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Titel: „Holz für die Armen!“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 783–784
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[783] „Holz – für die Armen!“ waren die letzten Worte, die Dr. Andreas Zelinka, Bürgermeister der Residenzstadt Wien, im Todeskampfe stammelte. Es sind nur ein paar Worte, aber vor Gott gelten sie als Gebet, und wer es auf dem Sterbebette spricht, wird auch ohne den Segen eines Erzbischofs in geweihter Erde schlafen.[1]

Er war ja ein Vater der Armen und hatte gar viele Kinder, die mit den wärmsten Thränen der Dankbarkeit die Erde weihen, die ihn deckt. Er war ein Mann des Volkes in der schönsten Bedeutung des Wortes, und zwar nicht blos in Wien, sondern in ganz Oesterreich, soweit es an dem Kampf und Drang nach Freiheit und Fortschritt Theil nahm; ja, er war der treue Mann seines Volkes, für das er gelebt und gewirkt, – der allezeit ohne Scheu vor seinem Kaiser mit schlichtem deutschem Wort für das Recht und die Wohlfahrt seiner Bürger eintrat und unter den Opferwilligsten stets der Opferwilligste, von welcher Seite immer der Nothruf erklang.

Man kennt unzählige Züge von Herzensgüte des dahingeschiedenen Menschenfreundes; wir erinnern uns vorzugsweise an einen, der bis jetzt noch nicht den Weg in die Oeffentlichkeit gefunden.

Der Mantelritter-Minister Dr. Bach hatte mit seiner Politik das [784] Vertrauen auf den Advocatenstand erschüttert, – die wahlfähigen Bürger wollten Einen ihrer Mitglieder und keinen Rechtsgelehrten mehr mit der höchsten Würde der Commune bekleidet sehn. Dennoch wurde Dr. Zelinka zum Bürgermeister erwählt und wußte schon in den ersten beiden Jahren seiner Amtsführung das gegen ihn herrschende Vorurtheil auf das Rühmlichste zu bekämpfen und durch seine schlichte Biederkeit und Herzensgüte alle Sympathieen der Bürgerschaft für sich zu gewinnen. Nur Einer seiner erbittertsten, aber ohnmächtigen Gegner, den wir Arnold nennen wollen, ließ nach wie vor seine Zunge gegen ihn spielen, bis das Landesgericht diesem falschen Spiel ein Ende machte. Der Bürger Arnold hatte sich eines gemeinen Verbrechens schuldig gemacht und wurde zu zweijähriger Kerkerstrafe verurtheilt.

Ein Jahr nach diesem Proceß schritt Dr. Zelinka, in Gedanken versunken, durch eine entlegene Seitengasse der Stadt, da sprang ein junges Mädchen aus einer ebenerdigen Wohnung und rannte so unglücklich gegen ihn an, daß der alte kränkliche Mann in die Kniee sank und sich, wenn auch unbedeutend, doch ziemlich empfindlich die Kniescheibe verletzte.

„Ach, mein Gott, ich bitte tausendmal um Verzeihung!“ bat erschrocken das Mädchen, indem es seinen Korb fallen ließ und dem alten Herrn zu Hülfe sprang. „Haben Sie sich weh gethan?“

Der Bürgermeister erhob sich, rieb sein Knie und brummte: „Nix – nix – schad’t nix![2] Warum schau’ ich nicht besser auf, denn es giebt hier Leut’, die mehr Eil’ haben, als ich.“

„Allerdings habe ich Eile, denn die Mutter und die Kinder frieren,“ seufzte das Mädchen.

„A – die Kinder frieren?“

„Und haben nebenbei einen gesunden Appetit.“

„Schad’t nix! Schad’t nix!“

„Es schadet freilich nichts, wenn Holz im Keller und Brod im Schranke ist.“

„Aha – so steht’s!“ murmelte Zelinka, indem er sich die Kleine näher ansah, die, selbst noch ein Kind, kaum vierzehn Jahre zählte. „A Sapperment – hübsche kornblaue Augen, aber die rothe Garnitur gefällt mir nicht. Mir scheint, Sie haben geweint?“

„Mir scheint’s auch so.“

„Wo spazieren wir denn jetzt hin mit einander? Wahrscheinlich Holz und Brod einkaufen? He?“

„Vielleicht – wenn Gott und der Schätzmeister im Versetzamt wollen.“

Der Bürgermeister warf einen Blick auf den Korb der Kleinen, aus welchem der Aermel eines Kinderhemdes neugierig in die Welt hinaus guckte. Er blieb stehen, streichelte die Wangen des Mädchens und fragte freundlich: „Wie heißen Sie, liebes Kind?“

„Pauline Arnold.“

„Arnold? Arnold? Vielleicht eine Tochter des Geschäfts-Agenten – Ferdinand Arnold?“

„Kennen Sie meinen unglücklichen Vater?“ flüsterte die arme Kleine, indem sich abermals ihre blauen Augen mit Thränen füllten.

„Ja, ja, ich kenne ihn, weiß auch, daß er – auf der Reise ist und sobald noch nicht zurückkehren kann. Aber das hab’ ich nicht gewußt, daß er Frau und Kinder in der Noth zurückgelassen hat.“

„In Noth und Elend!“ schluchzte das Mädchen.

„Warum haben Sie sich denn nicht an den Bürgermeister gewandt?“

„Ach – der Bürgermeister ist unser Feind.“

„Der Unglückliche hat keine Feinde und der Bürgermeister ist berufen, Freund und Vater aller Armen und Unglücklichen zu sein. Ich hab’ nicht viel Geld bei mir, aber für die nächsten Tage deckt es Ihre Bedürfnisse. Nehmen Sie und hoffen Sie auf Gott. Er wird auch ohne Schätzmeister helfen, Sie armes Hascherl.“

„Ach, mein Gott –“ rief das Mädchen unter Thränen lachend, „was soll ich der Mutter sagen –“

„Daß auch ein Advocat ein Herz in der Brust hat. Jetzt laufens und sorgens dafür, daß Ihre kleinen Brüder und Schwestern nicht länger hungern und frieren.“

Die Kleine küßte die Hand des Freundes in der Noth, den ihr Gott gesandt, und eilte in den Laden des nächsten Greißlers.

Zelinka rieb sein Knie und sprach lächelnd vor sich hin, indem er forthinkte: „Schad’t nix, wenn auch der Bürgermeister zuweilen, wie der Kalif Harun al Raschid incognito seine Straßenpromenade macht.“

Er sorgte fernerhin für die Familie seines Feindes und hat wohl auch an sie gedacht, als er seine letzten Worte „Holz – für die Armen!“ auf seinem Sterbebette flüsterte.


  1. Auf das Bittgesuch des Magistrats ließ Seine Eminenz der Cardinal Rauscher erwidern, daß er, der rauhen Witterung wegen, nicht in der Lage sei, die Leiche des Bürgermeisters in der Kirche einzusegnen.
  2. Ein populär gewordenes Sprüchwort Zelinka’s.