An den Quellen des Schwechater Biers

Textdaten
Autor: Friedrich Bücker
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Titel: An den Quellen des Schwechater Biers
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Erscheinungsdatum: 1870
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Erscheinungsort: Olmütz
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Quelle: Die Neue Zeit : Olmüzer Zeitung (1870), 23. Jahrgang, Nr. 44 S. 1, Nr. 45 S. 1, Nr. 47 S.1, Nr. 48 S.1, Nr. 49 S. 1. Scans: Commons, ONB-ANNO
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[44/1]
Feuilleton.


An den Quellen des Schwechater Biers.
Von Friedrich Bücker.


Die guten Wiener hatten mir die berühmten Kasematten (Lagerkeller) Anton Drehers in Kleinschwechat als so bombenfest und unzugänglich geschildert, daß ich mich mit dem gröbsten Geschüz schwersten Kalibers versah, um sie zu forciren. Statt des modernen Gusstahls wählte ich diesmal aber das alte erprobte Gußilber und rasselte siegesgewiß mit meiner schweren Guldenbatterie, als ich den bunten Omnibus bestieg, der die bedeutungsvolle Aufschrift trug: „Schwechat-Wien.“

Meine Fahrgenossen waren, nach ihren Physiognomien zu urtheilen, sämmtlich Brauer, die alle in die Braugeheimnisse Kleinschwechats eindringen wollten, um dem berühmten Braukönig Konkurrenz zu machen.

Ich versuchte, mit dem einen und dem andern ein Gespräch anzuknüpfen, deutete auf das imposante k.k. Artilleriearsenal, daran wir links, und auf die Pulverthürme, daran wir rechts vorüberfuhren, aber sie blieben einsilbig und gestanden mit ihren nikenden Vollmondsgesichtern, daß sie in Wien und Umgegend unbekannt seien. Als ich aber über Malz, Braupfannen und Lagerkeller sprach, lösten sich ihre Zungen und sie bestürmten mich mit Fragen über Kleinschwechat. Sie wollten vor allen Dingen wissen, ob es eine Thatsache ist, dass der Vicekönig von Egypten bei seinem letzten Besuche in Wien sich vergebens bemüht, die Etablissements Drehers in Schwechat besichtigen zu dürfen, doch jezt hielt ich den Mund und ließ die Redseligen inmitten ihrer Neugier sizen.

Nach einstündiger Fahrt über den gepflasterten Schwechater „Rennweg“ tauchte das Dorf auf, dessen Bier die ganze Welt kennt und die halbe Welt trinkt.

Weder hochragende Maschinenschornsteine, noch bedeutende, von Thürmen flankirte, zinnengekrönte Baulichkeiten machten im voraus darauf aufmerksam, daß man sich großartigen Etablissements nähere. Ich wußte es, Drehers Reich durfte nicht in den Lüften, sondern mußte hauptsächlich in der Erde gesucht werden. Der Omnibus hielt, ich stieg aus und fragte den Kutscher rasch: „Welcher Weg führt zu Dreher?“ Er zeigte, statt zu antworten, mit der Peitsche geradeaus, und ich verfolgte rasch und allein die angedeutete Richtung, um mir von dem sieben Mann starken Brauerkorps, das mich begleitete, nicht den Vortritt nehmen oder gar das Terrain unsicher machen zu lassen. Nach etwa 60 schritten gähnten zur Rechten große Gewölbebogen, ich sah in zwei, drei riesige Höfe, in welche Bahngeleise hineinführten. Waggons wurden durch Arbeitertrupps in Bewegung gesezt, schneeweiße Stiere zogen faßbeladene Wagen aus einem Hof in den andern. Hämmertakt ertönte, als wenn hunderte von Küfern die Fässer für ein Schweizerschüzenfest bearbeiteten... Schwechat!

Da stand auch schon der Cerberus, der den Eingang in den Dreher'schen Tartarus bewachte. Ich überrumpelte ihn mit dem Befehl: „Melden Sie sofort einen Herrn bei der Frau Witwe Dreher !“

„Die ist so früh am Morgen noch nicht zu sprechen“, antwortete er, dann deutete er stumm auf eine lange Tafel an der Wand der Gewölbemauer und nahm auf einer Bank Plaz Die Tafelinschrift befahl jedem stellesuchenden und abgewiesenen Brauer sofort das Brauhaus zu meiden, verhieß aber auch jedem wandernden Braugenossen einen unentgeltichen Schwechat'schen Labetrunk, der unter Vorzeigung von Schwechatmarken außerhalb der Dreher'schen Anlagen in einem nachbarlichen Garten eingenommen werden konnte.

Schon wollte ich mit meiner schweren Guldenbatterie in der Tasche rasseln, da ging etwa 20 Schritte von mir ein Herr über den Hof, der zur Schwechater Braukanzlei gehören mußte; jedenfalls deutete dies die Feder hinter dem Ohr an. Sofort ließ ich den wachehabenden Cerberus unbeachtet, forcirte das Gewölbe, näherte mich dem Herrn und bat ihn, mich zu dem Generaldirigenden der Brauerei zu führen. Er war sehr willfährig, und nach einigen Kreuz- und Querzügen stand ich mitten in der Kanzlei unter einer Anzahl Herren, denen mit Komplimenten nicht gedient war, sondern die vor allen Dingen wissen wollten, ob ich Brauer sei oder nicht.

[45/1] „Und wenn ich es wirklich wäre, meine Herren – antwortete ich – so würde ich Dreher doch nicht nachzubrauen versuchen und mir durch fruchtloses Experimentiren den Genuß verbittern, den ich bis dato an dem unvergleichlichen Schwechater Märzen gefunden.“

Diese Worte halfen über jedes fernere Hinderniß hinweg, das dem Besuche der Dreher'schen Anlagen noch etwa entgegenstand, und lächelnd wurde mir ein kundiger Führer durch Drehers Unterwelt angewiesen.

„Darf ich mich auf die Zahlen und statistischen Angaben dieses Mannes verlassen?“ fragte ich noch, im Weggehen auf den Führer deutend.

Die Herren zukten mit den Achseln und hatten weiter keine Antwort auf meine wichtige Frage.

„Es ist wahr, man muß sich auch in den schwierigsten Fällen selber zu helfen wissen“, sagte ich und empfahl mich.

Der Führer, der sich mit Lichtern versehen, wie sie in den Uranfängen aller Lichtziehkunst nicht mangelhafter gezogen worden waren – sie ließen sich bequem um den Finger wikeln, woran die Tropenglut da draußen wohl mit Schuld war – schritt durch lange Tunnels voran zu der ersten Abtheilung des Tartarus, den Gährbottichhallen. Unabsehbar standen in Reihe und Glied die umfangreichen, je 40 bis 50 Eimer fassenden Bottiche. Da die Brauzeit bald heranrükte, wurden die invaliden Bottiche reparirt, und der Schlag der Hämmer auf das Holz dröhnte unheimlich in den ausgedehnten Hallen. Die Reise durch diese erste Abtheilung des halbdunklen Tartarus, der nur durch bescheidene Maueröffnungen etwas Licht erhält, dauerte lange und war zuweilen sogar mit Gefahr verbunden. In einigen Hallen führten provisorische, schmale, morsche Stege, darunter die Finsterniß klaffte, die Bottichreihen entlang, und ich mußte tastend, mich rechts und links anklammernd, über Abgründe hinwegsezend, neues Terrain zu gewinnen suchen. Im Winter freilich, wenn gebraut wurde, wanderte man zwischen den Bottichen wie auf einem Parket, doch hätte ich im Winter, wo der Bottichschwaden oder -brodem den Plafond und die Umgebung verhüllt, keinen Uiberblik über die Ausdehnung dieser imposanten Räumlichkeiten gewinnen können, sondern in einem Dunst- und Nebelmeer wandern müssen.

Um nun auch meinen Führer auf den Zahn zu fühlen und seine statistische Zurechnungsfähigkeit zu prüfen fragte ich nach der Anzahl der Bottiche. Er gab sie auf 1450 an und ich wollte ihm keinen Glauben schenken. Da die Bottiche alle nummerirt und mit der Zahl der fassenden Eimer versehen sind, ersuchte ich ihn, mir zu beweisen, daß seine Angabe richtig sei Jezt begann das Durchklettern und Durchwandern der Hallen von Neuem; ich ruhte und rastete aber nicht eher, bis ich eine Zahl fand, die an 1450 hinanreichte. Da stand 1411 und ich war zufrieden.

Meine Aufmerksamkeit wurde noch in hohem Grade durch drei „Glasbottiche“ oder vielmehr Betonbottiche mit innern Glasgußwänden gefesselt, und die Direktion theilte mir später mit, daß sich diese theuern Apparate außerordentlich bewähren. Das allmälich in Fäulniß übergehende Bottichholz – und Dreher hat ganze Eichenwaldungen auf seinem Gewissen – theilt jedem Bier einen gewissen Beigeschmak mit, und dieser soll aus dem berühmten Dreher'schen, so gering er ihm auch anhaftet, gänzlich entfernt werden. Es dürfte somit nach 15 bis 20 Jahren vielleicht kein einziger Holzbottich mehr in den Dreher'schen Anlagen zu finden sein, da das Holz allmälich durch das kostspieligere, aber haltbarere Glas ersezt werden soll.

[46/1] Nach der Wanderung durch die Bottichräume ging es ein gut Stük tiefer in die Erde hinein, und zwar zu den Malztennen oder Gerstenkeimkammern.

Jezt begann das primitive schwankende Talglicht sein trügerisches Geflimmer, und nach der Wanderung durch drei, vier dieser mächtigen unterirdischen Gewölbe, darin sich der Uneingeweihte schwerer zurechtfindet, wie in der Dechenhöhle bei Iserlohn, ließ es den Kopf so stark hängen, daß es erlosch. Ich rief, denn ich war in dem Augenblik, als das Licht erlosch, meinem Führer weit voraus. Dumpfer Widerhall antwortete, aber ich verstand nichts. Unverständliche Fragen und noch unverständlichere Antworten in der pechschwarzen Finsterniß machten die Grotten, darin sich das einmal wachgerufene Echo nicht wieder beruhigen wollte, plözlich zu einem unheimlichen Aufenthalt. Ich ertastete mit einem Stok die nächste Gewölbemauer und ging dann die Mauer entlang nach der Richtung, in der mein Führer zurükgeblieben.

Jezt hatte der eine Tunnel ein Ende und ein zweiter gähnte mit seiner Mündung – so fühlte ich – entgegen. Der Führer mußte sich aber entfernt haben, denn ich erhielt auf meine Frage jezt nicht einmal mehr eine unverständliche Antwort. Wenn nur nicht etwa der Vicekönig von Egypten angekommen war und der Führer, der jedenfalls nach der Oberwelt hinaufgegangen, um Zündhölzchen und ein steiferes Licht zu holen, durch den festlichen Aufzug etwa vergaß, daß er einen Fremden in den Malztennen zurükgelassen – dann war schon alles gut. Da flammte es in der Ferne blizartig auf; ich sah in dem Hintergrunde des Tunnels, dessen Mündung ich mich eben genähert, eine Gasflamme brennen und meinen Führer darunter stehen.

Jezt hatte alle Besorgniß ein Ende, die Tunnels konnten sämmtlich durch Gas erleuchtet werden, und die Direktion hatte mir zu Ehren den Gashahn droben geöffnet. Bei der fernern Wanderung zeigte es sich, daß einige der Malztennen auch idyllisch mit der Oberwelt korrespondirten. Sonnenglanz und Laubgrün leuchtete hernieder, und ich wanderte in der That unter einem üppigen Garten dahin.

Nach der Malztennenwanderung sollte der bedenklichere Abstieg in die noch tieferen Lagerkeller, die sich bis Großschwechat vertheilen, unternommen werden.

Ich nenne den Abstieg bedenklich, denn droben herrschte eine Tropenglut von 30 Grad, und drinnen in den Kellern lag Reaumur fast auf dem Nullpunkt.

Bis zur ersten Gletscherwand, die die erste Partie des aus 28 Abtheilungen bestehenden ersten großen Lager-Kellers kühlte, wollte ich doch vordringen. Ich wikelte mich fest in meinen Plaid und folgte dem Talglicht, das ich auf eine Striknadel hatte steken lassen, in die Tiefe. Die Treppe, welche spiralförmig und klaftertief hinableitete, führte mich etwa von 4 zu 4 Stufen immer um einen Grad dem Gefrierpunkt näher.

Der Keller selbst kannte weder Schloß noch Riegel, sondern empfahl sich mit seiner Finsterniß, Kälte und Kohlensäure sofort jedem, der die Treppe überwunden. Der Talglichtschimmer sank unmittelbar nach dem Passiren der Kellermündung bis zum mattesten Irrlichtglanz herab, und kein Lichtkünstler hätte die Kerze bis zum Hintergrunde des Kohlensäure-Reviers brennend erhalten können. Gerade wie die Gletscher in den Alpen trübe Gletscherbäche zu Thal senden, so schikt auch die Gletscherwand in den Lager-Kellern Schwechats Rinnsale nieder, die sich dort, wo der Keller am tiefsten ist, zu morastartigen Teichen ansammeln, die am sichersten mit Stelzen passirt werden.

Am Tage ist's in den Kellern Schwechats still wie im Grabe, aber um 10 Uhr Nachts wird ein kleiner Theil der ausgedehnten Lagerräume aus seiner Ruhe aufgerüttelt. Von 10 Uhr bis um eine Stunde nach Mitternacht wird nämlich für das durstige Wien gezapft, das allein mehr als die Hälfte sämmtlichen Gerstensaftes konsumirt, den Dreher in Kleinschwechat fabrizirt. Um 4 Uhr Morgens kommt dann das Dampfroß von Wien, um den langen Bierzug mit den eis- und strohumhüllten Fässern der Kaiserstadt zuzuführen. Auf dem Raaber Bahnhofe Wiens halten schon die Gespanne, um den Nektar Drehers sofort nach Ankunft des Bierzuges durch Stadt und Vorstadt zu fahren, und um 7 Uhr Morgens hat ganz Wien den frischesten Trank aus Schwechats kühlen, unerschöpflichen Kellern.

[47/1] Als ich – umgekehrt wie in den Alpen – wieder von den Gletschern zu den Tropen emporgestiegen, besichtigte ich die Braupfannen und das Kühlschiff. Es war mir angenehm, daß in den Pfannen kein Biermeer wogte, sonst hätte ich nicht in ihre Tiefen hinabbliken können. Jezt war es mir, als sähe ich in einen Krater hinab, in dessen schlunde Vulkan mit seinen Gesellen arbeitete. Die schadhaften stellen der Pfannenböden wurden nämlich vernietet, und die Schmiede schlugen beim Schein einer qualmenden Oellampe tief unten im Pfannendunkel mit schweren Hämmern im Dreitakt auf das Metall, daß mir von dem Dröhnen fast die Sinne vergingen. Das schwechatsche kupferne Kühlschiff aber glich in seiner luftigen, ruhigen Höhe dem Dek eines Oceandampfers, doch hören hier sofort die Dekpassagierfreuden auf, sobald die zahlreichen Ventile gezogen werden, um das Kühlschiff zu füllen.

Am interessantesten war für mich die Wanderung die Malzlagerböden, und zwar nicht wegen der enormen Vorräthe, die hier aufgepeichert lagen, sondern weil ich hier noch die alten Uiberreste des kleinen Bräuhauses sah, welches den Vater des verflorbenen Anton Dreher angehörte. Mit sinniger Pietät ist das morsche Holzwerk in seiner ursprünglichen Anlage erhalten und dergestalt den Neubauten angereiht und einverleibt worden, daß es von leztern getragen und beschüzt wird. Das werdende Bier, welchees bei dem Großvater Dreher nur etliche Lachter weit zu laufen hatte, legt jezt einen Weg in Schwechat zurük, den ich fast auf eine halbe Meile schäze. Die Turbinen, welche von der Schwechat getrieben werden, sorgen aber im Verein mit den Dampfmaschinen dafür, daß das werdende Bier zum Passiren der unter- und überirdischen Rohrleitungen, die noch von Dampf- und Gasröhren begleitet werden, nicht viel mehr Zeit gebraucht, als zu Lebzeiten des Großvaters Dreher.

Leider sollte das statistische Wissen meines Führers mit der Angabe der Zahl der Gährbottiche seinen Höhepunkt und auch sein Ende erreicht haben. Zwar hatte er auf jede weitere Frage auch eine Antwort bei der Hand, aber ich merkte denn doch bald, daß er sich in einem höchst unsichern Fahrwasser bewegte und nur den Mund öffnete, um nicht für stumn zu gelten. Bald antwortete er vollends in den blauen Tag hinein, und erst, als ich ihm die verschiedensten Widersprüche nachwies, gestand er, daß er noch zu sehr Neuling in Schwechat sei, um alles wissen zu können. Jezt hatte auch unsere Freundschaft ein Ende; ich zahlte ihm für die umsichtige Führung ein glänzendes Honorar, und er schied mit einer tiefen Verbeugung „Ew. Gnaden.“

Ich war eben im Begriff, das Direktorium zum Zweitenmate heimzusuchen, als ich die Frage hinter mir vernahm: „Nun, haben Sie sich gründlich umgesehen ?“

Ich wendete mich um und stand einem Herrn gegenüber, den ich in der Kanzlei bereits gegrüßt und der – wie ich jezt verrathen darf – in dem Hauptbuche Schwechats so bewandert ist, wie ich in meinem Notizbuch.

„Sie kommen mir mit Ihrer Frage sehr erwünscht“, antwortete ich, „nach meiner Uhr wandere ich bereits drei Stunden umher, weiß aber nicht, ob diese Zeit hinreicht, um alles gründlich zu sehen.“

„Nein, um die Drescher'schen Anlagen ganz zu durchwandern und nur flüchtig zu besichtigen, dürfte kaum ein halber Tag genügen. Die Lagerkeller allein nehmen so viel Zeit in Anspruch, als Sie zu Ihrer ganzen Rundtour verwendet. Und wenn erst die beiden Filiale Dreher's, das in Steinbruch bei Pest und das Filiale Micholup in Böhmen dazu kommen, so . . . .“

„Also in Klein- und Großschwechat hat das Dreher'sche Reich noch kein Ende?“ fiel ich den Herren in's Wort.

„Gewiß nicht, das Dreher'sche Filiale in Steinbruch bei Pest, welches Ungarn, den Orient und die Donau-Fürstenthümer mit Gerstensaft versorgt, wird Kleinschwechat bald überflügelt haben.“


[48/1] „Sie sezen mich in Erstaunen; wie viel Bier produzirt denn das Pester Filiale jährlich?"

„Dreihundertsechzigtausend Eimer. Wir versenden keinen Tropfen von hier nach Ungarn und den Donau-Fürstenthümern.“

„Und wie viel beträgt die Jahresproduktion von Schwechat?"

„Fünfhundertachtzigtausend Eimer, und davon konsumirt Wien allein weit über die Hälfte.“

„O diese durstigen Seelen an der schönen blauen Donau! Und das Filiale in Böhmen?“

„Das ist das schwächste; es wird es bald auf hunderttausend Eimer gebracht haben, soll aber so vergrößert werden, daß von Böhmen aus ganz Norddeutschland mit Schwechater versorgt werden wird, während wir (Schwechat) das ganze übrige Oesterreich, Belgien, Holland, Frankreich, die Schweiz, Italien, England und Amerika beherrschen.“

„In der That, und das alles wird im Winter produzirt! Ich glaubte hier mitten im Sommer die Brauerei im vollen Gange zu finden, wenigstens erinnert die in ganz Norddeutschland bekannte Bezeichnung: „Sommermärzen“ daran.“

Der Herr lächelte, dann fuhr er fort: „Das ominöse Wort : „Sommermärzen“ hat Schwechat nicht erdacht. Wir wissen hier weder etwas von Winter-, noch Wiener-, noch Sommerwärzen. Märzen heißt das berühmte Wort Anton Drehers, welches er schlicht und recht seinem Bier beilegte, weil er im März aufhörte zu brauen. Da sich aber sein zwölfgrädiges Bier nicht gut exportiren ließ, so braute er noch eine zwei Grad stärkere Gattung, nannte sie zwölfgrädige Lager und die vierzehngrädige Märzen, und dabei blieb's. Wir kennen zwar noch zwei feinere Nüancirungen: Abzug und Bok, aber diese haben für die Welt keine weitere Bedeutung.“

„Ich erinnere mich auch nicht, die Namen: Schwechater oder Märzen in Wien gehört zu haben."

„Wien kennt nur Lager, und alles exportirte Bier heißt Märzen.“

„Wenn ich nicht irre, hat sich Anton Dreher seine Höhe im Fluge erobert. Vor der Pariser Weltausstellung waren mir die Namen: Dreher und Schwechat noch böhmische Dörfer."

„Freilich, als Anton Dreher Ende 1863 starb, war sein Bier noch nicht weltberühmt. Der „Flug auf die Höhe“, wie Sie es zu nennen belieben, datirt seit der Pariser Weltausstellung. In Paris wurde zwar keine Seide gesponnen, aber die Bestellungen, die sofort nach Schluß der Pariser Ausstellung in Klein-Schwechat eingingen, nahmen in einer kurzen Spanne Zeit riesige Dimensionen an.“

„Braugeheimnisse kennt wohl Schwechat nicht?“

„Ganz und gar keine, nur die großen Mittel, mit denen wir agiren, und das treue Halten an dem Vorbilde Dreher's – darin bestehen unsere Braugeheimnisse. Der verstorbene Dreher war ein arger Feind der schweren dunkeln Biere, die den Kopf wüst und das Blut dik machen. Ein leichtes, helles, kräftigendes, erheiterndes Bier, ein Bier, das dem Fürsten ebenso mundet wie dem Handwerker, ein Nationalgetränk, ein Bier aller Welt, das war, was er zu erzielen suchte. Dreher reiste durch Baiern, Belgien, England, Ungarn u. s. w., kostete jedes Bier mit nüchterner Zunge, notirte sich die Wirkungen, prüfte, verwarf, ahmte nach und rastete nicht eher, bis er einen Trank brauen konnte, den er Jedermann empfehlen durfte. So entstand das Schwechater. Und wer, wie wir, auf denseiben Prinzipien fußt, alles groß und praktisch anlegt, Millionen daran verwendet, um uns Konkurrenz zu machen, der kann es.“

Ich war sehr erfreut über diese Mittheilungen, schied mit einem warmen Händedruk von meinem kompetenten Berichterstatter, und als ich noch von dem höchsten Punkte der Schwechater Etablissements einen Rundblik über die 13½ österreichische Joch umfassenden Dreher'schen Schöpfungen gethan, die Bahngeleise im Geiste verfolgt, die den echtesten Gerstentrank bis in alle Zonen verführen, ließ ich mich bei einem Glase kühlsten, aus dem Haupt-Keller geschöpften Schwechater nieder und schrieb das getheilte in mein Wanderbuch. „O Trank voll süßer Labe!“