ADB:Neureuther, Gottfried von

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Neureuther, Gottfried von“ von Otto Albert Weigmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 684–689, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neureuther,_Gottfried_von&oldid=- (Version vom 1. Mai 2024, 21:48 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Neumann, Franz
Nächster>>>
Nissel, Franz
Band 52 (1906), S. 684–689 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Gottfried von Neureuther in der Wikipedia
Gottfried von Neureuther in Wikidata
GND-Nummer 118587439
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|52|684|689|Neureuther, Gottfried von|Otto Albert Weigmann|ADB:Neureuther, Gottfried von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118587439}}    

Neureuther *): Gottfried von N., Architekt, königl. Oberbaurath und Professor an der technischen Hochschule in München, geboren am 22. Januar 1811 zu Mannheim, † am 12. April 1887 zu München.

Als dritter Sohn des Maleres Ludwig Neureuther und jüngerer Bruder des bekannten Illustrators und Malers Eugen Neureuther, entstammte G. N. einer pfälzischen Künstlerfamilie. Sein Vater, anfänglich im Dienste des Herzogs Max Joseph in Zweibrücken angestellt, war diesem Fürsten bei seiner Thronbesteigung (1799) nach München gefolgt, jedoch bald mit Pension nach Mannheim zurückgekehrt. Erst im J. 1815 hatte er wieder eine Stelle als Zeichnungslehrer in Bamberg angenommen, wo er auch als Architekt sich bethätigen konnte. Den Zeichenunterricht seiner Söhne leitete er selbst; wiewol noch in den Ueberlieferungen der Spätrenaissance geschult und vorwiegend für die antike Baukunst begeistert, wies er seinen Sohn Gottfried, bei dem sich frühzeitig die Neigung zur Architektur kundgab, zunächst an, nach den mittelalterlichen Baudenkmälern seiner neuen Heimath zu zeichnen. So wurde der herrliche Bamberger Dom, der damals noch seinen reichen plastischen Schmuck aus allen Stilepochen trug, die Stätte, an welcher der Knabe seine ersten großen künstlerischen Eindrücke empfing. Die Frage, ob G. dem Architektenberufe zugeführt werden solle, entschied endgültig ein Besuch des berühmten Darmstädter Oberbaudirectors Moller, dem die zeichnerischen Aufnahmen des jungen N. zur Begutachtung vorgelegt wurden. Es war von höchster Bedeutung für den etwa 12jährigen Knaben, daß ihm Moller, der eben damals ein Werk über mittelalterliche Baudenkmäler herausgab, seine Anerkennung durch den Auftrag ausdrückte, ihm für diese Publikation zwei der Domportale aufzunehmen. Das Exemplar des ganzen Werkes, das ihm der Verfasser später schenkte, wurde fortan die Quelle eifrigsten Studiums für den angehenden Baukünstler, der gleichzeitig von seinem Vater nun in systematischer Weise angeleitet wurde, nach den strengen Werken Palladio’s zu zeichnen. Auch wurde ihm in den Hülfsfächern Mathematik und Physik ein geregelter Unterricht ertheilt. Von seinem 16. Lebensjahre an hatte er in dem Bureau des Regierungesinspectors Schierlinger, wo er praktisch arbeitete, Gelegenheit, sich mit der handwerklichen Seite der Baukunst bei Hoch- und Tiefbauten von Grund aus vertraut zu machen. Die Lücken seiner humanistischen Bildung füllte der Jüngling, der sich in seinen Mußestunden stets mit Vorliebe mit classischer Litteratur beschäftigt hatte, in privatem Studium rasch aus, so daß er bei seinem Uebertritt in das Gymnasium in München sogleich in die oberste Classe aufgenommen werden konnte. Von einem ausgezeichneten Philologen, Hocheder, gründlich vorbereitet, bestand er 1828 mit gutem Erfolg die Schlußprüfung und bezog nach abermaliger einjähriger Praxis auf dem Bamberger [685] Bureau die Münchener Bauakademie, an welcher der vielbeschäftigte Architekt Friedrich Gärtner sein Lehrer wurde. Es gelang ihm indeß nicht, zu ihm in nähere Beziehung zu treten; die classicistische, zielbewußte Richtung Leo von Klenze’s, der eben damals den Bau der Glyptothek vollendet hatte, zog ihn mehr an, als Gärtner’s unklare Romantik, – Grund genug für den von Eifersucht nicht freien Lehrer, seinen hochbegabten Schüler gänzlich zu ignoriren. Seine Studienzeit benützte N. dazu, zugleich an der Universität bei Thiersch und Schelling Vorlesungen zu hören und den künstlerischen Anregungen des Peter Cornelius nachzugehen. Aber selbst nachdem er in den Jahren 1830 und 1831 die Staatsexamina als Architekt und Ingenieur mit Auszeichnung bestanden hatte, nahm man keine Notiz von ihm. Der junge Baubeamte wurde vorerst wieder der Bauinspection in Bamberg überwiesen, um nach einiger Zeit nach Würzburg versetzt zu werden, wo er als Ingenieur bei den Wasserbauten am Main Beschäftigung fand.

Auf seine künstlerische Entwicklung gewann in dieser Zeit der talentvolle Architekt Gutensohn den größten Einfluß, der gerade damals, von einer Studienreise nach Italien und Griechenland zurückgekehrt, an dem Bau des Cursaales in Brückenau seine hervorragende künstlerische Befähigung in glänzendster Weise dargethan hatte. Durch diesen feinsinnigen Künstler, der später durch Gärtner aus der Gunst des Königs Ludwig I. verdrängt, sich nur mehr theoretisch bethätigen konnte, wurde N. auf die herrlichen Werke der italienischen Renaissance hingelenkt, deren Wesen sich ihm unter des Freundes Weisung klar erschloß. In dieser Hinsicht trefflich vorbereitet, erhielt er im J. 1836 durch ein Staatsstipendium die langersehnte Möglichkeit, aus eigener Anschauung die bewunderten Meisterwerke Italiens kennen zu lernen. Palladio und Sanmichele, Bramante und Peruzzi waren es zumeist, deren Schöpfungen er während seines mehr als einjährigen Aufenthaltes in Oberitalien und Rom mit höchstem Eifer studirte. Die Früchte dieser fleißigen Studien hat er in vielen Aufnahmen für das Architekturwerk von Gutensohn und Knapp niedergelegt; die Gelegenheit zu ihrer praktischen Verwerthung sollte ihm jedoch noch lange versagt bleiben. Denn nach seiner Rückkehr fand N. zunächst in der alten Ingenieurthätigkeit wieder Verwendung. 1840 zum Bauconducteur in Nürnberg befördert, wurde er 1841 als Sectionsingenieur in Treuchtlingen mit Projectirung der Bahnlinie nach Donauwörth betraut; 1843 kam er in gleicher Stellung nach Gunzenhausen. Im Hochbau wurde N. erstmals bei der Eisenbahnbaucommission in Nürnberg beschäftigt, wo er einen Theil der Bahnhofsgebäude auf der Linie Bamberg-Hof zu entwerfen hatte. 1848 siedelte er mit dieser Commission nach München über. Dort wurde ihm der umfassende Auftrag zu theil, die sämtlichen Stationsgebäude der Linie Schweinfurt-Würzburg-Hanau nach eigenen Entwürfen auszuführen, eine Aufgabe, die ihm bei ihrer Gebundenheit an ein festes Schema nur wenig Gelegenheit zu künstlerischer Bethätigung bot. Am freiesten konnte er sich bei dem Empfangsgebäude des ehemaligen Bahnhofs in Würzburg (1854–56) bewegen. Gegenüber der damals im Ministerium herrschenden bureaukratischen Doctrin, daß bei solchen Nutzbauten auf jede kunstgemäße Ausbildung verzichtet werden müsse, lieferte er in diesem einfach edlen Werke den Beweis, daß sich die reicheren Formen der italienischen Frührenaissance auch bei bescheidenen Mitteln sehr wohl mit den Forderungen der Zweckmäßigkeit in Einklang bringen lassen.

Durch dieses und ähnliche Werke, wie die Empfangsgebäude des Aschaffenburger und Schweinfurter Bahnhofes, die sich zugleich durch praktische Raumeintheilung auszeichnen, hatte sich der junge Meister im Kreise seiner Fachgenossen einen hochgeachteten Namen gemacht. Wenn gleichwohl seine künstlerischen [686] Fähigkeiten an leitender Stelle keine Berücksichtigung fanden, so hat dies seinen Grund darin, daß damals in München nach Beendigung der romantischen Willkür Gärtner’s unter König Maximilian’s Aegide das zwar wohlgemeinte, aber in seinen Aeußerungen wenig glückliche Bestreben einsetzte, einen neuen Baustil zu schaffen. Während der Herrschaft dieses sogen. Maximilianstiles, dem erst durch des Königs Tod (1864) der Boden entzogen wurde, war die schöpferische Thätigkeit Neureuther’s auf einige wenige Privatbauten – Villa Falck in Dutzendteich bei Nürnberg, Villa Wendtland in Gries bei Bozen, Villa Rothplitz bei Zürich, denen sich später die Villa Heyse in München anreihte – beschränkt. Um so eifriger widmete er sich dem Lehramte für Civilbaukunde, das ihm 1857 an der Münchener technischen Hochschule übertragen worden war. Bei dem unsicheren Eklekticismus der architektonischen Bestrebungen der Zeit bedurfte es in jener Stellung eines Mannes, der zielbewußt in einheitlichem Sinne zu wirken vermochte. Neureuther’s Befähigung zum Lehramt bewährte sich in hervorragendem Maße. Bald war um ihn ein stattlicher Kreis von Schülern versammelt, die mit Begeisterung den künstlerischen Lehren des Meisters folgten. Es gelang ihm rasch, bei der jungen Architektengeneration, die so lange planlos in den verschiedenen Stilarten umhergetrieben worden war, das Verständniß für die einfach edle Größe der Renaissancearchitektur zu wecken, und sie insbesondere mit den seither stark vernachlässigten Principien der künstlerischen Dekoration vertraut zu machen. So wurde auch in München das Feld für das siegreiche Eindringen der Renaissance, die in den Nachbarresidenzen bereits ihren Einzug gehalten hatte, durch Neureuther’s Lehrthätigkeit vorbereitet, lange bevor der Meister selbst durch einen ersten Monumentalbau die Berechtigung seiner künstlerischen Grundsätze beweisen konnte.

Erst als die Staatsregierung 1865 eine Neuorganisation der technischen Hochschule beschlossen hatte, wurde ihm mit dem Referat über deren bauliche Bedürfnisse eine seiner würdige Aufgabe zu theil. Seinem Antrag folgend, sah man von der Anpassung schon bestehender Gebäude ab und betraute ihn mit der Ausarbeitung von Plänen für einen großen Neubau, dessen Ausführung ihm gleichfalls übertragen wurde. Es mag dem bescheidenen, feinfühlenden Künstler schwer gefallen sein, sich erst durch die Androhung der Amtsniederlegung die Uebertragung dieser Aufgabe, gewissermaßen erzwingen zu müssen, auf die er als erster an der Anstalt lehrender Architekt berechtigten Anspruch zu haben glaubte. Der Erfolg, den er mit dem vollendeten Bau erzielte, hat ihn für diese Kränkung reichlich entschädigt. Bei Festlegung des Grundrisses mußte, nachdem die auf dem Grundstück zu Gunsten der Pinakothek lastenden Servituten durch den König gemildert worden waren, immerhin noch auf die Nähe dieser Sammlung Rücksicht genommen werden; durch die Nothwendigkeit, die chemischen Laboratorien von der Straße weiter zurückzuverlegen, war von selbst die Disposition in einen Hauptbau und zwei rückspringende, nur lose angegliederte Seitenflügel gegeben. Die Anordnung der Innenräume ist den praktischen Lehrzwecken angepaßt. Im Mittelbau, in welchem die allen Abtheilungen gemeinsamen Räume, wie Treppenhaus, Aula, Bibliothek und Verwaltungsräume enthalten sind, war eine in gediegener Pracht gehaltene künstlerische Ausstattung vorgesehen, die sich im Reichthum der Dekoration vom Vestibül bis zur Aula steigern sollte. Dabei war der Malerei die Aufgabe zugefallen, in einem geistreich erdachten Cyklus mythologischer und allegorischer Compositionen den idealen Zweck der Schule und freien Geistesbildung zur Darstellung zu bringen. Hatte der Meister bei der Innenausstattung durch eine ebenbürtige Heranziehung der Malerei und Plastik einen warmen harmonischen Gesammteindruck zu erzielen gestrebt, so gelang es ihm, [687] trotz der gebotenen Zurückhaltung nicht minder, dem ernsten Zweckbau auch in seinem Aeußern den Charakter eines heiteren, einheitlich durchgebildeten Kunstwerkes zu verleihen. „Die Einführung des Princips des Malerischen“ bei strenger Wahrung des constructiv Nöthigen, die Ausschmückung der reinen Architektur mit organisch angewandten Dekorationsmotiven und die reizvolle Durchbildung der Einzelformen waren in der damaligen Münchener Baukunst etwas völlig Neues.

Es konnte nicht fehlen, daß der graziöse Bau, der in der kurzen Zeit von 21/4 Jahren (Sommer 1866 bis Herbst 1868) vollendet wurde, sowohl in der Münchener Künstlerschaft wie in den auswärtigen Architektenkreisen bedeutsames Aufsehen erregte. Der Sieg der Renaissance über den unglücklichen „Maximilianstil“ war durch dieses Werk unwiderleglich dargethan. Man erkannte, daß in Neureuther’s Bauweise, die alle Zweige der bildenden Kunst in glücklicher Verbindung umfaßte, der Ausgangspunkt für eine gedeihliche Fortentwicklung der seither in unfruchtbaren Bahnen hinschleichenden Architektur gegeben sei. Die sorgsame Durchbildung der Details, auf die Neureuther’s Kunst im Gegensatz zu den früheren Bestrebungen das Hauptgewicht legt, bot die Gewähr, daß auch das Kunsthandwerk wieder zu höheren Aufgaben herangezogen werden würde. Es sind nicht schablonenhaft wiederholte fremde Formen, die seine Kunst gibt; mit warmem künstlerischen Empfinden ist das Wesen der italienischen Renaissance erfaßt und in freier Umbildung sind ihre Formen zu neuem frischpulsirenden Leben erweckt.

Pecht nennt den Bau des Polytechnikums „einen wahren Wendepunkt für das Münchener Kunsthandwerk und Baugewerbe“, „alle ihre späteren glänzenderen Leistungen hängen damit zusammen“. Wenn die Richtigkeit dieser Behauptung hier nicht im einzelnen geprüft werden kann, so muß doch zugegeben werden, daß der spätere großartige Aufschwung des Baugewerbes in München im wesentlichen durch die zielbewußte Schule Neureuther’s angebahnt worden ist. Sein Name wurde fortan neben den ersten deutschen Architekten genannt. Auch an äußeren Ehrungen fehlte es dem Meister in der Folge nicht. Die Kunstakademien von München, Berlin, Brüssel und Wien, das Royal Institute of British Architects in London und die preußische Akademie des Bauwesens erwählten ihn zu ihrem Mitglied; bei wichtigen Concurrenzen, wie beim ersten Wettkampf um den Entwurf des Deutschen Reichstagsgebäudes 1872 wurde er zum Preisrichter ernannt; und auch in seinem engeren Vaterlande wurde seiner mit hohen Auszeichnungen gedacht: König Ludwig II. verlieh ihm neben anderen hohen Orden den persönlichen Adel; als „Oberbaurath“, später „Oberbaudirector“ war er zugleich Mitglied des Ausschusses für Baukunst bei der obersten Baubehörde in München.

In der mit dem Jahre 1869 beginnenden regen Bauthätigkeit für König Ludwig II. fand N., der sich persönlich der größten Hochachtung des Monarchen zu erfreuen hatte, keine Verwendung. Seine einfach ernste künstlerische Richtung stand im Gegensatz sowol zu der am Hofe zunächst gepflegten romantisch mittelalterlichen, wie zu der später auf den Schild gehobenen französischen Bauweise. So trat er in den nächsten Jahren wieder mehr in den Hintergrund; nur die Entwürfe zu dem Verwaltungsgebäude der pfälzischen Eisenbahnen und zu einem Festsaalbau in Ludwigshafen entstammen dieser Zeit. Beim Wettbewerb um das Niederwalddenkmal vermochte er mit seinem Concurrenzentwurf nicht obzusiegen.

Eine große künstlerische Aufgabe war ihm erst wieder beschieden, als im Jahre 1875 der Neubau einer Akademie der bildenden Künste in München beschlossen worden war, zu dessen Errichtung auf Anregung der Abgeordnetenkammer [688] ein Theil der auf Baiern fallenden französischen Kriegsentschädigung bestimmt wurde. Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß zur Ausführung dieses monumental geplanten Werkes kein Anderer, als der verdiente Erbauer des Polytechnikums berufen werden konnte; die Staatsregierung übertrug ihm deshalb die Pläne, ohne einen Wettbewerb auszuschreiben. Auf der großen Münchener Kunstausstellung des nächsten Jahres bereits erregten die ausgestellten Entwürfe allgemein freudige Bewunderung; mit der auf drei Jahre berechneten Ausführung wurde im J. 1877 begonnen. Die Grundrißentwicklung ist eine verhältnißmäßig einfache; da bei der reinen Nord-Südlage des Gebäudes die Ateliers nach Norden gelegt werden mußten, standen dem Baumeister in den langen Corridoren der Hauptfront ganz regelmäßige Räume zur Verfügung, deren symmetrische äußere Gruppirung sich leicht in den traditionell architektonischen Rahmen einfügte. In den beiden Flügelbauten wurden die Räume untergebracht, für welche Oberlicht wünschenswerth war. Von einer symmetrischen Durchbildung der der Straße abgewandten Rückseite mit ihren ungleichen Atelierfenstern wurde von vornherein abgesehen. Wenn somit die Grundrißanlage dem Architekten nur einen geringen Spielraum ließ, so konnte sich sein Künstlerthum bei der Gesammterscheinung des Aeußeren in freiester Entwicklung entfalten. Die hohe Bedeutung, welche dem Gebäude als Pflegestätte der Kunst zukam, sollte in einem glanzvollen Aeußeren zum Ausdruck kommen. Der Bau sollte „als sprechendes Denkmal des künstlerischen Aufschwunges unserer Zeit“ ein festliches Gepräge erhalten. N. wußte diesen Forderungen aufs glücklichste gerecht zu werden. Die in schönen Verhältnissen aufgebaute Fassade ist in den hoheitsvollen Formen der italienischen Hochrenaissance gehalten. Ein mächtiger, dekorativ ausgezeichneter Mittelbau unterbricht die Flucht der Arkadendoppelreihe, die am Ende der Seitenflügel in zwei dreigeschossige Pavillons ausläuft. Durch ein anmuthig reiches Spiel der dekorativen Motive, insbesondere durch einen graziösen Puttenfries, der den ganzen Bau umzieht, ist der ernsten Architektur ein frischer lebenswarmer Zug verliehen; und das kostbare Material – Trientiner Marmor –, das zur Bekleidung des Rohbaues verwendet wurde, kam der exakten Durchbildung der Einzelheiten wohl zu statten. Aber über der Freude an dem künstlerischen Gelingen des Prachtwerkes war seinem Schöpfer der Maßstab für seine finanzielle Durchführbarkeit verloren gegangen. Sei es, daß die Bausumme von Anfang an zu niedrig angesetzt worden war, oder daß sich während der Ausführung die Ansprüche gesteigert hatten, der Baumeister sah sich nicht im Stande, mit den zu Gebote stehenden Mitteln das Werk zu vollenden; und eine kurzsichtige, engherzige Kammermajorität weigerte sich, die Nachforderungen zu bewilligen. So mußte der Bau, der seine Pforten schon im Winter 1880 den jungen Künstlern öffnen sollte, vorläufig auf unbestimmte Zeiten eingestellt werden. Es war ein hartes Geschick für den alternden Meister, sein Hauptwerk Jahre hindurch als Torso vor sich sehen zu müssen. Die Spannkraft, die seinem von Leiden geplagten Körper die Schaffensfreude zu verleihen vermochte, verließ ihn mehr und mehr. Sein Befinden verschlimmerte sich unter dem Drucke der seelischen Depression in einer Weise, daß er im J. 1882 einem Ruf als Preisrichter beim zweiten Wettbewerb um den Entwurf des Reichstagsgebäudes nicht mehr Folge leisten konnte. Auch seinem Lehramte an der Hochschule mußte er nach 25jähriger Thätigkeit aus Gesundheitsrücksichten entsagen. Als dann endlich die Kammer im J. 1884 die zur vorläufigen Fertigstellung des Gebäudes erforderlichen Summen genehmigt hatte, war N. ein gebrochener Mann. Zwar besserte sich sein Zustand vorübergehend noch so weit, daß er die Oberleitung der Arbeiten übernehmen konnte. [689] Sein sehnlichster Wunsch aber, den künstlerischen Schmuck des Gebäudes vollendet zu sehen, sollte sich ihm nicht mehr erfüllen. Am 12. April 1887 ist er seinen Leiden erlegen; eine große Trauerversammlung gab am 16. April auf dem nördlichen Friedhof in München dem gottbegnadeten Künstler und trefflichen Menschen das letzte Geleit.

Der ihm befreundete Kunstschriftsteller F. Pecht widmet ihm in seinem Nekrologe die folgenden Worte: „Uneigennützig, schlicht und charakterfest, von einer Berufstreue ohnegleichen und voll glühender Begeisterung für seine künstlerischen Ideale, dabei ebenso zärtlicher Familienvater als eifriger deutscher Patriot war er von allen geliebt, die ihm näher standen und in der Lage waren, den Reichthum seines Geistes, die Gründlichkeit seiner Bildung, die Unabhängigkeit seines Charakter kennen zu lernen. Eben deshalb hing auch die Jugend mit Begeisterung an ihm und machte seine Wirksamkeit zu einer so nachhaltigen, wie sie kaum je ein Münchener Baumeister gehabt“.

Bericht über d. techn. Hochschule zu München f. 1868/69, desgl. f. 1886/87. – Deutsche Bauzeitung, 4. Jahrg. 1870 Nr. 29 u. 31, 17. Jahrg. 1883 Nr. 6, 21. Jahrg. 1887 Nr. 35 u. 38. – Allgem. Bauzeitung, 37. Jahrg. 1872 S. 22 ff. – Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 1887 Nr. 110. – Kunst für Alle, 2. Jahrg. 1887 S. 116 u. 236. – Zeitschrift für Baukunde, 1. Jahrg. 1878 S. 1 ff., 4. Jahrg. 1881 S. 8. – Denkschrift über die Pflege der Kunst an den öffentlichen Bauwerken. München 1877.

[684] *) Zu S. 614.