Zur Beurteilung der Schlacht bei Dresden
← Die alte Orgel in der Friedrichstädter Kirche | Zur Beurteilung der Schlacht bei Dresden (1905) von Anton Larraß Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908) |
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Die strategische Bedeutung der Schlacht bei Dresden. Berlin 1904.
Dr. Lüdtke hat in seiner Arbeit – wie in neuerer Zeit mehrfach geschehen – richtig hervorgehoben, daß für die Verbündeten-Operationen zum Herbstfeldzuge 1813 nicht die Trachenberger Abmachungen, sondern die diese modifizierenden, im wesentlichen auf Radetzkys Eingaben zurückzuführenden Vorschläge von den verbündeten Monarchen Ende Juli 1813 zu Reichenbach Annahme gefunden hatten. Folgerichtig muß dieser letztere Plan als der endgültige, als die Basis für die Operationen der Verbündeten, wenigstens die einleitenden, angesehen werden.
Von dem, was nun die Lüdtkesche Schrift in Anknüpfung hieran über den Zug der böhmischen Armee nach Sachsen (August 1813) behandelt, fordert Verschiedenes die Kritik heraus. Zur Widerlegung Folgendes.
Zuerst ist der Entstehung des Trachenberg-Reichenbacher Planes zu gedenken.
Der Trachenberger Plan (Protokoll vom 12. Juli 1813) bezeichnet lediglich das Entwicklungsstadium für die Verbündeten-Operationen. Der Plan – von verschiedenen vorausgegangenen Vorschlägen hervorragender Generale herrührend – ist in seiner schriftlichen Festlegung der Hauptsache nach als eine Vereinbarung zu betrachten über die in Denkschriften niedergelegten Auffassungen der Generale von Toll und von dem Knesebeck und über die Ansichten des Kronprinzen von Schweden. Diese vertraten anscheinend die Interessen der drei Länder und Heere, denen sie angehörten (Rußland, Preußen und Schweden[1]).
Die wesentlichen Punkte des Trachenberger Protokolls waren übereinstimmend mit den Angaben in der Lüdtkeschen Schrift kurz folgende:
- Dreiteilung der verbündeten Streitkräfte:
- Nordarmee (rund 120 000 Mann), schlesische Armee (damals rund 50 000 Mann angenommen), österreichische, später böhmische Armee (rund 120 000 Mann Österreicher, verstärkt durch Abgabe von 90- bis 100 000 Russen und Preußen von der schlesischen Armee, in Summa etwa 220 000 Mann).
- Diese Dreiteilung unter der durchgedrungenen Anschauung, daß Österreich, richtiger die österreichische Armee, das erste Operationsobjekt Napoleons bilden dürfte und gegen dessen überlegenen Angriff zu schützen sei.
- Zur Verwendung dieser böhmischen Armee nach allen Richtungen hin fand man ihre Aufstellung im „Bastion saillant“ Böhmens am geeignetsten.
- Energische Offensive war mit dem Grundsatze zu betreiben: „Das Lager des Feindes sei der Sammelpunkt der Armeen“.
- Vermeidung einer Schlacht war nur der schwachen schlesischen Armee vorgeschrieben, die, an der Elbe angekommen, die Vereinigung mit der Nordarmee anzustreben habe, falls nicht die Verhältnisse ihren Abmarsch zur böhmischen Armee verlangen.
[42]
- Für alle Armeen blieb das Prinzip der gegenseitigen Unterstützung aufgestellt, der Art, daß, wenn Napoleon sich gegen eine wendet, die beiden anderen die Offensive gegen seinen Rücken bez. seine Flanken ergreifen.
- In der Sonderaufgabe für die böhmische Armee war vorgesehen, daß sie – je nach Umständen – nach Schlesien, Sachsen oder westwärts nach Bayern, bez. auch nach der Donau sich wende.
Die hervorgehobene Offensive, mit der feindlichen Hauptmacht und nicht mit geographischen Punkten oder Linien als strategischem Objekte, läßt darauf schließen, daß dieser Gedanke vom Tollschen Plane verblieben war, ein anderer nicht. Es ist daher nicht wohl angängig, den Trachenberger Plan in seinen Hauptzügen als den Tollschen zu bezeichnen (Lüdtke S. 12); es wird deshalb auch auf einen Vergleich des Tollschen mit dem folgenden Radetzkyschen Plane verzichtet.
Rußland, Preußen und Schweden, über den vorstehenden Trachenberger Plan einig, hatten sich nun zu vergewissern, ob man auch im österreichischen Lager gleichen Anschauungen huldige. Österreichischerseits war dem Kaiser Franz und zwar auch am 12. Juli ein Operationsplan – vornehmlich Radetzky, dem Stabschef Schwarzenbergs, entstammend – vorgelegt worden.
- Der Plan geht – unter noch richtigerer Beurteilung der Armeestärken – ebenfalls von Dreiteilung der verbündeten Streitkräfte aus, wobei aber eine Verstärkung der österreichischen Armee in Böhmen um etwa nur 25 000 Russen als Abgabe von der schlesischen Armee ins Auge gefaßt wird.
- Radetzky nimmt – wie auch die Lüdtkesche Schrift ausführt –
- 1. die Absicht Napoleons zum Ergreifen der Offensive an der Elbe mit einer zusammengehaltenen Hauptmacht von etwa 190 000 Mann an, um mit dieser den Hauptschlag und zwar voraussichtlich gegen die österreichische Armee zu führen, während die übrigen französischen Armeen sich auf ihren Fronten entweder defensiv verhalten oder zugunsten der Hauptarmee demonstrieren. Für diesen „mehr als wahrscheinlichen Fall“ bezeichnet Radetzky die Notwendigkeit einer Offensive der Nordarmee und der schlesischen Armee behufs Ableitung der napoleonischen Hauptmacht von der österreichischen Armee, die durch eine „wohlberechnete Defensive“ nur im Stande ist, ihre Hauptkraft für den entscheidenden Schlag bis dahin zusammenzuhalten, wo das Vordringen der Nordarmee flankierend und der schlesischen Armee frontal eine Teilung der französischen Streitkräfte herbeiführen muß.
- Gegenüber den anderen Möglichkeiten, Napoleon werfe sich
- 2. mit seiner Hauptmacht auf die Nord- oder die schlesische Armee, habe jede dieser angegriffenen Armeen einem Hauptschlage auszuweichen, während die beiden anderen Armeen gegen den Feind vorgehen. Verhalte sich aber
- 3. Napoleon defensiv, so ergreifen die Nord- und die schlesische Armee eine gleichzeitige Offensive, indes die österreichische so lange defensiv verfährt, bis sich jene ihr so weit genähert haben, daß die Gesamtüberlegenheit einen günstigen entscheidenden Schlag verbürgt.
- „In allen Fällen bleibe es bei dem gegenwärtigen Stande der Armee stets die erste und wesentlichste Hauptbeobachtung, daß keine Armee einzeln und auf keine Weise sich gegen eine ihr überlegene Macht in eine Hauptschlacht einlasse, um den Hauptzweck in den gemeinschaftlichen Operationen nicht zu verfehlen, nämlich: den Hauptschlag mit Sicherheit zu führen.“
Darnach gipfelt der Plan Radetzkys in der Herbeiführung einer Teilung der feindlichen Streitkräfte und deren fortgesetzter Beunruhigung, in der Vermeidung von Schlachten gegen Übermacht, in der Offensive bloß gegen einen schwächeren Feind. Erst nach erlangter Einkreisung der napoleonischen Streitkräfte, d. i. wenn die drei verbündeten Armeegruppen zum Zusammenwirken einander nahe gerückt sind, soll zu einem Hauptschlage ausgeholt werden.
Der Vergleich ergibt Übereinstimmung dahin, daß bei beiden Plänen Österreich oder die böhmische Armee in erster Linie als bedroht erachtet ist; dagegen soll nach dem Radetzkyschen Plane jede von Napoleon angegriffene Armee – nicht bloß die schlesische, wie im Trachenberger Protokolle vorgesehen – zurückweichen und defensiv bleiben, bis die Einwirkung der andern gegen Rücken und Flanke des Feindes fühlbar und gemeinsamer Hauptschlag ausführbar wird.
Die Initiative wurde nach Radetzky völlig Napoleon überlassen, wie auch in der Lüdtkeschen Schrift (S. 15) ganz richtig zugestanden wird. Bei diesem Radetzkyschen Plane ist man österreichischerseits geblieben, ungeachtet man nach dem Trachenberger Plane, der dem österreichischen Hauptquartier am 16. Juli zuging, die böhmische Armee durch 90 – 100 000 Russen und Preußen und nicht bloß durch 25 000 Mann nach Radetzkys Vorschlägen verstärken, also auf rund 220 000 Mann bringen wollte.
[43] Trotz dieser Stärke der verbündeten Hauptarmee kam es nur zu unbedeutenden Änderungen der österreichischen Vorschläge, welche am 19. Juli zu Reichenbach den dort anwesenden Monarchen durch den österreichischen Oberst Grafen Latour zugestellt wurden. In dessen Instruktion[2] war als Detail zu den Operationen noch Folgendes ausdrücklich bemerkt, das die Lüdtkesche Schrift nicht bringt:
- „ . . . . Wenn der Feind auf dem rechten oder linken Elbufer gegen die österreichische Armee die Offensive beginnt, wird von der russischen und preußischen (d. i. schlesischen) Armee gleichfalls und mit allem Nachdruck die Offensive in der Richtung auf Dresden unternommen; die gleichmäßige Offensive findet statt, wenn die französische Armee gegen den Kronprinzen von Schweden vorrückt.
- Nur in dem Falle, daß der Kaiser der Franzosen mit allem Nachdruck die Offensive gegen die k. russische und k. preußische (schlesische) Armee unternimmt, bleibt diese Armee auf der Defensive und die österreichische beginnt die Offensive mittels Vorbrechung bei Zittau[3].
- Da die österreichische Armee beim Anfange der Operationen der gegnerischen an Streiterzahl nicht gewachsen sein dürfte, wenn die gesamte französische gegen sie vordringt, so wird mit Aufopferung des Landes die österreichische so lange auf der Defensive halten, bis entweder der Feind seine Kräfte schwächt oder die k. russische und die k. preußische (schlesische) Armee sich mit der österreichischen verbindet.“
Mit unwesentlichen Ergänzungen fanden die Radetzkyschen Vorschläge die Billigung der Monarchen zu Reichenbach – immer noch in dem Glauben, daß nächstes Operationsobjekt Napoleons die böhmische Armee sein werde, welcher aber nicht bloß 25 000 Mann, sondern nunmehr bestimmt 90- bis 100 000 Russen und Preußen[4] von der schlesischen Armee zuzuführen seien. Es handelte sich um raschen Anschluß Österreichs an die Koalition, den man – in Rücksicht auf baldiges, gemeinsames Losschlagen – durch weitere Verhandlungen wohl nicht verzögern wollte.
Den Wortlaut des neuen, als Operationsgrundlage angenommenen Trachenberg-Reichenbacher Plans hat man nicht, und so dient auch zur Zeit noch als einzige schriftliche Unterlage für die zum Beginne des Herbstfeldzuges 1813 maßgebend gewesenen Operationsgrundsätze lediglich die Eingabe des Fürsten Schwarzenberg, welche er im November 1813 dem Kaiser Alexander für die Operationen in Frankreich überreichte, wobei er in der Einleitung die vorher 1813 beobachteten Grundsätze folgendermaßen festgestellt hat:
c) eine Schlacht nur dann anzunehmen, wenn der Feind seine Streitkräfte geteilt habe und die Überlegenheit entschieden auf seiten der Verbündeten wäre, sie aber zu vermeiden, wenn die Kräfte des Gegners vereinigt und auf die von den Verbündeten bedrohten Punkte gerichtet wären;
Darnach müssen wir annehmen, daß Vorstehendes der Sinn der Reichenbacher Abmachungen gewesen, die wahrscheinlich nur den maßgebenden Persönlichkeiten der verbündeten Hauptquartiere bekannt geworden sind.
Wie auch Major Friederich in seinem mehrfach angezogenen Werke sich zutreffend äußert, hat man sich besonders bezüglich der ersten beiden Punkte noch in den Anschauungen vornapoleonischer Zeit und eigentlich erst in dem letzten Punkte in der Auffassung energischer napoleonischer Kriegführung bewegt. Die Operationen des Herbstfeldzuges konnten daher eine baldige Entscheidung nicht herbeiführen; sie konnten in ihren Anfängen nur Teilkämpfe und Teilerfolge liefern.
Im Laufe der Kritik über die Operationspläne sagt die Lüdtkesche Schrift (S. 14): „Verhehlen wollen wir uns freilich nicht, daß die Denkschrift Radetzkys, wie die österreichischen Denkschriften dieser Zeit überhaupt, nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Präzision das aussprechen, was sie eigentlich sagen wollen. Man vermeidet es mit einer Art ängstlicher Scheu, die letzten Ziele, Schlüsse und Konsequenzen deutlich und klar hinzustellen[6]; und so sind allerdings manche Beurteiler irre geführt worden . . .“
[44] Es sei mit Bezug auf diesen letzten Satz die Frage gestattet: Könnte bei der geschilderten Beschaffenheit der Denkschriften nicht auch Dr. Lüdtke als Beurteiler sich haben irre führen lassen? Wir werden sehen.
Wir wenden uns nach der Charakteristik der Operationsgedanken dem von der böhmischen Armee nach Sachsen unternommenen Vormarsche zu. Zur Beurteilung desselben hat man zu prüfen, inwieweit dabei dem Trachenberg-Reichenbacher Plan wirklich gefolgt wurde, bez. inwieweit auf denselben Rücksicht zu nehmen war. Maßgebend für die Beurteilung bleiben lediglich die beim Armee-Oberkommando vorherrschend und ausschlaggebend gewesenen Auffassungen der jeweiligen Lage und die für die Operationen erlassenen Befehle. Insoweit ferner in der Schrift Dr. Lüdtkes auch bei Unterführern der böhmischen Armee ein Eingehen oder eine Bezugnahme auf das Reichenbacher Programm gegenüber ihnen erteilten Befehlen oder Anweisungen angenommen wird, bleibt zu untersuchen, ob solches zutreffend ist.
Zunächst der S. 25 ff. der Lüdtkeschen Schrift bearbeitete Marsch auf Leipzig.
Unter dem Schutze der bis an den Gebirgsfuß vorgeschobenen Vortruppen stand mit Beginn der Feindseligkeiten (17. August) die böhmische Armee südlich der Eger, nominell befehligt von dem damaligen General der Kavallerie Fürsten Schwarzenberg, in Wirklichkeit unterworfen den Einflüssen dreier Monarchen, einer beträchtlichen Anzahl von Diplomaten und Generalen, darunter Zivil- und Militärstrategen, die mehr oder weniger als Ratgeber oder Weise eine der ersten Rollen im großen Hauptquartiere zu spielen sich berufen erachteten – ganz wie es auch Dr. Lüdtke S. 25 schildert[7].
In dem Hauptquartiere war mit Ende des Waffenstillstands die Frage zu beantworten: Was tun? Am 17. August trat dieserhalb zu Melnik ein Kriegsrat zusammen.
Nachrichten über den Gegner sind erste Bedingung für militärische Entschlüsse. Über Napoleons Absichten und seine Stärkegruppierungen wußte man um diese Zeit so gut wie nichts[8]. Das führte zu einem Wirrwarr [45] von Mutmaßungen und Erwägungen über die gegnerische Lage. Wenn es aber in der Lüdtkeschen Schrift S. 26 heißt: „Es war nur gut, daß man einen festen Plan besaß, nach dem man sich zu richten hatte, ich meine das Reichenbacher Programm“, so ist vor allem aufzuklären, ob man nach diesem auch handelte.
Aus dem Gewirr von Anschauungen ging schließlich hervor, daß man eine Offensive Napoleons gegen die böhmische Armee jetzt als unwahrscheinlich annahm, dagegen, nach einer Meldung des Grafen Neipperg aus der Reichstadter Gegend südlich der Lausitz, zunächst ein Vorgehen Napoleons gegen die Nordarmee vermuten mußte. Für die böhmische Armee war solchenfalls durch das Reichenbacher Programm Offensive gegen den Feind vorgeschrieben.
Bei der völligen Unsicherheit über das gegnerische Verhalten aber hielt man es darnach auch für nicht ausgeschlossen, daß Napoleon mit seiner Hauptmacht eine zentrale Stellung auf dem linken Elbufer, möglicherweise bei Leipzig, genommen habe, aus der er gelegentlich über einen seiner Gegner in Nord oder Süd herfallen könne, bevor diesen der andere zu unterstützen vermöge. Und so kam man zu der Annahme, daß Napoleon einem Vorrücken der Verbündeten über die Erzgebirgspässe etwa da entgegentreten dürfte, wo die Gebirgsstraßen auf die nächste, den Franzosen äußerst wichtige Verbindungslinie mit dem Rheine (Hof–Dresden) stoßen. Dort – also etwa in Gegend Chemnitz- Freiberg – glaubte man mit einer offensiven Hauptarmee den ersten Widerstand zu finden. Diese Voraussetzungen traten zuletzt im Melniker Kriegsrate in den Vordergrund und erlangten die Zustimmung Schwarzenbergs. Napoleon vermutete man mit seinen Hauptkräften vorerst auf der Defensive. Nach den Reichenbacher Abmachungen war in diesem Falle für die böhmische Armee nicht – wie Lüdtke S. 27 erwähnt – „die Offensive im Konnex mit den beiden anderen Armeen“ vorgesehen, sondern vielmehr nach Punkt 3 des Radetzkyschen Planes Defensive vorgeschrieben, bis sich der böhmischen Armee die offensiven beiden anderen Armeen so weit genähert haben, daß die Gesamtüberlegenheit einen günstigen entscheidenden Schlag verbürgt.
Das letztere konnte aber z. Z. gegenüber den Entfernungen der drei verbündeten Armeegruppen von einander noch nicht eintreten und es haben denn auch im Melniker Kriegsrate Feldmarschallleutnant Duka, Jomini und Moreau, vor allem Radetzky selbst ihre Bedenken gegen eine sofortige Offensive geäußert. Wohl nur die preußischen und die Mehrzahl der russischen Generale – so darf man annehmen – werden die Monarchen und Schwarzenberg für den Marsch auf Leipzig gewonnen haben, den freilich Kaiser Alexander bereits zwei Tage später schon wieder beklagte, als von Neipperg neue Nachricht einging, nach der Napoleon über Rumburg und Zittau nach Böhmen vorzustoßen scheine und sich zwischen Blücher und die böhmische Armee werfen könne.
Daß Schwarzenberg nicht nach den Reichenbacher Abmachungen, wie oben nachgewiesen, gehandelt, sondern schon beim Operationsbeginne mit der über 220 000 Mann starken Hauptarmee für Offensive, für den Vormarsch, eingetreten, ist ihm als ein ganz besonderes Verdienst anzurechnen. Denn es war dies ein erster Schritt, die Initiative nicht Napoleon zu überlassen, sondern an sich zu reißen. Leider richtete sich die beschlossene Offensive zunächst nur gegen eine gemutmaßte, durch keine Nachricht verbürgte Aufstellung Napoleons. Und ob man deshalb im bezug auf das Operationsziel von der Richtigkeit der im Melniker Kriegsrate gefaßten Entschüsse so recht überzeugt blieb, wie der Gedankengang Alexanders eben angedeutet, sei dahingestellt.
Nach dem Wenigen, was Schwarzenberg über gegnerische Verhältnisse bekannt war, durfte doch bloß geschlossen werden, daß Napoleon, sollte er die böhmische Armee als Operationsziel ins Auge fassen, nur rechts oder links der Elbe gegen sie operieren könne; wo er aber auch stehen oder wandeln mochte, immer blieb Dresden sein, mit Verpflegs- und Munitionsvorräten für eine große Armee reich versehener Hauptstützpunkt an der Elbe. Und das wußte man. Kam dieser in die Hände der starken böhmischen Armee, so war ein Operieren Napoleons gegen die Rückzugslinien derselben ausgeschlossen und Napoleon genötigt, seine Verbindungslinie nach Westen weiter nördlich, etwa über Torgau, sich zu sichern[9]. Im Sinne der Reichenbacher Vereinbarungen wurde sein Operationsgebiet mehr eingeengt, und so konnte seine Einkreisung für die Führung des schließlichen gemeinsamen Hauptschlages wesentlich gefördert [46] werden. Dem ins Ungewisse hinein beschlossenen Marsch auf Leipzig gegen eine nur vermutete, durch nichts gewährleistete Aufstellung Napoleons mußte notwendig ein klarer strategischer Zweck fehlen. Man schritt ins Dunkle und ließ die Ereignisse an sich herantreten.
Es wird nun in der Lüdtkeschen Schrift ein unzutreffender Schluß gemacht, wenn es (S. 28) heißt: „Was hatte es auf sich, daß man mit einer Viertelmillion Soldaten die Offensive gegen Leipzig nahm, wo man Napoleon zu finden glaubte? Was hatte es auf sich, daß man die Ostarmee zu einem gleichen Vorstoße aufforderte? Was bedeutete die Vereinigung der drei Heere, die man also erzielen mußte? Nun, das alles war von keiner anderen Bedeutung, als von derjenigen, welche diese Operationen in den Oktobertagen desselben Jahres erhielten: man wollte die Schlacht!“
Wie soll eine solche – die mit vereinten Kräften – herbeizuführen sein, wenn bei dem Schwarzenbergschen Vormarsche die schlesische Armee noch gegen 30, die Nordarmee noch rund 25 Meilen (Luftmaß) von Leipzig bzw. von der Linie Chemnitz-Freiberg entfernt war! Und dies zu einer Zeit, in der diese beiden Armeen noch gar nicht in Kontakt mit ihren Gegnern sich befanden, diese also erst zu überwinden und dann wiederum und zwar nicht ohne weitere Gefechte zu verfolgen, dabei noch den Elbübergang eventuell zu erzwingen, im ganzen also mehr als 1–11/2 Meilen günstigsten Falls und durchschnittlich pro Tag kaum zu bewältigen vermochten? Wie kann bei solchen Raumverhältnissen und Kriegslagen an eine Vereinigung der drei Armeegruppen zu gemeinsamer Schlacht jetzt auch nur gedacht werden?
Es scheint auch, als habe dies Dr. Lüdtke doch einigermaßen durchgefühlt, denn S. 28 unten heißt es weiter: „Wären die Annahmen des böhmischen Hauptquartiers so richtig gewesen, wie seine Absichten kühn waren – vielleicht wäre es dann schon jetzt zu einer Völkerschlacht von Leipzig gekommen. Aber die Vorsehung hatte es anders geordnet. Erst zwei Monde darauf sollten die eisernen Würfel rollen, sollte der aufatmenden Welt die Kunde werden: der Imperator sei geschlagen . . . Und wir können dem Schicksale dafür dankbar sein; denn ob die Verbündeten den gleich starken, von einem Napoleon geführten Feind, der noch kein Katzbach, kein Großbeeren, kein Kulm und Dennewitz erlebt hatte, überwunden hätten – die Frage zu beantworten wage ich nicht.“
Darauf ist zu entgegnen: Nicht die Vorsehung hat hier geordnet, wo unberechenbare Verhältnisse nicht vorlagen; nicht das Schicksal hat eingegriffen, wenn erst zwei Monate später die Entscheidung fiel, sondern der ins ungewisse hinein und schwächlich ohne klare, große Ziele ausgeführte Vormarsch der böhmischen Armee nach Sachsen, der vor Dresden scheiterte, ist schuld daran, daß erst im Oktober die Entscheidung einzutreten vermochte.
Wenden wir uns zur Vormarschausführung.
Der am 19. August begonnene, durch den Melniker Kriegsrat beschlossene Vormarsch auf Leipzig vollzog sich in vier Hauptkolonnen, am 22. August über den Erzgebirgskamm, nachdem am 21. Blüchers Nachricht von seinem ziemlich widerstandslosen Vorgehen über die Katzbach (18. August) eingegangen war. Man erhoffte ein Zurückgehen Napoleons auf Dresden beziehungsweise über die Elbe, ein Preisgeben ganzer Provinzen seiten des Imperators ohne Schwertstreich; doch blieb der Wunsch der Vater des Gedankens.
Am 22. August abends war die böhmische Armee in folgenden Stellungen angelangt:
Die russisch-preußischen Garden noch bei Brüx (35 000 Mann).
Die russische Kürassier- und leichte Kavalleriedivision bei Minitz südlich Budin (14 000 Mann).
Hauptquartier Kaiser Alexanders und Schwarzenbergs war Zöblitz.
Dort erhielt der Zar wichtige Depeschen, welche von Kosaken den Truppen St. Cyrs abgenommen waren. Aus diesen Depeschen – die Quellen geben Genaueres nicht an – ging im wesentlichen hervor, daß
Darnach mußte der Weiterverfolg der Marschrichtung auf Leipzig zu einem Luftstoße führen, und dies nötigte zur Richtungsänderung im Vormarsche. Der Marsch auf Dresden, zum nächsten Gegner hin, ergab sich nun von selbst.
[47]
In dem 6 Uhr abends vom Kaiser Alexander in Zöblitz einberufenen Kriegsrate beschloß man, kürzesten Wegs auf Dresden vorzugehen – zu welchem Zwecke? ist aus keinem der erlassenen Befehle zu ersehen. Radetzky wie Langenau, auch Toll und später Barclay sollen gegen den Entschluß gewesen sein. Die „Motivierung desselben“, sagt die Lüdtkesche Schrift S. 30, „kann uns nicht weiter interessieren“. Doch! Man motivierte den Entschluß – vielleicht vor sich selbst – damit, daß eine Unterstützung des mit den Vortruppen schon bis in die Pirnaer Gegend gelangten, isolierten rechten Flügelkorps Wittgenstein nicht rechtzeitig möglich sei und daß man durch einen Vormarsch auf Dresden sowohl die eventuell gegen Berlin wie gegen Böhmen oder den Rücken der böhmischen Armee operierenden napoleonischen Streitkräfte zur Umkehr nötigen würde, unterdessen Dresden nehmen und dadurch den Franzosen den Rückzug über die Elbe wenn nicht abschneiden, so doch sie zu nördlicherem Ausbiegen veranlassen könne.
Es erfolgte eine Rechtsschwenkung der böhmischen Armee, wiederum, wie oben erwähnt, ohne einen klaren strategischen Zweck auszusprechen, über den man anscheinend selbst im dunkeln oder nicht einig war.
Nach zweitägigem Marsche der drei westlichen, rechts schwenkenden Kolonnen, der bei der Gebirgsdurchquerung auf schlechten Wegen und unter großem Mangel an Lebensmitteln die Kräfte von Mann und Pferd nahezu erschöpfte, war die Situation der Armee am 24. August die in der Lüdtkeschen Schrift S. 31 kurz angegebene.
St. Cyrs gegen Pirna etc. vorgeschobene Abteilungen waren unter Verlusten vor den Wittgensteinschen Truppen bis an die Vorstädte von Dresden zurückgewichen, die Stadtumfassung und den Großen Garten besetzend.
Die Armeeabteilung Wittgenstein, von der das 2. Korps unter Herzog Eugen von Württemberg mit der Brigade Helffreich zur Deckung gegen feindliche Unternehmungen vom Königstein her bei Zehista und Krietzschwitz zurückgelassen wurde, gelangte in den Rayon Torna – Prohlis;
Korps Kleist in den Rayon zwischen Reinholdshain und Oberhäßlich;
die österreichischen Kolonnen III und IV nach Dippoldiswalde und Umgebung;
Korps Klenau bis Freiberg;
die russischen und preußischen Garden waren noch zurück an der böhmischen Grenze.
An gleichem Tage waren auch wichtige Nachrichten über Napoleon durch den am 22./23. August erfolgten Übertritt von Teilen zweier westfälischer Husarenregimenter aus dem französischen Lager von Reichenberg bei Görlitz bei den Verbündeten angelangt. Man kam dadurch in Kenntnis von der Stellung der französischen Armee in Schlesien und der Lausitz und erfuhr, daß Napoleon mit den Garden aus der Lausitz nach Schlesien gegen Blücher[11] aufgebrochen und der angebliche französische Vorstoß gegen Böhmen (18. und 19. August) anscheinend Demonstration gewesen sei.
Das mußte notwendig zu entschiednerem Vorgehen veranlassen. Schnelles Handeln war geboten, wollte man Dresden, falls das noch geplant wurde, in seine Hände[12] bekommen, bevor Napoleon aus Schlesien anlangte.
Man scheint am Abend des 24. August im Hauptquartier so ganz klar über die Handlung am 25. nicht gewesen zu sein, denn bei ganz mäßigem Weitermarsch bis vor das, wie man wußte, nur schwach besetzte Dresden wird das Eintreffen dort nur mit Kolonnenteilen und zwar erst auf 4 Uhr abends angeordnet[13]. Schwarzenbergs Befehl spricht aus, daß am 25. August etwa die Hälfte der vier Hauptkolonnen (Wittgenstein, Kleist, Österreicher der III. und IV. Kolonne), in Summa rund 80–85 000 Mann, sämtlich mit ihren schweren Batterien an der Tete, vor Dresden in eine 4 Uhr abends zunehmende Aufstellung[14] einrücken, die Gros der Kolonnen indes [48] rückwärts bei Maxen, Dippoldiswalde und Freiberg noch als Reserven zurückzuhalten seien. Über die in diesem Vormarschbefehle nicht ausgesprochenen nächsten Absichten Schwarzenbergs klärt ein Brief desselben an Barclay vom 24. August abends auf, in dem es, wie auch Lüdtke anführt, heißt: „Nachdem morgen die Rekognoszierung der Altstadt Dresden festgesetzt ist und die Rekognoszierung gemacht wird, ob ein coup de main etwa gelingen könnte, so eile ich E. E.“ usw. Die von Schwarzenberg befohlene Maßnahme läßt darnach nur auf eine gewaltsame Erkundung Dresdens und seiner Verteidigungsanstalten unter gleichzeitiger Beschießung der Stadt mit schwerem Geschütz schließen; eine Angriffsdisposition war der Befehl jedenfalls nicht, wenn auch die Hoffnung nicht ausgeschlossen blieb, Dresden am 25. August ohne große weitere und besondere Vorbereitungen, vielleicht mittels Handstreichs, nehmen zu können. Man brachte eben die halben Kräfte der Verbündeten mit den schweren Batterien gegen Dresden in Stellung – im allgemeinen die Vortruppen in Linie Blasewitzer Tännigt – Striesen – Grüne Wiese – Gruna – Strehlen –Leubniz – Räcknitzer Höhen – Plauen (Oberdorf) bis etwa Gompitz (denn die Division Mezko erreichte ihr Ziel Löbtau am 25. August nicht mehr).
General Jomini, einer der bedeutendsten unter den Ratgebern Kaiser Alexanders, soll von diesem am 25. früh zur Erkundung der Lage vor Dresden dahin vorgeschickt worden sein; er habe, gegen Mittag zurückkehrend, Schwarzenberg und die Monarchen nebst ihren Generalen auf den Räcknitzer Höhen in lebhafter Unterhaltung darüber, was zu tun sei, gefunden. Jomini, aufgefordert zur Ansichtsäußerung, habe sich der geringen St. Cyrschen Streitmacht gegenüber dafür ausgesprochen, das seit 1811 auch in der Entfestigung seines Hauptwalles im Stadtinnern begriffene und sonst nur durch wenige, unmittelbar vor den Vorstädten befindliche Feldschanzen geschützte Dresden sofort anzugreifen, das Korps St. Cyrs über den Haufen zu rennen und dann mit diesem zugleich in die Vorstädte einzudringen, wie man es 1806 in Lübeck gemacht habe.
Nach anderen soll Fürst Schwarzenberg – und das klingt bei seinem vorsichtigen systematischen Verfahren sehr wahrscheinlich – erst das Eintreffen aller österreichischen Abteilungen haben abwarten wollen, die zu völliger Schließung des Ringes um Dresden vor dem 26. August nicht zu erwarten seien.
So sei für und wider einen Angriff gesprochen worden, bis endlich, bereits am Nachmittage, Kaiser Alexander – durch die einem Angriffe entgegenstehenden Generale Moreau und Toll schwankend gemacht – gegen den Angriff sich aussprach. Es geht dies auch aus dem, in der Lüdtkeschen Schrift mit erwähnten Schreiben des Zaren vom 25. August abends an Blücher hervor, in dem es heißt: „Wir hätten gestern (24.) diese Stadt (Dresden) nehmen können, wenn die schlechten Wege und die Defileen uns zur rechten Zeit anzukommen erlaubt hätten. Da jedoch der Feind hier so bedeutende[15] Streitkräfte (?) vereinigt hat, daß uns der Angriff teuer zu stehen käme, so wollen wir fortfahren zu manövrieren, bis seine Pläne besser aufgeklärt sein werden.“
Darnach war ein Angriff für den 25. aufgegeben, ob auch für später? blieb fraglich, da man vorerst auf Manövrieren und dergleichen sich beschränken wollte[16]
[49] Kurz, weitere Unternehmung am 25. unterblieb
gänzlich. Man überließ dem schwachen Gegner wieder
die Initiative, die man durch den Vormarsch glücklich
an sich gerissen. Wie es dennoch möglich wurde, für
den 26. August folgenden Befehl zu geben, ist bis zur
Zeit nicht aufgeklärt. Schwarzenbergs Disposition für
den 26. lautete:
Hauptquartier Nöthnitz, 25. August 1813.
„Bei Eintreffen der Civallartschen Division und der beiden Divisionen des linken Flügels wird die Sicherheit des letztern dadurch veranlaßt, daß Löbtau und die Gegend bei den Schusterhäusern bis an die Elbe vom Feinde gereinigt wird. Hierauf werden 5 Kolonnen[17] gebildet.Sowie Löbtau genommen ist, werden vier der zwölfpfündigen Positions-Batterien bei Löbtau aufgefahren, um die Friedrichstadt zu beschießen. Die Reiter-Divisionen Nostitz und Lederer stellen sich en reserve zwischen Coschütz und Kaitz, mit dem rechten Flügel links seitwärts des Ortes. Sämtliche übrige Truppen bleiben im Lager in Bereitschaft . . . . Ein Kosaken-Regiment streift gegen Bautzen, ein anderes leichtes Kommando unter Oberst Seslawin setzt bei Brießnitz über die Elbe und streift bis Radeberg[18]. Das Beschießen der Stadt und das Vorrücken des linken Flügels erfolgt mit dem Schlage 4 Uhr.“
Das Ganze sollte Demonstration, also Manöver bzw. Erkundung sein, eine Angriffsdisposition war der Befehl wiederum nicht. Den Vormarsch am zeitigen Morgen und dann die Beschießung der Stadt erst 4 Uhr abends kann man sich nur als ein äußerst vorsichtiges schematisches Verfahren und, wie auch Friederich hervorhebt, nur durch den Glauben erklären, das Oberkommando habe eine uneingeschränkte Zeit vor sich, [50] könne die Stadtverteidiger, deren Verstärkung, da man Napoleon noch weitab in Schlesien vermutete, ausgeschlossen schien, belästigen und gelegentlich von einem Erfolge Gebrauch machen. Sollte aber ein Erfolg ausgenutzt werden, so waren dazu die Reserven doch zu weit zurückgehalten und zu einem eventuellen Miteingreifen nicht zur Hand.
Nun heißt es in der Lüdtkeschen Schrift S. 39: „Aus den geschilderten wirklich unzulänglichen Maßnahmen (im obigen Befehle Schwarzenbergs) folgern die genannten Autoren (Bogdanowitsch, Bernhardi, Friederich), daß man die Stadt im Sturm nehmen wollte – logischer wäre der Schluß, daß man sie eben nicht nehmen wollte!“ Es kann weder der erstere noch der letztere Schluß zugegeben werden. Wozu die Anweisung wenigstens ans österreichische Zentrum (III. Kolonne), wenn nicht auch an noch andere, in die Vorstädte einzudringen, wenn man auf Dresden verzichten wollte? Ganz darauf hat man eben nicht verzichtet. Man hat nur schwächliche Mittel für solchen Zweck angeordnet, ihn durch bloße Demonstrationen und ohne Nachdruck zu erreichen geglaubt.
Weiter sagt Lüdtke S. 39: „Und erreichte man durch den Zug nach Dresden denn nicht tatsächlich, was man beabsichtigt hatte? Wurden Napoleon und St. Cyr nicht durch den Schein getäuscht, rief der General nicht den Imperator zu Hilfe herbei, rückte dieser nicht auf die gefährdete Hauptstadt zu und mußte er nicht seine andern Pläne darüber aufgeben?“
Diese Auslassung erscheint doch als der beste Beleg dafür, wie wichtig die Erhaltung des bedrohten Dresden Napoleon sein mußte. Logischer Weise folgt daraus, wie notwendig es dagegen für die Verbündeten gewesen, den Hauptstützpunkt Napoleons an der Elbe in Besitz zu nehmen.
Unzutreffend bleibt auch die Auffassung, Napoleon sei durch den Zug Schwarzenbergs nach Dresden zur Aufgabe seiner andern Pläne genötigt worden. Die Offensive mit seinen im Osten versammelten Hauptkräften gegen Blücher hatte der Kaiser gegenüber dem Ausweichen der schlesischen Armee bereits am 22. August, d. i. an demselben Tage, an welchem die böhmische Armee den Rechtsabmarsch auf Dresden beschloß, aufgegeben und befohlen, daß die Garden Marmont und die Kavallerie Latour-Maubourgs auf Görlitz marschieren, um Truppen für eventuelle anderweite Operationen zur Verfügung zu haben. Der große Kriegsmeister war doch zu klug, um sich nicht zu sagen, wenn er dem zurückweichenden Blücher mit seinen Hauptkräften weiter folge, entferne er sich zu sehr von seinen Gegnern in Nord und Süd. Gegen Blücher verblieben vier Korps. Mit seinen sonstigen zwischen Schlesien – lausitz-böhmischer Grenze – Dresden zurückgehaltenen Truppen blieb Napoleon auf dem Sprunge zum nächsterreichbaren Gegner, um ihn zu schlagen. Diesen Zweck erreichte der Kaiser, gerade diesen Plan verfolgte er; er gab somit „andere Pläne“ nicht auf. Die böhmische Armee war so gütig, ihm die Planausführung durch ihr Verhalten zu erleichtern.
Oder ist mit dem Aufgeben „anderer Pläne“ seiten Napoleons gemeint, daß dieser von seiner ursprünglichen Absicht abging, Vandamme zur Unterstützung St. Cyrs in Dresden verwendet zu sehen, selbst aber – genial wie fast immer – mit den Hauptkräften über Königstein der böhmischen Armee in den Rücken zu fallen? Hierzu wäre zu bemerken, daß Napoleon zu spät, erst am 25. August vormittags, bei Stolpen erfährt, Vandamme sei durch St. Cyr nicht nach Dresden gerufen worden, wie er ursprünglich angeordnet. Nun erst trifft er Anstalt, seine Hauptmacht selbst nach der Hauptstadt zu führen, die er nicht opfern will, Vandamme die Direktion über Königstein anweisend. –
Zunächst zum Gegner Schwarzenbergs.
Am 26. August früh standen die Truppen St. Cyrs:
Das Vorgehen derselben gegen die französischen Vortruppen begann mit Morgengrauen dispositionsgemäß:
- zuerst 5 Uhr morgens von Strehlen gegen den Großen Garten (Preußen),
- 6 Uhr morgens von den Österreichern links in Richtung Friedrichstadt und Freiberger Schlag, rechts die Räcknitzer Höhen herab,
- sodann zwischen 7 und 8 Uhr morgens von den Russen zwischen Großen Garten und Elbe
[51] insgesamt in isolierten, nicht einheitlich geregelten und gegenseitiger Unterstützung entbehrenden Angriffen. Dies allein ermöglichte der schwachen Verteidigung, die überlegenen Gegner bis in die ersten Nachmittagsstunden von der Stadt noch abzuhalten.
Bis zu dieser Zeit waren von den Verbündeten
Die Vortruppen der Verbündeten waren somit bis auf Kanonenschußweite an die Stadtlisiere herangekommen, so daß der Kampf um die Feldverschanzungen und die Vorstadtumfassungen beginnen konnte – freilich zu einer Zeit, in der schon französische Verstärkungen von Osten her die drei Elbbrücken überschritten hatten.
Napoleon war am 26. August 9 Uhr morgens auf die wiederholten Notrufe St. Cyrs vom 24. und 25. in der Hauptstadt angekommen und entfaltete vom Schloßplatze aus seine noch rechtzeitig auf Dresden dirigierten Truppen nach und nach fächerartig nach Friedrichstadt (später unter Murat), nach der Wilsdruffer und Seevorstadt (vorläufig unter Ney), nach dem Pirnaischen, Rampischen und Ziegelschlag (unter Mortier).
Begeben wir uns wieder zu Schwarzenberg.
Gegen Mittag hatte sich auf den Räcknitzer Höhen im Kreise der um die Monarchen versammelten Generale wiederum eine Art Kriegsrat gebildet. Man war mit Ausnahme des Königs von Preußen, dem ein Zurückweichen mit 200 000 Mann vor dem bloßen Erscheinen Napoleons durchaus unangemessen dünkte, für Einstellung weiteren Vorgehens. Schwarzenberg verließ die Gruppe, angeblich seinen Stabschef für Ausfertigung der betreffenden Befehle zu suchen, kehrte aber nicht zurück[20]. Tatsache ist, daß ein Befehl zum Rückzuge oder Gefechtsabbruch oder zu dessen Einleitung nicht erlassen wurde; dagegen gaben 4 Uhr abends drei Signalschüsse von einer russischen Batterie bei Zschertnitz das Zeichen zum Wiederbeginne des Gefechtes[21]. Es trat erneutes Vorgehen der Verbündeten ein.
Nun heißt es in der Lüdtkeschen Schrift, S. 44 in Anknüpfung an die Frage, warum Schwarzenberg denn überhaupt noch an diesem Tage kämpfen ließ . . . – „jedenfalls mögen Schwarzenberg die kommenden Gefechte dieses Tages als ziemlich bedeutungslos erschienen sein, wie sie es denn ja auch in der Tat waren. Die Kämpfe, die noch am 26. stattfanden, sind für uns ohne Belang“.
Auf solche Weise kann man freilich über mißglückte Unternehmen leicht hinweggetäuscht werden; zur Feststellung der Wahrheit – und das ist doch eine Hauptaufgabe der Geschichtsforschung – dient es aber wohl kaum, wenn man wichtige Tatsachen so ohne weiteres für belanglos erklärt und über sie mit Stillschweigen hinweggeht.
Der Verlauf der Nachmittagskämpfe war kurz folgender:
Die Verbündeten gingen 4 Uhr abends unter Vorschieben ihrer Artillerie weiter kämpfend energisch und dispositionsgemäß vor:
Insgesamt wurde das Vordringen ein energisches Vorstürmen mit einer eingesetzten Macht von etwa 80 000 Mann auf freilich 10 km breiter Front gegen Stadt und Feldschanzen, zuletzt in vielfachen, meist vereinzelt auftretenden Kolonnen und wiederum ohne jede einheitliche Leitung[22]. Wurde ein Erfolg überhaupt dadurch schon zweifelhaft, so mußte ein Eindringen in die Vorstädte um deshalb gänzlich scheitern, weil es dazu – bereits zu spät geworden war.
[52] Denn in den letzten Nachmittagsstunden, beginnend kurz nach 5 Uhr, brachen die inzwischen von Osten eingetroffenen, rückwärts der Stadtschläge versammelten Truppen Napoleons nach dessen eingehend erteilten Befehlen vor, eroberten die Lünette III zurück, besetzten die Lünette IV wieder, nahmen die in Lünette III und Mosczinskys Garten eingedrungenen Österreicher gefangen und warfen die verbündeten Streitkräfte bis Nachtbeginn, wie nachfolgend zu ersehen, weiter zurück.
Mag man nun annehmen, die Kämpfe der Verbündeten am 26. haben nur eine Einleitung zur Wegnahme von Dresden bedeutet oder seien ein Versuch, Dresden kurzer Hand zu nehmen, gewesen, ohne das Wort Angriff gebraucht zu haben, oder hätten wirklich bloß Demonstration sein sollen, der bestimmte Zweckangabe gefehlt hat: in jedem Falle war das befohlene und dann geduldete Vorgehen gegen Dresden und ein Eindringen in dessen Vorstädte mißglückt.
Auf keinen Fall aber kann man, wie in der Lüdtkeschen Schrift S. 45 unternommen wird, behaupten, „daß die Kämpfe des 26. den ersten Teil des Arrieregarden-Gefechtes bedeuten, welches man liefern mußte, um für den Rückzug Raum zu schaffen“.
Die verbündeten, ganz dispositionsgemäß gegen Dresden vorgedrungenen Angreifer – denn angegriffen wurde, der ganze Charakter des Kampfes war der des Angriffs – sind an der Stadtumfassung vom Gegner geworfen und zurückgeschlagen worden, der ihnen unmittelbar folgte, und weder für die rückwärtigen Reserven noch aus der Höhenstellung der Verbündeten ist ein Truppenrückmarsch ebensowenig wie ein Umkehren der noch weit über Tagemarsch entfernten Proviantkolonnen angeordnet worden. Man kann also die Kämpfe am 26. nachmittags, ganz abgesehen von ihrem Charakter, unmöglich in die Kategorie von Arrieregarden-Gefechten einreihen.
In der Nacht zum 27. August standen
die französischen Vortruppen in Linie: Mitte Blasewitzer Tännigt – Striesen – Westteil des Großen Gartens – südlich Dresden entlang der der Stadtumfassung nächstgelegenen Hügelkette – Feldschlößchen – Holzhof – Altonas – Pulvermagazin – Elbe;
die Vortruppen der Verbündeten in Linie: Blasewitz – Gruna – Großer Garten, Ostteil – Strehlen mit Rotem Hause – im Zentrum vor den Batterien der Räcknitzer Höhen – Sorge und Schleifmühle an der Weißeritz – Löbtau – Cotta – Schusterhäuser.
Darnach waren die beiderseitigen Vortruppen einander in nächster Nähe gegenüber, dahinter die Gros, überdies wurden auch die noch zurückbefindlichen entfernten Reserven der Verbündeten heranbeordert. Man kann demnach auch nicht behaupten, es sei Raum für einen Rückzug gewonnen worden oder ein Abkommen vom Gegner sei geglückt.
Möglich wäre letzteres noch in der Nacht geworden, nach dem alten taktischen Grundsatze, daß man nur in der Dunkelheit unbelästigt vom Feinde abzumarschieren in der Lage ist, so wie es beispielsweise den Österreichern östlich der Weißeritz und den rechten Flügelkorps am Abend des 27. August für die darauf folgende Nacht befohlen wurde.
Nun heißt es in der Lüdtkeschen Schrift S. 45 weiter: „Wir sehen unschwer voraus, was das Oberkommando für den folgenden Tag beschließen mußte, wo es doch nötig war, noch 24 Stunden um den Rückzug zu kämpfen“. Untersuchen wir, inwieweit dies zutreffend ist.
Nach dem Schweigen der Gefechte am Spätabende versammelten sich auf dem Schlachtfelde die Hauptquartiere wieder um die Monarchen und Schwarzenberg. Die österreichischen Generale, die doch ein Urteil haben konnten, ob ein Abmarsch gegenüber dem Umstande, daß die Verpflegstrains ihrer Truppen noch weit jenseits Dippoldiswalde waren, ausführbar schien, sollen für unverweilten Rückzug gestimmt haben, und allmählicher Abzug aus der mit Arrieregarden unschwer bis andern Morgen zu haltenden Höhenstellung[23] wäre jetzt wohl das Zweckmäßigste gewesen, wenn man kein rechtes Vertrauen auf eine siegreich auszufechtende Schlacht mehr zu haben glaubte. Der Einfluß der Monarchen führte indes zu dem Entschlusse, auf den Höhen vor Dresden stehen zu bleiben. Die dieserhalb 10 Uhr abends ausgegebene Disposition Schwarzenbergs lautete[24]:
Ich bleibe heute noch in Bannewitz und bin morgen auf der Höhe bei Plauen zu finden. Ich bitte um Nachrichten über die Ereignisse auf dem rechten Flügel.
- Auf dem Schlachtfelde bei Dresden,
Vervollständigt wird diese Disposition bezüglich der Absichten Schwarzenbergs durch den Befehl desselben an den noch westlich Tharandt lagernden General Grafen Klenau: „am 27. um 4 Uhr früh mit seinem Armeekorps auf den Höhen von Gorbitz zur Schlacht aufgestellt zu sein, die man anzunehmen beschlossen“[25].
Damit wie durch die Disposition war bestimmt die Schlachtannahme ausgesprochen, nicht aber Kampf um einen Rückzug, für den man sich eben nicht entschieden hatte. Wenn man letzteren im Auge behalten hätte, wozu dann die herangekommenen großen russischen und österreichischen Artillerietrains mit Geschützen bei Kaitz-Mockritz)[26] festhalten, wozu die rückwärtigen Reserven Barclays noch an seine Gros heranführen lassen (Punkt 4 des Befehls), wozu die Kolonnenmagazine weiter anmarschieren, anstatt Kehrt machen lassen? (Man begegnete letzteren[WS 1] am 27./28. nachts auf dem Rückmarsche bei Dippoldiswalde.)
Die Disposition Schwarzenbergs ließ an Deutlichkeit sehr zu wünschen übrig; sie begrenzt nicht einmal den rechten Verbündeten-Flügel und schweigt sich über den linken ganz aus.
Wie anders dagegen die für den 27. getroffenen klaren und bestimmten Anordnungen Napoleons, welchem mit Nachtende nach dem Eintreffen der letzten Staffeln rund 180 Bataillone, 130 Schwadronen und gegen 470 Geschütze mit zusammen etwa 125 000 Mann zur Verfügung kamen, gegenüber rund 150 000 Mann der Verbündeten – nicht eingerechnet die im Tagesverlauf erst anlangenden Reserven Barclays (29 000 Mann) und das Korps Klenau (21 000 Mann).
Für den Fall, daß der Feind stehen bleibt, sollten nach den nachts erteilten Befehlen Napoleons
– Alles mit der Absicht, die feindliche Armee von den besseren Rückzugsstraßen auf Freiberg und über Pirna abzudrängen und zum Rückmarsche auf die schlechteren Gebirgswege über Dippoldiswalde und Umgebung zu zwingen. –
Nicht zu übergehen ist nun eine eigentümliche Bemerkung S. 45 der Lüdtkeschen Schrift, wo es heißt: „Schwarzenberg gab die Disposition für den 27. aus, ‚wie gewöhnlich etwas unklar‘ – bemerkt Friederich, absichtlich so gehalten – sage ich“. Mit dieser Auslassung wird dem von Dr. Lüdtke so außerordentlich günstig beurteilten Fürsten Schwarzenberg doch ein recht schlechter Dienst erwiesen, denn ein schlimmerer Vorwurf gegen einen Armeeführer als der, daß er in seinen Befehlen absichtlich unklar sei, kann wohl kaum erhoben werden.
Weiter heißt es S. 45/46: „Sie (die Disposition) ordnet nur die Aufstellung der Truppen, um, wie es heißt, für den Fall einer Schlacht morgen in Bereitschaft zu sein“. Dem ist entgegenzuhalten: Für eine Stellung zum Verteidigungskampfe, eine Bereitschaftsstellung, kann nie etwas anderes als nur Truppenaufstellung angeordnet werden. Die Verwendung dieser Truppen hängt in der Verteidigung lediglich von der Beobachtung des gegnerischen Verhaltens und den erst darnach zu treffenden Maßnahmen ab.
Und wenn unmittelbar darauf angeführt wird: „man hatte sich zwar zum Kampfe, der ja notwendig eintreten mußte, gestellt, doch in einer so trefflichen Höhenstellung, daß man hier guten Muts die Offensive der Franzosen abwarten konnte“, so trifft dies für die isolierte ausgedehnte, schwach besetzte linke Flügelstellung, die auch eine Höhenstellung war, nicht zu. Später (S. 47) wird dies noch zugestanden. Vernichtung dieses Flügels war die Folge der getroffenen mangelhaften Anordnungen.
[54]Die Ereignisse des 27. August werden in der Lüdtkeschen Schrift im allgemeinen in Übereinstimmung mit den Überlieferungen der Geschichte kurz besprochen. Eine dabei erwähnte Episode fordert aber noch die Kritik heraus. Nachdem gegen mittag die pirnaische Straße in Besitz der Franzosen gelangt war, die sich schon gegen Reick hin entwickelten, hatte sich Kaiser Alexander, bestärkt durch die Generale Jomini und Moreau, für die Zurückeroberung der Straße ausgesprochen. Man meinte, wenn Barclay mit Wittgensteins und Kleists Truppen und der zahlreichen Kavallerie dieses Armeeflügels gegen Mortier vorbreche, drohe diesem eine völlige Niederlage. Gegen 1 Uhr nachmittags erhielt denn auch Barclay von Kaiser Alexander den Befehl zum Angriff auf Mortiers Truppen. Barclay machte Gegenvorstellungen, meldend, daß er im Falle eines Mißlingens Gefahr laufen würde, seine gesamte Artillerie zu verlieren, die bei dem durchweichten, breiartig aufgelösten, lehmigen Boden nach der Höhe nicht wieder zurück könne und stecken bleiben werde. Den dortigen Bodenverhältnissen entsprechend war dies. Da Barclay keine Antwort erhielt, unterließ er den ihm befohlenen Angriff in der Annahme, der Zar sei mit seiner Einwendung einverstanden.
Nun sagt Lüdtke S. 50: „Diesem (Barclay) kam solche Aufforderung (die Alexanders) durchaus ungelegen, denn mit Absicht hatte er – fußend auf den bisher befolgten Ideen – jedes stärkere Eingreifen in die Kämpfe des Tages vermieden. Nun sollte er um eines entbehrlichen Objektes willen das Programm fallen lassen?“ . . . und weiter S. 52: „Wir aber rechnen es dem russischen Feldherrn als doppeltes Verdienst an, daß er sich trotz seiner Übermacht nicht zu Abenteuern hinreißen ließ, die – ohne einen größeren Erfolg zu versprechen – dem allgemeinen Feldzugsplan widersprachen“.
Auf diese Ansichtsäußerungen ist zu entgegnen, daß es sich bei dem Befehle Alexanders an Barclay lediglich um eine taktische Maßnahme, um Festhalten der pirnaischen Straße handelte, die man bei der Armeeleitung für den Rückzugsfall nicht preisgegeben haben wollte. Ein Programm, auch nicht das Reichenbacher, das nur auf Operationen der Armeen sich beschränkte, ihre Unterabteilungen aber nicht betraf, kam für solch taktische Rücksichten, noch dazu bei einem Untergeneral, gar nicht in Frage. Barclay handelte in dem guten Glauben, daß man nach seiner ohne Antwort gebliebenen Vorstellung die Offensive gegen Mortier aufgegeben habe. Einem nochmaligen Befehle hätte er sich fügen müssen, denn sonst wäre er wegen Nichtbefolgen erhaltenen Befehls vor ein Kriegsgericht zu stellen gewesen, welches die etwaige Motivierung eines Ungehorsams des Unterführers damit, daß die Befehlsausführung irgend welchem Programm oder einem Feldzugsplane entgegen gewesen sei, wohl kaum respektiert haben würde. Barclays Verdienst bestand lediglich darin, daß er auf die Schwierigkeit des Unternehmens gegenüber den Bodenverhältnissen gebührend aufmerksam gemacht hatte. Eine andere Begründung seines Handelns in der Sache ist durch nichts erwiesen und gehört in das Reich bloßer Vermutungen, über welche der selige Barclay, wenn er sie noch vernehmen könnte, schwerlich erfreut sein dürfte. –
Die Schlachtresultate am 27. August bis in die ersten Nachmittagsstunden waren kurz folgende:
Zentrum und rechter Flügel der Verbündeten hielten die, übrigens nicht angegriffenen Höhenstellungen von Plauen über Räcknitz bis Torna – Prohlis; nach 2 Uhr trat auf diesen Fronten, Artilleriefeuer abgerechnet, in der Hauptsache Gefechtsruhe ein; der linke Flügel der Verbündeten, westlich der Weißeritz, wurde durch Murats Offensive aufgerieben.
Als kurz nach 3 Uhr die Meldung über die taktische Vernichtung dieses Flügels eingetroffen war, hatte sich wiederum ein Kriegsrat um ein dürftig brennendes Wachtfeuer auf den Räcknitzer Höhen gebildet, bei dem es sich nun um Entschluß über Schlachterneuerung andern Tags oder Abzug handelte. Den wie immer geteilten Meinungen gegenüber entschied schließlich Fürst Schwarzenberg die Frage in Übereinstimmung mit den österreichischen Generalen durch die Erklärung, daß die Verfassung der Armee, besonders der österreichischen (Mangel an Verpflegung, Bekleidung und vor allem Munition), zum Rückzuge nach Böhmen zwinge[27].
Anknüpfend hieran sagt S. 55 Lüdtke: „Schwarzenberg hat sich auch in diesem Kriegsrate nicht auf den allgemeinen Operationsplan bezogen, sondern gab vielmehr als zwingende Gründe für den Rückzug den Mangel an Lebensmitteln, Schießbedarf und Bekleidung an“.
Diese Gründe waren durchaus zutreffende; sie zwangen in der Tat zum Rückzuge. Derselbe war aber lediglich durch taktische Rücksichten bedingt, wie immer, wenn man von der strategischen Erwägung zur taktischen Ausführung, hier zum Kampfe vor Dresden verschritten ist und glaubt, nicht weiter kämpfen zu können. Da war von dem mehrberegten Programm nicht mehr die Rede, vielmehr nur die Zwangslage entscheidend, die Armee tunlichst bald und so weit möglich ungefährdet in Sicherheit zu bringen – nunmehr ihren Hilfsquellen in Böhmen wenigstens zu nähern, falls man sie nicht, wie geschehen, bis Böhmen selbst zurückführen wollte.
Die Lüdtkesche Schrift schließt dieses Kapitel VI, S. 56 in Sperrdruck mit den Worten: „Man hatte die gewollte Absicht erreicht, die notwendigen strategischen Manöver beendigt – man konnte jetzt zurück“.
[55] Hierauf ist zu entgegnen, daß nachgewiesenermaßen vor Dresden ein Wille, ein fester, des Armee-Oberkommandos zu vermissen war und daß infolgedessen auch die erlassenen Befehle eine bestimmte Absicht nicht erkennen ließen. Man war bis zum letzten Momente unklar über das, was eigentlich geschehen und erreicht werden sollte und lebte nur der Hoffnung, Dresden leichter Hand ohne besondere Vorbereitungen in Besitz zu nehmen. Diese Hoffnung scheiterte, weil die Kräfte unzulänglich und zu spät eingesetzt wurden. Was das Erreichte anlangt, so kann nur wiederholt werden: Es bestand in dem Zwange zum Rückzuge. Daß damit aber „notwendige strategische Manöver“, die in Gefechtsrelationen meist nur als Phrase erscheinen, beendet worden seien, ist nicht nachzuweisen und deshalb auch nicht anzunehmen. Mit einer Armee von über 220 000 Mann schlägt man sich doch nicht, um in nachteilige Lage zu kommen. Nach der ausdrücklichen Schwarzenbergschen Erklärung darf man nicht sagen: „man konnte zurück“, sondern es ist zu behaupten: man mußte zurück, man war dazu genötigt. Der Zustand der Armee war ja auch darnach angetan[28].
Das nun folgende Kapitel VII behandelt den Rückzug der böhmischen Armee im wesentlichen in Übereinstimmung mit Friederich. Nur eine Erwiderung noch in bezug auf die Motivierung der von Barclay mit seinen Reserven (ohne Kleistsches Korps) und mit der Arrieregarde befehlswidrig eingeschlagenen Rückmarschrichtung. In der Lüdtkeschen Schrift wird dieses Verhalten Barclays S. 58 mit folgenden Worten gut geheißen und begründet: „Barclays Entschlüsse gingen folgerichtig aus einer einmal feststehenden Ansicht hervor – und diese war: das Reichenbacher Programm“.
Es bleibt unerfindlich, dieses Programm auch hier wieder bei einem Unterführer, dessen Truppen im Kontakt mit dem Gegner, also taktischen Rücksichten unterworfen waren, eine Rolle spielen zu lassen. Für den Entschluß Barclays, seine Rückzugslinie weiter südwestlich, als befohlen, über Dippoldiswalde auf Teplitz zu nehmen, war lediglich seine Besorgnis maßgebend gewesen, daß er bei Verfolg der ihm aufgegebenen Richtung über Dohna – Peterswalde auf Teplitz die Masse seiner Truppen aufs Spiel setze gegenüber den eventuell von Dresden aus verfolgenden Franzosen wie gegenüber Vandammes Truppen in der Königsteiner Gegend; nur in dieser Besorgnis handelte er, obgleich er wußte, daß gegen Vandamme der Herzog Eugen von Württemberg und russische Garden schon aufgeboten waren; deren Unterstützung aber schien durch Zuzug neuer Barclayscher Truppen weit eher geboten, als der letzteren Entfernung. Wiederum war es keinesfalls strategische Rücksicht, sondern lediglich ein taktischer Gesichtspunkt gewesen, der Barclays Anordnung beeinflußt hatte. Das Reichenbacher Programm kommt hier gar nicht in Frage. In Friederich Band I, S. 501 wird das Gefahrvolle und Nachteilige der Barclayschen Handlungsweise eingehend hervorgehoben.
Das Urteil am Kapitelende S. 59 der Lüdtkeschen Schrift: „Schwarzenberg hat das Reichenbachische Programm insoweit durchgeführt und durch diese Strategie das Seinige dazu beigetragen, die Siege der beiden andern Heere bei Groß-Beeren und an der Katzbach zu ermöglichen“, widerlegt die folgende Tatsache. Der Verlust beider Schlachten, der bei Groß-Beeren am 23. August, der an der Katzbach am 26. August, erfolgte lediglich durch Fehler der französischen Führung, nicht aber wurde er herbeigeführt, wie Seite 50 schon nachgewiesen, durch eine infolge Schwarzenbergs Offensivbewegung gegen Dresden vorausgegangene Schwächung der in Nord wie Ost aufgetretenen Heeresteile Napoleons.
Und nun zum Schluß der Lüdtkeschen Darstellungen S. 60/61, wo es heißt: „Ja – dieses Heer (die böhmische Armee) hat sogar Verluste erlitten in seinen Kämpfen mit Napoleon und ist zurückgegangen! Und hier beginnt die Legende ihr Werk, die nur die grobäußerlichen Züge sieht und nicht die Feinheiten des inneren Zusammenhangs begreift. Wir wollen keine Vorwürfe erheben. Das Reichenbacher Programm, das nicht in lauten Worten verkündet worden war, hatte selbst Nächstbeteiligte im unklaren gelassen. Die Wissenschaft ist neunzig Jahre lang verständnislos an dem Problem vorübergegangen. Hier aber konnten wir feststellen, daß die Legende aus den Rückzugskämpfen eine zweitägige große Schlacht, aus den Verlusten eines Flügels eine Gesamtniederlage und aus einem wohlberechneten, [56] programmgemäßen einen erzwungenen Rückzug gemacht hat. Die historische Forschung aber zerstreut, was Legende war, und weist nach, wie die böhmische Armee mit ihrem Zuge nach Dresden unter schwierigen Verhältnissen eine bedeutsame Mission bestmöglichst erfüllt hat.“
Daß der Nachweis für solche Behauptungen in der Lüdtkeschen Schrift, die nicht frei von Widersprüchen ist, erbracht worden wäre, muß bestritten werden. Die Entgegnungen, die nur an der Hand der erlassenen Befehle und der schriftlich ausgesprochenen Anschauungen der leitenden bez. maßgebenden Persönlichkeiten im Hauptquartiere bearbeitet worden sind, widerlegen die bezüglichen Lüdtkeschen Behauptungen.
Die Widerlegung hat daran festzuhalten, daß der Oberleitung der böhmischen Armee beim Vormarsche nach Sachsen ein bestimmter strategischer Zweck fehlte, vor den Toren Dresdens aber ein kräftiger Wille und ein dementsprechender taktischer Plan mangelte. Man strebte nicht nach positiven Resultaten und blieb im unklaren über größere, mit der mächtigen Armee wenigstens anfänglich leicht zu verfolgende Ziele. Daher hauptsächlich die Unklarheit in den Befehlen, wogegen die Befehlsgebung Napoleons bestimmt und deutlich sich zeigte und sein Kriegsruhm hier von niemand verdunkelt werden kann.
Zu Behauptungen endlich, wie die zuletzt aus der Lüdtkeschen Schrift angeführten, haben sich bis jetzt selbst Fanatiker unter den Anhängern Schwarzenbergs in Österreichs Landen noch nicht aufzuschwingen vermocht.
Wenn in der Militär-Literatur-Zeitung (Beiblatt zum Militär-Wochenblatt Nr. 9, September 1904, S. 316) im Hinblick auf die Lüdtkesche Schrift und eine noch andere die Frage aufgeworfen wird: „Wäre es nicht viel besser und für ihre zukünftige Tätigkeit nutzbringender, wenn unsere jungen Historiker die Beschäftigung mit strategischen Fragen denen überließen, deren Beruf es nun einmal ist und die durch praktische und theoretische Vorbildung, durch Alter und Erfahrung die Berechtigung erworben haben, über derart schwierige Fragen ein Urteil abzugeben?“ so will ich mich hier dem nicht anschließen. Ich gehe von der Ansicht aus, daß jedermann, selbst der Laie, berechtigt ist, auch kühne Aufgaben sich zu stellen und Materien zu bearbeiten, die ihm für gewöhnlich nicht nahe liegen; aber es muß die Aufgabe richtig behandelt, und wenn historische Forschung im Spiele ist, die Wahrheit der Tatsachen ermittelt werden; bloße Vermutungen sind zu meiden, nicht erweisbare Behauptungen müssen ausgeschlossen bleiben.
In der Lüdtkeschen Schrift ist auch versucht worden, das Reichenbacher Programm dann noch bei Einzelheiten zu verwerten, welche lediglich durch taktische Rücksichten bedingt waren. Dazu ist zu bemerken, daß es solche starre Programme für Operationen nicht gibt. Auf dem Kampfplatze wird Strategie Taktik, da entscheiden taktische Grundsätze.
Endlich soll nicht verfehlt werden, an den großen Kriegsphilosophen, den in der Lüdtkeschen Schrift mehrfach zitierten General von Clausewitz, anzuknüpfen – hier unter Bezugnahme auf dessen Auffassung vom Kriege, wobei er u. a. sagt: „Das Absolute findet in den Berechnungen der Kriegskunst nirgends einen festen Grund. Im Kriege, dem Konflikte der großen Interessen, der sich blutig löst, muß eine Theorie versagen, die sich in absoluten Schlüssen und Regeln selbstgefällig fortbewegen wollte“. Entsprechend ist es, wenn auch die Kritik von Operationen so betrieben wird und urteilt.
Ich schließe die Betrachtungen, nicht ohne, wie auch Dr. Lüdtke bei anderem Anlasse getan, zuletzt noch der Vorsehung zu gedenken. Die Vorsehung hat es gewollt, daß die böhmische Armee trotz ihres nachgewiesenen trostlosen Zustandes ohne große Fährlichkeiten entkam. Denn die Verfolgung wurde einesteils durch plötzliche Krankheit Napoleons, der seinen Marschällen nicht wie sonst durch persönliches Eingreifen Beine zu machen vermochte, eine verzögerte und lahme und durch Unschlüssigkeit eine energielose, andernteils eine verfehlte insofern, als beispielsweise Marschall St. Cyr die ihm aufgegebene Verfolgungsrichtung „über Maxen und sonst nach allen Richtungen, welche der Feind eingeschlagen haben sollte[29]“, nicht inne hielt und infolgedessen gänzlich außer Fühlung mit dem Korps Kleist kam, das dann Vandamme unbehelligt in den Rücken fallen konnte. Das sind Umstände, die nicht vorauszusehen waren; bei solchen gedenkt man dankbar eines gnädigen Geschickes.
Die darnach folgenden Schläge, welche die Macht Napoleons trafen, der nun bald an den Wendepunkt seiner Siegeslaufbahn in Deutschland kommen sollte, waren wohl geplante und überlegte. Zum nicht geringen Teil war es preußische und damit deutsche Führung, welche dabei glänzte. Möge es allezeit so sein, wenn unser großes Vaterland Feinde bedrohen, und wären deren noch so viele.
- ↑ So äußert sich auch Major Friederich in seiner verdienstvollen „Geschichte des Herbstfeldzuges 1813“, dem neuesten, ebenso fesselnd wie unparteiisch geschriebenen Werke über jene Kriegsperiode, I. Band, S. 93–94.
- ↑ Nach Friederich, „Herbstfeldzug 1813“, S. 97.
- ↑ Richtung Zittau, weil zu jener Zeit die österreichische Armee in Böhmen an der großen Straße Zittau – Prag in der Versammlung begriffen war.
- ↑ Es waren dies die russischen und preußischen Garden und die Korps Wittgenstein und Kleist, wogegen der schlesischen Armee vier Korps verblieben.
- ↑ Die Maßnahmen ad a und b – entlehnt dem Werke Friederichs, I.Band, S. 98 – sind in der Lüdtkeschen Schrift neben den übrigen dort S. 12 aufgenommenen nicht mit aufgeführt. Die Prinzipien beider Punkte bleiben aber charakteristisch für die den Armeen gestellten Aufgaben.
- ↑ Bis hierher kann nur zugestimmt werden.
- ↑ Von einem Eingehen auf eine Charakteristik der drei
Monarchen und Schwarzenbergs als Feldherrn wird Abstand genommen. Der vornehme, tapfere Schwarzenberg, ein edler Charakter,
hatte in seiner glänzenden Laufbahn bisher keine Gelegenheit gehabt, Feldherrneigenschaften an den Tag zu legen. Die den Ereignissen gegenüber getroffenen Anordnungen allein werden ihn
zugleich im Hinblick auf die oben erwähnte Beschaffenheit des Hauptquartiers kennzeichnen. An der Tagesordnung war Kriegsrat.
Es möge nun eine durchaus objektiv gehaltene Ansicht des Feldmarschalls Grafen Moltke über Zusammensetzung eines Hauptquartiers hier Platz finden – entnommen Moltkes kriegsgeschichtlichen Arbeiten über den italienischen Feldzug 1859 (herausgegeben vom Großen Generalstabe, Kriegsgeschichtliche Abteilung I, 1904). Moltke äußert sich nach S. 10, abgesehen von Feldherrn, die keines Rates bedürfen, die in sich selbst erwägen und beschließen, ihre Umgebung nur ausführen lassen, die also seltene Sterne erster Größe sind, wie beispielsweise Friedrich der Große, Napoleon etc., folgendermaßen:
„In den allermeisten Fällen wird der Führer eines Heeres des Beirats nicht entbehren wollen. Dieser kann sehr wohl das Resultat gemeinsamer Erwägung einer kleineren oder größeren Zahl von Männern sein, deren Bildung und Erfahrung sie vorzugsweise zu einer richtigen Beurteilung befähigt. Aber in dieser Zahl schon darf nur eine Meinung zur Geltung kommen. Die militärisch-hierarchische Gliederung muß der Unterordnung, auch des Gedankens, zu Hilfe kommen. Dem Kommandierenden darf nur diese eine Meinung, vorbehältlich seiner eigenen Prüfung, und nur durch den einen dazu Befugten vorgetragen werden. Ihn wähle der Feldherr nicht nach der Rangliste, sondern nach seinem vollen persönlichen Vertrauen. Möge auch das Angeratene nicht jedesmal das unbedingt Beste sein, – sofern nur folgerecht und beständig in derselben Richtung gehandelt wird, kann die Sache immer noch einer gedeihlichen Entwicklung zugeführt werden. Dem Kommandierenden bleibt dabei, vor dem Ratgeber, das unendlich schwerer wiegende Verdienst, die Verantwortlichkeit für die Ausführung übernommen zu haben.
Man umgebe aber einen Feldherrn mit einer Anzahl voneinander unabhängiger Männer – je mehr, je vornehmer, ja je gescheiter, um so schlimmer –, er höre bald den Rat des einen bald des anderen; er führe eine an sich zweckmäßige Maßregel bis zu einem gewissen Punkt, eine noch zweckmäßigere in einer anderen Richtung aus, erkenne dann die durchaus begründeten Einwürfe eines dritten und die Abhilfevorschläge eines vierten, so ist hundert gegen eins zu wetten, daß er mit vielleicht lauter wohl motivierten Maßregeln seinen Feldzug verlieren wird.
Es gibt in jedem Hauptquartier eine Anzahl von Leuten, die mit großem Scharfsinn alle Schwierigkeiten bei jeder vorgeschlagenen Unternehmung hervorzuheben wissen. Bei der ersten eintretenden Verwickelung weisen sie überzeugend nach, daß sie alles vorhergesagt haben. Sie sind immer im Recht, denn da sie selbst nicht leicht etwas Positives vorschlagen, viel weniger noch ausführen, so kann der Erfolg sie nie widerlegen. Diese Männer der Negative sind das Verderben der Heerführer“ usw.
Gleiche Überzeugung und besonders über Kriegsrat spricht aus einem Briefe Moltkes an seinen Bruder Adolf vom Juli 1859, im vorgenannten Werke S. 11 angeführt:
„In einer beratenden Versammlung wird das Für und Wider mit so guten und unwiderlegbaren Gründen belegt, daß eines das andere aufhebt. Der positive Vorschlag hat die unzweifelhaftesten Bedenken gegen sich, die Negation bleibt im Recht, und alles vereinigt sich auf dem neutralen Boden des Nichtstuns“. . . . und an anderer Stelle: „Ein kühner Entschluß wird nur durch einen Mann gefaßt“. –
Äußerst schwierig mag es für den Oberkommandierenden der böhmischen Armee gewesen sein, die Einflüsse, die mächtigen und gewaltigen, welche auf ihn in seinem eigenartigen Hauptquartiere einstürmten, zu bemeistern. Nachteilig war es für die dort zu treffenden Entscheidungen, daß sie von vorausgehenden Meinungsäußerungen Mehrerer vielfach abhängig blieben. - ↑ Uns klingt das heute im Zeitalter des Telegraphen und der internationalen Presse unbegreiflich. Indes auch zu damaliger Zeit würde es bei einem nur etwas sorgsam organisierten Nachrichtenwesen wohl unschwer möglich geworden sein, aus Preußens, des Verbündeten, Landen, die von napoleonischen Truppen in Nord und Ost okkupiert waren, ebenso wie aus Sachsen, von dessen Bewohnern ein erheblicher Teil schon antifranzösische Gesinnung gezeigt hatte, einigermaßen verläßliche Auskunft über Stärke und Aufstellung der napoleonischen Streitkräfte rechtzeitig zu erlangen.
- ↑ Daß diese Auffassung zutreffend, beweist nachdrücklich die Maßnahme, zu welcher Napoleon in seinem Befehle für den 27. August in Dresden sich veranlaßt gesehen gegenüber der Aufstellung der böhmischen Armee vor dessen Toren. Er hatte Anweisung an den Dresdner Gouverneur erlassen, Meißen mit einem Detachement zu besetzen, hervorhebend: „Das ist wichtig, weil ohne Aufschub eine regelmäßige Verbindung auf dem linken Elbufer über Leipzig etc. eingerichtet werden muß“ (vgl. Friederich S. 475, 5. Absatz des napoleonischen Befehls, und Aster, „Kriegsereignisse in und vor Dresden“ S. 333, 1. Absatz). Und das mußte angeordnet werden zu einem Zeitpunkte, in welchem Napoleon noch Herr von Dresden war; wie erst würde er haben verfahren müssen, wenn Dresden in den Besitz des Gegners übergegangen wäre?
- ↑ a und b besagten auch Meldungen der österreichischen Vortruppen-Kavallerie.
- ↑ Diese Nachricht über Napoleon war freilich schon vier Tage alt. Am 20. August mittags waren die Garden von Görlitz nach Lauban abgerückt.
- ↑ Es wird in der Lüdtkeschen Schrift S. 31–33 bezüglich der entstandenen Legende, man habe mit der Expedition auf Dresden die Eroberung der Stadt gewollt, das Für und Wider und der Fall besprochen, Napoleon wäre nicht oder wäre vor Dresden erschienen. Beizustimmen ist der dabei schließlich gemachten Angabe, daß eine feste Absicht oder ein Beschluß des Oberkommandos zur Eroberung Dresdens nach dem, was bisher bekannt geworden, nicht ausgesprochen war. Nachdem man vor dieser Stadt aber zu taktischen Anordnungen geschritten, können für die Beurteilung der letzteren nur die erlassenen Befehle ins Auge gefaßt werden, gleichgültig, ob diese zum Reichenbacher Programm passen oder nicht. Nur eine Bemerkung auf S. 32 möge eine kurze Erwiderung finden. Dort heißt es, die gelungene Besitznahme Dresdens angenommen: „Aber Napoleon wäre zurückgekommen und man wäre, wollte man Dresden nicht gleich wieder aufgeben, vor seinen Toren ohne die Mitwirkung der beiden anderen Armeen zu einer Schlacht gezwungen worden, die eben nicht im Programm der Verbündeten lag“. Am 27. August nahm man aber doch solche Schlacht an, nur vor den andern, den südlichen Toren Dresdens.
- ↑ Zutreffend bemerkt auch Lüdtke S. 31: „etwas Bestimmtes ward nicht ins Auge gefaßt“.
- ↑ Die 4 Uhr abends einzunehmende Aufstellung der Verbündeten war nach Aster, „Schilderung der Kriegsereignisse in und vor
Dresden“, S. 144/145 wie nachstehend angeordnet:
Für die Vortruppen:von Kolonne I „hinter dem Großen Garten, Seitenkolonne hinter Striesen und Blasewitz“, „ „ II „hinter Strehlen“, „ „ III „vorwärts zwischen Kaitz und Räcknitz“, „ „ IV „mit dem linken Flügel gegen Plauen“, Division Mezko „hinter Löbtau, Seitenkolonne gegen Schusterhäuser“. Kolonne I „rückt auf der großen Straße von Pirna nach Dresden vor“, „ II „besetzt Straße nach Maxen mit Tirailleurs“, „ III „besetzt die Straße von Dippoldiswalde“, „ IV „besetzt die Straße von Rabenau und die Brücke bei Löbtau (soll wohl Potschappel heißen), ein Detachement durch den Plauenschen Grund schickend“. Division Mezko „besetzt Straße von Freiberg nach Dresden, eine Seitenkolonne auf Straße von Brießnitz auf Dresden“.
- Alle Kolonnen erwarten weitere Befehle. (NB. aber wo?)
- Es war dies einer der unklarsten Befehle jener Zeit.
- ↑ Nach Lüdtke S. 37 heißt es: „hinreichende Streitkräfte“; der obige Wortlaut ist Friederich entnommen, I. Band, S. 180.
- ↑ Bei der Auslassung Alexanders „über bedeutende oder hinreichende“ Kräfte des gegenüberstehenden französischen Verteidigers, dessen minimalen Truppenbestand man doch kannte, vermag man die Empfindung nicht zu unterdrücken, als sei man über die Ziele der böhmischen Armee nicht recht klar geworden und habe unter dem Vorgeben des Manövrierens bestimmte Entschließung nur hinausschieben wollen. Alexanders wie Schwarzenbergs Brief vom 24. bzw. 25., zu manövrieren, zu rekognoszieren etc. erinnern so recht an den Clausewitzschen Ausspruch: „Wenn ein General nicht weiß, was er tun soll, unternimmt er eine Rekognoszierung“, er manövriert, aber ohne klare Ziele. Nicht minder bleibt charakteristisch ein Ausspruch Moltkes, entnommen seinen kriegsgeschichtlichen Arbeiten, „Der italienische Feldzug 1859“, herausgegeben vom Großen Generalstabe, kriegsgeschichtliche Abteilung I, S. 64, wo nach Schilderung des Gefechts von Montebello nachstehende allgemeine Bemerkung Platz gefunden: „Die sogenannten Rekognoszierungen spielen in der österreichischen Kriegführung zu allen Zeiten eine große Rolle. Man möchte behaupten, daß diese Art von Unternehmungen nur dann einen Nutzen haben könne, wenn man aus denselben unmittelbar zur Schlacht überzugehen vermag. Ergibt die Rekognoszierung die Verhältnisse ungünstig, so kann sie nicht schnell genug abgebrochen werden; zeigt sie hingegen eine vorteilhafte Sachlage, so muß diese auch sofort ausgenutzt werden, da sie sich in wenig Stunden vollkommen ändern kann“. Endlich möge noch das in Aster S. 154 erwähnte Erbieten Wittgensteins am Abend des 25. Platz finden. Dieser kam bei Barclay darum ein, daß er Dresden mit seinen ausgeruhten Truppen, wie ihm aussichtsvoll schien, in der kommenden Nacht überfallen und stürmen dürfe. Die Zustimmung dazu versagte Barclay mit dem Hinweise darauf, daß an diesem Tage nicht mehr angegriffen werden solle. Es wird die Auffassung Wittgensteins, der seit zwei Tagen schon im Kampfe mit den von ihm zurückgeworfenen Truppen St. Cyrs gewesen, die Dresdner Ostfront darnach beurteilen konnte und mit seinem Korps allein schon für die Stadteinnahme eintreten wollte, lediglich als ein Beleg dafür angeführt, daß solch Unternehmen, falls man eben Willen dazu hatte, dann besonders aussichtsvoll werden mußte, wenn man nicht bloß die Wittgensteinschen Truppen, sondern auch die Kleistschen und österreichischen vordersten Kolonnen rechtzeitig zum Vorgehen aufgeboten und zugleich die schon nahen Reserven herangezogen hätte, um Nachdruck für ein siegreiches Vordringen durch die Stadt zu erlangen.
- ↑ Nach Aster S. 158: „Angriffskolonnen“.
- ↑ Rechtzeitige Nachrichten über feindliche Truppenbewegungen auf den von Nordost auf Dresden führenden Straßen haben diese Detachements nicht gebracht.
- ↑ Die Disposition Schwarzenbergs ist in der Lüdtkeschen Schrift unvollständig angegeben. Für ihre Beurteilung ist aber völlige Wiedergabe nötig. Der Wortlaut hier ist nach Friederich, I. Band, S. 447/448) und nach Aster (S. 157 ff.) – beide in wesentlichen Punkten übereinstimmend – angeführt. Aster weicht nur von Friederich insofern ab, als nach ersterem auch für die I. und II. Kolonne das eventuelle Eindringen in die Vorstädte vorgeschrieben war, während nach Friederich dies nur für die III. Kolonne vorgesehen blieb. Nach Lüdtke S. 37/38 ist das eventuelle Eindringen in die Vorstädte sowohl der I. Kolonne als auch den gesamten österreichischen Kolonnen vorgeschrieben gewesen, den letzteren nur unter der seltsamen Bedingung „wenn das ohne Menschenverlust geschehen kann“. Es muß das befremden, denn ohne Kampf war doch ein Eindringen in die vom Gegner besetzten Vorstädte unausführbar. Wie soll also ein Eindringen ohne Menschenverlust erfolgen können? – Die einem kräftigen Willen nicht entsprungene, auf positive Resultate nicht lossteuernde Disposition ist in Aster S. 160 ff. einer eingehenden Betrachtung unterzogen.
- ↑ Der Weggang des Oberbefehlshabers aus der Position ist etwas, das heute als ausgeschlossen zu betrachten ist. War der Stabschef nicht bei Schwarzenberg, so mußte ersterer den Oberbefehlshaber suchen und finden, nicht umgekehrt. Erklärlich für das Verhalten Schwarzenbergs bleibt wohl nur die Annahme, daß er den Rückzugsbefehl entweder nicht hat geben oder verzögern wollen. Die Gründe sind bis heute unaufgeklärt.
- ↑ Seltsam klingt die Bemerkung in der Lüdtkeschen Schrift bezüglich der nach Bernhardi gemachten Angabe, über die Signalschüsse zum Gefechtswiederbeginne (S. 44): „Merkt denn Bernhardi Schwarzenbergs Kriegslist nicht?“ Worin hierbei eine Kriegslist des Oberbefehlshabers bestanden haben soll, ist unerfindlich.
- ↑ Das befehlsgemäß ausgeführte angriffsweise Vorgehen wird in der Lüdtkeschen Schrift als belanglos gar nicht erwähnt.
- ↑ Auch Napoleon war unsicher, ob die Verbündeten andern Morgens noch vor Dresden standhalten würden; seine Direktiven vom 26./27. August nachts lassen dies deutlich erkennen (Friederich Band I, S. 474; Aster S. 269).
- ↑ Nach Friederich, I. Band, S. 470.
- ↑ Nach Friederich I. Band S. 471.
- ↑ Vgl. Aster S. 268 unten.
- ↑ Über den Armeezustand siehe u. a.: Friederich, I. Band, S. 496 und Aster S. 122/123, 256 and 264.
- ↑ Wie sorgenvoll Fürst Schwarzenberg selbst neben dem Menschen- und Materialverluste die trostlose Verfassung namentlich der österreichischen Armee betrachtete, als sie mit dem größeren Teile ihrer Kolonnen – von Dippoldiswalde und Umgebung und noch dazu fast unbelästigt vom Gegner kommend – am 29. August in das Böhmer Tal hinabgestiegen war, geht daraus hervor, daß Schwarzenberg nach dem Eintreffen der Nachricht über Blüchers Sieg an der Katzbach noch in der Frühe des 30. August seinen Adjutanten, Fürst Wenzel Liechtenstein, in das Hauptquartier Blüchers mit dem Auftrage entsandte, dort die Lage und die drohenden Gefahren der böhmischen Armee darzustellen. Damit zugleich wurde eine Instruktion an Blücher übergeben, die ihn zu Hilfe rief und in ihrem Eingange – nach Friederich I. Band, S. 529 – wörtlich lautete: „Der Rückzug aus Sachsen nach Böhmen, zu welchem die Hauptarmee sich genötigt sah und der den 27., 28., 29. und 30. d. vollzogen wurde, macht mehr als jemals notwendig nicht nur ihre genaue Verbindung, selbst ihre Vereinigung, wenigstens mit der Hälfte und mit mehr, wenn es möglich ist, der schlesischen Armee, welche unter dem Befehle Sr. Exzellenz des Generals von Blücher steht“ usw.
- ↑ Befehl Napoleons für Marschall St. Cyr vom 29. August morgens 61/2 Uhr, ab Dresden. Vgl. Friederich I. Band, S. 511.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: letzeren