Textdaten
<<< >>>
Autor: Lukian von Samosata
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Todtengespräche
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Zweites Bändchen, S. 207–256; Drittes Bändchen, S. 261–286
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1827
Verlag: J. B. Metzler
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Νεκρικοὶ Διάλογοι
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[207]
Todtengespräche.
I. Diogenes und Pollux.

1. Diogenes. Mein bester Pollux, ich bitte dich, wenn du in die Oberwelt hinaufsteigst – und morgen glaube [208] ich, ist die Reihe wieder an dir[1] – so suche Menippus, den Hund (Cyniker), zu sprechen (du triffst ihn ohne Zweifel zu Corinth beim Craneum oder im Lyceum zu Athen, wo er sich über die Zänkereien der Philosophen lustig machen wird), und sage ihm, Diogenes fordere ihn auf, wenn er über die Dinge auf der Oberwelt genug gelacht haben werde, hieher zu kommen, wo er noch viel mehr zu lachen bekommen werde. Dort wäre sein Lachen noch immer mit widrigen Empfindungen gemischt, und oft genug durch die Frage verkümmert: wer weiß, was nach diesem Leben kommen wird? Hier werde er so wenig, als ich, aufhören, recht von Herzens Grunde zu lachen, zumal wenn er sehen werde, wie die Reichen, die Satrapen, die Könige und Fürsten hier so erbärmlich klein und unscheinbar dastehen, daß man sie nur an ihrem Geheul unterscheiden könne, und wie sie sich so kläglich, so verächtlich geberden, wenn sie sich ihres Zustandes da oben erinnern. Sag’ ihm das, Pollux, und er möchte, wenn er herabgehe, seinen Schnappsack mit Feigbohnen wohl versehen, und wenn er irgendwo auf einem Kreuzwege ein Hecatemahl oder ein Reinigungsey antreffe, solle er’s zu sich stecken.

2. Pollux. Ich werde ihm das ausrichten, Diogenes; beschreibe mir aber das Aussehen des Mannes, damit ich ihn um so sicherer finde.

Diogenes. Ein alter Kahlkopf mit einem abgeschabten durchlöcherten Mantel, der gegen Wind und Wetter offen und mit Lappen von Farben aller Art überflickt ist: er lacht [209] beständig, und treibt besonders gerne mit den großmäulichen Philosophen sein Gespötte.

Pollux. An diesen Kennzeichen wird er leicht herauszufinden seyn.

Diogenes. Dürfte ich dir nun auch an eben diese Philosophen einen kleinen Auftrag mitgehen?

Pollux. Sage nur, welchen: er wird mich nicht beschweren.

Diogenes. Es ist kurz der: Stelle ihnen recht eindringlich vor, sie sollten doch endlich ihre Possen aufgeben, und aufhören, sich über das Weltall zu zanken, sich Hörner aufzupflanzen,[2] Krokodilschlüsse zu machen, und junge Leute zu Grübeleien anzuleiten, die zu nichts führen.

Pollux. Aber sie werden mich einen Dummkopf heißen, der aus Unwissenheit ihre Weisheit verunglimpfe.

Diogenes. Dann richte ihnen einen Gruß von mir aus, und sie sollen – die schwere Noth kriegen.

Pollux. Gut, auch das will ich ihnen hinterbringen.

3. Diogenes. Hierauf, mein liebstes, bestes Polluxchen, wende dich zu den Reichen, und sage ihnen in meinem Namen: „Ihr eiteln Narren, wofür hütet ihr euer Gold? Was plagt ihr euch mit euren Zinsrechnungen und sammelt Talente zu Talenten, da ihr doch in Kurzem mit einem einzigen Obolus von dannen müßt?“

Pollux. Auch das soll ihnen gesagt werden.

[210] Diogenes. Und den Schönen und Starken, einem Megillus von Corinth, und Damoxenus, dem Ringer, sage, daß es bei uns keine blonden Locken, keine schwarze feurige Augen, keine blühende Gesichtsfarbe, keine nervigten Sehnen und kräftige Schultern giebt, sondern daß ohne allen Unterschied ein Schädel so kahl und häßlich als der andere ist.

Pollux. Ich mache mir nichts daraus, dieß jenen Schönen und Helden zu Gemüthe zu führen.

Diogenes. Und den Armen, deren so viele sind, die im Unmuth über ihre bedrängte Lage laute Klagen führen, sage, sie möchten ihrem Weinen und Seufzen ein Ende machen; und stelle ihnen vor, wie hier allgemeine Gleichheit sey, und daß sie sehen würden, daß die gewesenen Reichen es bei uns in keinem Stücke besser, als die Andern, haben. Und endlich, mein bester Lacedämonier, sage auch deinen Landsleuten, wenn du so gut seyn willst, darüber recht die Meinung, daß sie nicht mehr sind, was sie ehemals waren.

Pollux. Nichts gegen die Lacedämonier, Diogenes, das leid’ ich nicht. Was du mir an die Uebrigen aufgegeben hast, werde ich pünctlich ausrichten.

Diogenes. Ich bin’s zufrieden; wenn du nur das Letztere thust, so mögen deine Landsleute leer ausgehen.


II. Crösus, Midas und Sardanapal, als Ankläger des Menippus bei Pluto.

1. Crösus. Länger halten wir’s nicht aus, Pluto, mit einem Nachbar, wie dieser Hundephilosoph da ist. Entweder [211] bringe ihn irgend anderswo unter, oder wir selbst werden einen andern Aufenthaltsort nehmen.

Pluto. Was konnte er denn euch zu Leide thun, ein Todter den anderen?

Crösus. Wenn wir klagend und seufzend unseres frühern Zustandes gedenken, Midas seines Goldes, Sardanapal seines Wohllebens und ich meiner Schatzkammern, so lacht er und schimpft uns Sclaven und Taugenichtse; bisweilen stört er uns sogar durch Singen in unserem Wehklagen: kurz der Kerl ist uns äußerst zur Last.

Pluto. Was höre ich von dir, Menippus?

Menippus. Die lautere Wahrheit, Pluto. Ich kann nun einmal diese niederträchtigen, verdorbenen Gesellen nicht leiden, die, nicht zufrieden, ein schlechtes Leben geführt zu haben, auch nach dem Tode noch mit ihrer Erinnerung und ihrer Sehnsucht an der Oberwelt hängen: darum mache ich mir ein Vergnügen daraus, sie zu ärgern.

Pluto. Das solltest du nicht: der Verlust, den sie betrauern, ist in der That nicht unbedeutend.

Menippus. Bist denn auch du so schwach, Pluto, ihr Gewinsel zu billigen?

Pluto. Das nicht: aber ich will keine Unruhen und Streitigkeiten unter euch haben. [Geht ab.]

2. Menippus. Wißt nur, ihr Schlechteren als alle eure Lydier, Phrygier und Assyrer, daß ihr vor mir nun und nimmermehr Ruhe haben werdet: wendet euch hin, wo ihn wollt, ich werde euch auf dem Fuße folgen, um euch zu quälen, und euch die Ohren voll zu singen und euch auszulachen.

[212] Crösus. Ist das nicht der frechste Uebermuth?

Menippus. O nein, sondern von euch war es der frechste Uebermuth, ehrliche Leute zu hudeln, und dabei zu verlangen, sie sollen euch auf den Knieen verehren, ohne euch den Gedanken an den Tod auch nur einen Augenblick einfallen zu lassen. Nun heult ihr, da ihr aller jener Herrlichkeiten beraubt seyd.

Crösus. Aber, ihr Götter, welcher Besitzungen beraubt!

Midas. Und ich, welcher Menge Goldes!

Sardanapal. Und ich, welcher entzückenden Genüsse!

Menippus. Recht so, macht nur so fort! Ich will euch indessen das Kenne dich selbst einmal um das andere zwischenein tönen lassen: es nimmt sich vortrefflich aus, wenn es als Begleitung zu euern Lamentationen gesungen wird.


III. Menippus, Amphilochus und Trophonius.

1. Menippus. Ich möchte doch wissen, wie ihr beide, Trophonius und Amphilochus, zu der Ehre gekommen seyd, Tempel zu haben und für Propheten zu gelten? Ihr seyd Todte, wie wir Anderen, und doch sind die Menschen albern genug, euch für Götter anzusehen.

Amphilochus. Was können wir dafür, wenn die Leute sich in ihrem Unverstand solche Vorstellungen von Verstorbenen machen?

Menippus. Es wäre doch wohl nicht geschehen, wenn ihr nicht bei euren Lebzeiten dergleichen Gaukeleien getrieben [213] und euch für Leute ausgegeben hättet, die in die Zukunft sehen und den Fragenden das Künftige vorhersagen könnten.

Trophonius. Amphilochus wird ohne Zweifel wissen, was er dir seinerseits hierauf zu antworten hat. Ich aber, bester Menippus, bin ein Heros und ertheile Orakel denen, die in meine Höhle hinabsteigen. Du bist wohl gar nie zu Lebadea gewesen, sonst wärest du gewiß nicht so ungläubig.

2. Menippus. Das wäre! Wenn man also nicht nach Lebadea geht, sich in ein Leintuch stecken und einen Fladen in die Hände geben läßt, und damit durch das enge Loch in die dortige Höhle kriecht, so kann man nicht wissen, daß du, wie du da stehst, so todt bist, als wir Alle, und daß dich nur deine Gaukeleien von uns unterscheiden? – Aber, großer Prophet, sage mir doch, was ist denn das: ein Heros? Mir ist es ein wahres Räthsel.

Trophonius. Ein aus Mensch und Gott zusammengesetztes Wesen.

Menippus. Das also, wenn ich dich recht verstehe, weder Mensch noch Gott ist, sondern beides zugleich? Aber wo ist denn nun deine göttliche Hälfte hingekommen?

Trophonius. Eben diese ist’s, Menippus, die in Böotien orakelt.

Menippus. Das ist mit ein bischen zu hoch, mein Bester. Ich sehe doch gar zu gut, daß der ganze Trophonius ein Todter ist.

[214]
IV. Merkur und Charon.

1. Merkur. Rechnen wir einmal mit einander, Fährmann, wenn es dir recht ist, was du mir bis jetzt schuldig geworden bist, damit wir nicht wieder Streit darüber bekommen.

Charon. Gut – wir wollen rechnen: wenn wir dieß in’s Reine gebracht haben, so ist allen Verdrießlichkeiten vorgebeugt.

Merkur. Für einen Anker, den ich dir auf Bestellung lieferte – fünf Drachmen

Charon. Viel Geld!

Merkur. Straf mich Pluto, wenn er mich nicht selbst fünf Drachmen kostete! Ferner einen Ruderriemen für zwei Obolen.

Charon. Nun so schreibe fünf Drachmen, zwei Obolen.

Merkur. Fur eine starke Nadel, das Segel zu flicken, ausgelegt – fünf Obolen.

Charon. Schreibe sie dazu.

Merkur. Für Wachs, die Ritzen des Nachens zu verstopfen, für Nägel und einen Strick, aus dem du das Raatau gemacht hast, zusammen zwei Drachmen.

Charon. Schön! da hast du einmal wohlfeil eingekauft.

Merkur. Das ist alles, wenn wir nichts vergessen haben: und wann versprichst du denn, mich zu bezahlen?

Charon. In diesem Augenblicke ist mir’s unmöglich, bester Merkur: wenn aber wieder eine Pest oder ein Krieg uns Schaaren von Todten zuschickt, so wird sich wohl durch einen kleinen Rechnungsfehler vom Fahrgeld, wenn Viele auf einmal kommen, etwas auf die Seite bringen lassen.

[215] 2. Merkur. Und ich soll inzwischen sitzen und wünschen, daß um meines Vortheils willen das Aergste eintreten möchte?

Charon. Es bleibt nun einmal nichts anderes übrig, lieber Merkur. Du siehst ja selbst, wie Wenige zu dermaliger Friedenszeit herbeikommen.

Merkur. Desto besser: möge sich darüber meine Bezahlung immerhin verzögern. – Du weißt übrigens, Charon, wie die Leute aussahen, welche vor Zeiten hieher kamen; durchgängig waren es stattliche, größtentheils rothbackigte, mit Wunden bedeckte Männer. Die jetzt ankommen, haben entweder Gift von ihren eigenen Kindern oder Eheweibern erhalten, oder durch Wohlleben sich Wassersucht und Podagra zugezogen, und sind sämmtlich blasse und elende, den Vorigen gänzlich unähnliche, Gestalten. Den Meisten aber sieht man es wohl an, daß sie um des Geldes willen einander auf den Dienst lauerten, und darüber zu uns wandern mußten.

Charon. Es ist eben auch eine gar zu reizende Sache um das Geld.

Merkur. Man könnte mir es also auch nicht sehr verübeln, wenn ich meine Forderung an dich etwas strenger eintriebe?


V. Pluto und Merkur.

1. Pluto. Du kennst doch wohl den hochbetagten reichen Eucrates, der keine Kinder, wohl aber ein Paar tausend gute Freunde hat, die auf seine Erbschaft Jagd machen?

[216] Merkur. Den Sicyonier meinst du? O ja, den kenne ich. Was ist’s mit ihm?

Pluto. Laß mir den am Leben, Merkur, und miß ihm, wenn es angeht, zu den neunzig Jahren, die er schon gelebt hat, noch weitere neunzig und drüber zu. Seine Schmarotzer und Schmeichler aber, den jungen Charinus, Damon, und wie sie Alle heißen, hole mir, Einen nach dem Andern, herunter.

Merkur. Das würde doch sonderbar herauskommen, Pluto!

Pluto. Keineswegs, im Gegentheil höchst gerecht und billig. Was hat der Alte ihnen zu Leide gethan, daß sie ihm den Tod wünschen? Wie sind sie mit ihm verwandt, daß sie sein Vermögen begehren? Und was der höchste Grad der Schurkerei ist: die Wohldiener wollten, daß er beim Henker wäre und thun ihm doch so schön in’s Gesicht. Ist er krank, so versprechen sie ihm Dankopfer darzubringen, im Fall er sich herausrisse, während doch keinem Menschen verborgen ist, was sie im Schilde führen. Mit einem Worte, es ist ein heuchlerisches Spitzbubenvolk: darum soll mir der Alte gar nicht sterben; seine Seelenwärter hingegen sollen vergebens geschnappt haben, und nur gleich herbeikommen.

2. Merkur. Das wird den Schurken in die Quere kommen! Aber Eucrates[WS 1] versteht es auch vortrefflich, sie zum Besten zu haben und mit Hoffnungen hinzuhalten. Immer thut er, als ob es am Ausgehen mit ihm wäre, und ist doch bei weitem gesünder als die jungen Leute, die sich bereits in seine Erbschaft theilen, und an dem Gedanken an [217] das glückselige Leben sich weiden, das sie schon bei sich ausgemacht haben.

Pluto. Eucrates soll also sein Alter abstreifen, und wie Iolaus, sich wieder verjüngen, jene aber sollen ihr schmähliches Ende finden, und mitten aus ihren Hoffnungen und erträumten Reichthümern gerissen und hieher gebracht werden.

Merkur. Sorge nicht dafür, Pluto. Ich werde sie dir Alle, Einen nach dem Andern, herbeischaffen. Es sind ihrer sieben, wie ich glaube.

Pluto. Gut, raffe sie weg: und Eucrates, ein frischer Jüngling statt des Greisen, der er zuvor gewesen, wird jeden derselben zu Grabe geleiten.


VI. Terpsion und Pluto.

1. Terpsion. Ist das auch recht, Pluto, daß ich in meinem dreißigsten Jahre sterben mußte, während der neunzigjährige Thucritus noch am Leben ist?

Pluto. Nicht mehr denn billig, Terpsion. Thukritus hat noch nie einem seiner Freunde den Tod gewünscht: vor dir aber war er seines Lebens nie sicher, da du seine Erbschaft nicht erwarten konntest.

Terpsion. Wie? Wäre es nicht in der Ordnung, daß ein alter Mann, der seinen Reichthum nicht mehr selbst genießen kann, abtrete und den Jüngern Platz mache?

Pluto. Da machst du ein ganz neues Gesetz, Terpsion, daß, wer sein Geld nicht mehr zu seinem Vergnügen anwenden kann, deswegen sterben soll. Verhängniß und Natur haben es anders verordnet.

[218] 2. Terpsion. Eben das ist’s, worüber ich mich beschwere. Das Sterben sollte nach der Ordnung gehen, zuerst der Aelteste, sodann der Nächste an Jahren nach ihm und so fort: und nicht umgekehrt, daß ein eisgrauer Alter, der kaum noch drei Zähne im Munde und blöde Triefaugen hat, und wenigstens vier Sclaven braucht, wenn er aufstehen und gehen will, daß so ein lebendiges Gerippe ohne Sinn und Empfindung zum Gespötte der Kinder noch immer fortlebe, während die schönsten und stärksten jungen Männer sterben müssen. Das ist die verkehrte Welt. Wenigstens sollte man die Zeit wissen können, wann solche Alte mit Tod abgehen werden, damit man nicht in den Fall komme, dem Einen oder dem Andern vergeblich den Hof gemacht zu haben. Dermalen aber geht es nach dem Sprüchwort: der Wagen zieht den Ochsen.

3. Pluto. Das ist vernünftiger so geordnet, als du dir einbildest. Wer heißt euch die Mäuler nach fremdem Eigenthum aufsperren, und kinderlosen Greisen zur Adoption euch aufdringen? Ist es also nicht natürlich, daß Jedermann lacht, wenn die Alten euch begraben? ein Schauspiel, das jedesmal männiglich Vergnügen macht. Denn so sehnlich ihr wünschtet, daß die guten Alten einmal sterben möchten, so herzlich gönnen euch alle Leute den Tod vor jenen. Ihr habt ja eine ganz neue Kunst erfunden, euch in alte Weiber und Greise zu verlieben; versteht sich, wenn sie kinderlos sind: denn die, welche Kinder besitzen, haben für euch keine Reize. Doch haben schon manche derselben die schurkische Absicht eures Verliebtseyns gemerkt, und stellen sich, auch wenn sie Kinder haben, als ob sie dieselben nicht leiden könnten, [219] um auch Liebhaber zu bekommen. Am Ende aber bleiben jene Trabanten, die ihren Geliebten so lange Zeit nicht von der Seite gewichen waren, von dem Testamente dennoch ausgeschlossen: die Natur, die elterliche Liebe, behält wie billig die Oberhand, und jene knirschen mit den Zähnen und werden obendrein noch ausgelacht.

4. Terpsion. Gewiß nur allzu wahr! Ach! was hat dieser Thukritus nicht alles von mir verschlungen, während er immer seinem Ende nahe schien! So oft ich bei ihm eintrat, fieng er an zu ächzen und zu stöhnen, und wie ein eben aus dem Ey gekrochenes Küchlein zu pipen. Ich, in der zuversichtlichen Erwartung, ihn allernächstens auf der Bahre zu sehen, schickte ihm eine Delicatesse um die andere, um mich von meinen Nebenbuhlern an glänzender Freigebigkeit nicht übertreffen zu lassen. Die Sorgen, welche mir diese Geschenke verursachten, das Berechnen und Anordnen derselben machte mir manche schlaflose Nacht; und eben diese Schlaflosigkeit und diese Sorgen sind die Ursachen meines frühzeitigen Todes geworden. Er aber, der so manche fette Lockspeise auf meine Kosten verzehrt hat, stand ehegestern auf meinem Grabe, und lachte sich die Haut voll.

5. Pluto. Brav, brav, Thukritus, nun sollst du auch leben, so lang wie möglich, und reich dabei seyn, und über solche Schlucker dich lustig machen. Stirb mir nicht eher, bevor du den Letzten derer, die um dein Erbe buhlen, vorangeschickt hast.

Terpsion. Für mich wäre es nun das Tröstlichste, Pluto, wenn auch Chariades vor dem Alten sterben müßte.

[220] Pluto. Sorge nicht: auch Phidon und Melanthus und alle Uebrigen sollen ihm vorangehen, und zwar von denselben Sorgen hiehergeliefert werden, wie du.

Terpsion. Das lobe ich mir. Nun, Thukritus, magst du leben, so lange es dir gefällt.


VII. Zenophantes und Callidemides.

1. Zenophantes. Ha, Callidemides, bist du auch gestorben? Was ist dir zugestoßen? Bei meinem Tode warst du ja zugegen: weißt du noch, es war an der Tafel des Dinias, wo ich ein wenig zu viel zu mir genommen hatte, und erstickte?

Callidemides. Ich erinnere mich: den meinigen fand ich durch einen sonderbaren Zufall. Du kennst wohl auch den alten Ptöodorus?

Zenophantes. Den kinderlosen Reichen? O ja, ich sah dich oft genug bei ihm stecken.

Callidemides. Ich machte ihm recht fleißig den Hof, weil er mir versprochen hatte, mich zum Erben einzusetzen. Allein da sich mir die Sache gar zu sehr in die Länge zog, und der Alte noch älter als Tithonus zu werden drohte, so gedachte ich auf einem kürzern Wege zu meinem Erbe zu gelangen. Ich kaufte Gift und beredete seinen Mundschenken, dasselbe in einem volleingeschenkten Becher bereit zu halten, und dem Ptöodorus (der einen wackern Zug liebt), sobald er zu trinken fordern würde, darzureichen. Zugleich gab ich ihm das eidliche Versprechen, ihm, wenn er das thun würde, die Freiheit zu schenken.

[221] Zenophantes. Und er that es? Du scheinst mir etwas recht außerordentliches erzählen zu wollen.

2. Callidemides. Wie wir nach dem Bade in’s Speisezimmer traten, hatte der Junge bereits zwei volle Becher bereit, den einen mit Gift für den Ptöodorus, und einen unvergifteten für mich. Nun weiß ich nicht, wie es kam, daß er sich vergriff und den letztern dem Ptöodorus, den vergifteten aber mir darreichte. Und so trank der Alte ohne Schaden, ich aber stürzte plötzlich erstarrt zu Boden, und ward das Opfer der unseligen Verwechselung. Was ist das? Du lachst? Das ist nicht schön, über seinen Freund sich lustig zu machen.

Zenophantes. Ach, Callidemides, dein Unfall ist gar zu schaurig. Was sagte denn der Alte dazu?

Callidemides. Je nun – der erschrak anfänglich, wie er mich so plötzlich hinstürzen sah: bald aber mußte er den wahren Hergang der Sache gemerkt haben; denn er lachte gleichfalls über den Verstoß seines Mundschenken.

Zenophantes. Das hast du von dem kürzern Wege, den du einschlagen wolltest: wärest du auf der Straße geblieben, so wärest du zwar etwas langsamer, aber desto sicherer zum Ziele gekommen.


VIII. Cnemon und Damnippus.

Cnemon. Verwünscht! mußte ich das Sprüchwort wahr machen: das Hirschkalb kommt über den Löwen?

Damnippus. Warum so böse, Cnemon?

[222] Cnemon. Warum ich böse bin? Weil ich Pinsel mich überlisten ließ, und mit Uebergehung derjenigen, in deren Händen ich mein Vermögen am liebsten gesehen hatte, einen andern Erben wider Willen hinterließ.

Damnippus. Wie gieng das zu?

Cnemon. Dem steinreichen und kinderlosen Hermolaus machte ich in der Erwartung den Hof, ihn bald sterben zu sehen; und er ließ sich meine Aufwartung recht gerne gefallen. Da glaubte ich es recht pfiffig anzugehen, wenn ich ein Testament bekannt werden ließe, worin ich ihm mein ganzes Vermögen vermachte; denn ich dachte, er werde ehrliebend genug seyn, ein Gleiches zu thun.

Damnippus. Und that er es wirklich?

Cnemon. Was er in seinem Testamente geschrieben, weiß ich nicht. Denn ich mußte unversehens die Welt verlassen, weil mir das Dach über dem Kopf zusammenstürzte. Und nun hat Hermolaus mein Vermögen, wie ein Meerwolf den Hamen sammt dem Köder, verschlungen.

Damnippus. Ja, und den Fischer dazu. Du hast also die Falle dir selbst gestellt.

Cnemon. Nicht anders: und eben das ist’s, worüber ich heulen möchte.


IX. Simylus und Polystratus.

1. Simylus. Kommst du endlich auch zu uns, Polystratus? Du bist gewiß nicht viel weniger als hundert Jahre alt geworden.

Polystratus. Acht und neunzig, mein lieber Simylus.

[223] Simylus. Wie gieng dir’s denn in den letzten dreißig Jahren? Denn du warst ungefähr gegen siebenzig als ich starb.

Polystratus. O ganz vortrefflich, wie seltsam dir das auch vorkommen mag.

Simylus. Seltsam allerdings, wenn ein so alter, gebrechlicher, und zudem kinderloser Greis, wie du warst, großes Vergnügen an den Genüssen des Lebens finden konnte.

2. Polystratus. Es stand mir alles zu Gebote, die schönsten Knaben in Menge, die niedlichsten Mädchen, und Salben und Weine vom feinsten Blumenduft und sybaritische Tafeln.

Simylus. Räthselhaft! ich kannte dich doch immer als sehr haushälterisch.

Polystratus. Alle diese Herrlichkeiten, mein Bester, strömten mir unentgeldlich von Andern zu. Vom frühen Morgen an liefen sie mir fast das Haus weg, mich zu besuchen, und mir Geschenke aller Art, das schönste und kostbarste aus allen Weltgegenden, darzubringen.

Simylus. Wie, Polystratus, du wärest also nach meinen Zeiten ein Fürst geworden?

Polystratus. Nichts weniger. Aber ich hatte manches tausend Liebhaber.

Simylus. Ha ha ha! Liebhaber, du, ein alter Schatz mit vier Zähnen?

Polystratus. So wahr Jupiter lebt, ich hatte die Vornehmsten in der ganzen Stadt zu Liebhabern, die sich das größte Vergnügen daraus machten, dem alten, triefäugigen, verschleimten Kahlkopf, den du vor dir siehst, alle möglichen [224] Aufmerksamkeiten zu erweisen, und von welchen jeder glückselig war, wenn ich ihm auch nur einen Blick schenkte.

Simylus. Du hast doch wohl nicht, wie Phaon einst aus Chios, die Venus über die Meerenge geführt, und von ihr auf deine Bitte von neuem Jugend, Schönheit und Liebreiz zur Belohnung erhalten?

Polystratus. Auch das nicht: sondern so, wie ich bin, war ich ein Gegenstand ihres Verlangens.

Simylus. Du sprichst in Räthseln.

3. Polystratus. Und doch ist nichts bekannter und häufiger als die Liebe zu reichen und kinderlosen Greisen.

Simylus. Ah, nun verstehe ich, von welcher Art deine Schönheit war: es war die goldene Venus, die dich damit beschenkte.

Polystratus. Glaube mir, mein Simylus, ich hatte von diesen Liebhabern, die mich beinahe anbeteten, keinen kleinen Genuß. Bisweilen that ich spröde, und ließ den Einen oder den Andern gar nicht vor mich kommen. Das machte, daß sie mit einander eiferten, und in dem Bestreben, mir gefällig zu seyn, einander zu überbieten suchten.

Simylus. Und wie verfügtest du am Ende über dein Vermögen?

Polystratus. In’s Gesicht sagte ich jedem Einzelnen von ihnen, daß ich ihn zum Erben einzusetzen gesonnen wäre. Weil nun dieß Jeder glaubte, so waren sie alle nur um so kriechender gegen mich. Ganz anders aber lautete das wirkliche Testament, welches ich hinterließ, und worin ich ihnen nichts als einen tüchtigen Verdruß vermachte.

[225] 4. Simylus. Und wen bezeichnete denn dein letzter Wille als Erben? Vermuthlich einen aus deiner Verwandtschaft?

Polystratus. Nein, wahrhaftig nicht; sondern einen vor kurzem erst gekauften schönen jungen Sclaven aus Phrygien.

Simylus. Wie alt ungefähr?

Polystratus. Gegen die zwanzig.

Simylus. Ha, ich kann mir seine Verdienste vorstellen.

Polystratus. Wenigstens war er würdiger, als alle Uebrigen, mich zu beerben, wiewohl er ein Ausländer und ein Taugenichts ist. Auch werden ihm, seitdem er im Besitz meines Vermögens ist, von den Angesehensten der Stadt Aufwartungen gemacht; man zählt ihn, trotz seines glattgeschornen Kinnes[3] und seiner barbarischen Mundart, zu den edelsten Geschlechtern, und heißt ihn adeliger als Codrus, schöner als Nireus, klüger als Ulysses.

Simylus. Meinetwegen mögen sie ihn zum Gouverneur von ganz Griechenland machen: nur soll ihnen einmal seine Erbschaft nicht zufallen.

[226]
X. Charon, Merkur und verschiedene Schatten, als Menippus, Charmolaus, Lampichus, Damasias, ein Soldat[WS 2], ein Philosoph, und ein Rhetor.

1. Charon. So laßt euch doch sagen, wie sich die Sache verhält. Unser Nachen ist klein und wurmstichig, wie ihr selbst seht, und läßt ziemlich viel Wasser ein: und wenn er sich stark auf eine Seite neigte, so würde er gar umschlagen und untergehen. Nun sind eurer so Viele auf einmal angekommen, und Jeder ist noch obendrein so stark bepackt, daß ich fürchte, wenn ihr mit all eurem Plunder einsteigen wolltet, möchte es euch bald grauen, zumal die, welche nicht schwimmen können.

Die Schatten. Wie sollen wir’s denn machen, um glücklich hinüber zu kommen?

Charon. Das will ich euch sagen. Das unnöthige Zeug da habt ihr alles auf dem Ufer zurückzulassen, und mutternackt einzusteigen; denn auch so noch wird das Schiffchen kaum Alle fassen können. Du wirst inzwischen Sorge tragen, Merkur, Keinen hereinzulassen, der nicht, wie gesagt, sich leicht gemacht und sein Gepäck abgelegt hat. Stelle dich neben die Schiffsleiter, untersuche Einen nach dem Andern, und nöthige sie Alle, nackt einzusteigen.

2. Merkur. Gut, es soll geschehen. Wer ist der Erste da?

Menippus. Ich bin Menippus. Siehst du, Merkur, meinen Ranzen und meinen Stab habe ich in den See geworfen, meinen alten abgeschabten Mantel aber weislich nicht mitgenommen.

[227] Merkur. Steig ein, Menippus, vortrefflichster der Sterblichen: du sollst den Ehrensitz auf einer Erhöhung neben dem Steuermann haben, um die übrigen Alle zu überschauen. – Und wer ist denn der hübsche Junge da?

3. Charmolaus. Ich bin Charmolaus aus Megara, der Reizende, dem man den Kuß mit zwei Talenten bezahlte.

Merkur. Lege ab deine Schönheit und deine Lippen sammt ihren Küssen und die dichten Locken, das blühende Roth der Wangen und dein ganzes zartes Fell dazu. – Gut! Nun bist du leicht genug: eingestiegen! – Du da, mit dem Purpurmantel, dem Diadem, und der hochmüthigen Miene, wer bist du?

4. Lampichus. Lampichus, Tyrann von Gela.

Merkur. Wie, Lampichus, du kommst in einem solchen Aufzuge hieher?

Lampichus. Warum nicht? Ein Fürst wird doch nicht nakt und bloß erscheinen sollen?

Merkur. Der Fürst nicht, aber der Todte. Also weg mit diesen Dingen!

Lampichus. Siehe hier liegen meine Kostbarkeiten.

Merkur. Nun wirf auch deinen Dünkel und deinen Hochmuth von dir: sie würden die Fähre niederdrücken, wenn sie mit dir hineinplumpten.

Lampichus. Wenigstens mein Diadem laß mir, und mein Oberkleid.

Merkur. Keineswegs, auch dieses leg’ ab.

Lampichus. So sey es! – Was nun weiter? Du siehst, daß ich Alles abgelegt habe.

[228] Merkur. Die Grausamkeit, die Thorheit, die Gewaltthätigkeit, der Zorn, alles das muß auch noch fort.

Lampichus. Siehe, nun bin ich frei davon.

Merkur. Jetzt steige ein. – Du dicke Fleischmasse, wer bist du?

5. Damasias. Der Athlet Damasias.

Merkur. Wahrhaftig, so ist’s: ich erinnere mich, dich öfters in den Ringschulen gesehen zu haben.

Damasias. Ja wohl, Merkur. Ich bin nackt, wie du siehst; laß mich nur immer einsteigen.

Merkur. Halt, mein Bester: man ist nicht nackt[WS 3], wenn man in eine solche Menge Fleisch gehüllt ist. Der Nachen müßte untersinken, wenn du auch nur einen Fuß hineinsetztest: also fort damit, und wirf auch diese Siegerkränze und prächtigen Zeugnisse weg.

Damasias. Nun bin ich wirklich ganz und gar ausgezogen, siehst du, und gewiß ebenso leicht als die übrigen Schatten.

6. Merkur. Um so besser: also hinein! – Auch du, Crato, lege hier nur gleich deinen Reichthum, deine Weichlichkeit und dein Wohlleben nieder: weg mit den kostbaren Leichengewändern und den hohen Würden deiner Ahnen! Laß zurück deinen Adel, deinen Rang, und die Ehrentitel, welche der Staat dir ertheilt haben mag, und die Inschriften auf deinen Bildsäulen, und sage kein Wort davon, daß sie dir ein so großes Grabmahl errichteten: denn schon die Erwähnung dieser Dinge fällt zu sehr in’s Gewicht.

Crato. Ich werfe sie von mir, ungerne zwar, allein – was will man machen?

[229] 7. Merkur. Alle Hagel, da kommt einer in voller Rüstung – was willst du damit? Wozu schleppst du diese Trophäe herbei!

Soldat. Ich habe gesiegt, Merkur, und wegen meines braven Benehmens vom Staat eine öffentliche Ehrenbezeugung erhalten.

Merkur. Laß deine Trophäe immer auf der Erde! Im Hades ist Friede: du wirst da keine Waffen brauchen. –

8. Aber der Mensch dort mit der gravitätischen Haltung und dem langen Barte, der so vornehm einherschreitet, die Augbraunen hinaufzieht und in Nachdenken vertieft scheint, wer ist denn der?

Menippus. Es ist ein Philosoph, Merkur, oder vielmehr ein Windbeutel voller Gaukelei. Laß ihn gleichfalls sich ausziehen, und du wirst hundert närrische Sächelchen finden, die er unter seinem Mantel birgt.

Merkur. Wohlan also, lege vor allen Dingen deinen Mantel ab, und was du sonst noch an dir hast. [Der Philosoph entkleidet sich.] Hilf Himmel! was führt der alles mit sich! welche Last von Marktschreierei, Unwissenheit, Streitsucht, leerem Dünkel, müßigen Streitfragen, spitzfündigen Erörterungen, verworrenen Begriffen! Wie viel eitles Bemühen, wie viel alberne Grillen und Kleinigkeitskrämereien! Und, beim Jupiter, auch Gold giebt es da, und Zornsucht, und Wollust, Schamlosigkeit und Lüderlichkeit aller Art! O ich sehe es recht gut, wie sehr du es auch zu verstecken suchst. Weg mit diesem Allem, und mit deinem Lug und Trug, deiner Aufgeblasenheit und deinem Dünkel, als ob du besser [230] wärest, als andere Leute. Wenn du dieses Alles mitnehmen wolltest, welches fünfzigrudrige Lastschiff könnte dich tragen?

Der Philosoph. Nun denn, weil du es so haben willst – hier ist es Alles.

9. Menippus. Aber Merkur, auch seinen Bart soll er ablegen: du siehst, wie dicht und struppicht er ist: fünf Pfund wiegt er zum wenigsten.

Merkur. Du hast Recht, Menippus. [Zu dem Philosophen.] Nimm deinen Bart ab.

Der Philosoph. Wer soll mir ihn denn abscheeren?

Merkur. Menippus hier soll die Schiffsaxt zur Hand nehmen, und ihn auf der Leiter abhacken.

Menippus. Nicht doch, Merkur, gieb mir die Säge dort: das muß noch lustiger seyn.

Merkur. Die Axt thut’s auch. – Gut! der Bocksbart ist herunter: nun siehst du doch wieder aus, wie ein Mensch.

Menippus. Soll ich ihm nicht auch noch seine Augbraunen ein bischen stutzen?

Merkur. Allerdings: er zieht sie ja bis über die Stirne hinauf; ich weiß gar nicht, warum er eine so wichtige Miene macht. – Was ist das? Du weinst sogar, erbärmlicher Wicht? Dir graut vor der Ueberfahrt? Fort, hinein!

Menippus. Halt, er hat noch etwas unter der Achsel, gerade das Schwerste.

Merkur. Was denn?

Menippus. Die Schmarotzerei, die ihm bei Lebzeiten so Vieles eintrug.

[231] Der Philosoph. Und du, Menippus, lege deine freche Zunge und deinen mitleidlosen rohen Spott ab: du bist der Einzige von Allen, der noch lacht.

10. Merkur. Nein, Menippus, behalte diese Dinge: sie sind leicht mitzuführen, und wir können sie wohl brauchen auf unserer Ueberfahrt. – Du endlich, Redekünstler, wirf mir deinen ungeheuern Wortschwall, deine Gegensätze und Gleichklänge, deine künstlichen Perioden und Barbarismen, und den ganzen schwerfälligen rhetorischen Plunder weg.

Der Rhetor. Siehe, hier liegt er.

Merkur. Nun gut. – Mache den Nachen los, Charon! Die Leiter hereingenommen, den Anker aufgezogen! Ausgespannt das Segel, Fährmann, das Steuer gerichtet! Nun fort, in Gottes Namen! – Was heult ihr, Tröpfe? Und du besonders, Philosoph; vielleicht, weil wir dir so eben den Bart rasirt haben?

11. Der Philosoph. Nein, Merkur, sondern weil ich die Seele für unsterblich hielt.

Menippus. Er lügt: es sind offenbar ganz andere Dinge, die ihn jammern.

Merkur. Diese wären?

Menippus. Daß er nicht mehr an köstlichen Tafeln schmausen und des Nachts nicht mehr ausgehen, den Mantel über den Kopf ziehen, und von allen unbemerkt die Hurenspelunken der Reihe nach besuchen soll: daß er den Tag über keine jungen Leute mehr mit seiner Weisheit zu Narren haben und schweres Geld dafür einstreichen kann, deßwegen heult er.

[232] Der Philosoph. Machst denn du dir nichts daraus, Menippus, daß du gestorben bist?

Menippus. Wie sollte ich, da ich dem Tode ungerufen entgegeneilte? Aber während wir hier plaudern, läßt sich nicht von der Erde her ein Lärm von mehreren lauten Stimmen vernehmen?

12. Merkur. Allerdings, und aus mehr als Einer Gegend. Dort strömen die Leute in die Volksversammlung und überlassen sich ihrer Lustigkeit über den Tod des Tyrannen Lampichus: seine Gattin ist unter den Händen der Weiber, und sogar seine kleinen Kinder werden von andern Jungen mit einem Steinhagel empfangen. Dort in Sichon wird dem Redner Diophantus, der dem Crato hier die Leichenrede hält, der lauteste Beifall zugerufen. Und – weiß der Himmel – dort heult sogar die Mutter des Damasias an der Spitze der Klageweiber um einen Damasias! Nur um dich, Menippus, weint Niemand: wo du liegst, ist’s stille und einsam.

13. Menippus. O nicht so sehr, Merkur: du wirst bald hören, wie die Hunde ganz erbärmlich über mir zusammenheulen, und die Raben mit den Flügeln schlagen, wenn sie sich versammeln werden, mich zu begraben.

Merkur. Du bist ein braver Kerl, Menippus! Doch – wir sind am Ufer: steigt also aus und geht auf diesem Wege gerade fort zum Gerichte. Wir, der Fährmann und ich, kehren zurück, um wieder Andere zu holen.

Menippus. Glück zu, Merkur! – Wir wollen vorwärts gehen. Was zögert ihr! Gerichtet müssen wir nun schon werden. Freilich spricht man von schweren Strafen, von [233] Rädern, Geiern, Felsblöcken: und Jedem wird sein ganzes Leben unter die Augen gestellt.


XI. Crates und Diogenes.

1. Crates. Du hast doch den Mörichus gekannt, Diogenes, den steinreichen Corinthier, der so viele Waarenschiffe besaß, und dessen Vetter, der gleichfalls reiche Aristeas, das Homerische

Schaffe du mich fort oder ich dich[4]

immer im Munde führt?

Diogenes. Je nun, was ist’s mit diesen?

Crates. Sie waren in gleichem Alter; da aber jeder von beiden den Anderen zu beerben hoffte, so erwiesen sie sich gegenseitig alle Aufmerksamkeit, und machten öffentlich ihr Testament, worin Mörichus den Aristeas, wenn ihn dieser überleben sollte, und Aristeas den Mörichus auf denselben Fall zum Herrn seines ganzen Vermögens einsetzte. So lautete das beiderseitige Testament. Die Beiden aber fuhren fort, es einander in Gefälligkeiten und Schmeicheleien zuvorzuthun. Auch die Wahrsager, die Stern- und Traumdeuter, die Wundermänner von der Chaldäerzunft, ja der pythische Gott selbst verhießen bald dem Aristeas, bald dern Mörichus den Sieg, so daß sich die Wagschale bald zu des Einen, bald zu des Andern Gunsten neigte.

2. Diogenes. Und was geschah am Ende? Du machst mich neugierig.

[234] Crates. Alle Beide starben an Einem Tage. Die Erbschaften fielen zwei Verwandten, dem Eunomius und Thrasykles zu, die nie geahnt hatten, daß es so kommen würde. Denn die beiden Erblasser waren mitten auf der Ueberfahrt von Sicyon nach Cirrha vom Nordwestwinde überfallen worden, der das Fahrzeug umstieß und sie unter den Wellen begrub.

3. Diogenes. Recht so! Wir beide, als wir noch im Leben waren, hatten nichts dergleichen gegen einander im Sinne. Ich wünschte nie dem Antisthenes den Tod, um seinen Stab zu erben – und er hatte einen sehr tüchtigen aus Oelbaumholz, den er sich selbst geschnitten –; und eben so wenig, glaube ich, trugst auch du, Crates, je ein Verlangen nach meinem Tode, um meine Habseligkeiten, mein Faß und meinen Ranzen sammt den zwei Maaß Feigbohnen zu erhalten, die er in sich faßte.

Crates. Ich bedurfte dergleichen so wenig als du, Diogenes. Uebrigens hast du von Antisthenes, und ich von dir das gebührende Erbtheil erhalten, ein Erbtheil, das wichtiger und mehr werth ist als alle Herrlichkeit des Perserkönigs.

Diogenes. Und das war?

Crates. Weisheit, Selbstgenügsamkeit, Wahrheitsliebe, Freimuth und Unabhängigkeit.

4. Diogenes. Beim Jupiter, ich erinnere mich, diese Reichthümer von Antisthenes überkommen und dir reichlich vermehrt hinterlassen zu haben.

Crates. Den Leuten aber war an diesen Gütern nichts gelegen: darum hat uns auch Niemand, in der Hoffnung, [235] uns zu beerben, den Hof gemacht. Nur auf das Gold waren Aller Augen gerichtet.

Diogenes. Wie natürlich. Sie wären, wenn sie dergleichen Dinge von uns bekommen hätten, nicht im Stande gewesen, sie auch nur aufzubewahren, da ihre Lüderlichkeit sie zu durchlöcherten Säcken gemacht hatte, die nichts bei sich behalten. Wollte man daher Weisheit, Freimuth, Wahrheitsliebe ihnen eingießen, alsbald würde der unhaltbare Boden sie wieder ausfließen lassen. Es geht ihnen hierin gerade wie den Danaïden, welche Wasser in ein angebohrtes Faß schöpfen. Mit dem Golde aber ist es etwas anderes: das halten sie mit den Zähnen und Nägeln und auf alle Weise fest.

Crates. Dafür haben wir aber unsern Reichthum auch hier noch bei uns: jene aber kommen mit einem einzigen Obolus an, und behalten auch diesen nur bis an Charon’s Fähre.


XII. Alexander, Hannibal, Scipio und Minos.

1. Alexander. Mir gebührt der Vorzug vor dir, Afrikaner! Ich bin der Größere.

Hannibal. Mit nichten: ich bin’s.

Alexander. Je nun, so soll Minos entscheiden.

Minos. Wer seyd ihr denn?

Alexander. Dieser da ist Hannibal aus Carthago, und ich bin Alexander, der Sohn Philipp’s von Macedonien.

Minos. Zwei berühmte Namen, beim Jupiter! Aber worüber streitet ihr denn?

[236] Alexander. Ueber den Vorrang. Hannibal behauptet, ein größerer Feldherr, als ich, gewesen zu seyn: ich hingegen sage, daß ich, was ja allgemein bekannt ist, nicht nur diesen, sondern überhaupt alle meine Vorgänger im Kriegswesen übertroffen habe.

Minos. Einer nach dem Andern soll für seine Sache sprechen. Mache du den Anfang, Afrikaner!

2. Hannibal. Nun kommt mir nichts so gut zu Statten, Minos, als daß ich hier in der Unterwelt auch noch Griechisch gelernt habe; so daß mein Gegner auch hierin nichts vor mir voraus hat. – Ich behaupte, daß diejenigen das größte Lob verdienen, welche anfangs nichts bedeuteten, und es gleichwohl sehr weit gebracht haben, indem sie durch sich selbst Macht und Ansehen sich erwarben und würdig erschienen, die höchste Gewalt zu bekleiden. So war ich mit wenig Leuten nach Spanien gekommen, und diente anfänglich als Unterbefehlshaber unter meinem Bruder: bald aber ward ich für den Tüchtigsten im Heere erkannt und der höchsten Stelle gewürdigt. Da eroberte ich Celtiberien, bezwang das westliche Gallien, überstieg die höchsten Gebirge, durchzog verheerend die Landschaften um den Po, zerstörte eine Menge Städte, unterwarf mir die Gefilde Italiens und rückte bis in die Vorstädte der Hauptstadt selbst vor. An einem einzigen Tage hatte ich so viele Feinde erschlagen, daß man ihre Fingerringe nach Scheffeln maß, und ihre Leichname zu Brücken über Ströme dienten. Und alle diese Thaten verrichtete ich, ohne mich Jupiter-Ammon’s Sohn nennen zu lassen, und mich für einen Gott auszugeben, oder von Träumen meiner Mutter zu fabeln; sondern, während ich für einen [237] bloßen Sterblichen gelten wollte, erprobte ich mich an den einsichtsvollsten Feldherrn und hatte es mit den streitbarsten Kriegern der Welt zu thun. Denn die, welche ich schlug, waren keine Meder und Armenier, die davon laufen, ehe man sie jagt, und den Sieg Jedem überlassen, der ihnen ein bischen keck entgegen geht.

3. Alexander aber hatte von seinem Vater eine Herrschaft geerbt, die er nur vergrößerte und weit ausdehnte, indem er sich die Gunst des Glückes zu Nutzen machte. Allein nach seinen Siegen bei Issus und Arbèla, die ihn vollends zum Ueberwinder des erbärmlichen Darius gemacht hatten, verließ er die heimische Sitte, verlangte göttliche Verehrung, vertauschte seine Lebensweise gegen die medische, und mordete seine eigenen Freunde eigenhändig bei seinen Trinkgelagen, oder ließ sie gefesselt zum Tode führen. Ich hingegen betrachtete mich bei meiner Gewalt über meine Mitbürger immer als einen Ihres gleichen, und als sie mich aus Italien zurückberiefen, weil eine große feindliche Flotte Carthago zusteuerte, gehorchte ich unverzüglich, kehrte in den Privatstand zurück, und ertrug, selbst da sie mich verurtheilten, mein Schicksal ohne Bitterkeit. Dieß that der Barbar, der aller feinern Griechischen Bildung ermangelte, der nicht, wie dieser da, Homer’s Gesänge herzusagen wußte, noch auch unter dem großen Philosophen Aristoteles studirt hat, sondern der einzig und allein seine glückliche Naturanlage zur Führerin hatte. Diese Gründe sind’s, aus welchen ich behaupte, den Vorrang vor Alexandern zu verdienen. Wenn er schöner war, weil ein Diadem sein Haupt umschlang, so mag das allerdings in den Augen von Macedoniern von Gewicht [238] seyn: wie sollte er aber um deßwillen größer als der hochherzige Kriegsheld erscheinen, der seinem Geiste unendlich mehr als seinem Glücke verdankte!

Minos. Das war eine wackere Rede, wie man sie keinem Afrikaner zutrauen sollte. Nun, Alexander, was hast du hierauf zu erwiedern?

4. Alexander. Eigentlich sollte man dem Unverschämten gar nichts erwiedern; denn schon das Gerücht wird dich hinlänglich belehrt haben, was ich für ein großer König, und was dieser für ein räuberischer Abentheurer war. Gleichwohl urtheile erst aus dem, was ich sagen werde, ob mein Vorzug vor Hannibal nicht groß genug ist. Ich war noch sehr jung, als ich die Regierungsgeschäfte antrat: dennoch hielt ich den erschütterten Thron kraftvoll aufrecht, zog die Mörder meines Vaters zur Strafe, machte mich den Griechen durch die Zerstörung von Theben furchtbar, und ward hierauf von ihnen zum Feldherrn erwählt. Nun hielt ich es meiner für unwürdig, mich auf den vom Vater ererbten macedonischen Thron zu beschränken; ich dachte auf eine Weltherrschaft und fühlte, daß es mir unerträglich wäre, wenn nicht Alles mir unterworfen würde. Mit einem kleinen Heerhaufen griff ich Asien an, siegte am Granicus in einer großen Schlacht, eroberte Lydien, Ionien, Phrygien: kurz alles Land, das mein Fuß betrat, mir unterwerfend, rückte ich bis Issus vor, wo Darius mit vielen Myriaden mich erwartete.

5. Wie viele Todte ich auch damals an Einem Tage in die Unterwelt schickte, wißt ihr ja selbst: der Fährmann erzählt noch heute, daß sein Nachen nicht groß genug gewesen [239] sey, sondern daß er Flösse habe zusammen binden müssen, um die ganze Menge herüber zu bringen. Dabei stellte ich mich überall selbst an die Spitze der Gefahr, mit dem Wunsche, eine ehrenvolle Wunde zu empfangen. Um dich nicht mit einer Schilderung meiner Thaten vor Tyrus und bei Arbèla aufzuhalten, erwähne ich nur, daß ich bis Indien vordrang, den Ocean zur Gränze meines Reiches machte, die Elephanten Indiens bändigte und den König Porus mir unterwarf. Auch setzte ich über den Tanaïs, und schlug die Scythen, ein gar nicht zu verachtendes Volk, in einer großen Reiterschlacht. Meinen Freunden habe ich Wohlthaten erwiesen, an meinen Widersachern Rache genommen. Und wenn mich die Sterblichen für einen Gott hielten, so ist nicht ihre Schuld, daß sie die Größe meiner Thaten so etwas von mir glauben ließ.

6. Endlich starb ich als König, dieser aber in der Verbannung bei Prusias den Bithynien auf eine Weise, welche des ränkevollsten und grausamsten aller Menschen würdig war. Denn auf welche Art er in Italien die Oberhand behielt, will ich hier nicht ausführen: genug es geschah nicht durch Kraft und Muth, sondern durch schlechte Mittel, durch Treulosigkeit und arglistige Ränke. Rechtlich und offen handelte er niemals. Und wenn er mir Schwelgerei vorwirft, so scheint er vergessen zu haben, wie er in Kapua hauste, wo sich der große Held an lüderliche Dirnen hieng, und die günstigsten Zeitpunkte zu Unternehmungen in Wollüsten verschwelgte. Hätte ich nicht, in Geringachtung des Abendlandes, meine Waffen gegen den Orient gerichtet, es wäre wahrlich nichts Großes gewesen, Italien, ohne einen Tropfen Blutes zu [240] vergießen, einzunehmen, und Afrika und alle Lande bis Cadix unter mein Joch zu beugen. Allein ich hielt es unter meiner Würde, Völker zu bekriegen, die nun feige genug sind, die Herrschaft eines Einzigen anzuerkennen. – Ich bin zu Ende. Entscheide nun, Minos. Denn von Vielem, was sich noch sagen ließe, mag dieß genug seyn.

7. Scipio. Nicht eher, als bis du auch mich gehört hast.

Minos. Wer und woher bist du denn, guter Freund, daß du hier etwas zu sagen hast?

Scipio. Aus Italien, der Feldherr Scipio, der Karthago zerstörte und große Siege über die Afrikaner erfocht.

Minos. Und was hast du denn zu sagen?

Scipio. Daß ich geringer als Alexander, aber größer als Hannibal sey, den ich geschlagen und genöthigt habe, eine schändliche Flucht zu ergreifen. Wie unverschämt also von diesem, einem Alexander den Rang streitig machen zu wollen, mit welchem nicht einmal Scipio, Hannibal’s Ueberwinder sich zu messen wagt?

Minos. Beim Jupiter, das heißt verständig gesprochen. So fälle ich also das Urtheil: der Erste ist Alexander, der zweite du, Scipio: der Dritte mag Hannibal seyn; denn auch dieser ist im Geringsten nicht zu verachten.


XIII. Diogenes und Alexander.

1. Diogenes. Was ist das, Alexander? Du bist auch gestorben, wie wir andern Alle?

[241] Alexander. Wie du siehst: was ist denn Wunderbares daran, wenn der Sterbliche stirbt?

Diogenes. Ammon hat also gelogen, wenn er dich seinen Sohn nannte, und Philippus war wirklich dein Vater?

Alexander Nicht anders: ich wäre wohl nicht gestorben, wenn ich Ammon’s Sohn wäre.

Diogenes. Gleichwohl waren Mährchen solcher Art auch in Betreff der Olympias im Umlauf, als ob sie Umgang mit einem Drachen gehabt hätte, und derselbe in ihrem Bette gesehen worden wäre: einige Zeit darauf wärest du geboren worden; den betrogenen Philippus aber hätte man auf dem Glauben gelassen, dein Vater zu seyn.

Alexander. Auch ich hörte eben das: allein jetzt sehe ich wohl, daß weder an den Aussagen meiner Mutter, noch an denen der Ammon’spriester ein vernünftiges Wort war.

Diogenes. Doch kam dir diese Lüge bei deinen Unternehmungen nicht übel zu Statten, Alexander. Es waren ihrer Viele, welche, im Glauben an deine Gottheit, sich dir demüthig unterwarfen.

2. Aber sage mir doch, wem hast du denn dein gewaltiges Reich hinterlassen?

Alexander. Das weiß ich selbst nicht, guter Diogenes. Ich konnte hierüber nichts mehr bestimmen, ausser daß ich im letzten Augenblicke noch dem Perdiccas meinen Fingerring übergab. Worüber lachst du denn?

Diogenes. Worüber anders, als über die klugen Streiche der Griechen, die mir jetzt der Reihe nach beifallen. Kaum hattest du den Thron bestiegen, so fiengen sie an, [242] dir zu schmeicheln, wählten dich zu ihrem Vorstande und zum Feldherrn gegen die Perser: Etliche zählten dich sogar den zwölf Göttern bei, bauten die Tempel und opferten dir als dem Drachensohne. – Aber wo haben dich denn deine Macedonier begraben?

3. Alexander. Schon ist’s der dritte Tag, und noch immer liege ich zu Babylon: allein Ptolemäus, mein Leibtrabant, verspricht, sobald ihm die gegenwärtigen Verwirrungen einige Zeit lassen, mich nach Aegypten zu bringen und zu bestatten, wo ich denn einer von den ägyptischen Göttern werden soll.

Diogenes. O Alexander! ich soll nicht lachen, da ich sehe, daß du auch im Schattenreiche noch so albern bist, und ein Anubis oder Osiris zu werden hoffest? Göttersohn, bilde dir so etwas nicht ein. Es geht nun ein für allemal nicht an, daß, wer einmal über den See gesetzt und den Eingang der Unterwelt hinter sich hat, wieder zurückkehre. Aeakus ist wachsam, und mit dem Cerberus läßt sich auch nicht spaßen.

4. Aber nur das möchte ich von dir wissen, wie dir zu Muthe ist, wenn du an die Herrlichkeiten denkst, welche du auf der Oberwelt zurückgelassen hast, an deine Leibwachen, Trabanten und Satrapen, und die vielen zu deinen Füßen knieenden Nationen, an dein Babylon und Bactra, an deine großen Indischen Wunderthiere, dein Gold, deine Hoheit und deinen Ruhm, und wie du einst von Purpur umwallt, und das Haupt mit dem weißen Diademe umschlungen, in strahlender Majestät einherfuhrst – machen dir solche Erinnerungen das Herz nicht schwer? Wirklich, du weinst, eitle Seele? [243] Nicht einmal das hat dich dein weiser Aristoteles gelehrt, wie unzuverläßig die Gaben des Glückes sind?

5. Alexander. Ach nenne ihn nicht weise, der unter allen meinen Schmeichlern der ärgste Schurke war. Glaube mir, ich muß am besten wissen, was von ihm zu halten ist. Was bettelte er nicht Alles von mir, welche Briefe schrieb er mir, wie mißbrauchte er die Liebhaberei, mit welcher ich die Wissenschaften zu begünstigen mir zur Ehre rechnete, wie kriechend pries er bald meine Schönheit, als ob auch diese zu den wahren Gütern gehörte, bald meine Thaten und meine Reichthümer! Denn auch die letztern erklärte er für ein wahres Gut, um sich nicht schämen zu müssen, daß er selbst so Vieles von mir annahm. Kurz, Aristoteles ist ein ausstudierter Betrüger, und der ganze Gewinn, den ich von seiner Philosophie habe, ist der, daß ich nun über den Verlust jener Dinge, welche du so eben aufzähltest, wie über den Verlust der größten Güter traure.

6. Diogenes. Weißt du was? Ich will dir ein kummerstillendes Mittel sagen. Da bei uns keine Nießwurz wächst, so trinke in vollen Zügen aus dem Lethequell, und das mehreremal. Sey gewiß, die aristotelischen Güter werden dir bald keinen Kummer mehr machen. – Aber da sehe ich ja den Clitus und Callisthenes und mehrere Andere auf dich daher stürmen, als ob sie für das, was du ihnen gethan, Rache nehmen und dich zerreißen wollten. Schlage also diesen andern Weg ein, und – hörst du? – trinke recht fleißig.

[244]
XIV. Alexander und Philippus.

1. Philippus. Nun Alexander wirst du wohl nicht mehr in Abrede seyn, daß du wirklich mein Sohn bist. Denn als der Sohn des Jupiter-Ammon wärest du wohl schwerlich gestorben.

Alexander. O Vater, ich selbst wußte es recht gut, daß ich des Philippus Sohn und des Amyntas Enkel war. Allein ich ließ mir das Orakel gerne gefallen, weil ich es bei meinen Unternehmungen für förderlich hielt.

Philippus. Wie so? Du konntest einen Vortheil darin sehen, dich zum Gegenstande von Pfaffentrug zu machen?

Alexander. Ich betrachtete die Sache nicht so. Sondern die barbarischen Völker zitterten vor mir, und keines derselben wagte, zum Widerstande gegen den vermeintlichen Gott die Waffen zu ergreifen. So war es mir ein Leichtes, mir sie alle zu unterwerfen.

2. Philippus. Was waren es aber auch für Leute, welche du dir unterwarfst? Waren es Männer, gegen die es eine Ehre ist im Felde zu stehen, oder hast du es nicht vielmehr mit Memmen zu thun gehabt, die mit schwachen Bogen und elenden Schildchen oder Schilden aus Weidengeflechten bewaffnet waren? Die Griechen überwinden, Böotier, Phocenser, Athener schlagen, das ist eine andere Arbeit. Mit Arcadischen Schwerbewaffneten, Thessalischer Reuterei, Elëischen Schützen, dem leichten Fußvolk von Mantinea, Thraciern, Illyriern, Päoniern – mit solchen Truppen fertig geworden seyn, das sind große Thaten. Jene Meder, Perser [245] und Chaldäer aber, verzärtelte und mit goldenen Waffen gezierte Puppen, weißt du nicht, wie sie vor dir schon von den Zehentausend, die mit Clearchus ausgezogen waren, geschlagen wurden, und wie sie da nicht einmal den Muth hatten, es zum Handgemenge kommen zu lassen, sondern, ehe noch ein Geschoß sie erreichen konnte, davon liefen?

3. Alexander. Aber die Scythen, Vater, und die Indischen Elephanten sind doch keine so verächtlichen Gegner: und gleichwohl besiegte ich sie, ohne Zwistigkeiten unter ihnen selbst zu stiften, oder meinen Sieg von Verräthern zu erkaufen. Nie erlaubte ich mir um meines Vortheiles willen einen Meineid, einen Bruch des gegebenen Wortes oder irgend eine Treulosigkeit. Griechenland gewann ich, mit Ausnahme der Thebaner, ohne Schwerdtstreich: wie ich aber diese züchtigte, wirst du ohne Zweifel bereits vernommen haben.

Philippus. Ich weiß das Alles: Clitus hat es mir erzählt, derselbe den du über der Tafel mit der Lanze durchbohrtest, weil er sich unterstanden hatte, in Vergleichung mit deinen Thaten die meinigen zu loben.

4. Auch sagte man mir, du hättest den Macedonischen Kriegsmantel abgelegt, und dafür ein weiches Persisches Gewand umgethan, und die Tiare (Turban) aufgesetzt, ja sogar von Freigebornen, edlen Macedoniern, göttliche Verehrung verlangt, und was die größte Thorheit war, die Sitten der Ueberwundenen nachgemacht. Ich schweige von deinen übrigen Thaten, daß du, zum Beispiel, Löwen und Gelehrte zusammensperrtest, unwürdige Hochzeiten feiertest, in den Hephästion bis zum Wahnsinn verliebt warst, und dergleichen. Das Einzige Lobenswürdige, das ich von dir vernahm, [246] war die Selbstverläugnung, welche du in Beziehung auf die schöne Gemahlin des Darius bewiesen, so wie die Fürsorge, welche du für seine Mutter und Töchter getragen hast. Das war königlich gehandelt.

5. Alexander. Wie, mein Vater, an meinem Muthe also, den ich so gerne in Gefahren erprobte, an jener Heldenthat bei den Oxydraken, wo ich der Erste war, der von der Mauer in die Stadt sprang, an den vielen Wunden, die ich empfieng, an Allem dem findest du nichts zu loben?

Philippus. Nein, Alexander: nicht als ob ich es nicht für rühmlich hielte, wann sich ein König einmal in der Schlacht an die Spitze seines Heeres stellt und Wunden davon trägt; sondern weil dein Benehmen eben dir am wenigsten Vortheil brachte. Denn wenn man dich, der für einen Gott gelten wollte, verwundet, bluttriefend und ächzend aus der Schlacht tragen sah, so warst du ein Gegenstand des Spottes für alle Zuschauer: dein Ammon aber war als Betrüger und Lügenprophet, und seine Priester als kriechende Schmeichler überwiesen. Oder sollte man nicht lachen, wenn man einen Sohn Jupiter’s in Ohnmacht fallen und ärztlicher Hülfe bedürftig sieht? Und vollends jetzt, da du gar gestorben bist, glaubst du nicht, daß gar Viele in scharfer Lauge über deine schlecht gespielte Rolle sich auslassen werden, wenn nun der Leichnam des Gottes ausgestreckt, und nach dem Gesetze aller Leiber in Fäulniß und Verwesung übergehend, vor ihnen liegt? Zu dem hat das, was du vorhin als einen Vortheil anführtest, daß du nämlich durch den Glauben der Völker an deine Göttlichkeit dich um so leichter zum Herren derselben machtest, dem Ruhme deiner Thaten [247] schon um deßwillen sehr geschadet, weil jede derselben immer noch zu klein war, wenn sie für die That eines Gottes gelten sollte.

6. Alexander. So denken die Menschen doch nicht von mir, sondern sie setzen mich einem Bacchus und Herkules an die Seite: und wirklich bin ich der Einzige, der das unersteigliche Felsennest Aornus, das keiner von jenen Beiden eingenommen hatte, in seine Gewalt bekam.

Philippus. Hörst du, wie du nun schon wieder als Ammon’s Sohn sprichst, indem du dich mit Herkules und Bacchus vergleichst. Schäme dich doch, Alexander, und gewöhne dir diese thörichte Einbildung ab: lerne dich selbst kennen, und dir bewußt werden, daß du ein Schatten bist.


XV. Antilochus und Achilles.

1. Antilochus. Was du neulich zu Ulysses über den Tod sagtest, Achilles, verräth eine des Zöglings von Chiron und Phönix sehr unwürdige Schwachheit. Ich hörte dich sagen, du wolltest

– – – – – lieber das Feld als Tagelöhner bestellen
Einem dürftigen Mann ohn’ Erb’ und eigenen Wohlstand,
Als die sämmtliche Schaar der geschwundenen Todten beherrschen[5].

Diese unedle Aeusserung schickte sich allenfalls für einen feigen Phrygier, der sich nicht schämt das Leben über Alles zu lieben. Aber daß der Sohn des Peleus, sonst ein Held und [248] mit Gefahren vertraut, wie Keiner, nun auf einmal so niedrig von sich denkt, das ist große Schande und widerspricht gar sehr deinen bei Lebzeiten verrichteten Thaten. Hast du doch selbst einen glorreichen Tod dem noch so langen Leben vorgezogen, welches du als König, aber ruhmlos, in Phthiotis hättest führen können.

2. Achilles. Ach Nestoride, damals kannte ich diesen Zustand noch nicht. Unwissend, was das Bessere wäre, gab ich dem elenden Bischen Ruhm vor dem Leben den Vorzug. Jetzt aber weiß ich, wie so eitel und unnütz dieser Ruhm mir ist, was auch die Leute da oben davon singen und sagen werden. Hier unter den Schatten ist Gleichheit der Ehre. O mein Antilochus, Schönheit und Stärke sind dahin: Alle liegen wir hier, in Nichts von einander unterschieden, von derselben Finsterniß eingehüllt. Die Schatten aus Troja fürchten mich nicht, die Achäer ehren mich nicht. Die genaueste Gleichheit herrscht, und der Schlechteste wie der Edelste – Einer ist todt wie der Andre. Dieß ist mein Kummer, und darum beklage ich es, daß ich nicht lebe, und wäre es auch nur als Tagelöhner.

3. Antilochus. Was will man machen, Achilles? Die Natur hat es so gewollt, daß Alle ohne Ausnahme sterben müssen. Diesem Gesetze müssen wir uns also ohne Gram und Kummer fügen. Ueberdieß siehst du ja, wie viele deiner Freunde du um dich hast: auch Ulysses wird in Kurzem hier seyn. Es liegt also doch immer ein Trost in dem Gedanken, nicht der Einzige zu seyn, der leidet, sondern sein Ungemach mit Andern zu theilen. Du siehst hier den Herkules, den Meleager, und andere wunderwürdige Männer, von denen [249] gewiß Keiner die Erlaubniß, in die Oberwelt zurückzukehren, annehmen würde, wenn man sie ihm unter der Bedingung ertheilte, als Tagelöhner zu dienen „einem dürftigen Mann ohn’ Erb’ und eigenen Wohlstand.“

4. Achilles. Das ist der wohlmeinende Trost eines Freundes. Allein ich kann nun einmal nicht dafür, das mich die Erinnerung an das Leben so tief kränkt, und ich glaube, es geht euch Allen auch so. Wenn ihr es nicht gesteht, um so schmählicher ist es, daß ihr es euch stillschweigend gefallen laßt.

Antilochus. Keineswegs Achilles, wir handeln nur um so vernünftiger, da wir einsehen, wie fruchtlos es wäre, viele Worte darüber zu verlieren. Wir halten es also für’s Beste, zu schweigen und zu dulden, um uns nicht, wie du, mein Freund, mit so eiteln Wünschen lächerlich zu machen.


XVI. Diogenes und Hercules.

1. Diogenes. Ist das nicht Herkules? Beim Hercules, er ist’s – der Bogen, die Keule, das Löwenfell, die große Statur, der leibhafte Hercules! Also Jupiter’s leiblicher Sohn wäre gestorben? Nein, sage mir doch, du Siegesheld, bist du denn wirklich todt? Auf der Oberwelt opferte ich dir ja als einem Gotte?

Hercules. Und thatest recht daran. Der wahre Hercules lebt im Himmel bei den Göttern, und

– – umarmt die blühende Hebe[6].

Ich bin nur sein Gebild.

[250] Diogenes. Wie meinst du das: Gebild des Gottes? Und ist es möglich, zur einen Hälfte ein Gott, zur andern gestorben zu seyn?

Hercules. Allerdings: denn nicht er selbst ist todt, sondern nur ich, sein Bild.

2. Diogenes. Ich verstehe: er hat dem Pluto dich als Ersatzmann gestellt; und du bist nun in seinem Namen todt?

Hercules. So ungefähr.

Diogenes. Wie gieng aber das zu, daß Aeacus, der es doch sonst so genau nimmt, die Sache nicht merkte, und den untergeschobenen Hercules für den ächten gelten ließ?

Hercules. Weil ich ihm auf ein Haar ähnlich sah.

Diogenes. Es ist auch wahr, so ähnlich, daß du er selbst seyn könntest. Wenn es sich nur nicht am Ende umgekehrt verhält und du hier der wahre Hercules bist, dein Schattenbild aber die Hebe bei den Göttern geheurathet hat!

3. Hercules. Du hast ein unverschämtes loses Maul! Wenn du nicht augenblicklich aufhörst zu spotten, so sollst du fühlen, wessen Gottes Gebild ich bin.

Diogenes. Wahrhaftig er spannt den Bogen. O ich bin schon einmal gestorben, ich fürchte dich nicht mehr. Aber ich bitte dich um deines Hercules willen, sage mir doch, warst du damals, wie er noch am Leben war, als seine Gestalt auch schon bei ihm? Oder machtet ihr damals nur Eine ungetrennte Person aus, und trenntet euch erst im Tode, wo denn der Eine zu den Göttern aufflog, du aber, sein Schattenbild, hieher in die Unterwelt wandertest?

[251] Hercules. Eigentlich sollte ich einem Menschen, der so geflissentlich seinen Spaß mit mir haben will, gar keine Antwort geben. Ich will dir aber gleichwohl so viel sagen: was von Amphitryo an Hercules war, das ist gestorben, und das Alles bin ich; was von Jupiter war, ist unter den Göttern im Himmel.

4. Diogenes. Ach! nun sehe ich klar. Also zwei Herculesse auf einmal hat Alcmene geboren, den Einen von Amphitryo, den Andern von Jupiter, und ihr waret demnach Zwillinge. Das wußte man freilich nicht.

Hercules. Nicht so, Dummkopf. Wir Beide waren Ein und Ebenderselbe.

Diogenes. Das begreift sich nun wieder nicht so leicht, zwei Herculesse in Einen zusammengesetzt! es müßte denn seyn, daß ihr eine Art von Centaur waret, ein Mensch und ein Gott, in Ein Wesen zusammengewachsen.

Hercules. Siehst du denn nicht, daß gleichermaßen alle Menschen aus zwei Theilen, aus Seele und Leib, zusammengesetzt sind? Was hindert also, daß nicht die Seele, die aus Jupiter ist, im Himmel, und das Sterbliche, das heißt ich, unter den Todten sey?

5. Diogenes. Das ließe sich hören, mein bester Amphitryonide, wenn du ein Körper wärest. Nun aber bist du ein unkörperliches Gebilde: und so fürchte ich, du wirst endlich noch einen dreifachen Hercules herausbringen.

Hercules. In wiefern einen dreifachen?

Diogenes. Ich denke so: Einer ist im Himmel; Einer bei uns, das Gebilde, das bist du, und der Körper verbrannte auf dem Oeta zu Asche – sind zusammen ihrer drei. [252] Nun magst du noch auf einen dritten Vater für deinen Körper denken.

Hercules. Das ist ein frecher, spitzfindiger Kerl! Und wer bist denn du!

Diogenes. Des Diogenes aus Sinope Gebilde. Er selbst ist zwar nicht

– – im Kreis der unsterblichen Götter,[7]

aber im Umgange mit den Trefflichsten der Abgeschiedenen, wo er sich über Homer und seine albernen Fabeleien lustig macht.


XVII. Menippus und Tantalus.

1. Menippus. Warum weinst du, Tantalus? Oder jammerst du über dich selbst?

Tantalus. Ach, Menippus, ich vergehe vor Durst!

Menippus. Du stehst ja am Wasser: warum bist du zu faul, dich zu bücken, oder auch nur mit der hohlen Hand zu schöpfen?

Tantalus. Das Bücken hilft mir nichts: das Wasser flieht vor mir, so bald es merkt, daß ich herankomme: und wenn ich auch etwas mit der Hand schöpfe und zum Munde führe, so kann ich kaum die äussersten Lippen benetzen; denn das Wasser zerrinnt mir, ich begreife nicht wie, zwischen den Fingern, und meine Hand ist wieder so trocken als zuvor.

Menippus. Ein wunderliches Leiden, Tantalus. Allein, wie kannst du denn zu trinken verlangen, da du doch [253] keinen Körper hast? Der hungernde und dürstende Theil deiner selbst liegt ja in Lydien begraben: wie solltest denn du, die bloße Seele, noch dürsten und trinken können?

Tantalus. Das ist eben meine Strafe, daß die Seele dürsten muß, als ob sie ein Körper wäre.

Menippus. So will ich es denn glauben, weil du sagst, der Durst sey dir als Strafe auferlegt. Worin sollte aber für dich das Ungemach bestehen? Oder fürchtest du etwa, aus Mangel an einem Trank, zu sterben? Ich sehe doch keine andere Schattenwelt, und weiß auch von keiner Wanderung aus diesem an einen andern Ort.

Tantalus. Du hast allerdings Recht: aber eben dieß ist ein Theil meiner Verdammniß, daß ich eine Sucht zu trinken habe, ohne dessen zu bedürfen.

Menippus. Possen, Tantalus: du brauchst, meine ich, allerdings einen Trank, aber wahrlich nur einen von der stärksten Niesewurz. Dein Uebel ist das gerade Gegentheil von dem, welches der Biß wüthender Hunde verursacht: du scheuest dich nicht vor dem Wasser, sondern vor dem Durst.

Tantalus. O lieber Menippus, ich würde mir gar nichts daraus machen, auch einen Niesewurz-Absud zu trinken. Wenn ich nur welchen hätte!

Menippus. Beruhige dich, guter Tantalus. Wir Schatten alle trinken so wenig, als du, weil es eine Unmöglichkeit ist. Aber freilich dürsten wir nicht, wie du, zur Strafe, und weil das Wasser vor uns davon liefe.

[254]
XVIII. Menippus und Merkur.

1. Menippus. Wo sind denn jene berühmten männlichen und weiblichen Schönheiten, Merkur? Mache mich neuen Ankömmling hier unten doch ein wenig bekannt.

Merkur. Ich habe keine Zeit dazu, guter Menippus: aber siehe dort rechts sind Hyacinth, Narciß, Nireus, Achilles, Tyro, Helena, Leda, kurz alle Schönheiten des Alterthums beisammen.

Menippus. Ich sehe nur nackte Gerippe und Schädel, von denen Einer aussieht wie der Andere.

Merkur. Gleichwohl sind diese Gerippe, von denen du so verächtlich sprichst, noch immer die Bewunderung aller Dichter.

Menippus. Zeige mir doch einmal die Helena; ich wüßte sie nicht herauszufinden.

Merkur. Dieser Schädel da ist Helena.

2. Menippus. Also um dieses Gebeines willen wurden tausend Schiffe aus dem ganzen Griechenland bemannt, so viele Tausend Griechen und Asiaten erschlagen, und so manche Stadt dem Boden gleich gemacht?

Merkur. Du hättest dieses Weib bei ihren Lebzeiten sehen sollen, Menipp: gewiß, du hättest diejenigen nicht getadelt,

Die um ein solches Weib so lang’ ausharrten im Elend[8].

Blumen, die in ihrer Blüthe und mit ihrem Farbenschmucke noch so schön waren, erscheinen häßlich, wenn sie verdorrt sind, und der frische Schmelz der Farben verschwunden ist.

[255] Menippus. Eben deßwegen wundere ich mich, Merkur, daß die Achäer nicht sollten eingesehen haben, wie sie sich um eines so kurz währenden, und so schnell verblühenden Dinges willen bemühen.

Merkur. Ich habe jetzt keine Zeit, mit dir zu philosophiren, Menippus. Wähle dir einen beliebigen Platz aus und lagere dich. Ich muß gehen und die übrigen Todten herbeiholen.


XIX. Aeacus, Protesilaus, Menelaus und Paris.

1. Aeacus. He, Protesilaus, was fällst du über die Helena her? warum fassest du sie an der Kehle?

Protesilaus. Sie ist Schuld an meinem Tode: mein Hauswesen mußte ich unvollendet, und meine junge, kaum geehlichte Gattin als Wittwe zurücklassen.

Aeacus. Klage den Menelaus deßhalb an, der um eines solchen Weibes willen euch nach Troja führte.

Protesilaus. Du hast Recht: den muß ich dafür belangen.

Menelaus. Nicht mich, mein Bester, sondern mit weit größerem Rechte den Paris, der mein, seines Gastfreundes, Weib schurkischer Weise entführte. Der verdiente nicht bloß von dir, sondern von allen Griechen und Asiaten erdrosselt zu werden, da durch seine Schuld so Viele ihren Tod gefunden haben.

Protesilaus. Ganz recht: heran also, Unglücksparis, du sollst mir nicht so bald aus den Händen!

[256] Paris. Du tust mir Unrecht, Protesilaus, zumal da wir Kunstverwandte sind: ich hatte mich auch, wie du, auf’s Lieben gelegt, und war von demselben Gotte getrieben worden. Nun weißt du ja selbst, daß es etwas Unwillkührliches um das Lieben ist, und daß es irgend ein Dämon ist, der uns führt, wohin er will, ohne daß es möglich wäre, ihm zu widerstehen.

2. Protesilaus. Du hast auch Recht! Könnte ich jetzt doch nur gleich den Liebesgott zu fassen bekommen!

Aeacus. Ich will seine Vertheidigung übernehmen. Er wird dir zugeben, an der Liebe des Paris zur Helena vielleicht Schuld zu seyn; aber an deinem Tode, wird er sagen, sey Niemand Schuld als du selbst. Bei der Ankunft an der Troïschen Küste hattest du dich, ohne an deine junge Gattin zu denken, von Tollkühnheit und Ehrgeiz verleiten lassen, zuerst an’s Land zu springen, und sogleich bei der Landung, der Erste von Allen, den Tod gefunden.

Protesilaus. Nun so will ich mich gleichfalls, und noch triftiger, rechtfertigen und sagen: auch ich trage dessen keine Schuld, sondern das Verhängniß, welches von Anfang an dieses Loos mir zugedacht hatte.

Aeacus. So ist’s: was klagst du also Andere an?


[261]
Todtengespräche.
Schluß.
XX. Menippus und Aeacus.

1. Menippus. Um Pluto’s willen! thu mir doch den Gefallen, Aeacus, und zeige mir Alles der Reihe nach.

Aeacus. Alles, Menippus, ist wohl nicht so leicht zu zeigen: aber das Hauptsächlichste sollst du zu sehen bekommen. Den Cerberus da kennst du schon: auch den Fährmann dort, der dich herüberbrachte, den See und den Pyriphlegethon [Feuerstrohm] hast du bereits bei deiner Hieherkunft gesehen.

Menippus. Ich kenne das Alles, und weiß auch schon, daß du der Thürhüter bist: eben so sah ich schon den König und die Furien. Aber die Menschen der Vorzeit zeige mir; und besonders die nahmhaftesten unter ihnen.

Aeacus. Siehe, hier ist Agamemnon, dort Achilles und neben ihm Idomeneus; weiterhin Ulysses, Ajax, Diomedes und sämmtliche alten Häupter der Griechen.

2. Menippus. O wehe, Homer, wie sind die Helden deiner Gesänge in den Staub gesunken! Welch unkenntliche, häßliche Fratzen! Lauter Staub und Tand! Ohnmächtige Luftgebilde[9] fürwahr! – Aber wer ist der da, Aeacus?

[262] Aeacus. Cyrus: der dort ist Crösus, neben ihm Sardanapal; der über beiden Midas, und Jener ist Xerxes.

Menippus. Du warst es also, Schurke, vor welchem Griechenland zitterte, als du über den Hellespont eine Brücke schlugst, und durch Berge schiffen wolltest? – Und Crösus – wie der aussieht! – Und Sardanapal! Erlaube mir, Aeacus, daß ich ihm ein Tüchtiges hinter die Ohren versetze.

Aeacus. Bei Leibe nicht! Du würdest ihm seinen mürben Weiber-Schädel entzweischlagen.

Menippus. So will ich wenigstens dem Mannweib in’s Gesicht spucken.

3. Aeacus. Soll ich dir auch die Philosophen zeigen?

Menippus. Allerdings!

Aeacus. Gleich der erste hier ist Pythagoras.

Menippus. Sey mir gegrüßt, Euphorbus, Apollo, und was du Alles seyn willst.

Pythagoras. Sey mir gleichfalls gegrüßt, Menippus.

Menippus. Hast du deinen goldenen Schenkel nicht mehr?

Pythagoras. Ach nein: aber laß doch sehen, ob du in deinem Ranzen etwas zu essen hast.

Menippus. Nichts als Bohnen, die du ja doch nicht essen darfst.

Pythagoras. Gieb sie nur: bei den Schatten bin ich auf andere Ansichten gekommen: ich habe eingesehen, daß die Bohnen und die Köpfe unserer Eltern nichts mit einander gemein haben.

4. Aeacus. Hier ist Solon, des Execestides Sohn, [263] dort Thales, neben ihm Pittacus, und die übrigen der Sieben, wie du siehst.

Menippus. Diese sind die Einzigen unter Allen, die ein aufgereimtes und heiteres Aussehen haben. Wer ist aber der dort, der mit Asche überdeckt ist, wie ein Brod aus einem ungefegten Ofen, und dem die Brandblasen am ganzen Leibe ausgeschlagen haben?

Aeacus. Das ist Empedokles, der halbgebraten aus dem Aetna bei uns ankam.

Menippus. He da, guter Freund mit den ehernen Füßen, was wandelte ihn an, daß er sich in den Aetna stürzte?

Empedokles. Es war ein Anfall von Trübsinn, Menippus.

Menippus. Nein, nein, beim Jupiter, Ruhmsucht war’s und Dünkel und viel eitler Dunst im Gehirne, was dich sammt deinen Pantoffeln verdientermaßen zu Kohlen ausbrannte. Das pfiffige Stückchen hat dir indessen nichts geholfen: es kam doch an den Tag, daß du gestorben warst. – Wo ist aber Sokrates, bester Aeacus?

Aeacus. Er plaudert gewöhnlich mit Nestor und Palamedes.

Menippus. Ich möchte ihn doch gar zu gerne sehen, wenn er hier irgendwo in der Nähe ist.

Aeacus. Siehst du den Kahlkopf dort?

Menippus. Aber hier sind lauter Kahlköpfe: dieses Merkmal haben Alle.

Aeacus. Ich meine die Stülpnase.

Menippus. Auch diese ist bei Einem, wie bei dem Andern: sie haben alle Stülpnasen.

[264] Sokrates. Suchst du mich, Menippus?

5. Menippus. Ja, Socrates.

Socrates. Nun, wie steht’s zu Athen ?

Menippus. Da giebt es gegenwärtig eine Menge junger Leute, die sich für Philosophen ausgeben: und wirklich, wenn man ihr ganzes Aeußere und ihren Gang sieht, so sollte man sie fast Alle für hochstudierte Weltweise halten … [10] Uebrigens hast du ohne Zweifel selbst bemerkt, in welch veränderter Gestalt Aristipp und selbst Plato hieher kamen. Jener roch nach Salben, und dieser hatte bei den Herren in Sicilien den gehorsamen Diener machen gelernt.

Socrates. Und wie spricht man denn von mir?

Menippus. Du bist hierin ganz besonders glücklich, Socrates. Allgemein glaubt man, du wärest ein Wundermann gewesen, und hättest Alles gewußt, da du doch – wenn ich die Wahrheit sagen soll – nichts wußtest.

Socrates. Ich sagte es ihnen ja selbst: aber die Leute meinten, das wäre bloße Ironie.

6. Menippus. Was hast du hier für Gesellschaft bei dir?

Socrates. Charmides, Phädrus, und den Sohn des Clinias (Alcibiades).

Menippus. Bravo, Socrates; also bist du noch immer nicht gleichgültig gegen das Schöne, und übst auch hier noch deine Liebeskunst?

Socrates. Wie könnte ich auch sonst etwas Angenehmeres [265] treiben? Uebrigens – ist es dir nicht gefällig, dich hier bei uns niederzulassen?

Menippus. Nein, Socrates, ich will mich wieder zu Crösus und Sardanapal begeben, und bei diesen meine Wohnung aufschlagen: denn ich verspreche mir vielen Spaß davon, ihre Lamentationen anzuhören.

Aeacus. Ich muß nun auch zurück, damit mir kein Schatten sich heimlich davon schleicht. Ein andermal sollst du mehr sehen, Menippus.

Menippus. Gehe nur, Aeacus; ich habe an dem Bisherigen genug.


XXI. Menippus und Cerberus.

1. Menippus. Heda, Vetter Cerberus – denn als Hundephilosoph bin doch wohl dein Verwandter – sage mir doch beim Styx! wie benahm sich denn Sokrates, als er zu euch herabkam? Denn da du ein Gott bist, wirst du wohl ohne Zweifel nicht bloß bellen, sondern auch, so oft dir’s gefällt, in menschlicher Rede dich vernehmen lassen können.

Cerberus. In der Entfernung kam es mir vor, als nähere er sich mit ruhiger Miene, und ohne irgend einige Angst vor dem Tode blicken zu lassen: auch schien er dieß absichtlich denen, die außerhalb der Mündung der Unterwelt standen, zeigen zu wollen. Wie er aber mit dem Kopfe innerhalb des Schlundes war, und die dicke Finsterniß sah, und ich ihn, da er zögerte, am Fuße packte und sammt seinem Schierlingstranke vollends herabzog, da heulte er wie [266] ein Kind, jammerte über seine Söhne, und wußte sich gar nicht zu fassen.

Menippus. Also war der Mann ein bloßer Sophist, und mit seiner Todesverachtung war es ihm kein Ernst?

Cerberus. Nicht anders. Wie er sah, daß der Tod unvermeidlich wäre, spielte er den Helden und that, als ob er freiwillig litte, was er zu leiden gezwungen war, bloß um sich von den Zuschauern bewundern zu lassen. Ueberhaupt kann ich das von allen Leuten dieses Schlages sagen: bis an die Pforte sind sie voll Muth und Kraft; aber so wie sie drinnen sind, werden sie jämmerlich zu Schanden.

Menippus. Aber wie gefiel dir mein Betragen bei der Hieherkunft?

Cerberus. Du allein hast dich unserer Familie würdig benommen, und vor dir Diogenes. Ohne euch nöthigen und fortstoßen zu lassen, tratet ihr herein, heiter, lachend und spottend über das Gewinsel der Uebrigen.


XXII. Charon, Menippus und Merkur.

1. Charon. Das Fährgeld bezahlt, verfluchter Kerl!

Menippus. Schreie immer, wenn es dir Vergnügen macht.

Charon. Ich sage dir, bezahle mich für die Ueberfahrt.

Menippus. Du bekommst nichts: denn ich habe nichts.

Charon. Wer ist so arm, daß er nicht wenigstens einen Obolus vermochte?

Menippus. Ob sonst noch Jemand, weiß ich nicht: ich habe einmal keinen.

[267] Charon. Ich erdroßle dich, Halunke, wenn du mich nicht bezahlst, so wahr mir Pluto helfe!

Menippus. Und ich schlage dir den Hirnschädel entzwey.

Charon. Wie? Die ganze lange Fahrt sollst du unentgeldlich gemacht haben?

Menippus. Merkur soll für mich zahlen: er hat mich ja dir übergeben.

2. Merkur. Beim Styx, da käm’ ich gut zu, wenn ich für die Todten auch noch zahlen müßte.

Charon. Ich lasse dich nicht von der Stelle.

Menippus. Nun gut, so ziehe deinen Nachen an’s Land und bleibe bei mir, so lange du willst. Allein wie willst du von mir bekommen, was ich nicht habe?

Charon. Wußtest du denn nicht, was du mitzubringen hattest?

Menippus. Ich wußte es wohl, aber ich hatte nichts. Hätte ich deswegen nicht sterben sollen?

Charon. Du solltest also der Einzige seyn, der sich rühmen könnte, umsonst die Ueberfahrt gemacht zu haben?

Menippus. Nicht so ganz umsonst, guter Freund, ich half ja pumpen und rudern, und war der einzige Passagier, der dir nicht die Ohren voll heulte.

3. Charon. Das Alles hat mit dem Fahrgeld nichts zu schaffen: meinen Obolus hast du mir zu bezahlen; das darf nun einmal nicht anders seyn.

Menippus. So fahre mich wieder auf die Oberwelt zurück.

[268] Charon. Du meinst es gut mit mir: nicht wahr, damit ich noch obendrein Schläge von Aeacus bekäme?

Menippus. So laß mich also in Ruhe.

Charon. Was hast du in deinem Ranzen da? Zeige her!

Menippus. Feigbohnen, wenn dir damit gedient ist, und ein Hecate-Mahl.

Charon. Woher bringst du uns denn diesen hündischen Kerl, Merkur? Was hat er nicht Alles während der Ueberfahrt geplaudert! Wenn die Andern heulten, sang und lachte er und machte seine Witze über sie.

Merkur. Du weißt noch nicht, Charon, was für einen merkwürdigen Mann du herübergefahren hast? Er ist ein Freier im wahren Sinne des Worts und kümmert sich um nichts, er ist – Menippus.

Charon. Aber wenn ich dich je wieder kriege –

Menippus. Ja, wenn! Zum Zweitenmal kriegst du mich gewiß nicht!


XXIII. Protesilaus, Pluto und Proserpina.

1. Protesilaus. O König und Herr, Jupiter der Unterwelt, und du, Tochter der Ceres, verschmähet nicht eine Bitte der Liebe!

Pluto. Wer bist du? Was verlangst du von uns?

Protesilaus. Ich bin Protesilaus, des Iphicles Sohn, aus Phylace, war ein Mitstreiter der Achäer und der Erste, der vor Ilium fiel; und bitte, mich auf kurze Zeit zu entlassen, um wieder in’s Leben zurückzukehren.

[269] Pluto. Guter Protesilaus, das ist eine Liebhaberei, die du mit allen Todten gemein hast: aber Keinem kann sein Wunsch erfüllt werden.

Protesilaus. Ach, Pluto, nicht das Leben ist’s, was ich liebe, sondern meine junge Gattin, die ich gleich nach der Hochzeit im Brautgemache zurückließ, als ich mich nach Troja einschiffte. Dort fiel ich Unglückseliger sogleich beim Aussteigen von Hector’s Hand; und nun, o Herr, verzehrt mich fast die Liebe zu meinem Weibe, und gerne wollte ich wieder zurückkommen, dürfte ich nur auf wenige Augenblicke ihr sichtbar werden.

2. Pluto. Trankst du nicht aus dem Lethequell, Protesilaus?

Protesilaus. O ja, Herr! allein meine Liebe ist überschwänglich.

Pluto. Gedulde dich: deine Gattin wird ja selbst einmal hieherkommen; was brauchst du also zu ihr hinaufzureisen?

Protesilaus. Ich halte es aber nicht so lange aus, Pluto. Du hast ja selbst geliebt, und weißt also, wie Einem da zu Muthe ist.

Pluto. Was würde es denn dir helfen, Einen Tag wieder lebendig zu seyn? In Kurzem gienge die alte Wehklage wieder an.

Protesilaus. Ich hoffe mein Weib zu bewegen, mir zu euch nachzufolgen: so würdest du für Einen Schatten in kurzer Zeit zwei erhalten.

Pluto. Es geht nun einmal nicht an, und ist noch nie vorgekommen.

[270] 3. Protesilaus. Erinnere dich doch, Pluto: dem Orpheus habt ihr um derselben Ursache willen seine Eurydice wiedergegeben, und dem Hercules zu Gefallen meine Verwandtin Alceste auf die Oberwelt entlassen.

Pluto. Und wolltest du denn als so ein kahler und häßlicher Schädel vor deiner hübschen jungen Frau erscheinen? Welchen Empfang könntest du dir versprechen, da sie dich nicht einmal erkennen könnte? Sie würde erschrecken, glaube mir, und dich fliehen, und dann hättest du den langen Weg umsonst gemacht.

Proserpina. Nun, nun, lieber Mann, auch diesem Uebelstande könntest du abhelfen. Befiehl dem Merkur, den Protesilaus, sobald er an’s Tageslicht gekommen seyn wird, mit seinem Stabe zu berühren, und ihn mit Einemmale zu eben dem schönen Jüngling zu machen, der er war, als er aus dem Brautgemach hervorgieng.

Pluto. Nun denn, weil Proserpina zustimmt, so führe ihn hinauf, Merkur, und mache ihn wieder zum jungen Ehmann: aber vergiß mir nicht, Protesilaus, daß du nur auf Einen Tag Urlaub hast!


XXIV. Diogenes und Mausolus.

1. Diogenes. Auf was bist du denn so stolz, Carier, daß du den Vorrang vor uns Allen begehrst?

Mausolus. Wisse, Sinopenser, ich war König von ganz Carien; Herr eines Theils von Lydien, hatte mir mehrere Inseln unterworfen, und meine Eroberungen über den [271] größten Theil von Ionien bis Milet erstreckt. Dabei war ich schön und groß, und ausdauernd in den Beschwerden des Krieges. Das Vornehmste aber ist, daß ich zu Halicarnaß ein ungeheures Grabmal auf mir liegen habe, dem kein anderes, weder an Größe noch an Schönheit der Ausarbeitung gleich kommt. Es prangt mit den vollendetsten Kunstwerken, mit Bildern von Menschen und Pferden aus dem schönsten Marmor, wie man nicht leicht an einem Tempel finden wird. Meinst du nun nicht, daß ich auf dieses Alles mit Recht stolz bin?

2. Diogenes. Wie? auf dein Königreich, auf deine Schönheit, und auf die Schwere deines Grabmals?

Mausolus. Allerdings.

Diogenes. Aber, mein schönster Mausolus, wo ist denn jetzt dein kräftiger Körperbau und dein schönes Gesicht? Wenn Einer entscheiden sollte, welcher von uns Beiden der Schönste wäre, so wüßte ich nicht, warum er deinem Schädel den Vorzug vor dem meinigen geben sollte. Wir sind Beide Kahlköpfe, grinsen mit den Zähnen, haben leere Augenhöhlen und Stülpnasen wie die Affen. Dein Grabmahl aber und das kostbare Gestein daran mag immerhin das Erste seyn, was die Halicarnassier den Fremden zeigen, stolz auf die Ehre, das große Prachtgebäude in ihren Mauern zu besitzen. Was aber du, mein Bester, für einen Genuß davon hättest, sehe ich wahrlich nicht ein: es müßte denn nur der seyn, sagen zu können, daß du eine größere Last tragest, als wir andern Alle, weil du eine so gewaltige Steinmasse auf dir liegen hast.

3. Mausolus. Das Alles sollte mir also zu nichts [272] helfen, und Mausolus und Diogenes sollten von gleichem Range seyn?

Diogenes. O nein, mein edler Herr, durchaus nicht von gleichem Range. Mausolus wird heulen und wehklagen, wenn er sich der Dinge auf der Erde erinnert, in deren Besitz er sich so glücklich wähnte, und Diogenes – wird ihn auslachen. Mausolus wird viel von dem Grabmal zu sprechen wissen, welches ihm seine Schwester und Gemahlin Artemisia zu Halicarnaß erbauen ließ: Diogenes weiß zwar nicht, ob sein Leichnam irgendwo ein Grab bekommen hat, oder keines, und bekümmert sich auch nicht darum; aber er selbst hat das Leben eines Mannes gelebt und wird fortleben im Munde der edelsten Menschen, ein Denkmal, das höher ist und auf festerem Grunde ruht, als das Deinige, du erbärmlichste aller carischen Sclavenseelen!


XXV. Nireus, Thersites und Menippus.

1. Nireus. Siehe da ist Menippus, der soll entscheiden, welcher von uns Beiden der Schönere ist. Sprich, Menippus, meinst du nicht auch, daß ich es bin?

Menippus. Wer seyd ihr denn? Dieß sollte ich doch, dünkt mich, vor allen Dingen wissen.

Nireus. Nireus und Thersites.

Menippus. Welcher von euch Beiden ist Nireus, und welcher Thersites? Denn noch ist es nicht allzu deutlich.

Thersites. Nun habe ich doch schon so viel gewonnen, daß ich dir ähnlich bin, und daß der Unterschied zwischen [273] uns Beiden nicht so groß ist, wie ihn der blinde Homer machte, der dich als den Schönsten unter allen Griechen pries: vielmehr daß der Spitzkopf mit der häßlichen Glatze dem Richter eben so wohl zu gefallen scheint, wie dein Gesicht. Bedenke dich denn, Menippus, welchen du für den Schönsten erklären willst.

Nireus. Mich doch wohl, der Aglaja und des Charops Sohn,

Mich den Schönsten der Männer, die einst vor Ilion zogen.[11]

2. Menippus. Aber nicht unter die Erde bist du als der Schönste gekommen, dünkt mich. Dein Gerippe sieht dem des Thersites ganz ähnlich, und dein Schädel ist nur darin von dem seinigen unterschieden, daß der deinige mürber ist: wenigstens siehst du mir schwächlich und unmännlich genug aus.

Nireus. Frage nur den Homer, wie ich war, als ich mit den Achäern in den Krieg zog.

Menippus. Träumereien! ich halte mich an das, was ich mit meinen Augen sehe, und was du jetzt bist: über Jenes können nur diejenigen urtheilen, die damals lebten.

Nireus. Hier unten wäre ich also nicht mehr schöner als die Uebrigen?

Menippus. Weder du, noch irgend Jemand ist hier schön: im Schattenreiche ist allgemeine Gleichheit, und Einer sieht aus wie der Andere.

Thersites. Ich wenigstens bin auch damit zufrieden.

[274]
XXVI. Menippus und Chiron.

1. Menippus. Ich habe mir sagen lassen, Chiron, du hättest, wiewohl du ein Gott bist, dennoch zu sterben verlangt.

Chiron. Man hat dir die Wahrheit gesagt, Menippus; ich hätte unsterblich seyn können: doch zog ich den Tod vor, wie du siehst.

Menippus. Was wandelte dich für eine Liebe zum Tode an, der doch für die Meisten so wenig Liebenswürdiges hat?

Chiron. Dir, als einem verständigen Manne, will ich es sagen. Es machte mir keine Freude mehr, unsterblich zu seyn.

Menippus. Wie? Es war dir entleidet, das Sonnenlicht zu sehen?

Chiron. Ja, Menippus. Was mich freuen soll, das darf nicht immer das Nämliche seyn, es muß Abwechselung haben. Aber, immer zu leben, immer dieselben Genüsse, dieselbe Nahrung zu haben, dieselbe Sonne zu sehen, den immer wiederkehrenden Wechsel der Jahreszeiten, und immer dieselbe, sich wieder erneuernde, Reihenfolge aller Erscheinungen zu beobachten, wie es bei mir der Fall war – glaube mir, dieser Dinge wird man herzlich satt. Denn nicht immer eben und dasselbe zu haben, sondern die Veränderung ist angenehm.

Menippus. Du hast zwar Recht, Chiron: aber wie kannst du dich in die Unterwelt schicken, seitdem du aus eigener Wahl hieher gekommen bist?

[275] 2. Chiron. Gar nicht übel, Menippus. Die allgemeine Gleichheit führt ein schönes, volksthümliches Verhältniß herbei, und es ist wirklich so ziemlich gleichgültig, ob man am Tageslicht oder in dieser Finsterniß sich befindet, außer daß man hier der Obliegenheit entbunden ist, essen nun trinken zu müssen.

Menippus. Gib acht, Chiron, daß du nicht mit dir selbst in Widerspruch geräthst, und am Ende auf denselben Punkt zurückkommst, von dem du dich doch entfernen wolltest.

Chiron. Wie so?

Menippus. Ich meine, wenn das ewige Einerlei im Leben dir zum Ekel ward, so dürfte bei der Einförmigkeit des hiesigen Aufenthalts leicht derselbe Fall eintreten; und da müßtest du denn eine neue Veränderung, einen Uebergang von da in ein anderes Leben suchen, was meines Erachtens unmöglich ware.

Chiron. Was ist da zu thun, Menippus?

Menippus. Ich dächte, was die bekannte Regel besagt: der Vernünftige soll zufrieden seyn mit dem, was da ist, und nichts für unerträglich halten.


XXVII. Diogenes, Antisthenes, Crates und ein Bettler.

1. Diogenes. Hört einmal, Antisthenes und Crates: da wir ja doch nichts zu thun haben, wollen wir nicht einen Spaziergang nach dem Eingange machen, und sehen, wer die Neuankommenden sind, und wie sich Jeder von ihnen geberdet?

[276] Antisthenes. Gehen wir, Diogenes. Es wird ein kurzweiliges Schauspiel seyn, wie sie wehklagen und flehentlich bitten, daß man sie gehen lassen möchte, und wie Einige gar nicht vorwärts wollen, sondern, wenn Merkur sie am Kragen faßt und fortstößt, sich widerspenstig, aber vergeblich, gegen den Boden anstemmen.

Crates. Ich will euch inzwischen erzählen, was ich bei meiner Hieherkunft unterwegs gesehen habe.

Diogenes. Laß hören, Crates: ich sehe dir’s an, du wirst spaßhafte Dinge zum Besten geben.

2. Crates. Unter vielen Andern, die mit mir hieher wanderten, waren drei besonders merkwürdig, unser reicher Ismenodor, der medische Satrap Arsaces, und der Armenier Orötes. Ismenodor, welcher in der Nähe des Cithäron, auf einer Reise – wenn ich nicht irre – nach Eleusis von Straßenräubern ermordet worden war, ächzte und stöhnte, und hielt seine Wunde mit den Händen zu: dabei rief er seinen kleinen Kindern, die er zurückließ, mit Namen, und schalt auf sich selbst, daß er verwegen genug gewesen wäre, auf eine Reise über den Cithäron und durch die im letzten Krieg verödeten Gegenden von Eleutherä, nur zwei Sklaven mit sich zu nehmen, da er doch fünf goldene Schalen und vier goldene Becher bei sich gehabt hätte.

3. Arsaces hingegen, schon ein bejahrter Mann, der übrigens etwas Ehrwürdiges in seinem Aussehen hatte, schimpfte auf gut barbarisch, daß er zu Fuß gehen müsse, und wollte haben, daß ihm sein Pferd gebracht würde. Dieses war nämlich mit ihm zugleich gefallen, als in einem Treffen mit den Cappadociern am Araxes beide mit Einem Stoß von einem [277] Thracischen Peltasten durchbohrt worden waren. Arsaces hatte sich, wie er erzählte, zu weit von den Seinigen entfernt und in den Feind gewagt: der Thracier stellte sich ihm entgegen, stieß mit seinem kleinen Schilde die Lanze des Arsaces von sich ab, legte sodann seine Sarissa[12] ein und durchbohrte Roß und Mann.

4. Antisthenes. Wie war das mit Einem Stoße möglich?

Crates. Nichts leichter, Antisthenes. Arsaces kam also mit seiner eingelegten zwanzig Ellen langen Lanze herangesprengt: der Thracier wehrt mit seinem Schilde den Stoß ab, die Spitze fährt an ihm vorbei, er läßt sich schnell auf ein Knie nieder, hält die Sarissa vor, und läßt das Pferd, das im heftigsten Ungestüm ansprengt, unter der Brust sich einrennen; der Spieß dringt durch, und fährt dem Arsaces mitten durch den Unterleib. Siehst du, so gieng es ganz natürlich zu, und das Pferd, nicht der Thracier, hat das Meiste dabei gethan. Allein der Satrap war gar ungehalten, daß er vor den Uebrigen nichts voraus haben sollte, und hätte gerne als Ritter seinen Einzug gehalten.

5. Der Dritte, Orötes, ein Mann aus dem Privatstande, war so schwach auf den Füßen, daß er weder stehen noch gehen konnte. Dieß ist ein durchgängiges Leiden aller Medier; so wie sie vom Pferde herab sind, gehen sie kümmerlich und unsicher auf den Zehen, als ob sie auf Dornen zu treten befürchteten. Dieser Orötes legte sich den langen Weg auf den Boden, und war auf keine Weise zum Aufstehen [278] zu bewegen, bis ihn endlich der gute Merkur auf die Schultern lud und in den Nachen trug. Ich begleitete ihn mit Gelächter.

6. Antisthenes. Als ich diese Reise machte, mischte ich mich nicht unter die Uebrigen: ich ließ sie wehklagen, sprang in den Nachen, und versicherte mich des besten Platzes, um während der Ueberfahrt bequem zu sitzen. Indem wir herüberfuhren, heulten die Andern und bekamen die Seekrankheit: mir hingegen machten sie nicht wenig Spaß.

7. Diogenes. Auch ich hatte solche kurzweilige Reisegefährten. Mit mir kamen hieher Blepsias, Wechsler aus dem Piräeus, Lampis aus Akarnanien, gewesener Befehlshaber eines Miethkorps, und der reiche Damis aus Corinth. Dieser Letztere war an Gift gestorben, das ihm sein eigener Sohn bereitet hatte: Lampis, aus Liebe zur Hetäre Myrtion zur Verzweiflung gebracht, hatte sich selbst den Tod gegeben; und von Blepsias hieß es, der Tropf wäre am Hunger draufgegangen: und wirklich machten es seine ausserordentliche Blässe und Magerkeit sehr wahrscheinlich. Wiewohl ich also wußte, welchen Tod Jeder derselben gefunden, befragte ich sie doch noch besonders darüber. Da beklagte sich Damis sehr über seinen Sohn; ich erwiederte ihm, es wäre ihm Recht geschehen, da er als ein Mann von neunzig Jahren und wenigstens tausend Talenten Vermögen sich’s hätte wohl seyn lassen, während sein achtzehenjähriger Sohn mit vier Obolen sich hätte begnügen müssen. Zu dem Akarnanier, der bald seufzte, bald über die Myrtion fluchte, sagte ich: warum klagst du die Liebe an, und nicht vielmehr dich selbst? Der Held, der vor dem Feinde nie zitterte, und Andern vorauf [279] den Gefahren entgegengieng, warum gab er sich den heuchlerischen Thränen und Seufzern des ersten besten Dirnchens gefangen? Blepsias hingegen machte sich selbst die größten Vorwürfe, daß er so thöricht gewesen, sein Vermögen für Erben aufzusparen, die ihn nichts angiengen, und sich einzubilden, er werde ewig lieben. Auf diese Art unterhielt ich mich ganz vergnüglich bei ihren Litaneien.

8. Nun aber sind wir an die Mündung gekommen. Wir wollen hier stehen bleiben, und die Ankömmlinge schon von weitem her beobachten. Potz Element! Leute in Menge und von aller Art! Alle sind in Thränen, die neugebornen und unmündigen Kinder ausgenommen: sogar die ältesten Greise jammern laut! Sonderbar! Sollten sie in einem Zaubertranke diese Liebe zum Leben eingesogen haben?

9. Ich will mich mit meinen Fragen einmal an diesen steinalten Greis da machen. Was weinst du, Alter? Grämst du dich, daß du sterben mußtest? Du bist doch gewiß nicht zu jung hieher gekommen, guter Freund: aber vielleicht hast du eine Krone getragen?

Bettler. O nein!

Diogenes. Oder warst ein Satrap?

Bettler. Auch das nicht.

Diogenes. Also wenigstens ein reicher Mann? und nun verdrießt es dich, deine vielen Herrlichkeiten mit dem Rücken ansehen und todt seyn zu müssen?

Der Bettler. Gar nichts dergleichen. Ich wurde gegen neunzig Jahre alt, war blutarm, kinderlos, lahm, blödsichtig, und fristete mein Leben kümmerlich mit dem Ertrage meiner Angelruthe.

[280] Diogenes. Und unter solchen Umständen hättest du länger leben wollen?

Der Bettler. Warum nicht? das Licht ist so freundlich; der Tod so furchtbar, so schauerlich.

Diogenes. Du faselst, alter Herr, und wiedersetzest dich dem Geschick wie ein eigensinniges Kind. Bist du doch fast so alt, als Charon, der Fährmann. Was kann man von jungen Leuten erwarten, wenn Menschen von diesem Alter noch in das Leben verliebt sind? Diese sollten ja den Tod sogar aufsuchen, als den besten Arzt für alle Beschwerden des hohen Alters. Doch – wir wollen gehen: man möchte, wenn man uns hier an dem Eingange herumschlendern sieht, auf den Verdacht gerathen, als hätten wir im Sinne durchzugehen.


XXVIII. Menippus und Tiresias.

1. Menippus. He blinder Tiresias – wiewohl, wir haben alle leere Augenhölen, und so ist schwer zu sagen, wer der blinde Phineus und wer der luchsaugige Lynceus ist – du warst ja ein Prophet und einmal ein Weib, ein andermal wieder ein Mann, wie ich von den Dichtern vernommen habe; sage mir nun doch in aller Welt, welches Leben hast du angenehmer gefunden, das eines Mannes, oder das eines Weibes?

Tiresias. Bei weitem das Letztere, Menippus: es ist um vieles bequemer; die Weiber herrschen über die Männer, und brauchen nicht in den Krieg zu gehen, oder auf den Stadtmauern Wache zu halten, noch auch in den Volksversammlungen [281] sich herumzuzanken und vor Gericht sich zu verantworten.

2. Menippus. Du hast wohl nie gehört, welche Klagen die Medea des Euripides über das Jammerleben der Weiber führt, wie unerträglich sie die Schmerzen findet, welche sie bei Geburten auszustehen haben? Aber – jene Stelle der Medea erinnert mich eben recht daran – hast du auch ein Kind geboren, da du ein Weib warest, oder warst du dort oben immer unfruchtbar?

Tiresias. Warum willst du das wissen?

Menippus. Es ist mir eben nicht so wichtig; doch wenn du mir es sagen willst. –

Tiresias. Je nun – es war weder das Eine, noch das Andere der Fall.

Menippus. Schon gut: ich wollte eigentlich nur erfahren, ob du wirklich so beschaffen warst, daß es möglich gewesen wäre, Mutter zu werden.

Tiresias. Allerdings war ich es.

Menippus. Und hat sich die weibliche Natur nur so allmählig verloren, um der männlichen Platz zu machen, oder geschah die Verwandlung schnell und auf einmal?

Tiresias. Ich weiß nicht, was du mit diesen Fragen willst: und ich glaube gar, du zweifelst an der Sache überhaupt?

Menippus. Zweifeln? das sey ferne, Tiresias. Solche Dinge muß man in aller Einfalt und ohne zu grübeln, ob sie auch möglich seyen, oder nicht, hinnehmen.

3. Tiresias. Du wirst also eben so wenig glaublich finden, was von Verwandlungen anderer Weiber in Vögel, [282] Bäume, wilde Thiere u. dergl. erzählt wird, von einer Aëdon, Daphne, Callisto?

Menippus. Sobald ich diese treffen werde, will ich hören, was sie mir zu sagen wissen werden. Nur das noch, mein Bester: konntest du auch schon als Weib, so gut wie nachher, wahrsagen, oder bist du deiner Prophetengabe erst zugleich mit deiner Mannheit inne geworden?

Tiresias. Siehst du, wie wenig du von meiner Geschichte unterrichtet bist? Weißt du denn nicht, daß ich einst einen Streit zwischen den Göttern zu schlichten hatte, und daß Juno mich dafür des Gesichts beraubte, Jupiter hingegen durch das Geschenk der Wahrsagerkunst mich für diesen Verlust zu entschädigen suchte?

Menippus. Noch immer treu den alten Lügen, Tiresias? Aber das ist so Prophetenart: man ist es schon gewohnt an euch, daß kein vernünftig Wort aus eurem Munde geht.


XXIX. Ajax und Agamemnon.

1. Agamemnon. Wenn du in einem Anfall von Raserei dich selbst um’s Leben brachtest, und mit uns Allen ein Gleiches im Sinne hattest, warum klagst du deßwegen den Ulysses an? Unlängst, als er hieher kam, um sich weissagen zu lassen, würdigtest du ihn keines Wortes, sondern giengst mit hochmüthigem Gesicht und großen Schritten an ihm, deinem alten Freunde und Kriegskameraden, vorbei.

Ajax. Und das mit allem Recht. Er war die einzige Ursache an meiner Raserei, da er allein mir die Waffen des Achilles streitig machte.

[283] Agamemnon. Wolltest du denn über uns Alle ohne Kampf und Gegner siegen?

Ajax. In dieser Sache allerdings. Die Rüstung hatte meinem Anverwandten gehört, und so hatte ich den nächsten Anspruch darauf. Auch habt ihr übrigen Alle, ungeachtet eures Vorrangs vor Ulysses, auf einen Wettkampf deßwegen verzichtet, und mir den Preis freiwillig überlassen. Nur der Laërtiade, den ich doch mehr als einmal der Gefahr entrissen, von den Phrygiern zusammengehalten zu werden, dünkte sich vornehmer, und meinte, daß ihm die Waffen besser anstünden als mir.

2. Agamemnon. Eigentlich solltest du, mein tapferer Freund, der Thetis die Schuld beimessen, welche, anstatt die Rüstung als einen von deinem Verwandten dir zugefallenen Nachlaß dir zu übergeben, dieselbe als einen Kampfpreis für Alle aussetzte.

Ajax. Nein, nur über Ulysses beklage ich mich, den Einzigen, der sie mir streitig machte.

Agamemnon. Es ist doch wohl verzeihlich, Ajax, wenn ein Sterblicher nach Ruhm begierig ist, dem schönsten Gute, um dessen willen auch von uns Jeder sich allen Gefahren gerne unterzog. Ulysses hat dich nun einmal überwunden, und das nach dem Ausspruche selbst trojanischer Schiedsrichter.

Ajax. Ich weiß schon, wer die war, die mich verurtheilte. Allein – man soll den Göttern nichts nachsagen. Und den Ulysses hass’ ich nun einmal: ich kann nicht anders, und wenn es mir Minerva selbst verwehrte.

[284]
XXX. Minos und Sostratus.

1. Minos. Der Straßenräuber Sostratus wird in den Feuerstrom geworfen! Diesen Tempelräuber soll die Chimära zerreißen! Jener Despot, Merkur, ist neben Tityus auszurecken, und die Geier sollen ihm gleichfalls die Leber aushacken! Ihr aber, ihr Gerechten, eilet dem elysischen Gefilde zu, und zur Belohnung, daß ihr im Leben recht gehandelt, bewohnet hinfort die Inseln der Seeligen!

Sostratus. Höre, Minos, ob ich mit Folgendem Unrecht habe.

Minos. Ich soll dich noch einmal anhören, Bösewicht? Bist du nicht schon so vieler Mordthaten überwiesen?

Sostratus. Ueberwiesen zwar, ob ich aber mit Recht gestraft werde, ist eine andere Frage.

Minos. Mit allem Recht, wenn anders Recht ist, daß Jedem nach Verdienst vergolten werde.

Sostratus. Beantworte mir nur die Einzige Frage –

Minos. Mach’s kurz, denn ich habe noch über Mehrere abzuurtheilen.

2. Sostratus. Was ich im Leben gethan, hab’ ich es aus eigener Bewegung gethan, oder weil die Schicksalsgöttin es so über mich verhängt hatte?

Minos. Aus dem letztern Grunde, versteht sich.

Sostratus. Also handeln die Guten alle, und wir, die wir für Böse gelten, nur im Dienste des Verhängnisses?

Minos. Allerdings, im Dienste der Clotho, die Jedem bei seiner Geburt schon seine Handlungen zuweist.

[285] Sostratus. Wenn also Einer von einem Andern, dem er nicht widersprechen darf, weil er die Gewalt in Händen hat, genöthigt wird, einen Dritten zu tödten, wie zum Beispiel ein Scharfrichter, wenn er es auf des Richters, ein Trabant, wenn er es auf des Despoten Geheiß thut, wen wirst du für die Tödtung verantwortlich machen?

Minos. Natürlich den Richter oder den Despoten. Das Schwerdt selbst einmal gewiß nicht: denn dieses dient als bloßes Werkzeug dem Belieben desjenigen, der als erster Urheber der Tödtung zu betrachten ist.

Sostratus. Schön Minos, daß du dich meines Gleichnisses noch durch eine Zugabe angenommen. Eben so, wenn mir Einer aus Auftrag seines Herrn eine Summe Goldes oder Silbers überbringt, wem bin ich als dem wohlthätigen Geber zu danken verpflichtet?

Minos. Dem Uebersender: denn der Ueberbringer ist nur dessen Diener.

3. Sostratus. Siehst du nun, wie ungerecht du zu verfahren im Begriffe bist, da du uns, die wir bloß die Befehle der Clotho als ihre Diener ausgeführt, bestrafen, diejenigen hingegen ehren und belohnen willst, die in gleichem Dienste fremdes Gute gethan haben? Denn den Einwurf wird wohl Niemand machen wollen, daß es möglich gewesen wäre, sich dem Zwange eines allgewaltigen Verhängnisses zu widersetzen.

Minos. O Sostratus, bei genauerer Betrachtung der Dinge wirst du finden, daß noch manches Andere geschieht, was mit der Vernunft nicht zum besten übereinstimmen will. Da ich übrigens sehe, daß du ein eben so schlauer Advocat, [286] als großer Räuber bist, so sollst du deine Frage nicht umsonst gemacht haben. Binde ihn los, Merkur: seine Strafe soll ihm erlassen seyn. Aber das sage ich dir: hüte dich, daß nicht auch die andern Todten von dir solche Fragen machen lernen!



  1. S. Göttergespräche XXVI.
  2. Der gehörnte Schluss lautet: „was du nicht verloren hast, das hast du noch; du hast keine Hörner verloren, also –“
  3. Kennzeichen derer, die sich zu unreinen Diensten erniedrigten.
  4. Iliade XXIII, 124.
  5. Odyss. XI, 489. nach Voß.
  6. Odyss. XI, 604.
  7. Odyss. XI, 602.
  8. Iliade III, 157. nach Voß.
  9. Odyss. X, 521.
  10. Wahrscheinliche Lücke im Original.
  11. Iliade II, 673.
  12. Ein langer Macedonischer Spieß.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Encrates
  2. Vorlage: Sodat
  3. Vorlage: nakt