihm fern; andere Verse als in seinen Dramen hat er nie gesündigt und diese waren in der That holprig genug. Bei den Proben, die ich mit ansah, war Dingelstedt nicht wie Laube auf der Bühne, sondern im Parkett oder in einer Prosceniumsloge; von dort tönte dann gelegentlich sein sonores Organ zur Bühne hinauf, galt es auch nur einen Regisseur zur Ordnung zu rufen, weil die Teppiche in der Farbe nicht zu den Möbeln stimmten. Bisweilen befleißigte er sich auch einer etwas auffälligen Unaufmerksamkeit, wenn die Dinge, die oben vorgingen, ihn nicht sonderlich interessirten, oder er machte irgend eine spöttische Bemerkung, zum Beispiel über die leisen kölnischen Dialektanklänge seiner großen Tragödin, vor der er übrigens den größten Respekt hatte und die er schon grüßte, wenn er sie nur von fern um die Straßenecke biegen sah.

In Weimar hatte ich Dingelstedt seine Historien in Scene setzen sehen. Da war er ein geharnischter Regisseur von Kopf zu Fuß und stand thätig und eifrig unter den Seinen auf der Bühne. Das neue Burgtheater … das hätte sein Regietalent begeistert. Das alte bot ihm nicht Raum genug für seine großen theatralischen Anschauungen; es erging ihm damit fast wie in den engen Korridoren des Zuschauerraums, er stieß an die Decke derselben, wenn er den Cylinder nicht abnahm. Seine langen, schon von Heine besungenen Fortschrittsbeine trugen ihn zu immer höheren gesellschaftlichen Zielen, und doch blieb sein Hauptwunsch, unter seiner Intendanz Hofburg und Hofoper zu vereinigen, unerfüllt. Er war ein Mann von Geist und ein echter Dichter; doch trat seine Ruhmesliebe hinter seinem Ehrgeiz zurück. Der Schalk und der Pessimist lauerten bei ihm stets im Hintergrunde, und bisweilen war er weltschmerzlich und bühnenschmerzlich genug gestimmt, daß ihm die ganze Bühne wie einem Hamlet die Welt als ein kahles Vorgebirge erschien. Nach einem schönen Erfolg konnte er indeß auch warm werden; ich begleitete ihn bisweilen nach dem Schluß der Stücke auf die Bühne, wo er die Träger des Dramas ans Herz schloß und den Trägerinnen den direktorialen Kuß des Dankes ertheilte.

Seitdem das Burgtheater unter Leitung des feinfühligen liebenswürdigen Dichters Wilbrandt stand, hatte ich dasselbe nicht wiedergesehen. Jedenfalls trug es wiederum eine andere Physiognomie zur Schau; es war ein Asyl der Weltlitteratur geworden und die griechische Dichtung bürgerte sich dort ein neben der spanischen.

Nur flüchtig konnte ich einige Schatten aus der jetzt geschlossenen Gruft des alten Burgtheaters hier vorüberziehen lassen; mögen andere im Zusammenhange von dieser Bühne erzählen, die ja in der deutschen Theatergeschichte eine so hervorragende Stellung einnimmt.