Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung/Dreyzehntes Buch

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Dreyzehntes Buch.
Denkungsart der Griechen über Geschlechtsverbindung und Liebe, bis zu den Zeiten des Untergangs ihrer Freyheit.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Den Griechen sind wir einen großen Theil unserer Begriffe über den Gegenstand schuldig, mit dem ich mich hier beschäftige, und selbst da, wo wir von ihrer Denkungsart abgewichen sind, wird sie uns dennoch zu kennen wichtig, weil die Denkmähler ihrer Sitten fortwährend zur Bildung unsers Geschmacks dienen. Ich werde um so eher mit diesem Volke den Anfang meiner Untersuchungen über die Geschichte der Geschlechtsverbindungen und Liebe machen dürfen, da wir, wenn ich die Juden ausnehme, von ihren Ideen über diese Materie die frühesten Nachrichten haben.

[14] Vielleicht hätte ich über diese Juden etwas sagen sollen, besonders da die Art, wie ihre Moralisten das Weib und die Ehe schildern, auf unsere Denkungsart Einfluß gehabt haben kann. Aber dieser Einfluß hat sich sehr spät geäußert, als die christliche Religion auf die Begriffe des Abendlandes über die Verhältnisse beider Geschlechter unter einander einzuwirken anfing, und der Judaismus sich bereits dergestalt mit ihr vereinigt hatte, daß wir ihm keine eigenthümliche Gestalt, die unsern Sitten zum Vorbilde gedient haben konnte, beylegen mögen. Vorher steht er mit den Ideen der Griechen und Römer in keiner Verbindung, und er ist bloß als eine Nebenquelle zu betrachten, die sich in den großen Strom unserer Meinungen späterhin ergossen, und darin verloren hat. Ich glaube daher, daß hier, so wie überhaupt, der Gang unserer sittlichen Kultur am bequemsten verfolgt werden könne, wenn wir von den Griechen ausgehen. Ihren Ideen lassen sich einige Bemerkungen über die Denkungsart anderer Völker anreihen, die an Ausbildung hinter ihnen gestanden haben, oder noch stehen, um die Höhe, welche sie erreicht haben, besser zu beurtheilen.


Zweytes Kapitel.
Roheste Denkungsart einiger Völker über Liebe und Geschlechtsverbindung: Das Weib ist Sklavin, wird mit Härte und Erniedrigung behandelt.

Es ist kein Volk so roh, unter dem sich nicht die Empfindung der Liebe in derjenigen Bedeutung finden sollte, die ich davon festgesetzt habe. Der Nomade, [15] der den Fremdling mit Freundlichkeit bey sich aufnimmt, ihn beherbergt und bewirthet, kennt uneigennütziges Wohlwollen gegen andere Menschen. Der noch rohere Wilde, der nur dem Mitbewohner seines Vaterlandes Menschenrechte einräumt, hängt sich an den Waffenbruder, an den Jagdgenossen, vertheidigt und rächt ihn mit Aufopferung seiner Ruhe und seines Lebens: Er kennt zärtliche Anhänglichkeit! Und so sind Gastfreyheit und Freundschaft Formen, unter denen das wonnevolle und thätige Bestreben andern Menschen uneigennützig wohlzuthun, mithin wahre Liebe, sich überall ankündigt und äußert.

Aber Geschlechtsliebe, besonders von Seiten des Mannes, setzt die Anerkennung des Menschenwerths in dem Weibe zum voraus, die wir bey Völkern auf der untersten Stufe der geselligen Kultur nicht annehmen dürfen. Bey diesen[WS 1] machen selbstische Triebe nach Befriedigung der Geschlechtssympathie das Band zwischen Mann und Weib aus, und dasjenige, was hier Geschlechtsliebe genannt wird, ist entweder ein vorübergehendes heftiges Verlangen, oder ein anhaltendes leidenschaftliches Bestreben nach dem Besitz einer bestimmten Person.

Der Grund, warum diese Bestrebungen mit Liebe verwechselt werden, bestätigt den Begriff, den ich von der letztern gegeben habe. Jeder Gegenstand einer heftigen Begierde versetzt uns auf eine Zeitlang in einen Zustand von Abhängigkeit von ihm. Dadurch wird nicht allein der Wunsch seiner mit unserm Wohl genau verbundenen Erhaltung erweckt, sondern auch die Anerkennung einer gewissen Selbständigkeit in ihm gegründet. Denn während daß wir bald entbehren, [16] bald besitzen, aber zu verlieren fürchten, bald Andere mit uns nach dem nehmlichen Gegenstande streben sehen, entstehen Gefühle einer Widerstandsfähigkeit und eines innern Werthes in dem begehrten Wesen. Der begehrende oder verliebte Mann, wenn er gleich noch so eigennützig strebt, wird schonend, schmeichelnd, wohlthuend, um das Weib, das sein Verlangen auf sich zieht, zu gewinnen. Er opfert Vieles von seiner Ruhe und Bequemlichkeit auf, um Freude zu genießen, die er einsam nicht einnehmen kann. So ähneln die Triebe der gröbsten Geschlechtssympathie, wenn sie in einem gewissen Grade von Stärke und Dauer empfunden werden, der Geschlechtsliebe in ihren Folgen. Aber mit einer solchen Liebe zum Weibe besteht die härteste, erniedrigendste, und zerstörendste Behandlung desselben, sobald es nach gestillter Leidenschaft wieder in seine gewöhnlichen Verhältnisse gegen den Mann zurückgetreten ist. Unpassend ist es daher, von einer Geschlechtsliebe unter Völkern zu reden, die noch nicht dahin gekommen sind, dem Weibe Menschenwerth beyzulegen. Die Geschichte dieser Liebe kann bis dahin nur die Geschichte der allmähligen Verfeinerung der Selbstheit seyn, die auf dem Wege der Geschlechtssympathie ihre Befriedigung sucht. Es liegt außer meinem Zwecke, sie ausführlich zu behandeln; aber ganz übergehen darf ich sie nicht. Ich muß einige Züge daraus hervorheben, um meine Leser beurtheilen zu lassen, wie nahe die Griechen dem Begriffe wahrer Geschlechtsliebe gekommen waren.

Die Geschichte der Empfindungen, welche beyde Geschlechter sich einander einflößen, steht im genauesten Zusammenhange mit der Ausbildung ihrer Lagen gegen [17] einander in ihren bürgerlichen und geselligen Verhältnissen. Wenn ihre ursprünglich physischen und moralischen Anlagen diese zwar überall ungefähr auf gleiche Art bestimmen, so werden sie doch durch Klima, Beschäftigung, Wohlstand, Religion, Staatsverfassung, u. s. w. besonders modificiert. Ueberall ist freylich der Mann die stärkere, das Weib die schwächere, ihm untergeordnete Art der gemeinschaftlichen Gattung: aber hier betrachtet der Abendländer das zärtere Geschlecht anders, als dort der Morgenländer: hier der Christ anders, als dort der Anbeter eines Fetisches: hier der Unterthan eines Monarchen anders, als dort der Republikaner: Und wieder werden Armuth und Reichthum, eine herumschweifende oder ruhigere Lebensart des Mannes auf seine Begriffe über den Werth und die Behandlungsart der andern Hälfte seiner Gattung den größten Einfluß haben.

Laßt uns zuerst die rohesten Verhältnisse des Mannes zum Weibe, die unterste Stufe der Geschlechtssympathie aufsuchen! Ist es wahr, daß es Wilde giebt, unter denen eine völlige Gemeinschaft der Weiber Statt findet, und die mit wild umherschweifender Begierde nach körperlichem Genuß das Werkzeug ihrer Lüste augenblicklich aufsuchen, und augenblicklich wieder verlassen? Ist es wahr, was Roußeau behauptet, [1] daß der Wilde keine Vorliebe zu einer bestimmten Person, keine Eifersucht, keine Häuslichkeit kennt, und daß jedes Weib ihm gleich gilt? Ich gestehe, daß ich mich nicht davon überzeugen kann!

[18] Keine einzige glaubwürdige Nachricht schildert uns den Zustand eines Volks, das den Zweck des Weibes bloß auf sinnliche Lust beschränkt, und die Vortheile einer dauernden Verbindung mit ihm ganz verkannt hätte. Bey dem Mangel solcher zuverlässigen Nachrichten müssen wir nach Analogie derjenigen Erfahrungen urtheilen, die wir über Thiere machen, und diese mit demjenigen zusammen halten, was wir an uns selbst für Ueberbleibsel unserer rohern Natur ansehen können.

Ich kenne kein Thier, das nicht eine gewisse Vorliebe zu einem andern Individuum seiner Gattung, ja! seines Geschlechts zeigte. Aufseher über große Zuchtheerden können als Zeugen für die Behauptung auftreten, daß die männlichen Individuen sich zu dem einen oder dem andern Weibchen ihrer Gattung vorzüglich halten, und durch ihren unvermutheten Anblick nach einiger Trennung gerührt werden. Ja! wem kann es entgangen seyn, daß selbst unter Thieren von einerley Geschlecht, unter Männchen, unter Weibchen, ein gewisser Zug von Freundschaft wirke, vermöge dessen sie sich lieber zu dem einen Subjekte als zu dem andern gesellen?

Weiter: es giebt gewisse Thierarten, die sich förmlich paaren, andere, unter denen das Männchen wenigstens einen kleineren Haufen von Weibchen um sich her versammelt, und diesen von der Gemeinschaft mit andern Männchen absondert. Nirgends eine wild umherschweifende Begierde, und nirgends eine völlige Gleichgültigkeit gegen Theilung des Genusses des Weibchens mit andern männlichen Individuen bey den Thieren!

[19] Laßt uns sehen, wie sich die Geschlechtssympathie bey dem Kinde äußert! Neben den undeutlichen Begierden der Lüsternheit empfindet es den deutlichen Hang nach Häuslichkeit, nach Zusammenseyn, nach Absonderung von andern Männern mit dem weiblichen Gegenstande seiner Anhänglichkeit. Es fühlt Eifersucht: es will den ausschließlichen Besitz der Person, die seine Begierden auf sich gezogen hat. Erfahrungen dieser Art kann man an Kindern in so frühen Jahren machen, daß gewiß an keine überlieferten Ideen, die auf das junge Herz gewirkt haben könnten, zu denken ist.

Unter denjenigen Nazionen, bey denen die Polygamie Sitte ist, hängt sich der Besitzer eines weitläuftigen Harems doch gewöhnlich nur an eine Beyschläferin. Unter uns werden die entschiedentsten Wollüstlinge, die es sich zum Grundsatze gemacht haben, der Venus Pandemos allein zu opfern, sehr oft wider ihren Willen in den engern Kreis der Anhänglichkeit an ein einziges Weib zurückgetrieben. Ja! ich behaupte es dreist, daß es keinen Wüstling giebt, der völlig unempfindlich gegen das Bild des häuslichen Zusammenlebens sey, und der es nicht als eine Zugabe zu dem Vergnügen, dem er einzig nachzustreben glaubt, betrachten sollte, wenn der Gegenstand seiner Begierden ihm neben dem Besitz seiner körperlichen Reitze auch den seines Herzens einräumt.

Warum wollen wir nach allen diesen Erfahrungen die ursprüngliche Natur des Menschen noch unter den Instinkt hinab setzen, den wir bereits an Thieren bemerken, und der, Trotz aller Ausartung luxuriöser Völker und Menschen, immer wieder hervorbricht? [20] Unstreitig gehört selbst bey den rohesten Nazionen der Trieb nach dem dauernden Besitze eines bestimmten Weibes mit zu den Gründen, warum der Mann der Vereinigung mit einer Person von verschiedenem Geschlechte nachstrebt. Auswahl, Vorliebe, Ausschließung anderer Männer vom Mitgenuß, Eifersucht, Zusammenleben auf eine Zeitlang, sind davon unzertrennliche Folgen. – Aber, wirft man ein, wie kann Auswahl, Vorliebe, Eifersucht, u. s. w. Statt finden, wo keine Schönheit und Verdienst anerkannt werden? Ich antworte: ästhetische Schönheit, moralisches Verdienst, liegen freylich über der Sphäre des Wilden. Aber es entgeht ihm nicht, daß ein Körper vor dem andern seine Lüsternheit stärker erweckt, und wollüstiger befriedigt: daß ein Charakter sich besser als der andere zu ihm paßt, und sich enger mit dem seinigen vereinigt.

So zeigt sich denn die Geschlechtssympathie bereits in ihrer rohesten Gestalt als den Inbegriff mehrerer[WS 2] Triebe, von denen einige freylich auf sinnlichen Genuß, andere aber zugleich auf Aneignung eines bestimmten Weibes zur Gründung einer engeren, dauernderen Verbindung gerichtet sind. Diese Triebe nach dem Besitz der Person des Weibes sind aber noch weit von Liebe und zärtlicher Anhänglichkeit entfernt. Der gröbste Eigennutz liegt dabey zum Grunde. Rechnet die Fälle ab, worin der Mann durch Hindernisse zur Leidenschaft entflammt, und dadurch abhängiger von dem Weibe wird; und er erscheint in allen übrigen wie sein Beherrscher, wie sein Tyrann. Er behandelt das schwächere Wesen seiner Gattung im Uebermuth seiner Stärke nicht viel besser, als das Lastvieh. [21] Er läßt sich von ihm bedienen, pflegen, nutzt es als Mittel des Erwerbes und als ein unentbehrliches Werkzeug, seine Sinnlichkeit zu befriedigen, und sich zugleich eine Nachkommenschaft zu erwecken, die er wieder zu seiner Unterhaltung und zu seinem Gewinne bestimmt glaubt. Das ist die Lage des weicheren Geschlechts gegen das stärkere unter Menschen, deren grober Eigennutz weder durch feinere Sinnlichkeit noch durch Vernunft gemildert ist, und die sich der Geschlechtssympathie nur bedienen, um die Wege zur Befriedigung ihrer Selbstheit zu vermehren.

Bey einigen Völkern, besonders bey solchen, unter denen das heiße Klima, oder ein außerordentlicher Schmutz die dem schwächeren Geschlechte eigenthümlichen Unpäßlichkeiten stärker und schädlicher macht, erwacht sehr leicht die Idee einer Unvollkommenheit und Gefährlichkeit des Weibes, die einen physischen Ekel und einen religiösen Abscheu begründet. Man glaubt von der Natur selbst berechtigt zu seyn, ein Geschöpf, das sich von dem Manne durch Mängel auszeichnet, zu verachten, und sieht es wohl gar als verdienstlich an, ein Wesen, das die Götter geächtet, und zum Uebelthun und Leiden bestimmt haben, zu mißhandeln. Die Erstlinge des unnennbaren Genusses, welche ähnliche Erscheinungen mit denen der periodischen Unpäßlichkeiten an dem Weibe hervorbringen, werden als unrein verschmähet, und die unbefleckte Unschuld vor der Ehe, weit entfernt ein Vorzug zu seyn, wird vielmehr als ein noch nicht gehobener Fehler betrachtet. Demungeachtet gehört das Weib in der Ehe ausschließlich dem Manne. Bey keinem Volke in der Welt ist der Ehebruch jemahls als etwas Gleichgültiges betrachtet [22] worden. Wenn der Mann sein Weib zuweilen verhandelt, es Fremden oder Gastfreunden umsonst darbietet; so liegen dabey Eigennutz, Eitelkeit, oder Ideen von Pflicht zum Grunde. Der Ehemann disponiert über sein Eigenthum, es ist kein Diebstahl von Seiten des Buhlen, es ist kein Bruch der Hörigkeit von Seiten des Weibes.

Der Werth der unbefleckten Unschuld und der ehelichen Treue nimmt zu, wenn die Familien sich bey ihren Heyrathen nicht mehr auf ihre Mitglieder einschränken: wenn der Mann von einem Stamme nicht mehr das Weib von einem andern raubt, sondern dieß dem Hausvater abverdient, oder abkauft. Nunmehro will der Käufer sein Geld nicht für dasjenige ausgeben, was umsonst zu haben gewesen ist: er verlangt sinnliche Beweise der bewahrten Keuschheit. Der Werth der theuer erworbenen Gattin steigt in seinen Augen, und der Bruch der ehelichen Treue wird nicht mehr so leicht vergütet.

Inzwischen vermehret dieß zugleich den Uebermuth des Mannes: die gekaufte Frau wird völlig seine Sklavin. Er verkauft sie, wenn sein Vortheil es erheischt; er bestimmt über ihre Gunstbezeugungen, er verstößt sie, oder macht sie zur Aufwärterin anderer Beyschläferinnen, die ihm reitzender scheinen. Der Zustand der Gattinnen ist härter oder milder, je nachdem der Unterhalt der Familie allein von dem Manne besorgt werden muß, oder mit Hülfe der Frauen erworben, oder ganz allein von ihr gesucht werden kann. Der Mann wird nicht verfehlen, ihr alle diejenige Last aufzubürden, deren er sich nur immer entledigen kann, ohne zu verhungern.

[23]
Drittes Kapitel.
Zweyte Stufe der Kultur: das Weib erhält Familienrechte, aber eingekerkert im Hause, wird es nur mit schonender Verzärtelung daheim behandelt, und verschwindet in der örtlichen Gesellschaft.

Alles das gilt nur vom Allgemeinen. Ausnahmen finden sich allerwärts. Stärke der Lüsternheit, Harmlosigkeit und Trägheit auf Seiten des Mannes: körperliche Reitze, Kälte des Bluts, Gewandheit des Geistes auf Seiten des Weibes, sichern diesem zuweilen die Oberherrschaft in einzelnen Familien, und da, wo dieser Charakter an beyden Geschlechtern allgemeiner ist, unter ganzen Völkerschaften.

Zuweilen wirkt der Aberglaube zum Besten der Weiber. Eben diejenigen Unvollkommenheiten, die ihnen bey einigen Völkerschaften Ekel, Abscheu und Verfolgung zuziehn, erwecken bey andern Ideen von Schonung, und sogar von Heiligkeit. Das Wesen, das dort von der Natur verwahrlost, und von den Göttern geächtet schien, wird hier als ein Mahl übernatürlicher Kräfte, als ein der Gottheit geweihetes Werkzeug betrachtet. Die Erstlinge des unnennbaren Genusses gehören den Göttern oder ihren Priestern: ja! das Weib selbst wird Priesterin und Vorhersagerin der Zukunft, – ein Schritt weiter, und man vertrauet seinen Händen den Zepter an!

In diesem bessern Verhältnisse stehen die Weiber zu den Männern bey einigen Völkern bereits im hohen Alterthume. Im Fortschritte der Zeiten nimmt die gesellige Kultur bey allen zu. Das Schicksal der [24] Tochter ist dem reicheren Vater auch in einem fremden Hause nicht mehr gleichgültig. Er macht Bedingungen über die Art, wie sie von ihrem Gatten behandelt werden soll, ehe er sie ihm abtritt, und giebt diesen Verträgen Kraft durch den Brautschatz, den er ihr mitgiebt, und den er zurück verlangt, wenn die Gattin verstoßen wird. Reiche Erbinnen erlangen ein noch höheres Ansehn in dem Hause, dessen Wohlstand sie gründen oder vermehren. Nun steigt die Gattin zu einer Herrin über die Sklavinnen, keinem weiter unterthan als dem Manne, der sie mit Schonung behandeln muß. Der physische Ekel, der religiöse Abscheu vor den periodischen Unpäßlichkeiten des schwächern Geschlechts verliert sich bey einer nähern Kenntniß der Natur: die Erstlinge des unnennbaren Genusses erhalten einen unmittelbaren, mit der Sittsamkeit in näherem Verhältnisse stehenden Werth, und werden als eine Kostbarkeit durch Gaben vergütet, oder den Göttern, den Priestern, und den Vornehmen als Erstlinge der besten Habe geopfert.

Auf dieser Stufe der Kultur wird die Gattin erst Genossin des Mannes in seinen häuslichen Verhältnissen. Aber ihre Selbständigkeit wird noch nicht anerkannt. Sie ist um des Mannes willen nicht um ihrer selbst willen da: sie ist nicht Mitglied der größern Gesellschaft, nicht des Staats, nicht des Reichs vernünftiger Wesen, sondern nur der Familie. Kurz! Sie genießt nicht Bürger- und nicht Gesellschafts-Rechte.

Inzwischen theilen sich die Sitten der Völker, bey denen die Gattinnen Familienrechte erhalten haben, in zwey Hauptweisen ab. Nach der einen wird das Weib zwar mit Schonung, wohl gar mit Verzärtelung [25] behandelt, aber eingeschlossen, und ganz eigentlich auf eine Existenz im Innersten des Hauses, mithin auch auf eine sehr geringe Wirksamkeit in demselben beschränkt. Nach der andern ist die Gattin nicht eingeschlossen, sondern nur durch das Gesetz, durch die Sitte, und durch die Aufsicht der Männer an häusliche Eingezogenheit gebunden. Sie kann öffentlich erscheinen, sobald die häuslichen Geschäfte, oder besondere Feyerlichkeiten es fordern, und wird dadurch fähig, nicht bloß ein pensioniertes Mitglied der Familie, sondern Matrone, örtlich geachtete Hausfrau zu werden.

Jene Weise, die Weiber einzuschließen, ist besonders den orientalischen Völkern, den Türken, den Persern, den Mauren und Sinesen eigen. Ich werde etwas über die Lage des zärteren Geschlechts unter diesen Völkern sagen müssen, weil man sehr oft behauptet hat, daß sie derjenigen ähnlich sey, worin es sich bey den Griechen befand. Eine Behauptung, die mir ungegründet zu seyn scheint. Die Weiber[WS 3] haben bey den Griechen einen Grad von Ansehn und Freyheit genossen, zu dem sie bey den genannten Völkern des Orients nie gelangen können.

Ich folge am liebsten den Nachrichten, die uns Russel von der Lage der türkischen Weiber zu Aleppo geliefert hat. [2] Sie sind gewiß die zuverlässigsten, da der Mann als Arzt lange Jahre hindurch das Vertrauen der Einwohner der dortigen Stadt erworben, und sich den Zugang zu den Harems durch seine Kunst eröffnet hatte. Er war folglich im Stande, genaue Beobachtungen anzustellen.

[26] Außerdem schildert er uns die neuesten Sitten einer Stadt, die sich durch Wohlstand, Handel und Verkehr mit Fremden auszeichnet. Man darf also annehmen, daß ihre Rohheit und Strenge schon um ein Großes gemildert sind, und daß sie in dieser Rücksicht vortheilhaft von den Sitten der tiefer zurückliegenden Orientaler abweichen. Endlich hat sich der Verfasser bemühet, die türkische Behandlungsart der Weiber in dem günstigsten Lichte erscheinen zu lassen. Zeigt sich folglich demungeachtet, daß die Bewohnerinnen von Aleppo an Ansehn und Freyheit noch weit unter den Weibern des alten Griechenlands stehen; so wird es wohl keinen Zweifel leiden, daß beyde nicht nach einem Maßstabe beurtheilt werden dürfen.

Der Harem ist bey den Türken der innere, nach einem eingeschlossenen Hofe zu liegende Theil des Hauses, zu dem keine Mannsperson, außer dem Herrn und Gatten, den Zugang hat. Nur der Arzt, wenn er gerufen wird, macht darunter eine Ausnahme. Hier wohnen die Gattinnen, die Beyschläferinnen, und die weiblichen Sklaven. Jede Frau hat ihre Wohnung für sich mit ihren Kindern und Aufwärterinnen.

Der Divan ist ein gemeinschaftlicher Versammlungsplatz. Der Mann sieht gewöhnlich jede seiner Frauen allein. Nur zuweilen überrascht er sie bey ihrer Versammlung im Divan. In den größern Harems warten ihm die weiblichen Sklaven auf: in den kleineren seine Weiber und Töchter. Wenn die versammelten Weiber vor seiner Ankunft auch noch so geschwätzig und lärmend gewesen sind, so erfolgt doch nach seinem Eintritt ein ehrfurchtvolles Stillschweigen. Sie stehen vor ihm auf, und bleiben in ihrer Stellung bis er [27] ihnen befiehlt, sich zu setzen. Dann gehen sie wieder an ihre Arbeit, und die jüngern wagen es nicht, zu reden. Nie ißt der Mann mit seinen Weibern, nie ist er bey den Gesellschaften, welche diese bey sich versammeln, zugegen. Nur wenige Stunden des Tages bringt er in dem Harem zu, und diese sind für die Weiber Stunden des Zwanges.

Es ist Grundsatz bey den Türken, ein hohes, zurückhaltendes, ernstes Wesen gegen ihre Weiber anzunehmen. Sie sind oft gegen Männer von niedrigem Stande gefälliger, als gegen ihre Gattinnen. Der Knabe wird von Jugend auf daran gewöhnt, sich gegen die Weiber herrisch zu benehmen, und sich sogar gegen die Schwester auf diese Art zu betragen, wenn sie ihm noch so zärtlich zugethan ist. Die Damen aus den höheren Ständen begegnen ihren Männern mit Zurückhaltung. Man sieht dieß gegenseitige Betragen als ein Mittel an, dem Manne Ruhe und Oberherrschaft in seinem Harem zu sichern.

Die Weiber fliehen durchaus den Anblick eines jeden Mannes, außer dem Gatten, und lassen sich selbst von dem Arzte nie ohne Noth sehen. Die Stirn enthüllen sie nie vor ihm; nach dem sechzehnten Jahre wird selbst dem Sohne der Eintritt in den Harem nicht weiter gestattet.

Die Beschäftigungen der Frauen beschränken sich auf die Oberaufsicht über ihren innern kleinen Haushalt, auf die Sorge für ihre Kinder, auf die Verfertigung weiblicher Handarbeiten, auf Spiele und auf Putz. Sie gehen nie in die öffentlichen Andachtshäuser. Aber sie besuchen andere Weiber von ihrer Bekanntschaft, die öffentlichen Bäder, die Gräber und die Gärten. [28] In allen Fällen, wo sie sich außer Hause zeigen, sind sie immer stark verschleiert, und werden von Sklavinnen begleitet.

Der Bräutigam giebt dem Schwiegervater eine Summe Goldes: erhält aber dagegen eine andere zurück, um dafür seiner Frau eine Aussteuer zu kaufen. Viele Türken heyrathen Sklavinnen, weil sie sich vor der Abhängigkeit fürchten, in die sie durch Verbindung mit den Töchtern vornehmer Eltern kommen könnten. Diese machen es oft zur Bedingung, daß der Ehemann keine Beyschläferin annehmen soll.

Der Gatte sieht die künftige Ehefrau nicht eher, als bis er ganz in ihrem Besitz ist. Russel behauptet demungeachtet, daß dieser Umstand den engeren Verbindungen der Herzen kein[WS 4] Hinderniß in den Weg lege. „Die Türken“, sagt er, „werden selten in ihren Erwartungen betrogen, weil sie nicht berechtigt sind, welche zu machen. Im Ganzen scheuen sie sich zwar vor aller leidenschaftlichen Anhänglichkeit, und verachten die Künste der Galanterie: es ist den Weibern auch nicht schimpflich, von ihren Männern verlassen zu werden. Demungeachtet bemerkt man zuweilen an den jungen Ehemännern eine ungewöhnliche Sorgfalt für ihre Kleidung, und eine Verfeinerung der Sitten, die auf den Wunsch, ihren Weibern zu gefallen, schließen läßt; so wie auf der andern Seite die verlassenen Weiber durch die Abnahme ihrer Gesundheit den innern Kummer, der sie verzehret, offenbaren.“

Inzwischen gesteht er ein, daß dieß nur als Ausnahme anzusehen sey, und daß im Ganzen das Weib, an die Unbeständigkeit des Mannes gewöhnt, sich nur vorübergehender Aufwallungen des Zorns und des [29] Schmerzes überlasse, sich aber bald tröste, wenn es nur übrigens schicklich behandelt würde. Die Mütter, welche ihre Liebe ganz auf ihre Kinder wendeten, wären die glücklichsten, und fänden zugleich in ihr einen Grund, das gute Vernehmen mit dem Vater möglichst zu bewahren.

Eine Zeitlang nach der Hochzeit, erzählt uns Russel weiter, hält sich der junge Türke nur an seine Gattin, und erst wenn er älter und Herr seines Vermögens wird, legt er sich mehrere Weiber zu. Ob es gleich Grundsatz ist, das Vergnügen in der Abwechselung zu suchen, so bleibt doch Mancher auf Lebenslang an einem Gegenstand gefesselt, der ihm, wenn er gleich durch Sinnlichkeit zu vorübergehenden Ausschweifungen hingerissen wird, immer wieder zurückruft, und oft mehr durch sein Benehmen, als durch die Macht seiner körperlichen Reitze fesselt.

Die erste Gattin ist gewöhnlich auch die erste im Range unter den Bewohnerinnen des Harems, und genießt einer gewissen Achtung von allen übrigen. Wohnen mehrere Familien zusammen, so hat die Frau des Vaters, oder nach ihrem Tode die des ältern Bruders den Vorsitz. Sie hat eine große Macht in dem Harem, und nutzt diese, um Unordnungen und Zwisten vorzubeugen.

Russel erklärt sich durchaus dagegen, daß die eheliche Treue durch heimliche Intriguen oft gebrochen werde. Er behauptet aber auch, daß nicht bloß die äußern Hindernisse, sondern früh eingeprägte Sittsamkeit das zärtere Geschlecht vor Ausschweifungen bewahren. Er versucht es auf alle Art, uns zu überreden, daß das Glück ehelicher Verbindungen nicht geringer [30] in der Türkey als bey uns sey. „Die Gattinnen“, sagt er, „werden mit einer Schonung behandelt, in die sich oft Zärtlichkeit mischt. So wie sich die Familie vergrößert, nimmt die mütterliche Fürsorge immer an Werth zu. Der Türke, der gewöhnlich zärtlicher Vater ist, schätzt und liebt die häuslichen Tugenden, von denen seine eigene Ruhe und das Wohl seiner Kinder abhängt. Wo die Zuneigung aufhört, da tritt Gewohnheit an ihre Stelle. Die Liebe zum Frieden, und die Armuth halten den größten Theil der Männer ab, mehrere Weiber zu nehmen, oder, mit Vernachlässigung aller Schonung für die ersten Frauen, sich einer neuen Neigung zu überlassen. Sie werden im Alter von ihren Männern geehrt, und finden eine Stütze an ihren Kindern.“

Dieß ist das Bild, das uns Russel von den türkischen Frauen liefert. So sehr er sich bemüht, es in ein vortheilhaftes Licht zu setzen, so erscheint es doch als das Bild von Halbmenschen, die zum sinnlichen Genusse, zur Unterhaltung, zum Prunk und zum Kinderzeugen, für die Männer erschaffen sind. Ihr Glück ist das Glück eines Blödsinnigen, den man gut hält, dem man es an nichts fehlen läßt, was zu seiner Erhaltung, Pflege, und Zerstreuung dienen kann, dem man aber durchaus keine solche Freiheit gestattet, woraus das Gefühl der Selbstbestimmung und einer mit unsern Kräften im Verhältnisse stehenden Thätigkeit entspringt. Die angesehenste Frau ist immer nur Herrin in ihrem Harem, nicht Herrin des ganzen Hauses, nicht Vorsteherin des Haushalts. Von der Idee der Einschließung läßt sich die Idee des Eigenthums und der selbstischen Beziehung des eingeschlossenen [31] Weibes auf den Mann gar nicht trennen, wenn dieser auch mit wahrer Zuneigung und Leidenschaft an einer seiner Gattinnen hängen sollte.

Schonung, Verzärtelung, Dankbarkeit, Gefühl desjenigen, was ihm seine Beyschläferin, die Mutter und Pflegerin seiner Kinder, werth sey, kann in seinem Betragen liegen, nicht aber Achtung.

Unter Völkern, bey denen diese Sitte herrscht, kann folglich Geschlechtsliebe weiter nichts heißen, als leidenschaftliches Bestreben nach dem Besitze der Person des Weibes. Dieser Besitz wird nicht sowohl dem Herzen, als den äußern Verhältnissen abgewonnen. – Das Buhlen um Gegengunst kann nur ein Ankörnen zur gänzlichen Hingebung bedeuten, wodurch der Despot sein Vergnügen zu erhöhen sucht, und wozu er Sinnlichkeit und Eitelkeit als Mittel nutzt. Zärtlichkeit, Freundschaft, ober liebende Leidenschaft, in dem Sinne, wie diese Wörter oft in diesem Werke erklärt sind, können nach der ganzen Lage, worin die beyden Geschlechter zu einander stehen, wenigstens nicht als gewöhnlich angenommen werden.

[32]
Viertes Kapitel.
Dritte Stufe der Kultur. Das Weib wird zur Matrone, zur Hausfrau, und zum Mitgliede der örtlichen Gesellschaft: es genießt derjenigen Achtung, welche die treue Ausfüllung eines, von dem Manne vorgeschriebenen Zwecks einflößt.

Meiner Meinung nach stand die Gattin zu den Zeiten Homers bereits auf der Stufe der Matrone, der örtlich geachteten Hausfrau. Mithin stand sie schon damals über der Sklavin, und über dem eingeschlossenen Familienmitgliede. Sie genoß einiger Menschenrechte, und hing mit der örtlichen Gesellschaft durch eine gewisse Wirksamkeit außer Hause, obgleich mittelbar durch den Mann, zusammen.

Der Thalamus, der Theil des Hauses, worin das Frauenzimmer wohnte, war kein Harem, kein Gefängniß, worin die Gattin, abgesondert von der Gesellschaft ihres Gatten, ihr Leben zwischen ihren Nebenbuhlerinnen hätte zubringen müssen. Sie war nicht bloß Genossin des Bettes des Hausherrn, sie war zugleich Genossin seines Tisches, und theilte mit ihm alle Familienverhältnisse des Hauses. Nur Eine durch rechtmäßige Ehe mit dem Manne verbundene Gattin finden wir bey den eigentlichen Argivern. Schon dadurch zeichnet sich das Weib beym Homer scharf von den heutigen Morgenländerinnen ab.

Noch weit mehr aber unterscheidet sich ihr Zustand durch die Wirksamkeit, die den Weibern außer Hause vom Homer eingeräumt wird. Sie nehmen an feyerlichen Opfern Theil, und halten Prozessionen. Sie [33] sind Priesterinnen der Gottheit, und der Aberglaube, der durch ihren Mund die Zukunft verkündigen läßt, vermehrt die Schätzung, die sie genießen. Sie tragen zur Feyer festlicher Tage durch Tänze bey; Chöre von Mädchen ziehen ihre Reigen neben Chören von Jünglingen: ja, man findet ein Bild auf dem Schilde des Achilles, wo beyde mit verschlungenen Armen tanzen. Geschäfte, die zur Wirthschaft gehören, und Neugierde rufen sie auf die Straßen. Sie nehmen in ihrem Hause an der Bewirthung der Gastfreunde unmittelbaren Antheil durch persönliche Dienstreichung. Sie sind bey Gastmählern zugegen, kaufen selbst ihren Schmuck von fremden Handelsleuten ein, und erscheinen sogar vor der Versammlung der Aeltesten im Volke.

Die Gattin genießt nicht bloß des öffentlichen Schutzes, sie erhält auch einen gewissen Grad öffentlicher Werthschätzung und Achtung. Sie wird nicht bloß die Gebieterin in ihrem Hause genannt; Homer bezeichnet sie auch durch die Nahmen der Geehrten, der Geachteten. Diese sichern ihr schöne Züge der Sittsamkeit und sogar der edelsten Aufopferung für den Gatten, die der Dichter uns überliefert hat, und die zum Theil den unverkennbaren Charakter freyer Selbstbestimmung an sich tragen. So das Betragen der Penelope. Man findet Spuren der engsten Anschließung der Gatten an die Person ihrer Weiber, die zuweilen mit Affekten des uneigennützigsten Wohlwollens gemischt sind. So die Rede Hektors an Andromache. Man kannte eine höhere Sinnlichkeit als die bloß körperliche. Das Kosen und trauliche Zusammenleben mit der Gattin, [34] und die Eintracht der Herzen gehörten mit zum Begriff des häuslichen Glücks.

Besonders merkwürdig ist der Umstand, daß Homer nicht nur einzelne Weiber sich im Kriege durch Heldenmuth auszeichnen, sondern auch einige an der Länderregierung Antheil nehmen läßt. Ein Beweis, daß er die Weiber einer Veredlung nach den damahligen Begriffen von Vollkommenheit fähig hielt, die höher ging, als diejenige war, wozu sie ihrer gewöhnlichen Erziehung nach ausgebildet wurden.

Neben diesen und andern Spuren einer Kultur der Begriffe über das Verhältniß der beyden Geschlechter zu einander, die ungefähr so weit reicht, als es irgend eine Nation unter den alten gebracht hat, zeigen sich andere, die auf eine große Rohheit schließen lassen. Dahin gehören die Heyrathen unter den Mitgliedern einer Familie, und besonders das Abkaufen und Abverdienen der Töchter, welche die Helden zu Gattinnen wählten. Selbst die heldenmüthigen Unternehmungen der Freyer, den Schwiegereltern Rinder zu erbeuten, oder sie von ihren Feinden zu befreyen, und dafür die Töchter zum Lohne zu erhalten, deuten mehr auf eine Aehnlichkeit mit den Sitten der Kamtschadalen, als mit denen der Ritterzeiten hin, wenn gleich diese letzten eine ähnliche Entstehungsart gehabt haben können. Zwar ward oft ein Heyrathsgut mitgegeben, aber dieß scheint nur eine Ausnahme gewesen zu seyn. Aus Wahl, aus Neigung wurden die Ehen der Regel nach nicht geschlossen, und die Braut kam oft zugleich in die erste Bekanntschaft und in den Besitz des Bräutigams. Selbst die Söhne hatten das Recht, ihre Mütter wieder zu verheyrathen, und nur der gute [35] Sohn fragte ihren Geschmack dabey um Rath. Ueberhaupt hing die Frau hauptsächlich durch ihren Mann mit der größern Gesellschaft zusammen, und die Wittwe scheint ein trauriges Loos genossen zu haben. Der Ehebruch ward gewiß verabscheuet, und Treue der Gattinnen ward sehr hoch geachtet. Die Veranlassung zum trojanischen Kriege, der Raub der Helena, beweiset nichts für die Gleichgültigkeit gegen die Befleckung des Ehebetts. Der Raub war eine Nationalbeleidigung, und der Ersatz der Beute gehörte mit zur Büßung des Frevels. Auch würde die Vergütung an Gelde für die Beschimpfung des Ehebettes, die aus der Mythe von den Umarmungen der Aphrodite und des Ares wahrscheinlich wird, gegen die Denkungsart der damahligen Zeit nichts erweisen. Aber der Mann war zur Treue gegen seine Gattin nicht einmahl durch die gute Sitte gebunden. Selbst die edelsten, und ihren Frauen ergebensten Männer legten sich Beyschläferinnen bey, und enthielten sich ihrer nur zuweilen aus Liebe zum Hausfrieden.

Weiter: Wenn die Weiber gleich nicht eingeschlossen waren, so war doch ihre Freiheit durch Sitten und Oberaufsicht des Mannes und seiner Agenten äußerst beschränkt. Die Art, wie sie sich außer Hause zeigten, deutet bey weiten nicht auf die Vorstellung hin, daß das Frauenzimmer sich selbst zur Sittsamkeit bestimme, und sich selbst vor Gefahren der Versuchung allein bewahren könne. Es ging verschleyert, und nicht leicht ohne Begleitung von Sklaven. Der Ton, den Gatten gegen ihre Gattinnen, und Söhne gegen ihre Mütter annahmen, bleibt, wenn man gleich Vieles auf die Simplicität des Zeitalters abrechnet, immer herrisch, [36] und verräth nicht bloß den Beschützer, den Rathgeber, sondern den Oberherrn und Aufseher.

Nimmt man diese Bemerkungen zusammen, so bleibt das Weib nach der Homerischen Darstellung über der eingeschlossenen Morgenländerin stehen. Denn diese ist des Gebrauchs des schätzbarsten Guts des Menschen, seiner Selbstbestimmung zur Erfüllung eines gewissen Zwecks ganz beraubt. Sie muß dem Manne zum Werkzeuge der Befriedigung seiner Geschlechtssympathie dienen, weil er sie durch äußere Vorrichtungen dazu zwingt. Fühlt sie sich auch im Stande, diesen Zweck durch Widerspenstigkeit in dem engen Bezirke ihres Harems zu hindern; so kann ihr doch die Entäußerung dieser Gewalt, zu der sie von Jugend auf angezogen wird, und wozu sie durch die empfindlichsten Strafen angehalten werden kann, zu keinem Verdienste angerechnet werden. Die Morgenländerin ist daher nur in sehr eingeschränkter Maße ein gutes Mitglied der Familie aus eigener Wahl. Sie ist gar nicht Mitglied der örtlichen Gesellschaft, weil sie außer Hause keine Art der Wirksamkeit äußert, und die Gesetze und die öffentliche Meinung ihr bloß denjenigen Schutz angedeihen lassen, den sie jedem andern Stücke des Eigenthums eines Mannes gewähren. Auf örtliche Achtung hat sie also gar keinen Anspruch.

Die Griechin beym Homer genießt dagegen unstreitig einige Rechte eines vernünftigen Wesens und eines Mitgliedes der größern Gesellschaft. Sie bestimmt sich selbst unter Aufsicht des Mannes zur Erfüllung des Zwecks, ihrem Hauswesen vorzustehen. Sie hat mehr Gelegenheit, diesen Zweck zu hindern, und ihn in hervorstechender Maße zu erfüllen. Sie ist also eines [37] größern Verdienstes als Genossin des Hauses fähig. Sie hängt aber auch mit der größern Gesellschaft näher zusammen, weil sie durch eine gewisse Wirksamkeit, die sich über die Grenzen ihres Hauses hinaus erstreckt, dem Publiko interessanter wird. Die Achtung, deren sie sich als Hausfrau würdig macht, befördert die allgemeine Sittlichkeit, so wie die Verachtung, die sie sich zuzieht, diese beleidigt.

Demungeachtet steht die Griechin noch weit unter der Stufe, zu der das zärtere Geschlecht in Gemäßheit seiner Anlagen gehoben werden kann, und wirklich bey uns gehoben ist. Homer fühlt nicht, daß das Weib sich in seinem Urtheile über Pflicht, Bestimmung, Glück und Selbstzufriedenheit, selbst ordnen müsse: daß es ein Recht habe, seine Kräfte in Gemäßheit seiner zärteren Natur möglichst auszubilden, und sich dadurch, und durch das Bewußtseyn seiner freyesten Wirksamkeit glücklich zu fühlen: daß die Pflichten, die es gegen den Mann als Hausmutter hat, nur Verhältnisse, Bedingungen sind, um zu seinem selbsteigenen Zwecke, als Mensch, zu gelangen, nicht aber letzter Zweck: daß endlich das Weib als Mitglied und Führerin geselliger Zusammenkünfte einen unmittelbaren Antheil an der größern Gesellschaft nehmen könne. Nein! das Weib ist ihm ein Aggregat des Mannes: ein Mittel zu dem Zwecke, dem der Mann ihm vorschreibt, und den er nach seinen eigenen Bedürfnissen bestimmt. Die kinderlose Wittwe, die unverheyrathete Waise muß ihm daher in dem großen Plane der Schöpfung und der Gesellschaft als ein ziemlich unnützes Glied erscheinen.

[38] Hieraus lassen sich ungefähr die Begriffe der damahligen Zeit über Geschlechtsliebe und engere Verbindungen überhaupt zwischen beyden Geschlechtern bestimmen.

Der Mann konnte noch immer in der Frau keine völlige Selbständigkeit, keine Gleichheit ihrer Natur mit der seinigen, folglich auch keine Vereinigung derselben anerkennen. Dasjenige, was man gewöhnlich Freundschaft zum Weibe nennt, und was ich Geschlechtszärtlichkeit genannt habe, fand also der Regel nach nicht Statt.

Geschlechtsliebe heißt beym Homer noch immer leidenschaftliches Streben nach dem Besitze der Person. Weil aber die Zuneigung, welche das freyere Weib dem Manne schenkt, und die Treue, die es ihm bey mehrerer Gelegenheit zum Betruge bewahrt, die Einräumung und Erhaltung jenes Besitzes kostbarer machen; so ist höchst wahrscheinlich die Gegengunst des Weibes der Mittelzweck jenes leidenschaftlichen Bestrebens gewesen. Geschlechtsliebe kann also hier für leidenschaftliches Streben nach Einwilligung des Weibes in den Besitz seiner Person und dessen Bewahrung angenommen werden. Bey mehrerer Freiheit und Wirksamkeit des Weibes lassen sich auch mehrere Verbindungspunkte für die Liebenden, und ein erhöheter Antheil an ihrem gemeinschaftlichen Wohl voraussetzen. Der Mann hat für die Gattin zwar nicht diejenige Achtung hegen können, welche ein Mensch einflößt, der sich selbst seinen Zweck bestimmt; aber er hat diejenige für sie empfinden mögen, welche die treue Ausfüllung eines gegebenen Zwecks mit sich führt. Und diese Achtung ist dem Weibe nicht bloß von dem Gatten, sondern auch von der örtlichen Gesellschaft gezollt worden.

[39]
Fünftes Kapitel.
Begriffe der Griechen über Geschlechtsverbindung und Liebe von Homer an, bis zu den Zeiten des Untergangs ihrer Freiheit.

Es fehlen mir hinreichende Nachrichten, um etwas Zuverlässiges über das Verhältniß der beyden Geschlechter gegen einander, und über die davon abhängenden Begriffe von Geschlechtssympathie und Liebe in den verschiedenen griechischen Staaten und Pflanzstädten, außer Athen, zu sagen. Dieser Mangel zeigt sich am stärksten in dem Zeitraume vom Homer an bis zu Alexander dem Großen. Wir haben nur wenige Schriftsteller aus dieser Zeit übrig behalten, die nicht Athenienser gewesen wären, und die Sitten dieser ihrer Vaterstadt vorzüglich vor Augen gehabt hätten. Ich kann mich aber über die Lücke, die ich hier lassen muß, um so eher trösten, da die Denkungsart der übrigen Griechen, außer Athen, auf die nachfolgenden Zeiten wenigen Einfluß gehabt zu haben scheint.

Ein Paar Bemerkungen über den angezeigten Gegenstand will ich mir dennoch erlauben.

Die Begriffe über das Verhältniß des Mannes zum Weibe scheinen ungefähr die nehmlichen geblieben zu seyn, die ich aus dem Homer entwickelt habe. Die Frau war der Regel nach Matrone, örtlich geachtete Hausfrau – – Besorgung der Wirthschaft, Erziehung der Kinder, Pflege und Unterhaltung des Mannes, scheinen ihre hauptsächliche Bestimmung gewesen zu seyn. Nirgends ist sie eingeschlossen gewesen: aber in den mehrsten Staaten haben die Sitten sie an eine große [40] Eingezogenheit gewöhnt. Völlige Menschenrechte, völlige Rechte eines Mitglieds der größern Gesellschaft, hat man ihr wahrscheinlich nirgends eingeräumt. Das stärkere Geschlecht ist immer als Zweck des Daseyns des zärteren angesehen, und als mittleres Glied, wodurch das letzte an der größern Gesellschaft gehangen hat.

Es läßt sich aber voraussetzen, daß diese Begriffe in verschiedenen Staaten verschiedene Modificationen erlitten haben. In Macedonien besaßen die Königinnen einen Grad von Ansehn und Macht, der gewiß nicht ohne Einfluß auf den Zustand der Weiber unter ihren Unterthanen geblieben seyn wird. Die Argiverinnen genossen, nach dem Zeugnisse des Plutarch, [3] einer ausgezeichneten Achtung bey ihren Männern wegen der Heldenthaten, wodurch sie sich unter Anführung der Dichterin Telesilla im Kriege gegen die Spartaner um die Befreyung ihres Vaterlandes verdient gemacht hatten. Die Cyanischen Weiber zeichneten sich, nach dem Zeugnisse eben dieses Schriftstellers, durch eine freye Wahl ihrer Gatten, und durch die Treue aus, mit der sie ihnen anhingen, ein Verhältniß, das ihnen nothwendig höhere Achtung gesichert haben muß. In Großgriechenland erkannte man in den Weibern eine besondere Anlage zur Philosophie und zu den Wissenschaften an: die pythagoräische Schule, die daselbst einheimisch war, hat mehrere gelehrte Frauen aufzuweisen. [4] In Korinth, auf den Inseln des Archipelagus, und in den griechischen Kolonien in Kleinasien legten sie sich mehr auf angenehme Talente, und [41] erwarben sich dadurch einen Werth, der uns noch heut zu Tage die Nahmen der Sappho, Corinna, und anderer interessant macht. Doch! wie gesagt! hier bleibt überall ein Feld zur weitern Nachlese und Bearbeitung übrig. Ich eile bloß darum darüber weg, weil es zu meinem Zwecke nur unwichtige Früchte eintragen kann.

Der interessanteste Gegenstand einer künftigen Untersuchung würde unstreitig der Zustand der spartanischen Weiber seyn. Mich dünkt, die Nachrichten, die uns darüber aufbewahret sind, bedürfen einer nähern Kritik. Sie scheinen sich zu widersprechen, wenn man gleich die Verschiedenheit der Zeiten mit in Anschlag bringt. Vor allen Dingen würde aber wohl die Behauptung näher zu prüfen seyn: daß die Spartanerinnen einer besondern Achtung und Freiheit genossen hätten. Mir scheint gerade das Gegentheil an.

Die jungen Spartanerinnen wurden ganz so erzogen, als ob man sie zu Männern hätte umschaffen wollen. Sie wurden mit Knaben und Jünglingen zu Leibesübungen angeleitet, man suchte ihre Schamhaftigkeit zu unterdrücken, und ihnen dagegen einen prunkenden Trotz gegen die Pflichten des Anstandes, so wie gegen Leiden und Schmerzen einzuflößen. So lauten die Nachrichten, die ich einstweilen für richtig annehmen will. Aber welches war nun der Zweck dieser Erziehung, wodurch die Spartanerin ihr eigenes Geschlecht verließ, und ein anderes annahm? Vielleicht, um mit den Männern in den Krieg zu ziehen: oder daheim die Beschäftigungen des stärkern Geschlechts, den Ackerbau, u. s. w. zu besorgen? Nein! Von beyden [42] waren sie ausgeschlossen. Nach der männlichen Erziehung, die sie als Mädchen genossen hatten, mußten sie als Gattinnen sich der Wollenfabrikation widmen. [5] Also war der Zweck dieser Einrichtung kein anderer, als der, den Spartanerinnen eine Weichlichkeit zu nehmen, womit sie ihre Männer hätten anstecken können. Kann man sich einen deutlichern Ausdruck der Geringschätzung des zärtern Geschlechts denken, als diesen? Ist es möglich, die Selbständigkeit des Weibes mehr zu vernichten, als wenn man ihm den Anspruch auf eine ihm eigenthümliche Vortrefflichkeit raubt, ohne ihm den Anspruch auf eine Vortrefflichkeit von anderer Art zu sichern? Geht der Geist der Gesetze des Lykurg nicht offenbar dahin: daß das Weib als ein zum Kinderzeugen unentbehrliches Werkzeug zwar nicht aus der Republik verbannt werden könne, aber doch seiner fehlerhaften Natur wegen aufhören müsse, das zu seyn, was es ist, um ein moralisch gelähmtes Neutrum abzugeben? Wie war so alles dabey auf das Glück des Mannes berechnet, und das Wohl des Weibes so ganz dabey vergessen! Es erhielt nur das Gefühl einer ihm fremden Kraft, um das Gefühl einer beständigen Kraftlosigkeit stärker in ihm zu gründen. Denn nie konnte es ganz Mann werden, und es hatte doch aufgehört, Weib zu seyn! Es war außerhalb Hauses ein Mittelgeschöpf zwischen dem Heloten, (dem Sklaven,) und dem Manne; daheim aber ohne häusliche Rechte, Freuden, Thätigkeit!

Der Mann liebte den Jüngling, mußte ihn lieben nach den Gesetzen. Also war das Weib weiter nichts, [43] als ein unschädlich gemachtes Werkzeug, die Sinnlichkeit zu befriedigen, und Nachkommenschaft zu gewinnen. Die Gattin stand weit unter dem Range einer Matrone bey andern Völkern.

Ich führe zum Beweise dieser Behauptung nicht den Umstand an, daß die Bande der Ehe durch eine Art von Gemeinschaft der Weiber beynahe aufgelöst gewesen seyn sollen. Ist diese Nachricht wahr, so hat unmöglich der Ehebruch in Sparta eine unerhörte Sache vor dem peloponnesischen Kriege seyn können. Es kann auch in der Armuth allein kein hinreichender Grund liegen, um bey solchen Gesetzen Reinheit der Sitten in diesem Stücke aufrecht zu erhalten. Es liegt in der Natur des Menschen, folglich auch des Weibes, der Wunsch, das Gefühl seiner Kraft und seiner Wichtigkeit zu genießen. Kein Gesetzgeber kann dem Weibe die Macht nehmen, die ihm das Verlangen von Seiten des Mannes über diesen sichert, und es wird mit seinen Reitzen um so mehr und um so gröber zu wuchern suchen, je mehr man ihm alle andere Gelegenheit nimmt, seinen Platz neben dem Manne zu behaupten, und sich selbständig wirksam zu fühlen. Die wirthschaftliche Vorsteherin eines Hauses ist nicht bloß darum keuscher als das unthätige Mädchen, weil sie mehr beschäftigt ist, sondern auch darum, weil sie ein größeres Gefühl von ihrer Wichtigkeit hat, und dieß weniger durch die Begierden, die sie den Männern einflößt, zu erwecken sucht.

Aus diesen Gründen kann ich der Spartanerin nicht mehrere Selbständigkeit einräumen, als den übrigen Griechinnen, ja! ich muß behaupten, daß sie in jedem Betrachte noch unter ihnen gestanden haben.

[44] Sollten die Beyspiele weiblicher Tugenden, die uns Plutarch überliefert hat, für die allgemeine Denkungsart der früheren Zeiten einen Beweis abgeben können; so würden die Weiber in ganz Griechenland nur in so fern einen Anspruch auf ausgezeichnete Achtung gehabt haben, als sie sich unmittelbar durch männliche Tugenden um ihr Vaterland verdient gemacht, oder eine vordringende Stärke des Charakters gezeigt hätten. Denn unter allen Beyspielen tugendhafter Weiber, die er anführt, ist Stratonica, die ihrem geliebten Gemahl eine Beyschläferin beylegt, um ihre Unfruchtbarkeit zu ersetzen, die einzige, die einen Adel der Seele von der duldenden Art verräth. Alle übrigen zeichnen sich durch muthvolle Unternehmungen zum Besten ihres Vaterlandes, und durch Verachtung des Lebens aus. Diesemnach würden die eigenthümlichen Vorzüge des Weibes zwar in Werth gehalten, aber nicht hochgeachtet seyn, und dieser Umstand würde bey der seltenern Gelegenheit, die sich dem Weibe darbietet, als Mann zu handeln, einen neuen Grund abgeben, auf die Verkennung ihrer Selbständigkeit in Gemäßheit ihres Geschlechts zu schließen.

Ehe die Idee nicht gegründet ist, daß das Weib ein selbständiger Mensch, so gut wie der Mann, ist, eben so gut, wie er, seinen Zweck in sich hat, eben so gut wie er, vortrefflich und vollkommen in seiner Art seyn kann, je mehr es sich diesem seinem Zwecke nähert; eher kann keine liebende Vereinigung der Naturen zwischen ihm und dem Manne, mithin keine Geschlechtszärtlichkeit, und wahrhaft liebende Leidenschaft allgemein anerkannt werden. Und beydes, ich darf es dreist sagen, ist von den Griechen in ihren [45] Verhältnissen zwischen solchen Personen, die den äußern Kennzeichen nach Mann und Weib waren der Regel nach nicht anerkannt worden: Es ist keine herrschende Idee bey ihnen gewesen, daß der Mann mit Zärtlichkeit, (d. h. mit Freundschaft,) an der Gattin hängen könnte.

Sie kannten allerdings Geschlechtszärtlichkeit, aber zwischen Männern: zwischen solchen Personen, die ihrem innern Charakter nach allerdings zu verschiedenen Geschlechtern gehörten, aber nicht für Gatte und Gattin nach äußern Kennzeichen gelten konnten. Hierüber in der Folge mehr.

Was der Mann für das Weib empfand, war eigennütziges, augenblickliches Verlangen, oder vorübergehende Aufwallung der Liebe, oder persönliche Ergebenheit, Genossenschaft, die, je nachdem sich mehr oder weniger liebende Affekte einmischten, mehr oder weniger liebend war. Aber jenes Streben des Mannes, seiner Geliebten die freyeste Wirksamkeit der ihr eigenthümlichen Kräfte, die vollständigste Befriedigung der ihr eigenthümlichen Neigungen zu sichern, und nur in einem Genusse des Lebens mit ihr zusammen zu treffen, sie zu sich und zu seinen Verhältnissen heraufzuheben, oder, wo dieß ihre Natur nicht zuläßt, sich zu ihr und ihren Verhältnissen hinabzustellen; – dieß lag nicht in der Denkungsart der Griechen. Der Mann blieb, wenn er auch noch so liebend, und die Verbindung mit der Gattin noch so eng war, immer der gunstgeflissene Patron, sie die treue, zugeeignete Klientin. Wir finden in der alten Fabel und Geschichte viele Beyspiele der Aufopferung, sowohl von Seiten des Mannes als des Weibes, die auf Leidenschaft schließen [46] lassen. Aber nur auf eine Leidenschaft, die dem Besitze der Person nachringt, und wobey der Leidenschaftliche entweder, um diesen zu erhalten, Ruhe und Leben hingiebt, oder in der Verzweiflung an der nachgestrebten Vereinigung gegen sein einsames Daseyn wüthet. Kein einziges Beyspiel vermag ich zu finden, worin der Mann, um die Geliebte zu beglücken, ihren Besitz aufgegeben, und sich der Trennung von ihr, oder gar dem Tode gewidmet hätte. [6] Diese Aufopferung für das Glück des geliebten Gegenstandes ist aber der einzige sichere Charakter einer liebenden Leidenschaft; nicht die Aufopferung eines Wohls und Lebens, das wir einzeln hinziehen müßten, und das uns gleichgültig wird, weil wir mit dem geliebten Gegenstande nicht vereinigt leben können. Denn Beyspiele einer leidenschaftlichen Aufopferung dieser letztern Art liefern die eigennützigsten Triebe. Sie kann mit der grausamsten Behandlung des geliebten Gegenstandes bestehen. Ehrgeitzige, geldgierige Menschen können sich nach dem Verlust ihrer Ehre und ihres Vermögens ermorden, und der rohe Neger, der die Gefahr ahnet, daß ihm seine Geliebte entrissen werde, ist im Stande, sich mit ihr ins Meer zu stürzen, oder ihr den Stahl in die Brust zu stoßen, den er nachher gegen sich selbst kehrt.

Es ist möglich, daß einzelne Verbindungen den Charakter wahrer Zärtlichkeit angenommen haben. [47] Allein daß diese Erfahrung häufig gemacht, anerkannt und geschätzt sey, das muß ich so lange läugnen, bis mir ein Beyspiel aufgewiesen wird, worin ein Dichter oder Historiograph, der das Publikum mit seinen Darstellungen zu interessieren suchte, einen Gatten geschildert hat, der sein Wohl aufopferte, um das Wohl der Gattin, als eines selbständigen Wesens, zu befördern. Man zeige mir eine Idee davon, daß der Mann seine Begierden unterdrückt habe, um die Gewissensruhe des Weibes zu schonen; oder daß er seine Mühe darauf verwandt habe, Herz und Geist seiner Gattin zu ihrem eigenen Genusse zu bilden; oder daß er in den Tod gegangen sey, ein Weib im Leben zu erhalten, das sich seinem Nebenbuhler ergeben hatte. Ideen, die uns geläufig sind, und den Griechen in der Liebe zu den Lieblingen nicht fremd waren!

Die Geschlechtssympathie hat sich in dieser Zeit sehr verfeinert, selbst in den Verhältnissen zwischen dem Gatten und der Gattin. Durch die immer mehr überhand nehmenden Mißbräuche der Verbindungen zwischen Personen, die äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht gehörten, hat die Lüsternheit eine gewisse Mäßigung im Genusse, und eine Vervielfältigung der Liebkosungen gelernt, die zur Dauer und Mannigfaltigkeit der körperlichen Lust beygetragen haben. [7] Durch Ausbildung des Gefühlvermögens überhaupt hat man immer mehr gelernt, aus den Empfindungen, die Sinne und Herz darboten, alles [48] heraus zu ziehen, was wirklich darin lag, und was die Einbildungskraft hinein legen konnte. Man hat immer mehr gelernt, den Ausdruck dieser Empfindungen zu vervielfältigen, und durch beydes, und durch die Talente der edleren Unterhaltung, das trauliche Kosen unter den Verbündeten interessanter für den Geist zu machen. So erscheint die Geschlechtssympathie beym Anakreon. Es hat sogar Fälle geben müssen, worin ausgezeichnete Personen unter beyden Geschlechtern den leidenschaftlich Begehrenden bis zur Begeisterung haben hinreißen können. So erscheint die Geschlechtssympathie bey der Sappho. Unter den Freudenmädchen in Korinth und Kleinasien dürften mehrere eine gleiche Wirkung auf ihre Anbeter hervorgebracht haben.





  1. Sur l’origine de l’inegalité. P. 1. gegen das Ende.
  2. The natural History of Aleppo, by Alex. Russel. The second Edition by Pal. Russel.
  3. Von den Tugenden der Weiber.
  4. Wolfii Catalogus feminarum olim illustrium.
  5. Plato de Legg. L. VII. p. 806.
  6. Man sehe die Reihe von Begebenheiten nach, die der Liebe ihre Entstehung verdanken, und die Parthenius Nicensis aus ältern Schriftstellern, die zum Theil aus dieser Zeit waren, gezogen, unter dem Titel: de amatoriis affectionibus zusammengestellt hat. Keine einzige läßt auf wahre Liebe schließen.
  7. Was ich damit sagen will, drückt ein Vers beym Theokrit, Idylle 3. 20. Edit. Harles. sehr gut aus: Inest et in osculis inanibus dulcis voluptas.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dieser (siehe Verbesserungen)
  2. Vorlage: unserer (siehe Verbesserungen)
  3. Vorlage: Die Weiber aber (siehe Verbesserungen)
  4. Vorlage: keine (siehe Verbesserungen)