Textdaten
Autor: Johann Gottfried Herder
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vorrede.
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Dritte Sammlung)
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1787
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Gotha
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[(III)]
Vorrede.

„Sage mir, spricht Sokrates zu seinem geliebten Phädrus, wird ein verständiger Landmann wohl den Samen, der ihm werth ist und von dem er Früchte wünschet, mitten im Sommer in die Gärten des Adonis streuen und sich durch die Freude belohnt achten, wenn er ihn nach acht Tagen in schönem Grün siehet? Oder wenn er dies thut, wird er es nicht blos des Spiels und Festes wegen thun? da hingegen er seine eigentliche Saat nach aller Kunst [IV] des Ackerbaues in den Boden bringen wird, der für sie gehöret; zufrieden, wenn er nur in acht Monaten die Frucht seines Gesäeten erndtet.

Phädrus. Allerdings, Sokrates, wird es ihm im letzten Fall ein Ernst, im ersten ein Festgebrauch oder ein Spiel seyn, wie du sagest.

Sokrates. Sollte nun Der, der die Wissenschaft des Gerechten, Guten und Schönen hat, mit seinem Samen nicht so klug umzugehen wissen, als der Landmann mit dem Seinigen?

Phädrus. Nicht anders.

Sokrates. Er wird also nicht in vollem Ernst seinen besten Samen mit schwarzer [V] Tinte durch die Feder in Worten aussäen, da er diesen weiterhin mit seinem lebendigen Wort nicht beistehen und die Wahrheit in ihnen niemanden eindringend machen kann.

Phädrus. Wahrscheinlich nicht.

Sokrates. Gewiß nicht. Aber Gärten des Adonis wird er auch in Buchstaben, wie es anständig ist, der Uebung wegen pflanzen, und da er durch das was er schreibt, sowohl für sich als für jeden, der Einerlei Pfad mit ihm gehet, einen Schatz der Erinnerung wider die Vergessenheit des künftigen Alters sammlet, so wird er sich freuen, wenn er seine Pflanzungen zart hervorsprossen siehet. Wenn andre an andern Spielen sich ergötzen, wenn sie sich in Schmausereien und ähnliche [VI] Vergnügungen tauchen: so wird Er, statt dieser aller, mit Spielen die ich eben genannt habe, sein Leben hinbringen –

Phädrus. Ein schönes Spiel, o Sokrates, vor allen andern Spielen, wenn jemand durch Worte sich die Zeit zu kürzen vermag, indem er über Gerechtigkeit, Güte und Schönheit Einkleidungen dichtet.

Sokrates. Gewiß, mein lieber Phädrus, dem ist also. Noch schöner aber, dünkt mich, wird dieser Fleiß, wenn jemand durch die Kunst der Rede den Samen der Worte mit Verstand in den guten Boden einer Seele säet und pflanzet, die ihm zur Hand ist. Da kann denn dieser Same sowohl sich selbst als dem Säenden aufhelfen, und ist nicht [VII] ohne Frucht: denn auch Er hat Samen in sich. Aus Seelen in Seelen gepflanzt, sind Worte geschickt, unsterbliche Frucht zu tragen, und den, der sie besitzt, glücklich zu machen, sofern dies ein Sterblicher seyn kann.“


So dachte Plato, und ich wünschte diesen zerstreuten Blättern, daß sie nicht ganz als eine Saat am Feste des Adonis mit ihrem Sommer ersterben, sondern auch hie und da als die ernste Pflanzung eines armen Landmannes angesehen werden möchten. Der Verfasser derselben kann zwar seinen ausgesäeten Worten nicht nachhelfen: er streuet sie hin, wohin sie der Wind führte; indeß verlässet er sich darauf, daß sie, Einmal in die weite [VIII] Welt gesäet, wenigstens hie und da den Boden finden werden, von welchem Sokrates redet, und so wünschet er jedem Körnchen seinen Platz.

Das erste Stück dieser Sammlung heißt Bilder und Träume; und ich hätte ihm gern einen noch bescheidnern Namen geben mögen, wenn ich einen solchen gewußt hätte. Es sind Jugendbilder und Jugendträume, die, so wenig sie Gedichte seyn mögen, ihrem Verfasser den Namen eines Dichters zu erwerben auch ganz und gar nicht im Sinne haben. Sie wurden nicht zum Druck geschrieben, sind zum Theil zwanzig Jahre alt, dazu sehr nach der alten Weise, d.i. äußerst simpel. Von Jugend auf dünkte [IX] es mich, daß sich die Prose viel mehrern Schmuck des Wort- und Periodenbaues erlauben dürfe, als die Poesie; der Schmuck der letzten sei hohe Einfalt und eine äußerst wahre, tief-eingreifende Bildung der Gedanken, d. i. Dichtung. Ich bitte also auch diese Kleinigkeiten nicht als Kunstwerk höherer Art, sondern als alte Verse oder gar als Prose zu lesen. Es wäre mir lieb, wenn einige darunter der Musik angemessen wären: denn durch die Kunst der Töne wird eine abgemessene Sprache dieser Gattung erst lebendig. Auf den Wellen der Musik fortgetragen, träumen wir lebhafter und sanfter.

Das zweite Stück ist eine Abhandlung über Bild, Dichtung und Fabel. Die [X] Materialien derselben sind gleichfalls ziemlich alt: denn die Gedanken z. B. über die äsopische Fabel sollten schon im zweiten Theil der Fragmente über die neuere Deutsche Literatur, d. i. im Jahr 1767. erscheinen. Damals war diese Materie neu; und sie kann es noch seyn, da seit Leßing die Theorie der Fabel, so viel ich weiß, nicht weiter fortgeführt worden. Die nach ihm kamen, sind ihm entweder gefolgt; oder sie verließen ihn, ohne die Sache aufs Reine bringen zu wollen. So z. B. ist Sulzer in seinem Wörterbuch, was diesen Artikel betrift, den Schweizer- Kunstrichtern nachgegangen, ohne auf Leßings Einwendungen Rücksicht zu nehmen: andre haben Leßing [XI] getadelt, ohne der Theorie selbst ins Klare zu helfen; und doch ist für einen denkenden Geist nichts schöner, als eine reine Theorie, worüber es auch seyn möge. Es würde mich freuen, wenn ich diese befördert hätte; wer aber darüber urtheilen will, muß den Stand der Sache kennen, das ist, er muß außer den alten, auch die Schriften der Französischen und Deutschen Theoristen, insonderheit Breitingers, Bodmers, Leßings über diese Materie gelesen haben. Ein neugebohrnes Kind mag sprechen, worüber es will; nur über Sachen, die eine Geschichte menschlicher Gedanken voraussetzen, sollte es nicht sprechen wollen und sprechen dürfen. Der Abschnitt über die Dichtung ist seit der Zeit in [XII] einigen Heynischen Aufsätzen durch Belege der schönsten, d. i. der griechischen Mythologie sehr glücklich erläutert worden; daher bin ich in ihm nur kurz gewesen.

Das dritte Stück enthält Dichtungen aus der morgenländischen Sage, und über sie vorzüglich muß ich mich näher erklären. Jch bin zu ihnen gekommen, auf Wegen wo ich so etwas nicht suchte; meistentheils nämlich im Studium morgenländischer Sprachen, Sagen und Commentare. Hier war mir oft ein Bild, ein Gleichniß, eine Dichtung, das was jenem müden Propheten der Wachholderbaum in der Wüste war; an sich eine arme Geniste, die ihm indeß Schatten gab und ihn stärkte. Oder ohne Bild zu reden, [XIII] ich traf in den Sagen des Morgenlandes, so ungereimt sie manchmal schienen, oft so dichterische Jdeen an, die um eine bessere Ausbildung gleichsam fleheten, daß es mir schwer ward, sie nicht auszuzeichnen und in müßigen Minuten nach meiner Weise zu gestalten. Niemand also vermische diese Dichtungen mit den Erzählungen der Bibel; sie sind völlige Apokryphen, entweder alte Sagen mehrerer morgenländischen Völker, oder wenigstens aus Samenkörnern dieser Art entsprossene Gewächse. Jn ihrer Ausbildung gehören die meisten mir völlig zu; wenige nur sind, wie sie dastehen, ganz in der Tradition gegeben.[1] Alle andre aber stützen sich [XIV] ebenfalls, wie jeder Belesene es wissen wird, auf Sagen; und je mehr sie sich auf solche stützen, je ächter sie den Geist des Morgenlandes, der in solchen herrscht, auch in dieser Nachbildung hauchen, desto mehr erreichen sie ihre Wirkung. Man hört in ihnen sodann eine fortgesetzte Sage seiner Kindheit: die Dichtung schlingt sich an das, was man von Jugend auf lernte, indem sie den Schatten und Umriß berühmter Gegenden und Namen gleichsam nur ausmalet. Kind muß man also auch werden, wenn man diese Dichtungen, als morgenländische Fabeln oder Jdyllen, lieset; und da einige derselben bereits im Teutschen Merkur 1781. den Beifall von Personen erhalten haben, deren zwei oder [XV] drei mir statt Vieler sind; so bin ich über die jetzt hinzu gekommenen wenig verlegen. Sie sind aus eben denselben Quellen geschöpft und athmen den Geist Einer und derselben Weltgegend. Einige andere Stücke, die in eigentlicherem Verstande Fabeln oder Parabeln sind, erwarten eine leere Stelle in einem der folgenden Theile.

Das vierte Stück dieses Bandes ist eine Muthmaaßung über die prächtigen Alterthümer von Persepolis, der ich Beifall oder Berichtigung wünsche. Da die Eine Vorstellung, die ich hier zu enträthseln gewagt habe, aus mehreren Grabmählern wiederkommt und also offenbar ein angenommenes Bild der Perser-Mythologie gewesen: [XVI] so wird sie mir Gelegenheit geben, im nächsten Theil von den Gräbern der Könige zu reden und einige andre Denkmale der alten Welt, (wenigstens wünsche ich dies) zu erläutern.

Lebe also wohl, dritte Sammlung, und empfiehl dich deinen Lesern, so gut du kannst.

Weimar den 28. Aug. 1787.


  1. Z. B. die Kindheit Abrahams S. 239. Joseph und Julika S. 251. der Wanderstab des Propheten S. 291. u. a.