Wien; die Ferdinandsbrücke
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Auf der Dampfbootfahrt von Regensburg bis in die Nähe von Wien trägt die Donau, wenig Stellen ausgenommen, den Charakter des feierlichen Ernstes. Bald wälzt sich der Strom tobend durch ein düsteres Felsenthal; bald rauscht er zwischen Höhen, zwischen dichtbewaldeten Bergen dahin, an deren Abhängen Dörfer und Flecken sich ausbreiten, und von deren Gipfel alte Burgen und Trümmer, oder prächtige Schlösser und Abteien, wohlerhalten, herabschauen. Fast immer sind die Ufer malerisch; aber frei wird die Landschaft nur an wenigen Punkten, und noch seltner ergötzt eine weite Aussicht. Erst bei dem Städtchen Mautern, 2 Posten von Wien, verläßt die Donau die Gebirgsgegend ganz und tritt in die Ebene hinaus. Von da bis zur ungarischen Grenze fließt sie zwischen Inseln, sogenannten Auen, die sich auf der klaren, ausgebreiteten Wasserfläche zu wiegen scheinen. Gleichsam wie im Triumphe zieht der majestätische Strom durch das gesegnete Flachland. Das erste ferne Zeichen von der Nähe der Hauptstadt ist eine ungeheure Dunstwolke, welche sich über Wien ausbreitet, und die gemeinlich nichts weiter sehen läßt, als den Thurm St. Stephans. Wie ein Obelisk scheint dieser auf ihr zu ruhen, und stolz trägt er den Reichsadler, wie ein König seine Krone, auf dem erhabenen Haupte. Die meisten der Reisegesellschaft sehen in ihm, wie sich das von selbst versteht, nichts, als das willkommene und erfreuliche Zeichen vom Ziele ihrer Reise. Nur Einzelne lassen muthmaßen, daß der Anblick eine tiefere Bedeutung für sie habe und mächtige Empfindungen ihre Brust erschüttern. Man sieht’s ihnen an, daß sie einsam sich fühlen in dem lauten, gesprächigen, fröhlichen Kreise, sie schleichen sich weg aus der Menge, und auf die Ballustraden gestützt, oder an die Masten gelehnt, den Blick unverwandt auf den Stephansriesen geheftet, geben sie zu erkennen, daß sie etwas anderes beschäftige, als der Vorgeschmack der Freuden und Genüsse der nahen Hauptstadt. Diesen, den Menschen voll ewig unbefriedigter Wünsche und nie zu stillender Sehnsucht, wird freilich die ernste Betrachtung überall hin folgen, sie mögen an der Wolga wandern, oder am Ganges, an der Donau, oder in den Anden.
Wien – Oesterreich – Stabilität – Monarchie, und alle Gegensätze dieser Begriffe treten wie ein Heer vor ihre Seele; der Name: Wien hat wie ein elektrischer Schlag sie geweckt. Mir geht es nicht anders. Denke ich an Wien, so denke ich es unwillkürlich als den Ort, wo die Monarchie in ihrem blendendsten Glanze strahlt, wo die Autorität als eine Thatsache [106] auf dem Throne sitzt, ruhend auf sich selber, wie ein religiöser Glaube, nach dessem Ursprunge man mit meisternder Grübelei nicht fragen, sondern den man nehmen soll, wie er sich gibt und findet. Dort soll man nicht erörtern, ob die Macht von Gott gekommen, oder ob sie als Grundherrlichkeit erwachsen sey aus dem Boden. Genug, sie ist da, so legitim wie faktisch in ihrer Erscheinung, und unbestritten ging sie durch viele Jahrhunderte. Ihr Sollen zwingt durch seine moralische Nöthigung dort so vollkommen, wie das Müssen durch die physische. Eben so treu als blind, eben so gedankenlos als gern, unterwirft sich ein starkes Volk gleichsam im Naturinstinkt des Gehorsams. Es sieht im Kaiser nicht blos seinen Schirmherrn, der es gegen jegliche Gewalt und Ungebühr schützt; es sieht in ihm die Ursache von Allem, was im Staate gewirkt wird; es erkennt in ihm die Mutter der Macht, von der alle abgeleitete ein Ausfluß ist. Mithin anerkennt es auch im Kaiser die gesetzgebende Gewalt, die allein, ohne Hemmung durch den Einspruch der Untergebenen, alle Gesetze gründet. Bei solchen Präpositionen wird Alles Gewißheit, ist Nichts in Frage gestellt. Von Gottes Gnaden angeordnet, sieht der Kaiser nur Gott über sich und keine andere Schranke für seine Macht, als die Gesetze der Naturnothwendigkeit und das innere Pflichtgebot. Kein Untergeordnetes aber kann seine abgeleitete Autorität gegen ihre Quelle richten, keine sogenannte Volksvertretung im Antagonismus der Kräfte der Majestät eine Gränze zu setzen wagen.
Erhaben über alle Erörterung, der Diskussion unerreichbar, hat Oestreichs Regierung keinen Anlaß, um die Gunst der öffentlichen Meinung zu buhlen. In ihren Augen ist diese ein wesenloses Gespenst, das jeden Tag Formen und Farben wechselt, und der Geist der Zeit ein rabulistischer Geist des Widerspruchs, den sie niederhält entweder mit Gewalt, oder ihn straft mit Verachtung. Die Löwenzahn-Aussaat der Revolution ist dort noch ungeschehen. Constitution ist noch ein fremdes Wort; nach österreichischer Definition ist’s ein Bettlermantel, ein Erbe des Sanskülottismus zur Verunstaltung der Throne, gut, um den Aufruhr zu umhüllen und tumultarische Thätigkeit in das Gewand der Gesetzlichkeit zu kleiden. – In Oesterreich allein tritt der Begriff der Monarchie noch rein als wirkliche Erscheinung auf, und nicht zu läugnen ist es, im Vergleich zu unsern constitutionellen verliert sie nicht an ihrem Glanze. Das Bestreben der obersten Macht, alles Niedere um sich her in Friede, Liebe und Eintracht zu einigen, ist nicht zu verkennen, und wenn die patriarchalische Idee, daß in einem vollkommenen Staate alle Glieder, im Verbande mit ihrem, nur Gott verantwortlichen, Haupte ein ewig heiteres Reich des stillen Gottesfriedens bilden sollen, wo überall Wohlwollen ohne Selbstsucht herrscht, das strenge Recht zur liebreichen Schonung genöthigt erscheint, freiwilliger, gläubiger, ehrfurchtsvoller Gehorsam dem Machtgebote entgegenkommt, und ein Band der Gemeinschaft das Ganze also in Eintracht umschlingt, daß Alle sich wechselseitig schützen, beleben und glücklich machen, in der absolutistisch monarchischen Form zu unserer Zeit noch etwas Verführerisches haben könnte, so wäre es vielleicht durch ihre Erscheinung in Oesterreich. –
[107] Wer seinen Abscheu vor dem Despotismus aller Art und Form jederzeit bekannte, den Kampf mit demselben nie aufgegeben hat, und sich der Unfähigkeit bewußt ist, jemals in seiner Ueberzeugung zu wanken, wird nie zaudern, gerecht zu seyn, aus Furcht, mißverstanden zu werden. Unbedenklich lege ich das offene Bekenntniß ab, daß ich mit Achtung ein Volk betrachte, dem Religion, Kaiser, Vaterland, und historische Erinnerung Perlen auf dem Hausaltare sind, seine Stammgüter, sein Nationalheiligthum. Diesen Gütern, für deren Erhaltung es so heiß gekämpft, ist in gleichem Maße seine Liebe zugewendet; es hat sie mit allen ihren Kräften in’s Herz geschlossen. Es hängt mit Stolz an ihrer Vergangenheit, mit Treue an ihrer Gegenwart; und im ruhigen Genusse ihrer Früchte fühlt es sich wohl und glücklich. So sehen wir Oesterreichs Volksleben wie ein Familienleben sich entwickeln, gedeihen in ruhiger Häuslichkeit und durch ein stilles, genußreiches Vegetiren im Sonnenscheine langer Friedenszeit, allen Störungen der unruhigen, geistigen Triebe, allen Tumulten der Partheiungen und aller Härte der absoluten Gewalt entzogen. Im Besitze eines gesegneten Bodens, wächst ihm sein ganzer Bedarf und alle Formen seines Bestandes gewissermaßen von selbst, von innen zu. Aeußere Veranlassung fehlt Oesterreich ganz, neue Formen auszusinnen und sie, wie Pfropfreiser, seinem Lebensbaume aufzusetzen, damit der Säfte Trieb aufzufangen und an edleren Aesten edlere Früchte zu erzielen. – „Ich befinde mich wohl und zufrieden,“ sagt der Oesterreicher; „warum sollte ich es anders machen wollen, und anders wünschen?“
Welcher meiner Leser weiß die rechte Antwort? welcher wagt sie auszusprechen?
Die örtliche Beschreibung Wiens wird zweckmäßiger eine allgemeine Ansicht der Residenz begleiten, welche in diesem Werke später erscheint. – Ueber die Donau, welche sich bei Nußdorf, eine Stunde von Wien, in mehre Arme theilt, von welchen der Hauptarm der Stadt in halbstündiger Entfernung vorüberströmt, ein kleinerer aber die Metropole fast mitten durchfließt, führen mehre schöne, größtentheils neu entstandene Brücken. Bei weitem die prächtigste ist die Ferdinandsbrücke, ein Meisterstück der Wasserbaukunst, 1819 aus weiß-grauen Quadern errichtet. Sie ruht auf Rosten mit Landjochen und einem gewaltigen Mittelpfeiler, dessen Massivität mit der Leichtigkeit und Kühnheit der Bogenspannung auf das Angenehmste contrastirt. Diese Brücke unterhält die Kommunikation der sogenannten Leopoldstadt mit der Altstadt. Ihr Bau kostete 2 Jahre und mehr als eine halbe Million Gulden.