Allerlei Nahrung. VI. Vögel, Nester und Eier

Textdaten
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Autor: Carl Vogt
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Titel: Allerlei Nahrung. VI. Vögel, Nester und Eier
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 299–301
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Allerlei Nahrung.
Gastronomisch-naturwissenschaftliche Plaudereien. Von Carl Vogt.
VI. Vögel, Nester und Eier.

Wie gewöhnlich, werden die Nützlichsten am meisten verhöhnt und verspottet. „Sie armes deutsches Huhn!“ sagte einer meiner Bekannten einem norddeutschen Fräulein, das uns sein ungemessenes Leiden als Gouvernante mit bewegten Worten schilderte. – Wenn mein Onkel Forstrath die höchste Stufe einer verdatterten, verirrten und niemals sich zurechtfindenden Person bezeichnen wollte, sagte er. „Sie ist ein blindes Schneehuhn!“

Und erst die Gans! Der Typus der unbeholfenen, täppischen, gackernden Dummheit, zu dem wir, beiläufig sei es gesagt, die Gans durch ihre Zähmung erzogen haben; denn die wilde Gans ist ein intelligenter, schlauer und vorsichtiger Vogel, wie alle Jäger wissen.

Man hat gesagt, die Hühnervögel gehörten den Oelländern, die Gänse den Butterländern an. Es ist etwas Wahres daran, obgleich die Grenzen zwischen beiden Gebieten weit in einander übergreifen und sich gegenseitig durchdringen. Das Hühnergeschlecht hat das größte Gebiet und herrscht in den Tropenländern ausschließlich; die Gänse wiegen nur in der kälteren gemäßigten Zone bis zu dem Polarkreise hin vor. Bis dorthin folgt ihnen freilich das Haushuhn und darüber hinaus das nordische Schneehuhn, die Rype, aber das Haushuhn verkümmert in der Kälte, und schon in Norddeutschland lassen dort geborene und aufgefütterte Hühner oder gar Truthähne alles zu wünschen übrig, was der verwöhnte Gaumen an einem in der Bresse[1] gezüchteten Hühnervogel Vorzügliches zu finden gewohnt ist.

Als Haus- und Jagdthiere stehen die beiden Familien der Hühnervögel einerseits, die zahnschnäbligen Schwimmvögel, Gänse und Enten andererseits, um so mehr allen übrigen Vögeln zusammen voran für die menschliche Oekonomie, als Eier, Leber, Brüste und so manche andere Theile die Grundlage einer Menge von Speisen und Leckerbissen bilden. Der internationale Handel mit Hühnereiern allein setzt jährlich mehr Millionen Mark um, als der Handel mit Gänseleberpasteten und geräucherten Gänsebrüsten Hunderttausende. In der Hühnerfamilie wurzelt die koloniale Zukunft Deutschlands. Wo Kolonisten sich ansiedeln, hört die Jagd bald auf, und dann bleibt kein anderes Fleisch, als dasjenige der Hausthiere, in Afrika speziell der Hühner. Ich kannte einen Kaufmann, der fünfzehn Jahre am Senegal zugebracht hatte, wo Huhn mit Reis und Reis mit Huhn ohne Unterbrechung in angenehmer Weise abwechselte. Er konnte kein Hühnerfleisch mehr genießen. Die Perlhühner sind die nationalen Hühnervögel des dunkeln Weltteils. Deutschlands Kolonisten in Ostafrika, Kamerun und Angra Pequena werden die französischen und steyrischen Hühner- und Kapaunenzüchter auf dem Weltmarkt schlagen, wenn sie Perlhühner züchten und mästen. Namentlich im Lüderitzlande dürfte das Geschäft vorteilhaft sein, weil es dort an Sand nicht fehlt, in dem die Perlhühner sich puddeln und ihre nackten Köpfe vor den glühenden Sonnenstrahlen bergen können. Die Errichtung eines kolonialen Reichshühnerzuchtamtes scheint mir ein dringendes Bedürfniß!

Ich will jedoch weder von Hühnern und Gänsen überhaupt, noch von den verschiedenen gastronomischen Fragen sprechen, welche sich an das zahme und wilde Federvieh knüpfen, und auch von den Kibitzeiern will ich schweigen, obgleich dieselben zu meinem Gegenstande hinüberleiten und sie außerdem noch dadurch interessant sind, daß ihre Erstlinge bekanntlich alljährlich dem Fürsten Bismarck eingesendet werden und Brehm, trotz dieser patriotischen Beziehung, in seinem „Thierleben“ sie gänzlich als Nährgegenstand zu erwähnen vergessen hat. Es wird Brehm wohl so gegangen sein wie mir: er wird den öligen Dingern keinen rechten Geschmack haben abgewinnen können.

Recht wohlschmeckend sind aber die Eier der zahllosen nordischen Schwimm- und Tauchvögel, der Enten, Möven, Seeschwalben, [300] Seepapageien, Lummen, Alke und wie sie alle heißen mögen. Besonders jenseit des Polarkreises, wo keine andern Eier zu haben sind, lernt man sie schätzen, trotz ihres oft hochrothen Dotters. Meist kümmern sich diese Vögel wenig um den Nestbau, sie legen die Eier auf den kurzen Rasen, in kleine Vertiefungen im Sand, auf die nackten Felsen und scharren höchstens einige Strohhalme oder auch einige Federn hinzu. Nur die Eidergans, die wohl gehütet und gehegt wird, füttert ihre Nester mit den so hochgeschätzten Dunen aus. Ueberall sieht man die Strandbewohner während des endlosen Tages auf den Uferklippen und an den Buchten umher suchen und die frisch gelegten Eier einheimsen; die Kinder und jungen Mädchen sind besonders mit dieser Suche betraut.

Wo aber die Uferklippen sich fast senkrecht aus dem Meere aufschwingen und durch Bildung von schmalen Terrassen und Gesimsen und Zwischenlagerung weicher Schiefer und Thone zwischen die härteren Gesteinsschichten den Vögeln bequeme und gesicherte Brutplätze herstellen, an den sogenannten Vogelbergen, da gestaltet sich die Eiersuche anders; da wird sie zuweilen lebensgefährliche Männerarbeit und verbindet sich mit der Jagd nach den noch nicht flüggen Jungen, welche wahre Fettklumpen sind und sogar im südlichen Norwegen, ja in Kopenhagen als Leckerbissen gelten sollen, und mit dem Fange der alten Vögel, welche um ihrer Dunen willen ergattert werden. Die Gneiße und Glimmerschiefer der Inseln Nordlands, die Basalte der Färöer und Islands sind die geeignetsten Gesteine für solche Vogelberge, deren ich mehrere besucht und in meiner „Nordfahrt“ beschrieben habe. Einige Vogelarten wie die kleinen Sturmtaucher und die Seepapageien graben klaftertiefe Röhren in die Erde, in welche sie ein, höchstens zwei Eier legen, auf denen stets ein alter Vogel sitzt, selbst wenn das Junge längst ausgekrochen ist.

Bischof Erich Pontoppidan, auf dessen „Natürliche Historie von Norwegen“ man stets zurückgreifen muß, obgleich sie schon vor 130 Jahren verfaßt wurde, giebt eine sehr anschauliche, mit einer Abbildung gezierte Beschreibung des Gebahrens der „Fugle-Mänd“ (Vogelmänner), das sich schließlich nicht allzusehr von den Gepflogenheiten der Alpenfexe, wie die Oesterreicher sie nennen, unterscheidet.

„Sie gebrauchen vornehmlich zwo Arten, die Vögel aufzusuchen. Entweder klettern sie von unten hinauf auf diese hohen Vorgebirge, die so jähe sind, wie eine Wand; oder sie lassen sich an einem dicken Stricke von Hanf von oben herunter in den Berg.

Wenn sie von unten hinaufklettern, so haben sie eine Stange, die 11 bis 12 Ellen lang und woran an dem einen Ende ein eiserner Haken ist, bei sich; diese machen diejenigen, die unten im Boote oder auf der Klippe sind, an einem an den Beinkleidern befindlichen Strick oder an einem andern Strick fest, den der erste, der hinaufsteigt, sich um den Leib gebunden hat; und so helfen sie ihm hinauf bis auf die oberste Höhe, wo er zuerst festen Fuß fassen kann; dann helfen sie auf eben diese Art noch einem andern Mann zu ihm hinauf. Und wenn nun solchergestalt zweene etwas hinauf gekommen sind und sie ihre Vogelstangen in den Händen haben und zwischen sich ein langes Seil, dessen beyde Enden ihnen um den Leib gebunden sind, so klettern sie immer höher und so gut sie können. Stößet ihnen eine Beschwerlichkeit auf, so schiebet einer den andern hinauf, indem er seine Vogelstange dem andern unter den Hintern setzet. Ist nun der erste auf eine Felsenhöhe gekommen, so hilft er dem andern mit dem Seile zu sich hinauf. Und auf diese Art fahren sie fort, bis sie so hoch sind, wo der Vogel sich aufhält.

Dieses ist die andere Art des Fanges, welche auf diese Art geschiehet. Sie nehmen ein langes Seil, das 80 bis 100 Klaftern lang und drei Daumen dicke ist. Das Ende davon bindet der Vogler um seinen Leib, da wo der Gürtel sitzt und unten zwischen den Beinen ganz fest, also daß er darin sitzen kann, und solchergestalt lässet er sich an seinem Seile herab, indem er seine Vogelstange bei sich hat. Sechs Männer halten das Seil oben und lassen das Seil nach und nach sinken. Sie legen aber einen großen Baumklotz auf das Aeußerste der Seite des Berges, aus welchem das Seil herabgehet, damit es nicht durch die harten und scharfen Steinspitzen zerbrechen oder zerreißen soll. Ueber dieses haben sie auch ein dünnes Zugseil dabey, welches ebenfalls um den Leib des Voglers befestigt ist, womit er dann Zeichen geben kann.

Auf diese Art,“ fügt Pontoppidan hinzu, „kommen in jedem Jahr einige ums Leben. Vorzeiten sei in Norwegen ein Gesetz in Kraft gewesen, wonach der nächste Freund eines Abgestürzten denselben Weg hätte gehen sollen; wo aber dieser solches weder könnte noch dürfte thun, so sollte der Todte auf keinem Kirchhof begraben werden, als einer, der zu vermessen gewesen und sein eigener Mörder geworden. Doch anitzt findet man keine Spur von diesem Gesetze.“

In Norwegen huldigt man auch zuweilen dem Fortschritt. An einigen Orten hat man Winden angebracht, an welchen zwei Mann sicherer und mit weniger Anstrengung dasselbe leisten wie früher sechs. Auf Loppen fängt man die Vögel in sehr einfacher Weise. Man breitet am Fuße des Felsens große, schwimmende Netze aus und feuert dann einige Schüsse ab. Alle Tauchvögel, Alke, Lumme etc., welche die besten Dunen bringen, stürzen sich zur Flucht in das Meer und fangen sich in den Netzen. Wir haben mit Erlaubniß des Besitzers der Insel einige Schüsse abgefeuert; es war, als stürzte der Fels herab in die See. Aber es ist klar, daß eine solche Jagd nur bei ganz ruhigem Wasser betrieben werden und daß sie nur alte Vögel zu Dunen liefern kann.

Nicht nur zu Federn, sondern auch zur Nahrung. „Sie verzehren einen Theil derselben frisch, einen andern Theil, zumal wenn der Fang reichlich gewesen, hängen sie auf und trocknen sie zum Wintervorrath,“ sagt Pontoppidan. Eine fürchterlich thraurige Speise! An einigen Orten Islands, wo die Leute nichts anderem haben, als Fische und Seevögel, können die Frauen ihre Kinder nicht selbst nähren: so schlecht wird ihre Milch durch diese Nahrung. Die meisten Eier werden an zugänglichen Orten gesammelt; mit Lebensgefahr erbeutet man thranige Fettklumpen von Jungen, thranige, zähe alte Vögel und Federn. Ist die Beute der Mühe und Gefahr werth?

Im Süden wagt man das Leben an scheinbar noch werthlosere Produkte der Vogelwelt, die sogenannten indischen Vogelnester. Man schneide ein Entenei mittelst eines Längsschnittes durch die Axe in zwei Hälften und jede Hälfte mittelst einen Querschnittes in zwei Theile, so hat man in jedem dieser Viertel nach Größe und Gestalt ein Modell eines indianischen Vogelnestes, das aber glasartig durchsichtig, wie Leim ist und zuweilen kleine Federchen oder auch rothe Blutströpfchen in seiner Masse zeigt. Mit den dem Längsschnitte entsprechenden Rändern, die oft flügelartig ausgebogen sind, war es an den Felsen angeklebt, der so die Rückwand des kleinen Nestes bildet, in welches das Vögelchen, die Salangane, zwei Eier legt. Abwechselnde Wellenstreifen zeigen, daß das papierdünne, elastische Nestchen nach und nach aus Querlagen aufgebaut wurde.

Die Salangane bewohnt die Sundainseln. Sie ist unserem Mauersegler, der Thurmschwalbe, sehr nahe verwandt, schwalbenähnlich mit sehr langen, spitzen und säbelartig gekrümmten Flügeln und äußerst kurzen Füßen, an welchen zwei Zehen nach vorn, zwei nach hinten gerichtet sind. Alle Segler besitzen eigenthümliche Drüsen unter der Zunge, die zur Nistungszeit stark anschwellen und einen klebrigen Saft absondern, der sich in Fäden zieht. Sie kitten damit ihre Nestmaterialien zusammen. Die Salangane allein benutzt nur diesen zähen Leim zum Bau ihres Nestleins.

Wie man darauf gekommen ist, diese absolut geschmacklose, arabischem Gummi ähnliche Masse, die erst nach langem Kochen in eine Brühe zergeht, welche wie Leimwasser aussieht und schmeckt, als Nahrungsmittel und zwar oft mit Lebensgefahr aufzusuchen, ist unerfindlich. Trotzdem wird vielleicht für eine Million Gulden in dieser Waare jährlich umgesetzt.

Die Salanganen wohnen mit unzähligen Fledermäusen zusammen in Felsenhöhlen am Meeresstrande, die oft nur bei Ebbe durch enge Mündungen zugänglich sind, welche bei der Fluth geschlossen werden. Die Nester hängen an den Wänden und den Decken der Ausweitungen dieser Höhlen; dort klettern die Nesterpflücker herum, indem sie Rotangseile benutzen, aus welchen sie schwebende Gerüste bilden. Die Salanganen fliegen morgens zum Insektenfang aus und kehren abends heim, wenn die Fledermäuse ausfliegen; der Nesterpflücker wird oft durch die steigende Fluth im Innern der Höhle eingeschlossen, erstickt oder ersäuft. Es ist ja nur ein Javanese, der durch einen anderen ersetzt wird, welcher vielleicht glücklicher ist!

  1. Landschaft in dem französischen Departement Ain, durch Hühnerzucht berühmt.