Ueber B. Bauer’s Posaune des juengsten Gerichts

Textdaten
Autor: Max Stirner
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Titel: Ueber B. Bauer's Posaune des juengsten Gerichts
Untertitel:
aus: Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen auf die Kritik seines Werkes: „Der Einzige und sein Eigenthum“ aus den Jahren 1842—1848. S. 11-25
Herausgeber: John Henry Mackay
Auflage: Zweite, durchgesehene und sehr vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: BERNHARD ZACK’S VERLAG
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[11]
UEBER B. BAUER'S
POSAUNE DES JUENGSTEN GERICHTS


Was soll sich nicht Alles mit einander vertragen, ausgleichen, versöhnen! An dieser Verträglichkeit und Milde haben wir lange genug gelitten, haben uns bis zum Ueberdruß eingebildet, daß wir im Innersten so uneinig gar nicht wären und uns nur zu verständigen brauchten, und haben die edle Zeit mit unnützen Einigungsversuchen und Concordaten verbracht. Aber der Fanatiker hat Recht: „wie verträgt sich Belial und Christus?“ Keinen Augenblick ließ der fromme Eiferer nach im rüstigen Kampfe gegen den gewitterschwangeren Geist der neuen Zeit, und kannte kein anderes Ziel, als seine „Ausrottung“. Wie der Kaiser des himmlischen Reichs nur an „Vertilgung“ seiner Feinde, der Engländer, denkt, so wollte auch jener von keinem anderen Kampfe wissen, als einem entscheidenden auf Leben und Tod. Wir pflegten ihn toben und wüthen zu lassen, und sahen in ihm nichts weiter, als den — lächerlichen Fanatiker. Thaten wir recht daran? Sofern der Polterer immer vor dem gesunden Sinn des Volkes seine Sache verliert, wenn auch der Vernünftige ihn nicht noch besonders zurechtweis't, konnten wir getrost jenem Sinne das Urtheil über die Bannschleuderer überlassen und folgten dieser Zuversicht auch im Allgemeinen. Allein unsere Langmuth wiegte uns unversehens in einen gefährlichen Schlummer. Das Poltern that uns freilich nichts; hinter dem Polterer [12] steckte aber der Gläubige und mit ihm die ganze Schaar der Gottesfürchtigen, und — was das Schlimmste und Wunderlichste war — wir selbst steckten auch dahinter. Wir waren allerdings sehr freisinnige Philosophen und ließen auf das Denken nichts kommen: das Denken war Alles in Allem. Wie stand es jedoch mit dem Glauben? Sollte der etwa dem Denken weichen? Bewahre! Die sonstige Freiheit des Denkens und Wissens in allen Ehren, so durfte ja doch keine Feindschaft angenommen werden zwischen dem Glauben und Wissen! Der Inhalt des Glaubens und der des Wissens ist der eine und selbige Inhalt, und wer den Glauben verletzte, der verstände sich selbst nicht und wäre kein wahrer Philosoph! Machte es denn nicht Hegel selbst zum „Zweck seiner religiös-philosophischen Vorlesungen, die Vernunft mit der Religion zu versöhnen“ (Phil. d. Rel. II, 355) und wir, seine Jünger, sollten dem Glauben etwas entziehen wollen? Das sey ferne von uns! Wisset, Ihr gläubigen Herzen, daß wir ganz einverstanden sind mit Euch in dem Inhalte des Glaubens, und daß wir uns nur noch die schöne Aufgabe gestellt haben, Euren so verkannten und angefochtenen Glauben zu vertheidigen. Oder zweifelt Ihr etwa noch daran? Sehet zu, wie wir uns vor Euch rechtfertigen, leset unsere versöhnlichen Schriften über „Glauben und Wissen“ und über die „Pietät der Philosophie gegen die christliche Religion“ und ein Dutzend ähnlicher, und Ihr werdet kein Arg mehr haben gegen Eure besten Freunde! —

So stürzte sich der gutherzige, friedliche Philosoph in die Arme des Glaubens. Wer ist so rein von dieser Sünde, daß er den ersten Stein aufheben könnte gegen den armen philosophischen Sünder? Die somnambüle Schlafperiode voll Selbstbetrug und Täuschung war so allgemein, der Zug und Drang nach Versöhnlichkeit so durchgängig, daß nur Wenige sich davon frei erhielten und diese Wenigen vielleicht ohne die wahre Berechtigung. Es war dies die [13] Friedenszeit der Diplomatie. Nirgends wirkliche Feindschaft und doch überall ein Bezwacken und Uebervortheilen, ein Aufreizen und Wiederausgleichen, ein Aus- und Einreden, eine zuckersüße Friedlichkeit und ein freundschaftliches Mißtrauen, wie die Diplomatie dieser Zeit, diese sinnige Kunst den Ernst des Willens durch oberflächliche Schwänke wegzugaukeln, solche Phänomene des Selbstbetrugs und der Täuschung tausendfach in allen Gebieten aufzutreiben verstanden hat. „Friede um jeden Preis“ oder besser „Ausgleichung und Verträglichkeit um jeden Preis“, das war das kümmerliche Herzensbedürfniß dieser Diplomaten. Es wäre hier der Ort, ein Liedlein zu singen von dieser Diplomatie, die unser ganzes Leben so energielos gemacht hat, daß wir noch immer im schlaftrunkenen Vertrauen um jene kunstfertigen Magnetiseure, welche unsere und ihre eigene Vernunft einlullten, herumtaumeln, wenn es nicht eben — verboten wäre.

Ueberdem aber kümmert uns hier auch nur diejenige Diplomatie, welcher ein Buch, dessen Anzeige durch obige Bemerkungen eingeleitet werden sollte, den letzten Stoß zu versetzen, bestimmt scheint.

Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen. Ein Ultimatum.

Unter diesem Titel erschien so eben bei Wigand ein Schriftchen von 11 Bogen, dessen Verfasser für denjenigen nicht schwer zu ermitteln ist, welcher seine letzten litterarischen Leistungen und eben daraus seinen wissenschaftlichen Standpunkt kennt.[1] Eine köstliche Mystifikation [14] dieses Buch! Ein Mann der gläubigsten Gottesfurcht, dessen Herz von Groll erfüllt ist gegen die verruchte Rotte der jungen Hegelianer, geht auf den Ursprung derselben, auf Hegel selbst und dessen Lehre, zurück, und findet — o Schrecken! — die ganze revolutionaire Bosheit, die jetzt aus seinen lasterhaften Schülern hervorsprudelt, in dem verstockten, scheinheiligen Sünder schon vor, welcher lange für einen Hort und Schirm des Glaubens gegolten. Voll gerechten Zornes reißt er ihm die bisherigen Priestergewänder vom Leibe, setzt ihm, wie die Pfaffen zu Costnitz dem Huß, eine mit Teufeln und Flammen bemalte Papiermütze auf's kahlgeschorene Haupt und jagt den „Erzketzer“ durch die Gassen der erstaunten Welt. So unverzagt und allseitig hat noch Keiner den philosophischen Jacobiner enthüllt. Es ist dies unverkennbar ein vortrefflicher Griff des Verfassers, daß er einem entschiedenen Knechte Gottes den radikalen Angriff auf Hegel in den Mund legt. Diese Knechte haben das Verdienst, daß sie sich nie blenden ließen, sondern[2] aus richtigem Instinkt in Hegel ihren Erzfeind und den Antichristen ihres Christus witterten. Nicht wie jene „Wohlgesinnten“, die es weder mit ihrem Glauben, noch mit ihrem Wissen verderben mochten, gaben sie sich zu einem leichtgläubigen Vertrauen her, sondern mit inquisitorischer Strenge behielten sie stets den Ketzer im Auge, bis sie ihn fingen. Sie ließen sich nicht täuschen, [3]— wie denn die Dümmsten gewöhnlich die Pfiffigsten sind — und können deshalb mit Recht fordern, als die besten Kenner der gefährlichen Seiten des Hegelschen Systems gepriesen zu werden. „Du kennst den Schützen, suche keinen andern!“ Das wilde Thier weiß sehr genau, daß es sich vor dem Menschen am meisten zu fürchten hat.

Hegel, der den Menschengeist zum allmächtigen Geiste erheben wollte und erhoben hat, und seinen Schülern die Lehre eindringlich machte, daß Niemand außer und über sich das Heil zu suchen habe, sondern sein eigner Heiland [15] und Erretter sey, machte es nie zu seinem besonderen Berufe, den Egoismus, welcher in tausendfältigen Gestalten der Befreiung des Einzelnen widerstand, aus jedem seiner Verhacke heraus zu hauen und einen sogenannten „kleinen Krieg“ zu führen. Man hat ihm diese Unterlassung auch unter der Form zum Vorwurf gemacht, daß man sein System des Mangels an aller Moral bezüchtigte, womit man wohl eigentlich sagen wollte, es fehle ihm jene wohltuende Paränese und pädagogische Väterlichkeit, durch welche die reinen Tugendhelden gebildet werden. Der Mann, dem die Aufgabe geworden, eine ganze Welt zu stürzen durch den Aufbau einer neuen, welche der alten keinen Raum mehr läßt, soll schulmeisterlich den Jungen auf allen Schleichwegen ihrer Tücke nachlaufen und Moral predigen oder zornig an den morschen Hütten und Palästen rütteln, die ja ohnehin versinken müssen, sobald er den ganzen Himmel sammt allen wohlgenährten Olympiern auf sie niederwirft! Das kann die kleinliche Angst der Kreatur nur wünschen, weil es ihr selbst an dem Muhte fehlt, den Wust des Lebens von sich abzuschütteln, nicht der muthige Mensch, der nur eines Wortes bedarf, des Logos, und in ihm Alles hat und Alles aus ihm erschafft. Weil aber der gewaltige Schöpfer des Wortes, weil der Meister sich über die Einzelheiten der Welt, deren Gesammtheit er stürzte, nur gelegentlich ausgelassen hat, weil er im göttlichen Zorne über das Ganze den Zorn über dieses und jenes weniger verrieth und weniger empfand, weil er den Gott von seinem Throne schleuderte, unbekümmert darum, ob nun auch gleich die ganze Schaar der Posaunen-Engel in's Nichts zerflattern werde: darum haben Einzelheiten und Dieses und Jenes sich wieder erhoben, und die unbeachteten Engel stoßen aus Leibeskräften in die „Posaune des jüngsten Gerichts“. So erwachte nun nach dem Tode des „Königs“ eine Geschäftigkeit unter den „Kärnern“. Waren denn nicht die lieben Engelein übrig geblieben? „Die Racker sind doch gar zu [16] appetitlich!“ Einen Vergleich mit ihnen zu schließen, wäre doch gar herrlich! Wenn sie sich nur etwas weltlicher machen, etwas begriffsmäßiger zustutzen ließen!

     Ihr schwanket hin und her, so senkt euch nieder,
     Ein bißchen weltlicher bewegt die holden Glieder;
     Fürwahr der Ernst steht Euch recht schön!
     Doch möcht' ich Euch nur einmal lächeln sehn;
     Das wäre mir ein ewiges Entzücken.
     Ich meine so, wie wenn Verliebte blicken,
     Ein kleiner Zug am Mund so ist's getan.
     Dich, langer Bursche, dich mag ich am liebsten leiden,
     Die Pfaffenmiene will dich garnicht kleiden,
     So sieh' mich doch ein wenig lüstern an!
     Auch könntet ihr anständig-nackter gehn,
     Das lange Faltenhemd ist übersittlich —
     Sie wenden sich — von Hinten anzusehn! —
     Die Racker sind doch gar zu appetitlich! —


Das Gelüste nach dem Positiven bemächtigte sich derer, an welche das Gebot des Weltgeistes erging, Hegels Werk im Einzelnen fortzusetzen, wozu dieser selbst sie ermahnte, z. B. am Schlusse seiner Geschichte der Philosophie: „Ich wünsche, daß diese Gesch. d. Philos. eine Aufforderung für sie enthalten möge, den Geist der Zeit, der in uns natürlich ist, zu ergreifen und aus seiner Natürlichkeit, d. h. Verschlossenheit, Leblosigkeit hervor an den Tag zu ziehen, und — jeder an seinem Orte — mit Bewußtseyn an den Tag zu bringen.“ Für sein Theil dagegen, für sich, als den Philosophen, lehnte er es ab, der Welt aus ihrer zeitlichen Noth zu helfen. „Wie sich die zeitliche, empirische Gegenwart aus ihrem Zwiespalt herausfinde, wie sie sich gestalte, ist ihr zu überlassen, und ist nicht die unmittelbar praktische Sache und Angelegenheit der Philosophie.“ (Relig. Phil. II. 356) Er breitete den Himmel der Freiheit über [17] ihr aus und durfte es ihr selbst nun wohl „überlassen“, ob sie den trägen Blick aufwärts richten und so das Ihrige dazu thun wolle. Anders verhielt es sich mit seinen Jüngern. Sie gehörten schon mit zu dieser „empirischen Gegenwart, die sich aus ihrem Zwiespalt heraus zu finden hat,“ und mußten ihr, die zuerst Erleuchteten, helfen. Aber sie „quängelten“ und wurden Diplomaten und Friedensvermittler. Was Hegel im Großen und Ganzen niedergerissen, das dachten sie im Einzelnen wieder aufzubauen; denn er selbst hatte sich ja gegen das Einzelne nicht überall erklärt und war im Detail oft so dunkel wie Christus. Im Dunkeln ist gut munkeln: da läßt sich viel hineininterpretiren.

Wohl uns, das finstere Jahrzehend der diplomatischen Barbarei ist vorüber. Es hatte sein Gutes und war — unvermeidlich. Wir mußten uns selbst erst abklären und die ganze Schwäche des Alten in uns aufnehmen, um es so als unser Eigenthum und unser eigenes Selbst recht energisch — verachten zu lernen. Aus dem Schlammbade der Erniedrigung, worin wir mit der Unreinigkeit der Stabilität jeder Art besudeln werden, steigen wir gestärkt hervor und rufen neubelebt: Zerrissen sey das Band zwischen Euch und Uns! Krieg auf Tod und Leben! — Wer jetzt noch diplomatisch vermitteln, wer noch immer den „Frieden um jeden Preis“ will, der sehe sich vor, daß er nicht zwischen die Schwerdter der Fechtenden gerathe und ein blutiges Opfer seiner „wohlmeinenden“ Halbheit werde. Die Zeit der Aussöhnung und der Sophistik gegen Andere und uns selbst ist vorüber.

Der Posaunist stößt den vollen Schlachtruf in seine Posaune des jüngsten Gerichts. Er wird noch an so manches schläfrige Ohr schlagen, worin er gellt, aber nicht weckt; es wird noch Mancher meinen, er könne hinter der Front bleiben; noch Mancher wird wähnen, es werde nur unnützer Lärm gemacht und man gebe für Kriegsruf [18] aus, was ein Friedenswort sey: aber es hilft nichts mehr. Wenn die Welt in Waffen steht gegen Gott, und der brüllende Donner der Schlacht gegen den Olympier selbst und seine Heerschaaren losbricht: dann können nur die Todten schlafen; die Lebendigen ergreifen Partei. Wir wollen keine Vermittlung, keine Ausgleichung; kein diplomatisches „Quängeln“ mehr, wollen in geschiedenen Feldlagern einander gegenüber stehen, wollen die Gottlosen seyn Stirn gegen Stirn solchen Gottesfürchtigen, wollen wissen lassen, wie wir mit einander dran sind. Und hierin, ich wiederhole es, in dieser Entschiedenheit der Feindschaft gebührt den gottesfürchtigen Zeloten der Vorrang; sie haben aus richtigem Instinkte nie Freundschaft geschlossen. Unter einer geschickteren und zugleich gerechteren Form konnte daher die Enthüllung der Erzketzerei Hegels nicht eingeleitet werden, als es der Verfasser gethan hat, indem er im gläubigen Zelotismus die Posaune des Weltgerichts ertönen läßt. Sie wollen keinen „Vergleich der Billigkeit“, sie wollen den Vernichtungskrieg. Dies Recht soll ihnen werden.

Was können aber — und mit dieser Frage gedenken wir in das Buch selbst hinein zu kommen — die Gottesfürchtigen an Hegel Arges finden? Die Gottesfürchtigen? Wer droht ihnen mehr den Untergang, als der Vernichter der Furcht? Ja, Hegel ist der wahre Verkündiger und Schöpfer der Tapferkeit, vor der die feigen Herzen erzittern. Securi adversus homines, securi adversus Deos, so schildert Tacitus die alten Deutschen. Aber die Sicherheit gegen Gott war ihnen verloren gegangen in dem Verluste ihrer selbst, und die Gottesfurcht nistete sich in den zerknirschten Gemüthern ein. Sie haben endlich sich selbst wiedergefunden und die Schauer der Furcht bezwungen; denn sie haben das Wort gefunden, das hinfort nicht mehr zu vertilgen, das ewig ist, wie auch sie selbst noch dagegen ringen und kämpfen mögen, bis ein Jeder es inne wird. [19] Ein wahrhaft deutscher Mann — securus adversus Deum — hat es ausgesprochen, das befreiende Wort, das Selbstgenügen, die Autarkie des freien Menschen. Von vielen Arten der Furcht und des Respektes sind wir bereits durch die Franzosen, die zuerst die Idee der Freiheit mit weltgeschichtlichem Nachdruck verkündeten, erlöst worden, und haben sie in das Nichts der Lächerlichkeit hinabsinken sehen. Sind sie aber nicht von neuem wieder aufgetaucht mit den scheußlichen Schlangenhäuptern und verdüstert nicht hundertfache Angst noch stets das kühne Selbstvertrauen? Das Heil, welches uns die Franzosen brachten, war so wenig gründlich und unerschütterlich, als dasjenige, welches einst aus Böhmen her im Hussitischen Sturme die Flammenzeichen der späteren deutschen Reformation gab. Der Deutsche erst und er allein bekundet den weltgeschichtlichen Beruf des Radikalismus; nur Er allein ist radikal und Er allein ist es — ohne Unrecht. So unerbittlich und rücksichtslos wie er ist Keiner; denn er stürzt nicht allein die bestehende Welt, um selber stehen zu bleiben; er stürzt — sich selbst. Wo der Deutsche umreißt, da muß ein Gott fallen und eine Welt vergehen. Bei dem Deutschen ist das Vernichten — Schaffen und das Zermalmen des Zeitlichen — seine Ewigkeit. Hier allein ist keine Furcht und kein Verzagen mehr: er verscheucht nicht bloß die Gespensterfurcht und diese und jene Art der Ehrfurcht, er rottet alle und jede Furcht aus, die Ehrfurcht selber und die Gottesfurcht. Flüchtet euch nur, ihr ängstlichen Seelen, aus der Gottesfurcht in die Gottesliebe, wofür ihr in eurer Sprache und folglich auch in euerm Volksbewußtseyn nicht einmal ein rechtes Wort habt: er leidet auf eure Bitte nicht mehr, denn er macht euren Gott zur Leiche, und eure Liebe verwandelt er dadurch in Abscheu.

In diesem Sinne schmettert dann auch die „Posaune“ und enthält unter alttestamentlichen Formeln und Stoßseufzern [20] die wahre Tendenz des Hegel'schen Systems, damit „die modernen Bedenken, Transactionen und ängstlichen Kreuz- und Querzüge, die immer noch auf der Voraussetzung beruhen, daß der Irrthum und die Wahrheit vermittelt werden können, ein Ende nehmen.“ „Hinweg“, ruft der gegen alles Denken zornerfüllte Posaunist, „hinweg mit dieser Vermittlungswuth, mit dieser sentimentalen Gallerte, mit dieser Schelm- und Lügenwelt: nur das Eine ist wahr, und wenn das Eine und das Andere zusammengestellt werden, so fällt das Andere von selbst in's Nichts. Kommt uns nicht mit dieser ängstlichen, weltklugen Zaghaftigkeit der Schleiermacher'schen Schule und der positiven Philosophie; hinweg mit dieser Blödigkeit, die nur deßhalb vermitteln will, weil sie den Irrthum noch innerlich liebt und nicht den Muth hat, ihn aus dem Herzen zu reißen. Reißt sie euch aus und werft sie hinweg, diese doppeltgespaltene, hin- und herfahrende, schmeichelnde und vermittelnde Schlangenzunge; aufrichtig und Eines und lauter sey euer Mund, euer Herz und Gemüth u. s. w.“ Hinweg also mit der zähen und geistlähmenden, wenn auch geistreichen Diplomatie!

Der Posaunist, ein rechter Knecht Gottes, wie er seyn soll, verschmäht seines bewegungslosen Gottes so gewiß, wie der Türke seines Allah, jeden Beistand gegen den Gotteslästerer Hegel, außerdem der Frommen. Dieser Abweichung ist die Vorrede (S. 5—42) gewidmet, in der zuerst die „älteren Hegelianer“ mit den Worten begrüßt werden: „sie hätten immer das Wort der Versöhnung im Munde gehabt, aber Otterngift war unter ihren Lippen.“ Nun soll ihnen „der Spiegel des Systems vorgehalten werden, und sie werden, ein Göschel, Henning, Gabler, Rosenkranz u. s. w. verpflichtet zu antworten, weil sie es ihrer — Regierung schuldig sind. Es ist die Zeit gekommen, wo ferneres Schweigen ein Verbrechen ist.“ Auch „eine philosophische Schule“ hat sich gebildet, welche eine „christliche und [21] positive Philosophie“ schaffen und Hegel philosophisch widerlegen wollte, allein sie hat auch nur das eigene Ich lieb gehabt, sie hat sich selbst gegen die Grundlagen der christlichen Wahrheit vergangen und außerdem hat sie unter den Gläubigen so wenig als unter den Ungläubigen Erfolg und Wirkung gehabt. Wenn wir jammern und die Regierungen sich nach dem Arzte umsehen, hat sich da Einer der Positiven als Arzt gefunden, haben die Regierungen einem von ihnen die Cur anvertraut? Nein! Anderer Männer bedarf es! Ein Krummacher, ein Hävernick, Hengstenberg, ein Harleß haben sich vor den Riß stellen müßen! Eine dritte Klasse von Gegnern der Hegel'schen Philosophie, die Schleiermacherianer, werden endlich gleichfalls desavouiert. „Sie sind selbst noch den Lockungen des Bösen ausgesetzt, da sie es lieben, den Schein hervorzubringen, als seyen sie selbst Philosophen. Und doch können sie nicht einmal den weltlichen Neidern Proben dieser Bildung vorhalten. Ihnen gilt das Wort: ich weiß deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist. Ach, daß du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien mit meinem Munde.“ Ihr Eifer für „kirchliches Leben“ wird vom Posaunisten zwar anerkannt; er ist ihm aber doch nicht „ernst, gründlich, umfassend und eifrig genug“ und sie haben auch Bruno Bauer (die evangel. Landeskirche Preußens und die Wissenschaft) „Nichts entgegengestellt, was seine lästernden Behauptungen umstoßen konnte“ (S. 30). Schliesslich wird Leo's, des Mannes gedacht, „der zuerst den Muth hatte, gegen diese gottlose Philosophie aufzutreten, sie förmlich anzuklagen und die christlich gesinnten Regierungen auf die dringende Gefahr aufmerksam zu machen, welche von dieser Philosophie aus dem Staat, der Kirche und aller Sittlichkeit droht.“ Aber auch er wird getadelt, weil er nicht unnachsichtig genug verfuhr und weil auch seine Werke noch mit „einigem [22] weltlichen Sauerteich durchdrungen sind,“ was ihm mit vieler Spitzfindigkeit nachgewiesen wird. Den Schluß machen, wie billig, psalmodische Bannflüche gegen die Gottlosen.

Der „Eingang“ eröffnet uns nun die eigentliche Absicht des grimmigen Mannes. „Die Stunde hat geschlagen, daß der ärgste, der stolzeste, der letzte Feind des Herrn zu Boden gestürzt wird. Dieser Feind aber ist auch der gefährlichste. Die Welschen — jenes Volk des Antichrists — hatten mit schaamloser Oeffentlichkeit, bei hellem Tage, auf dem Markte, Angesichts der Sonne, die nie einen solchen Frevel gesehen hat, und vor den Augen des christlichen Europa dem Herrn der Ewigkeit zum Nichtseyn herabgestoßen, wie sie den Gesalbten Gottes mordeten, sie hatten mit der Metze, der Vernunft, abgöttischen Ehebruch getrieben; aber Europa, voll von heiligem Eifer, erwürgte den Greuel und verband sich zu einem heiligen Bunde, um den Antichrist in Fesseln zu schlagen und dem wahren Herrn seine ewigen Altäre wieder aufzurichten. Da kam, nein! — da berief, da hegte und pflegte, da beschützte, da ehrte und besoldete man den Feind, den man draußen besiegt hatte, in einem Manne, welcher stärker war, als das französische Volk, einem Mann, welcher die Decrete jenes höllischen Konvents wieder zur Gesetzeskraft erhob, ihnen neue, festere Grundlagen gab und unter dem einschmeichelnden, besonders für die deutsche Jugend verführerischen Titel der Philosophie Eingang verschaffte. Man berief Hegel und machte ihn zum Mittelpunkt der Universität Berlin. — Man glaube nun nicht, daß die Rotte, mit welcher der christliche Staat in unsern Tagen zu kämpfen hat, ein anderes Prinzip verfolgt und andere Lehren bekennt, als der Meister des Trugs aufgestellt hat. Es ist wahr, die jüngere Schule ist von der älteren, welche der Meister gesammelt hat, bedeutend unterschieden: sie hat Schaam und allen göttlichen Gehalt weggeworfen, sie bekämpft offen [23] und ohne Rückhalt Staat und Kirche, das Zeichen des Kreuzes wirft sie um, wie sie den Thron erschüttern will — alles Gesinnungen und Höllenthaten, deren die ältere Schule nicht fähig schien. Allein es scheint nur so, oder es war vielleicht nur zufällige Befangenheit und Beschränktheit, wenn die früheren Schüler bis zu dieser teuflischen Energie sich nicht erhoben: im Grunde und in der Sache, d. h. wenn wir auf das Princip und die eigentliche Lehre des Meisters zurückgehen, haben die Späteren nichts Neues aufgestellt, sie haben vielmehr nur den durchsichtigen Schleier, in welchen der Meister zuweilen seine Behauptungen hüllte, hinweggenommen und die Blöße des Systems — schamlos genug! — aufgedeckt.“

Es läge uns nun ob, auf die Anklage des Hegelschen Systems, den eigentlichen Inhalt des Buches, näher einzugehen. Indessen ist dieser gerade so beschaffen, daß er dem Leser unverkümmert und nicht in eine Recension verzettelt, vor Augen kommen muß und überdem wissen wir daran nichts weiter auszusetzen, als daß dem Gedächtniss des Verfassers nicht alle brauchbaren Stellen der Hegel'schen Werke zu Gebote gestanden zu haben scheinen. Da inzwischen, wie Seite 163 angekündigt wird, dieser Schrift noch eine zweite Abtheilung folgt, die zeigen soll, „wie Hegel von vornherein aus der inneren Dialektik und Entwickelung des Selbstbewußtseyns die Religion als ein besonderes Phänomen desselben entstehen läßt“ und in welcher zugleich „Hegels Haß gegen die religiöse und christliche Kunst und seine Auflösung aller positiven Staatsgesetze dargestellt werden wird:“ so ist ja die Gelegenheit noch völlig offen, das etwa Versäumte nachzuholen. So möge sich denn der Leser — und wer an den Fragen der Zeit ein lebendiges Interesse nimmt, der darf dieses Buch nicht unbeachtet lassen — damit begnügen, eine Uebersicht der 13 Kapitel zu erhalten. 1) Das religiöse Verhältniß als Substantialitäts-Verhältniß. Der Posaunist behauptet nämlich, [24] Hegel habe „über sein Werk der Zerstörung eine zwiefache Hülle gezogen,“ deren eine darin bestehe, daß er unzähligemal von Gott spreche und es fast immer scheine, als verstehe er unter Gott jenen lebendigen Gott, der da war, ehe die Welt war u. s. w. Bei dieser Anschauung seyen die älteren Hegelianer (einen Göschel an ihrer Spitze) stehen geblieben. Durch eine zweite Hülle errege er den Schein, daß die Religion in der Form des Substantialitäts-Verhältnisses und als die Dialektik gefaßt wird, in welcher sich der individuelle Geist dem Allgemeinen, welches als Substanz oder — wie es noch öfter heißt — als absolute Idee über ihn Gewalt hat, hingiebt, aufopfert, ihm seine besondere Einzelnheit preis giebt und sich so mit ihm in Einheit setzt. Diesem gefährlicheren Scheine haben sich die kräftigeren Geister (Strauß u. s. w.) gefangen gegeben. „Aber,“ heißt es endlich, „gefährlicher als dieser Schein ist die Sache selbst, die jedem kundigen und offenen Auge, wenn es sich nur einigermaßen anstrengt, sogleich entgegentritt: diejenige Auffassung der Religion, nach welcher das religiöse Verhältniß nichts als ein inneres Verhältniß des Selbstbewußtseyns zu sich selber ist und alle jene Mächte, die als Substanz oder als absolute Idee von dem Selbstbewußtseyn noch unterschieden zu sein scheinen, nichts als die eigenen in der religiösen Vorstellung nur objektivirten Momente desselben sind.“ Hiernach ist der Inhalt des ersten Kapitels evident. — 2) Das Gespenst des Weltgeistes. 3) Haß gegen Gott. 4) Haß gegen das Bestehende. 5) Bewunderung der Franzosen und Verachtung gegen die Deutschen. Dies widerspricht dem Lobe nicht, das wir oben dem Deutschen ertheilten, so wenig als etwa die von dem Verfasser übersehene Stelle, Gesch. d. Phil. III, 328. 6) Zerstörung der Religion. 7) Haß gegen das Judenthum. 8) Vorliebe für die Griechen. 9) Haß gegen die Kirche. 10) Verachtung der heiligen Schrift und der heiligen Geschichte. [25] 11) Die Religion als Product des Selbstbewußtseyns. 12) Auflösung des Christenthums. 13) Haß gegen gründliche Gelehrsamkeit und das Lateinschreiben (Eine, wie der Posaunist meint, komische Beigabe.)

Die angekündigte zweite Abtheilung, für welche dem Verfasser ganz besonders die Hülfe eines umfangreichen Gedächtnisses zu wünschen ist, da es ihm an der sonstigen Begabung nicht fehlt, soll nach ihrem Erscheinen sogleich besprochen und dann vielleicht auch Einiges aus der vorliegenden nachgetragen werden.

Warum wir, dies kann schließlich noch gefragt werden, dieses Buch so getrost für eine Mummerei nehmen? Darum, weil nie ein Gottesfürchtiger so frei und intelligent seyn kann, wie der Verfasser es ist. „Wer sich nicht selbst zum Besten haben kann, ist wahrlich keiner von den Besten!“


Anmerkungen

  1. Was er in der Anrede an „seine Brüder in Christo“ so motiviert: „Wir werden noch in Verborgenheit bleiben, damit es nicht scheint, als trachteten wir nach einer andern Ehre, als nach der himmlischen Krone. Wenn der Kampf, den wir bald zu beendigen hoffen, zu Ende ist, wenn die Lüge ihre Strafe erhalten hat, dann werden wir sie auch persönlich begrüßen und auf dem Wahlplatz heiß umarmen.“
  2. WS: Druckfehler sodnern
  3. WS: Druckfehler, keine Leerstelle