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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Timon
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Erstes Bändchen, Seite 60–97
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1827
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Τίμων
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[60]
Timon.
Timon. Jupiter. Merkur. Plutus. Penia. Gnathonides. Piliades. Demeas. Thrasykles.

1. Timon. O Jupiter, du Freundschaftsstifter, du Beschirmer des Gastrechts, du Verbrüderer, du Familienschutz, du Blitzeschleuderer, du Meineidsrächer, du Wolkenversammler, du Donnerer, und wie die Namen alle heißen, welche dir die angedonnerten, hirnwüthigen Poeten beilegen, zumal wenn sie um das Sylbenmaß verlegen sind (denn alsdann müssen deine vielen Beiworte aushelfen, den Einsturz ihrer baufälligen Gedichte zu verhüten, oder eine Lücke im Verse auszufüllen): wo bleibt nun dein niederschmetternder Blitzstrahl, dein weithinkrachender Donner, dein glühendes, zuckendes, gräßliches Wetterlicht? Alles das ist klare, baare Fabelei, und hinter dem Gebrause der Worte steckt eitel poetischer Dampf. Dein vielbesungenes, fernhintreffendes, allezeit fertiges Flammengeschoß, wie ist es doch so gänzlich erloschen und erkaltet, und hat auch nicht das kleinste Zornfünkchen mehr übrig, um auf die Köpfe der Frevler zu fahren!

[61] 2. Leute, die einen Meineid zu schwören im Begriffe sind, würden sich eher vor einem gestern ausgelöschten Lampendocht fürchten, als vor deines allgewaltigen Blitzstrahles Flamme: es ist ihnen gerade, als ob du eine Kienfackel schwängest, deren Feuer und Rauch sie nicht zu fürchten haben, und von welcher getroffen, sie höchstens mit Kohlenstaub überdeckt werden. Daher konnte sich’s ein Salmoneus wohl herausnehmen, dir entgegen zu donnern; und er machte wirklich seine Sache täuschend genug, der stolze und hitzige Mann – gegenüber einem so phlegmatischen Jupiter. Und wie sollte er nicht? Ist es doch, als hättest du Alraun im Leibe, so schläfrig liegst du da, und so wenig kümmerst du dich um alle Meineidigen und Bösewichte. Oder hat das Alter deine Augen verschwimmend und blöde, und deine Ohren dickhäutig macht?

3. Denn so lange du noch jung, heftig und jähzornig warest, machtest du dir viel mit den Ungerechten und Gewalthätigen zu schaffen, und gönntest ihnen keinen Waffenstillstand, sondern stets war dein Donnerkeil in Thätigkeit; die Aegide immer in Bewegung: dein Donner rollte, deine Blitze schossen in einem fort, wie die Pfeile in einem Scharmützel, vor dir her: die Erde erbebte wie ein gerütteltes Sieb, der Schnee fiel massenweise, es hagelte Felsstücke, und – um einmal recht derb mit dir zu sprechen – in Wuth und Allgewalt ergoß sich der Regen, und jeder Tropfen war ein Strom, so daß unter Deucalion’s Regierung alle Schiffe in Einem Augenblicke untergiengen und verschlungen wurden, und nur mit Noth ein einziger kleiner Kasten auf dem Lycorischen Berge sitzen blieb, in welchem sich ein Absenker des Menschengeschlechts [62] erhielt, um einer noch schlechtern Nachkommenschaft das Daseyn zu geben.

4. Nun aber hast du auch den verdienten Lohn für deine Gleichgültigkeit. Denn wer opfert dir[WS 1] wohl heut zu Tage noch, oder bringt dir Kränze dar, ausser hie und da einer bei Gelegenheit der olympischen Spiele? Und auch dann geschieht es nicht, weil man es für nothwendig hält, sondern nur, um einem alten Brauch sein Recht zu geben. Ueber kurz oder lang werden die Leute einen zweiten Saturn aus dir machen, o Edelster der Götter, und dich von deinem Throne stoßen. Ich sage nichts davon, wie oft sie schon deine Tempel bestohlen haben: haben sie ja doch in Olympia Hand an dich selbst gelegt, und du, der Hochdonnernde, hattest nicht einmal das Herz, die Hunde zu wecken, oder die Nachbarn herbeizurufen, damit sie herbeieilten, und die Diebe faßten, so lange diese noch ihren Raub zusammenpackten. Nein, der großmächtige Gigantenwürger und Titanenbändiger sitzt da, mit seinem zehen Ellen langen Blitz in der Hand, und läßt sich die goldenen Locken abschneiden! Wann wirst du doch, du sauberer Held, einmal aufhören, solche Frevel zu übersehen? wann einmal solche Ruchlose bestrafen? Wie viele phaëthontische Erdbrände, wie viele Deukalionische Fluthen wären nöthig, um die bodenlose Verruchtheit der Welt zu züchtigen!

5. Doch ich will vom Allgemeinen schweigen, und nur von mir sprechen, der ich so viele Athener aus dem Staube gezogen, und aus armen Schluckern zu reichen Männern gemacht, alle Bedürftige unterstützt, ja, ich darf sagen, meinen ganz großen Reichthum verschwendet habe, um meinen Freunden wohlzuthun. Und jetzt, da ich auf diese Weise arm geworden [63] bin, kennt mich Keiner mehr, und sieht mich Keiner mehr von allen denen an, die sich sonst vor mir so tief gebeugt, und an meinem Winke gehangen hatten. Begegne ich einem derselben auf der Straße, so geht er an mir vorüber, wie man an dem durch die Länge der Zeit zusammengefallenen Grabmal eines längst verstorbenen Menschen vorübergeht, dessen Inschrift Niemand liest. Andere, die mich von Ferne erblicken, beugen in eine andere Straße ein, als ob sie sich die Begegnung und den Anblick eines Mannes als Unheil bringend vorstellten, der noch kurz zuvor ihr Retter und Wohlthäter gewesen war.

6. So hat mich denn die Noth auf dieß Feld hinausgetrieben, wo ich mit diesem Felle auf dem Leibe, um einen Tagelohn von vier Obolen den Acker baue, und so nebenher mit meinem Spaten und diesen öden Fluren philosophiere. Was ich dabei gewinne, ist doch wenigstens das, daß ich die Menge Menschen nicht mehr sehen muß, die es gut haben, während sie das Gegentheil verdienten. Das ist’s immer, was mich am meisten ärgert. Drum auf, o Sohn des Saturnus und der Rhea, entschüttle dich einmal deinem tiefen und langen Schlafe; denn bereits hast du ja länger als Epimenides[1] geschlummert; fache wieder deinen Blitzstrahl an, oder entzünde ihn am Aetna, und zeige uns in einem gewaltigen Zornfeuer wieder den mannhaften, kraftvollen und ungealterten Jupiter – wo nicht, so wird für wahr gelten, was die Cretenser von dir und deinem dortigen Grabe fabeln.

[64] 7. Jupiter. Wer ist denn der Schreier da unten, Merkur, in Attika, am Fuße des Hymettus? Ich meine den schmutzigen Kerl in dem Ziegenfelle, der dort tief gebückt den Boden behackt. Der freche Mensch schwatzt in Einem fort: er muß wohl ein Philosoph seyn, sonst ließe er nicht so gottlose Reden gegen uns laufen.

Merkur. Wie, Vater, kennst du den Timon nicht mehr, des Echekratides Sohn, aus Colyttus[2]? Das ist ja derselbe, der kürzlich noch so reich gewesen, uns so oft mit herrlichen Opfern und ganzen Hekatomben bewirthete; derselbe, bei dem wir die Diasien[3] so köstlich zu begehen pflegten.

Jupiter. Welche Veränderung! Das wäre jener reiche Ehrenmann, der immer von so vielen Freunden umgeben war? Was ist ihm denn begegnet, daß er nun so schmutzig und armselig, und, aus der schweren Hacke zu schließen, womit er die Erde baut, gar ein Taglöhner ist?

8. Merkur. Ich könnte sagen, seine Gutherzigkeit, seine Menschenliebe, sein Mitleid mit allen Dürftigen hat ihn aufgerieben. Um aber die Wahrheit zu sagen, so war es sein Unverstand, seine gutmüthige Einfalt, sein Mangel an Beurtheilung in der Wahl seiner Freunde; diese machten, daß er es nicht merkte, wie er seine Gefälligkeiten Raben und Wölfen erwies. Der arme Tropf glaubte, daß die Geyer, die ihm die Leber benagten, lauter traute Freunde aus ächtem Wohlwollen wären, während es ihnen doch blos um [65] den Fraß zu thun war. Wie sie ihm endlich auch die Knochen säuberlich abgenagt, und den letzten Rest Mark vollends ausgesogen hatten, flogen sie auf und davon, und ließen ihn als ein dürres Gerippe liegen[4], ohne ihn mehr zu kennen noch anzusehen (wie sollten sie auch?), geschweige ihn zu unterstützen oder ihm seine Geschenke zu erwiedern. Aus Schaam, hierüber hat er nun die Stadt verlassen, ein Ziegenfell umgethan, und die Hacke ergriffen, um, wie du siehst, als Tagelöhner das Feld zu bauen. Dabei ist er voll schwarzer Galle über die Schurken, die durch ihn reich wurden, und nun ganz vornehm an ihm vorüber gehen, ohne sich auch nur zu erinnern, daß er Timon heißt.

9. Jupiter. Wir dürfen diesen Mann wirklich nicht übersehen und vernachläßigen. Er hatte nicht Unrecht, über sein Unglück zu klagen, da wir nahe daran sind, es nicht besser zu machen, als jene heillosen Schmarotzer, indem wir eines Mannes vergaßen, der uns so viele fette Hinterviertel von Rindern und Ziegen auf unsern Altären verbrannt hatte. Ich habe wahrhaftig den Fettdampf davon noch in der Nase. Allein die vielen Geschäfte und die Unruhe, welche mir die Menge von Meineiden, Brutalitäten und Straßenräubereien verursacht, zudem die Furcht vor den vielen Tempeldieben, vor denen ich mich kaum zu sichern weiß, so daß ich es mir nicht erlauben darf, auch nur ein bischen einzunicken – alles dieß machte, daß ich seit langer Zeit nicht auf Attika herabgesehen habe, zumal seitdem die Philosophie und das Disputiren [66] dort aufgekommen ist. Denn das ist ein Streiten und Schreien, daß man nicht einmal die Worte der Betenden davor hören kann. Entweder muß ich mit verstopften Ohren dasitzen, oder zu Grunde gehen über dem ewigen Geplärr von dem Ding, das sie Tugend nennen, von unkörperlichen Wesen und von andern Lappalien dieser Art. Und so begegnete es uns, daß wir Diesen da ganz außer Acht ließen, wiewohl er durchaus kein unrechter Mann ist.

10. Um so mehr beeile dich, Merkur, zugleich mit Plutus[5] dich zu ihm zu verfügen. Plutus soll den Thesaurus[6] mitnehmen, und beide sollen bei Timon bleiben, und ihn nicht so leicht wieder verlassen, auch wenn er sie aus lauter Gutherzigkeit auf’s neue zum Hause hinausjagen wollte. Was aber jene Schmarotzer und ihre an ihm bewiesene Undankbarkeit betrifft, so werde ich sie schon finden: sie sollen es zu büßen bekommen, so bald mein Blitz ausgebessert seyn wird. Denn gerade die zwei besten Zacken daran sind stumpf geworden und abgebrochen, als ich ihn neulich ein wenig zu hitzig gegen den Sophisten Anaxagoras schleuderte, der seine Zuhörer bereden wollte, es wäre durchaus nichts an dem Daseyn von uns Göttern. Leider traf ich ihn nicht, weil Perikles die Hand über ihn hielt[7], und der Blitz fuhr daneben [67] in das Anacéum[8], wo er zündete. Allein es fehlte wenig, so wäre er an dem Burgfelsen zerschellt und zu Grunde gegangen. Doch wird es vor der Hand eine zureichende Strafe für jene Schurken seyn, wenn sie den Timon wieder so steinreich sehen werden.

11. Merkur. [für sich, indem er den Plutus holt]. Wie gut war es doch für den Mann, daß er recht laut geschrien hat, und so grob und unverschämt gewesen ist. Dieß hilft nicht allein in einem Proceß, sondern auch, wenn man von den Göttern etwas zu bitten hat. Siehe da, jetzt wird der blutarme Timon auf einmal wieder ein reicher Mann, bloß weil er durch sein Geschrei und seine Freimüthigkeit, mit welcher er betete, die Aufmerksamkeit Jupiter’s auf sich gezogen hat. Hätte er, über seine Hacke gebückt, stille geschwiegen, er dürfte wahrlich noch forthacken, ohne daß sich eine Seele um ihn bekümmert hätte.

Plutus. Ich mag mich nicht zu ihm begeben, Jupiter.

Jupiter. Warum denn nicht, mein Bester? Du weißt ja, daß ich es haben will.

12. Plutus. Ei, beim Jupiter! hat er mich nicht gemißhandelt, ausgeleert, in Stücken zerrissen, ungeachtet ich schon vom Vater her sein Freund gewesen war? Hat er mich nicht am Ende fast mit der Mistgabel aus dem Hause gestoßen, oder wie einen brennenden Funken von der Hand eilends weggeschleudert? Soll ich erst auf’s neue zu den Schmarotzern und Speichelleckern wandern, und mich an Hetären verschenken lassen! Zu rechten Leuten schicke mich, Jupiter, die [68] dein Geschenk zu würdigen wissen, die meiner pflegen, denen ich werth und theuer bin. Solche dumme Gimpel aber sollen bei ihrer Penia[9], die sie uns ja doch vorziehen, bleiben, und sich ein Ziegenfell und eine Hacke von ihr geben lassen. Mögen diese Tröpfe, welche Geschenke von zehen Talenten in der Sorglosigkeit verschleudert haben, nun mit einem Verdienst von vier Obolen vorlieb nehmen!

13. Jupiter. Sey gewiß, Timon wird nicht mehr so, wie damals, mit dir umgehen. Die Hacke wird ihn schon gelehrt haben, dir den Vorzug vor der Penia zu geben, er müßte denn keine Empfindung in seinen Lenden haben. Du kommst mir übrigens vor, wie ein Mensch, dem man es nicht recht machen kann. Jetzt beschwerst du dich über den Timon, daß er dir die Thür öffnete, und dich frei herumgehen ließ, ohne dich eifersüchtig zu bewachen. Ein andermal schimpfst du auf die Reichen, sagst, sie sperren dich hinter Riegel, Schlösser und Siegel, so daß du auch keinen Augenblick an’s Tageslicht hervorkriechen könntest. Hast du nicht öfters bei mir geklagt, du müßtest ersticken in der dumpfen Finsterniß? Du sahest so blaß und sorgenvoll aus, hattest vom unaufhörlichen Geldzählen krumme Finger, und drohetest, bei der ersten besten Gelegenheit davon zu laufen. Kurz, es war dir eine unerträgliche Lage, in einem eisernen oder ehernen Gemache, unberührt wie die Danaë, eingeschlossen zu seyn, und von zwei scharfen und schlimmen Pädagogen, dem Wucher und dem Einmaleins, in Zucht gehalten zu werden.

14. Du erklärtest ja alle Diejenigen für Narren, die rasend in dich verliebt wären, und sich doch nicht getrauten, [69] sich deinem Genusse ohne Scheu zu überlassen (obwohl sie’s könnten, und deiner vollkommen Herr wären), sondern lieber mit steif und fest auf Schloß und Riegel gehefteten Blicken dich bewachten, indem sie sich mit dem Genusse begnügten, nicht blos zu wissen, daß sie genießen könnten, wenn sie wollten, sondern hauptsächlich, daß sie deinen Genuß Jedem verwehren könnten, ganz wie der Hund in der Fabel, der in der Krippe auf dem Haber lag, um den hungrigen Pferden das Futter vorzuenthalten, das er doch selbst nicht fraß. Auch lachtest du über die wachsamen Knauser, die, während sie, merkwürdig genug, neidisch gegen sich selbst wären, es doch nicht gewahr würden, wie ein Schurke von Sclave, ein Hausmeister, oder ein Kinderwärter sich heimlich in die Vorrathskammer schleicht, und sich’s dort auf Kosten des armen Teufels von Hausherrn wohl seyn läßt, der inzwischen bei einer düstern enghalsigen Lampe mit magerem Dochte aufbleibt, und seine Zinsen berechnet. Dieses Alles legtest du sonst den Reichen zur Last: ist es nun nicht ungerecht, dem Timon das Gegentheil zum Vorwurf zu machen?

15. Plutus. Und doch wirst du bei genauer Prüfung finden, daß ich zu beidem meine guten Gründe habe. Mit Recht nehme ich an, daß Timon mich deßwegen so leichtsinnig vergeudete, weil er gleichgültig gegen mich und ohne alle Zuneigung war. Diejenigen aber, die mich in ein finsteres Gemach verschließen und bewachen, damit ich dicker, fetter, und schwerer werden möchte, und mich weder anrühren, noch jemals an das Tageslicht kommen lassen, damit ich von keinem Menschen gesehen werde, halte ich für Thoren und klage sie der Mißhandlung an, weil sie mich unschuldiger Weise [70] unter so schweren Fesseln verfaulen lassen, ohne zu bedenken, daß sie in Kurzem von dannen müssen, um mich einem anderen gesegneten Sterblichen zu überlassen.

16. Ich lobe mir also eben so wenig diese letztern, als jene, die gar zu schnell mit mir fertig werden, sondern die, was ja überall das Beste ist, auch hierin Maaß halten, und mich weder wegwerfen, noch mich unberührt lassen. Beim Jupiter! bedenke selbst, Jupiter, wenn einer ein junges und schönes Mädchen förmlich zur Frau nähme, und wäre dann, statt sie zu Hause zu behalten, so wenig eifersüchtig, daß er sie Tag und Nacht herumschwärmen, und mit jedem Beliebigen sich abgeben ließe, oder sie wohl gar selbst andern Buhlern zuführte, fremde Thüren ihr öffnete, oder den Kuppler im eigenen Hause machte, würde wohl dieser Mann für ihren Liebhaber gelten können? Dieß würdest wenigstens du gewiß nicht zugeben, Jupiter, da du ja die Liebe aus so vielfältiger eigener Erfahrung kennst.

17. Wiederum, denke dir einen Mann, der eine freigeborene, blühende und schöne Jungfrau, Behufs der Zeugung rechtmäßiger Nachkommenschaft, als Gattin in sein Haus einführte, dieselbe aber eben so wenig selbst berührte, als Andern auch nur ihren Anblick gestattete, sondern sie zu ewiger unfruchtbarer Jungfrauschaft verurtheilte und einsperrte, während er sich doch für ihren Liebhaber erklärte, und das Gepräge desselben in seiner blassen Hautfarbe, seiner Magerkeit und seinen hohlen und eingefallenen Augen trüge, – würdest du ihn nicht für verrückt halten, da er, statt Kinder zu zeugen und die Freuden der Ehe zu genießen, das wohlgebildete liebliche Mädchen wie eine Priesterin der Ceres [71] lebenslänglich zu Hause hält und verwelken läßt? Dasselbe ist’s, was mich auf die Menschen so böse macht, die mich entweder mit Füßen treten und zu Grunde richten, oder mich wie einen Sklaven behandeln, dem man mit Fußeisen und Brandmahlen das Durchgehen entleidet.

18. Jupiter. Ereifere dich doch nicht so sehr! Du siehst ja, wie schön beide Theile dafür gestraft sind. Die Einen schnappen mit dürrer Zunge und unerquickt, wie Tantalus, nur nach dem Golde; während gierige Harpyien den Andern, wie einst dem Phineus, die Nahrung aus dem Maule stehlen. Doch – gehe endlich einmal, und sey gewiß, nunmehr einen weit vernünftigeren Mann an Timon zu finden.

Plutus. Wie? Der sollte jemals aufhören, mich absichtlich mit einem durchlöcherten Korbe zu schöpfen, aus Furcht überschwemmt zu werden, wenn ich in aller Fülle ihm zuströmte? Gewiß es wird nicht anders seyn, als ob ich Wasser in das Faß der Danaïden gießen wollte. Ich werde vergeblich zugießen; denn weil das Loch zu groß ist, wird Alles geschwinder wieder ausgelaufen seyn, als ich nachgießen kann.

19. Jupiter. Je nun, wenn er dieß Loch nicht zumachen will, und dich abermals auslaufen läßt, so wird er wenigstens seinen Schaafpelz und seine Hacke im Bodensatze wieder finden. Aber macht nun, daß ihr fort kommt! Und du, Merkur, vergiß mir nicht im Rückwege die Cyclopen vom Aetna mitzubringen, daß sie mir meinen Donnerkeil wieder ausbessern und spitzen. Denn er muß scharf seyn, wenn ich ihn nächstens brauchen werde.

20. Merkur. So wollen wir denn gehen, Plutus. [72] Aber was ist das, du hinkst ja? Seit wann bist du denn zu deiner Blindheit auch lahm geworden?

Plutus. Ich bin es nicht immer, Merkur, sondern nur, wenn mich Jupiter irgend wo hinschickt, da bin ich, ohne zu wissen, wie’s kommt, so langsam und an beiden Füßen so lahm, daß ich oft kaum das Ziel erreiche, wenn der, welcher auf mich wartet, bereits ein lebenssatter Greis ist. Wenn ich mich aber entfernen soll, da solltest du sehen, wie ich fliegen kann: kein Traumbild kann schneller verschwinden. Wäre ich dann ein Wettrenner, kaum könnte das Schrankenseil zu Boden fallen, so hätte ich, ohne daß mich die Zuschauer mit ihren Blicken verfolgen könnten, schon die Bahn durchflogen, und würde als Sieger ausgerufen.

Merkur. Du sagst mir da nicht die Wahrheit. Denn ich könnte dir Viele nennen, die gestern noch keinen Obolus, um sich einen Strick zu kaufen, im Vermögen hatten, und heute plötzlich reich sind, groß thun, und mit weißen Pferden fahren, während sie sonst keinen Esel im Stalle hatten. Und wenn sie so in Purpur und mit Händen voll goldner Ringe herumspatzieren, haben sie selbst Mühe, sich zu überzeugen, daß sie nicht bloß im Traume reich sind.

21. Plutus. Das ist etwas ganz anderes, Merkur. Zu diesen bin ich nicht auf den Füßen gekommen: auch hat mich nicht Zeus, sondern Pluto zu ihnen geschickt, der ja auch ein großer Reichthumgeber ist, wie schon sein Name[10] [73] anzeigt. Wenn ich nämlich von dem Einen auf einen Anderen übergehen soll, so legt man mich in eine Schreibtafel, versiegelt mich sorgfältig, und trägt mich feierlich zum Hause hinaus[11]. Und während der Todte in einem finstern Winkel des Hauses liegt, über den Knieen mit einem alten Leintuch zugedeckt, und den Katzen, die sich um ihn balgen, preisgegeben, – warten die, welche sich Hoffnung machen, im Gerichtshose mit aufgesperrten Mäulern auf mich, wie die zwitschernden Jungen der Schwalbe auf die Heimkunft ihrer Mutter.

22. Endlich wird das Siegel abgenommen, der Bindfaden zerschnitten, das Testament geöffnet, und der Name meines neuen Herrn ausgerufen. Bald ist dieser ein Anverwandter des Vorigen, bald aber ein Schmeichler oder ein Sklave, der eine so große Belohnung mit Preisgebung seiner selbst verdient hatte. Nun steckt mich der Erbe, wer er auch sey, sammt dem Testamente zu sich, läuft davon, und heißt nun statt Pyrrhius, Dromo oder Tibius[12] hinfort Megakles, Megabyzus, oder Protarchus: während die Andern, die ihre Mäuler vergebens aufgesperrt hatten, einander ansehen und recht aufrichtig trauern, daß ihnen der kostbare Seefisch, der ihnen so vielen Lockfraß verschlungen, aus dem Untersten des Netzes wieder entwischt ist.

[74] 23. Der neue Besitzer aber, dem ich so plötzlich in die Hände gefallen bin, ein roher, plumper Kerl, dem bei dem Gedanken an das Fußeisen die Haut noch schaudert, und der, wenn einer im Vorübergehen mit der Peitsche knallt, die Ohren spitzt, und vor dem Mühlgewölbe[13] wie vor einem Tempel Respekt hat – der ist der unerträglichste Mensch für Alle, die mit ihm zusammentreffen. Gegen Bürger ist er grob, und seine ehemaligen Mitsclaven peitscht er durch, nur um zu probiren, ob ihm dergleichen nun auch erlaubt sey. Dieß dauert aber nur so lange, bis er an ein lüderliches Dirnchen geräth, oder von der Pferdesucht befallen wird, oder sich Schmeichlern preisgiebt, die ihm schwören, er sey wahrhaftig schöner als Nireus[14], edlern Blutes als Cecrops und Codrus, gescheidter als Ulysses, reicher als sechzehen Crösusse – alsdann läßt der elende Tropf in ganz kurzer Zeit ein Vermögen zerrinnen, wozu es einst einer Menge von falschen Eidschwüren, Betrügereien und Schurkenstreichen bedurft hatte, um es allmählig zusammenzubringen.

24. Merkur. Es ist wahrhaftig beinahe so, wie du sagst. Wenn du aber auf deinen eigenen Füßen gehst, wie da? Kannst du denn bei deiner Blindheit den Weg finden? Und woran kennst du diejenigen, zu welchen dich Jupiter schickt, weil er sie für würdig hält, reich zu werden?

[75] Plutus. Glaubst du denn wirklich, ich könne sie herausfinden?

Merkur. Ich glaube es freilich nicht. Sonst würdest du nicht einen Aristides übergangen, und dich zu einem Hipponikus und Callias[15] und vielen andern Athenern gesellt haben, die keinen Obolus werth sind. Allein wie machst du es denn, wenn du ausgeschickt wirst?

Plutus. Je nun, ich tappe hin und her, auf und ab, bis ich von ungefähr auf den ersten besten stoße, der mich mit sich nach Hause nimmt, und dir, Merkur, für den unverhofften Gewinn seinen Dank opfert[16].

25. Merkur. Also ist Jupiter geprellt, wenn er meint, daß du nach seinem Willen alle diejenigen reich machst, die er dessen für würdig hält?

Plutus. Und mit Recht, mein Bester: denn er weiß ja, daß ich blind bin, und schickt mich doch aus, um eine schwer zu findende Sache zu suchen, die längst aus der Welt fast verschwunden ist, und die ich auch mit Lynceus[17] Augen [76] nicht leicht ausfindig machen könnte, so unscheinbar und klein ist sie geworden. Denn da der Guten so Wenige sind, und die Menge der Schlimmen aller Orten den Meister spielt, wie leicht falle ich da bei meinem Herumirren in die Netze der Letztern?

Merkur. Wenn du sie aber verlässest, da fliehest du so leicht davon, ohne doch den Weg zu sehen: wie kommt das?

Plutus. Alsdann werde ich scharfsichtig und leichtfüßig, aber nur für den Augenblick meiner Flucht.

26. Merkur. Sage mir nun auch, wie es möglich ist, daß bei deiner Blindheit, bei deinem – ich kann es nicht bergen – blassen Aussehen, deinem schwerfälligen Gange so viele Leute in dich verliebt, und aller Augen auf dich gerichtet sind? Wenn sie dich bekommen, dünken sie sich überglücklich; wenn du ihnen entgehest, ist ihnen das Leben unerträglich. Ja ich kannte nicht Wenige deiner unglücklichen Liebhaber, die sich, wie jener Dichter sagt[18], von hohen Felsen in des Meeres unergründliche Tiefe stürzten, blos weil sie glaubten, du hättest verächtlich über sie weggesehen, da du sie doch gar nicht gesehen hattest. Ich zweifle nicht, du wirst, wenn du dich anders selbst kennst, mit mir der Meinung seyn, daß es Raserei ist, nach einem solchen Geliebten zu schmachten.

27. Plutus. Du glaubst also, daß sie mich sehen, wie ich wirklich bin, so blind und lahm und mit allen meinen übrigen Gebrechen?

[77] Merkur. Wie sollten sie nicht? Sie müßten denn alle gleichfalls blind seyn.

Plutus. Das nicht, mein Bester, sondern Thorheit und Täuschung, die sich heut zu Tage der ganzen Welt bemächtigt haben, umnebeln sie: zudem habe ich selbst, um nicht so sehr häßlich zu seyn, eine gar reizende, von Gold und Edelsteinen schimmernde Maske vorgenommen, zeige mich ihnen nur in einem glänzenden Anzuge. In der Meinung also, die Schönheit meines natürlichen Gesichtes zu sehen, verlieben sie sich in mich, und verzweifeln, wenn sie meiner nicht habhaft werden können. Würde man aber mich ihnen entkleidet zeigen, gewiß, sie würden ihre Verblendung und thörichte Liebe zu einem so häßlichen und unliebenswürdigen Gegenstande selbst sehr strafbar finden.

28. Merkur. Aber wie lassen sie sich denn auch dann noch betrügen, wann sie wirklich reich geworden sind, und sich jene Maske nun selbst umgethan haben? Und wenn man sie ihnen abziehen will, wie kommt’s, daß sie lieber den Kopf als die Larve hergäben? Man kann doch nicht annehmen, daß sie, wiewohl sie nun alles Inwendige sahen, auch jetzt noch nicht wissen sollten, wie die ganze Schönheit eine aufgepinselte ist.

Plutus. Auch hiebei kommt mir Manches zu Statten, mein lieber Merkur.

Merkur. Und das wäre?

Plutus. Wann einer, dem ich begegnete, die Thüre öffnet, um mich bei sich aufzunehmen, so treten die Aufgeblasenheit, der Unverstand, die Hoffahrt, die Weichlichkeit, der Uebermuth, die Täuschung und tausend Wesen dieser Art, ungesehen [78] zugleich mit mir ein. Kaum haben diese seinen Kopf eingenommen, so bewundert er, was nicht zu bewundern, und begehrt, was zu fliehen ist. Mich aber verehrt er als den Vater aller dieser Unholde, die, wie meine Leibwache mit mir eingezogen sind, und würde lieber alles Andere, als die Trennung von mir ertragen.

29. Merkur. Allein es ist so schwer, dich fest zu halten, Plutus. Man kann dich nirgends fassen: du bist so glatt und schlüpfrig, daß du einem wie ein Aal durch die Finger gleitest. Die Penia hingegen ist zäh wie Vogelleim, und hängt sich leicht an: denn es sind ihr Tausende von Angelhäkchen am ganzen Leibe herausgewachsen, womit sie diejenigen, die ihr zu nahe kommen, sogleich festhält, und nicht so leicht wieder los läßt. Aber – über unserem Schwatzen haben wir etwas sehr Wichtiges vergessen.

Plutus. Was denn?

Merkur. Wir haben den Thesaurus nicht mitgenommen, den wir doch am nöthigsten brauchen.

30. Plutus. Sey deßhalb ganz ausser Sorgen: ich lasse ihn jedesmal unter der Erde, wenn ich zu euch heraufkomme, und gebe ihm den gemessenen Befehl, die Thür verschlossen zu halten, und Niemanden aufzumachen, wenn er mich nicht selbst rufen hört.

Merkur. Ah, nun haben wir Attika erreicht. Fasse mich nun am Mantel und folge mir, bis wir auf Timon’s Einöde kommen.

Plutus. Schön, Merkur, daß du mich führst: denn wie leicht könnte ich im Herumtappen einem Hyperbolus oder [79] Cleon[19] in die Hände gerathen! Aber was ist das für ein Schall, als ob Eisen auf Stein geschlagen würde?

31. Merkur. Je nun, wir sind bei Timon, der eben ein hartes und steinigtes Flecken Land behackt. Ha, da ist ja die Penia bei ihm, die Arbeit, die Geduld, die Weisheit, die Entschlossenheit, und alle die Genien, die unter dem Commando des Hungers stehen, und wahrlich viel ehrenwerther sind als deine Trabanten.

Plutus. Wär’ es wohl nicht das Beste, Merkur, wir machten uns sogleich wieder davon? Denn was werden wir wohl bei einem Manne ausrichten, der von einer solchen Armee umgeben ist?

Merkur. Das wäre gegen Jupiters Willen. Wir wollen uns nicht abschrecken lassen.

32. Penia (die Armuth). Wohin führst du den Blinden, mein Herr Argosmörder [Merkur]?

Merkur. Jupiter schickt uns hieher zu Timon.

Penia. Wie? Jetzt wird Plutus dem Timon abermals zugeschickt, den ich von dem Wohlleben so übel zugerichtet erhalten, und, nachdem ich ihn der Weisheit und der Arbeit übergeben, zu einem tüchtigen und achtungswerthen Manne gemacht habe? So wenig glaubt ihr also die Penia achten, so ungerecht sie behandeln zu dürfen, daß ihr das einzige Kleinod, das sie besitzt, einen Mann, den sie für die Tugend gewonnen, ihr entreißen wollt, damit ihn Plutus [80] wieder dem Uebermuth und der Aufgeblasenheit überliefern, und nachdem er, wie früher, einen Weichling von gemeiner Denkungsart und beschränktem Verstande aus ihm gemacht hätte, ihn mir am Ende als einen Lumpen anheimgebe?

Merkur. So gefällt es dem Jupiter, meine Penia.

33. Penia. So gehe ich denn: und ihr, du Arbeit, und du Weisheit und ihr übrigen, folget mir. Der da wird bald genug inne werden, was für eine nützliche Gehülfin und Lehrmeisterin alles Guten er an mir verloren hat. So lange er bei mir war, war er gesund an Seele und Leib, lebte wie ein Mann, und lernte sich selbst achten, die Menge überflüssiger Dinge aber für das, was sie sind, für unerträglich mit Tugend und Weisheit zu halten.

Merkur. Sie ziehen ab: nun wollen wir auf ihn zugeben.

34. Timon. Wer seyd ihr? Was wollt ihr, verwünschte Kerls? Warum kommt ihr, einen fleißigen Tagelöhner in seiner Arbeit zu stören? Wart, es soll euch nicht gut bekommen, Halunken, die ihr seyd! Packt euch, oder ich werde euch mit Erdschollen und Steinen zerschmeißen, daß –

Merkur. Um des Himmels willen, Timon, wirf doch nicht! Wir sind ja keine Menschen. Ich bin Merkur, und dieser da ist Plutus. Jupiter hat dein Gebet erhört, und uns hieher geschickt. Nimm also in Gutem deinen Segen in Empfang, und höre auf, dich mit dieser Arbeit zu plagen.

Timon. Geht zum Henker, und wenn ihr auch Götter seyd, wie ihr sagt. Ich hasse nun einmal Alles zusammen, Götter wie Menschen. Und diesem blinden Kerl da, [81] sey er wer er wolle, habe ich Lust, mit meiner Hacke den Schädel einzuschlagen.

Plutus. Laß uns doch um Gotteswillen gehen, Merkur! Du siehst, der Mensch ist ja ganz rasend. Ich bekomme sonst gewiß noch einen Treff.

35. Merkur. Stelle dich nicht so ungebärdig, Timon, und laß das wilde rohe Benehmen. Greif mit beiden Händen nach deinem guten Glücke, und laß dich wieder zum reichsten und ersten Athener machen, um, für dich allein glücklich, alle jene Undankbaren über die Achsel ansehen zu können.

Timon. Ich will nichts von euch. Laßt mich in Ruhe! Meine Hacke macht mich reich genug. Im Uebrigen bin ich überglücklich, wenn mir keine Seele zu nahe kommt.

Merkur. Warum denn so unleutselig, mein Freund?

Bring ich dem Zeus die Rede, so ungestüm und so trotzig?[20]

Jedoch, daß du ein Feind der Menschen bist, die dir so arg mitgespielt, finde ich natürlich. Wie du aber die Götter hassen kannst, die so gütig für dich sorgen, begreife ich nicht.

Timon. Je nun – dir, Merkur, und dem Jupiter bin ich für diese Fürsorge sehr dankbar. Aber diesen Plutus da werde ich nimmermehr zu mir nehmen.

Merkur. Warum nicht?

36. Timon. Weil er mir früher unzähliges Böse zugefügt, den Schmarotzern mich preisgegeben, feindselige Ränke, Haß und Neid mir zugezogen, und mit Wohlleben mich zu Grunde gerichtet hat. Und am Ende hat der treulose [82] Verräther mich eilends verlassen. Die edle Penia aber hat mich mit männlicher Arbeit gestärkt, hat mich wahr und aufrichtig behandelt, und bei der Arbeit meine Bedürfnisse mich finden lassen. Und da sie mein ganzes Lebensglück von mir selbst abhängig machte, hat sie mich alles Ueberflüssige verachten lassen, und mir gezeigt, was der rechte Reichthum sey, den mir kein schleichender Schmeichler, kein drohender Sykophant[21], nicht die aufgebrachte Volkswuth, nicht die verurtheilende Stimme irgend eines Demagogen, oder die Nachstellungen eines Tyrannen entreissen können.

37. Gestärkt von der Arbeit, und emsig dieses Feld bauend, werde ich nichts gewahr von allen den Uebeln, die in der Stadt hausen, und danke dieser Hacke mein hinreichendes Brod. Gehe also hin, wo du hergekommen, Merkur, und bringe den Plutus wieder dem Jupiter. Ich wollte zufrieden seyn, wenn ich Alles, was Mensch heißt, groß und klein an den Galgen schicken könnte.

Merkur. Nicht doch, mein Bester, dieß möchten wohl nicht Alle verdient haben. Laß nun einmal diesen Groll, der sich nur für einen hitzigen Jüngling schickt, und nimm den Plutus zu dir; denn

Unverwerflich ja sind der Unsterblichen ehrende Gaben[22]

Plutus. Wirst du mir erlauben, Timon, daß ich mich gegen dich rechtfertige? Oder ist es dir auch zuwider, mich reden zu hören?

[83] Timon. Rede, aber mach’s kurz, und bringe mir keinen langen Eingang, wie die Schufte von Volksrednern. Denn nur dem Merkur hier zu Gefallen will ich dich einen Augenblick anhören.

38. Plutus. Eigentlich sollte ich mich recht ausführlich vertheidigen dürfen, da du mir so Vieles zur Last gelegt hast. Indessen wirst du schon selbst einsehen, daß ich dir kein Leid gethan habe, wenn du bedenkst, daß ich es war, der dir alles Angenehme verschaffte, Würde, Rang, Ehrenzeichen, und was zu einem genußreichen Leben gehört. Durch mich bist du der angesehene, gefeierte Mann geworden, um dessen Umgang sich Alle bewarben. Haben aber deine Schmeichler dir übel mitgespielt, so bin ich ohne Schuld. Mir ist im Gegentheil von dir Unrecht geschehen, daß du mich so verächtlich den schlechtesten Menschen preisgegeben hast, bei denen es, indem sie dich mit schönen Worten berückten, nur auf meinen Untergang abgesehen war. Am Ende hätte ich dich verrathen, sagst du. Und doch ist es dieß gerade, was ich dir vorzuwerfen habe, daß du mich auf alle Weise von dir triebest, und mich endlich Kopf über zum Hause hinaus warfest. Dafür hat dir auch die hochverehrte Penia deinen feinwolligten Mantel ausgezogen, und diesen Ziegenpelz dafür angelegt. Merkur aber ist Zeuge, wie sehr ich den Jupiter bat, mich nicht wieder zu einem Menschen zu schicken, der mir so feindselig begegnete.

39. Merkur. Aber nun siehst du ja, Plutus, wie sehr er sich geändert hat: mache dich also nur herzhaft an ihn. Du, Timon, grabe nur so fort; du aber, Plutus, mache, daß [84] sich Thesaurus ihm unter die Hacke legt: er wird dir schon gehorchen, wenn du ihm rufst.

Timon. So muß ich dir also nachgeben, Merkur, und wieder reich werden. Denn was kann man machen, wenn man von den Göttern genöthigt wird? Bedenke indessen, in was für eine Lage du einen armen Mann wirfst, der sich eben noch so glücklich fühlte, und der nun, ohne etwas verbrochen zu haben, eine Masse Goldes annehmen soll, um einer Unzahl von Sorgen bei sich Raum zu geben?

40. Merkur. Ertrage es, lieber Timon, wenigstens mir zu lieb, so verdrießlich und unerträglich es dir auch seyn mag, nur damit deine ehemaligen Schmarotzer vor Neid und Verdruß bersten möchten. Ich fliege jetzt über den Aetna in den Himmel zurück.

Plutus. Der ist also fort: ich höre wenigsten seinen Flügelschlag. Bleibe du einstweilen hier, Timon: ich will gehen, und dir den Thesaurus herschicken. Oder grabe ihn vielmehr selbst heraus. – Auf! goldner Thesaurus, höre den Timon hier, füge dich ihm in die Hände, und laß dich heraufziehen! – Wohlan, Timon, schlage ein in den Boden, so tief du kannst. Ich verlasse euch nun.

41. Timon. Nun denn, liebe Hacke, nimm dich zusammen, und hole mir unverdrossen den Thesaurus aus der Tiefe an’s Tageslicht. – Hilf wunderthätiger Jupiter! ihr guten Erdgeister, und du, gewinngebender Merkur! woher diese Menge Goldes? Wache, oder träume ich? O, wenn ich erwachte, und nur Kohlen fände! Doch nein, es ist Gold, geprägtes, glänzendes, gewichtiges Gold; welch’ ein köstlicher Anblick!

[85]

O Gold, du schönste Augenlust der Sterblichen[23]!
Flammendem Feuer gleich
Leuchtest du in der Nacht
und bei Tage[24].

So komm’ heraus, lieblichstes, reizendstes aller Dinge! Jetzt glaube ich gerne, daß auch Jupiter einst zu Golde geworden ist. Welches Mädchen wollte nicht gerne einem so reizenden Regen, wenn er durch das Dach herabrieselt, ihren Schoos öffnen?

42. O Midas, o Krösus, und all’ ihr Weihgeschenke zu Delphi, wie seyd ihr doch so gar nichts gegen den Timon und seinen Reichthum? Der Perserkönig selbst kann sich nicht mit ihm messen. Dich aber, liebes Ziegenpelzchen und dich meine Hacke, werde ich, wie billig, zum Andenken an diesem Pan’sbild[25] aufhängen. Dieses ganze Landgütchen will ich nun selbst kaufen, und mir über den Thesaurus ein Thürmchen bauen, das gerade groß genug seyn soll, um mich allein zu beherbergen. Und wenn ich einmal gestorben bin, so soll es, denke ich, auch meine Grabstätte seyn. Für mein ganzes übriges Leben aber gelte folgendes als unverbrüchliches Gesetz: „Jeden Menschen zu meiden, keinen zu kennen, alle zu verachten, die Worte: Freundschaft, Gastrecht, Cameradschaft, Mitleid, für leeres Geschwätz, das Erbarmen über einen Weinenden, und die Hülfleistung bei fremder Noth für [86] ein Verbrechen und für den Umsturz der guten Sitte zu halten. Einsam sey meine Lebensweise, wie die der Wölfe, und Keiner sey mein Freund, als Timon.

43. Jeder Andere sey mir ein gefährlicher Feind, und mich ihm zu nähern, ein Gräuel, der Tag aber, wo ich einen Menschen auch nur sah, ein Unglückstag. Es soll uns nicht erlaubt seyn, eine Botschaft von ihnen anzunehmen, noch uns in irgend einen Vertrag mit ihnen einzulassen. Kurz, die Menschen sollen für uns nichts anderes seyn, als steinerne oder metallene Bildsäulen. Diese Wildniß aber sey die Gränze zwischen ihnen und uns. Stammes-, Zunft- und Gemeinde-Genossen, Vaterland, seyen uns hinfort nichtsbedeutende, leere Namen, die nur bei Schwachköpfen in Ehren stehen. Nur Timon allein soll reich seyn, und mit Verachtung aller Uebrigen sich’s allein wohl seyn lassen, fern von allen Schmeichlern und gemeinen Lobrednern. Den Göttern opfere er allein und verschmause allein das Opfermahl: als sein eigener Nachbar und Angränzer entschlage er sich aller Berührung mit Anderen. Und wenn es zum Sterben kommt, so nehme er allein von sich Abschied, und setze sich selbst die Todtenkrone auf.

44. Sein liebster Name sey ihm: der Menschenfeind; und die Merkmale seines Charakters seyen: Härte, Grobheit, Groll, finsteres und ungeselliges Wesen. Sieht Timon einen Menschen in Gefahr, im Feuer umzukommen, und hört ihn flehen, die Flamme zu löschen, so hat er mit Pech und Oel zu löschen. Und wenn Einer von einem angeschwollenen Strom fortgerissen die Arme ausstreckt, und um des Himmels willen bittet, ihn zu fassen, so soll er ihm den Kopf hinabstoßen und das Auftauchen unmöglich machen. So könnte ihnen etwa [87] Gleiches mit Gleichem vergolten werden. Vorstehende Gesetz hat in Antrag gebracht Timon, des Echekratides Sohn, aus Kolyttos, und derselbe Timon hat es durch Abstimmung seiner Volksversammlung bestätigen lassen.“ – Vortrefflich! Dieß gelte nun fortan für meine feste Norm, worüber ich männlich halten werde.

45. Aber ich gäbe doch viel darum, wenn sie es Alle wüßten, daß ich so reich geworden bin. Sie würden sich aufhängen vor Aerger. Doch – was ist das? Was rennt dort heran? Wahrlich, sie haben, wer weiß wie, Wind bekommen von meinem Golde, und laufen nun mit Staube bedeckt und keuchend herbei. Was mache ich nun? Besteige ich diese Anhöhe, um sie mit Steinen zu vertreiben? Freilich kann ich von oben herab um so sicherer auf sie zielen. Doch wird es besser seyn, hier stehen zu bleiben und sie zu empfangen. Diesen ersten und letzten Bruch wollen wir in unser Gesetz machen, und uns mit ihnen einlassen, um sie mit einer recht verächtlichen Behandlung desto empfindlicher zu kränken. Siehe da, wer ist denn der, der da Allen voranläuft? Ach Gnathonides, der schmeichelnde Mitesser, der mir ohnelängst, als ich ihn um eine Beisteuer ansprach, einen Strick bot, wiewohl er sonst ganze Fässer bei mir – gespieen hat. Schön, daß er kommt; dem will ich’s nun zu allererst eintränken.

46. Gnathonides. Sagt’ ich’s nicht, die Götter werden des braven Timon nicht vergessen? Guten Tag, schönster, liebster Timon. Wie steht’s altes Zechbrüderchen?

Timon. Auch guten Tag, Gnathonides, du – aller Geier gefräßigster, und aller Menschen heillosester!

[88] Gnathonides. Du hast doch immer zu scherzen beliebt. Allein – wo wird denn gespeist? Ich habe ein nagelneues Lied, ganz frisch gedichtete Dithyramben mitgebracht.

Timon. Komm, du sollst mir eine rührende Elegie unter meiner Hacke singen [schlägt ihn].

Gnathonides. Was ist das? Du schlägst mich, Timon? Ich rufe Zeugen. Herkules! Au weh! weh! Du hast mich blutig geschlagen, ich verklage dich beim Areopagus.

Timon. Warte ein Bischen, dann kannst du doch sagen, ich hätte dich zu todt geschlagen.

Gnathonides. Halt, meine Wunde wirst du bald geheilt haben, wenn du nur ein bischen Gold darauf legen willst. Gold ist gar wirksam, das Blut zu stillen.

Timon. Bist du noch da?

Gnathonides. Ich gehe ja, ich gehe. – Aber wart, du sollst es mir bereuen, daß du aus einem so tractabeln Kerl dieser Grobian geworden bist.

47. Timon. Was kommt aber dort für ein Glatzkopf? Ha, Philiades, der abgefeimteste von allen Schmarotzern. Dieser Bursche hat ein ganzes Landgut und zwei Talente zur Ausstattung seiner Tochter von mir bekommen, als er einmal, da ich gesungen hatte, und alle Andern stille schwiegen, mein Singen ganz allein lobte und sich verschwor, ich sänge melodischer als ein sterbender Schwan. Und neulich, als ich krank und elend zu ihm kam, und ihn um eine Unterstützung ansprach, hat er mir noch obendrein Streiche aufgemessen.

[89] 48. Philiades. O des unverschämten Volks! Jetzt kennt ihr den Timon wieder! Jetzt ist Gnathonides wieder der gute Freund und Zechbruder! Er hat sein Recht bekommen, der undankbare Schuft. Ich aber, Timon’s alter Camerad und Jugendgenosse, zögere gleichwohl, und möchte mich ihm um Alles nicht so unbescheiden aufdringen. – Sey gegrüßt, mein Herr und Gebieter: hüte dich vor diesem verfluchten Rabengesindel von Speichelleckern, denen es um nichts, als um deinen Tisch zu thun ist. Man darf heut zu Tage keinem Menschen trauen! es ist Einer wie der Andere ein undankbarer Schurke. Ich war eben im Begriff, dir ein Talent zu bringen, damit du die dringendsten Bedürfnisse befriedigen könntest, als ich auf dem Wege hieher hörte, du wärest wieder zu unermeßlichem Reichthum gelangt. So wollte ich dir also wenigstens mit meinem guten Rathe dienen, wiewohl ein gescheidter Mann wie du, der auch einem Nestor zu sagen wüßte, was er zu thun und zu lassen hat, meines Rathes kaum bedarf.

Timon. Laß das gut seyn, Philiades. Tritt aber doch ein Bischen näher, damit ich dir mit meiner Hacke auch eine kleine Gefälligkeit erweisen kann [Er schlägt ihn].

Philiades. Zu Hülfe, Leute, zu Hülfe! Er hat mir den Schädel eingeschlagen, der Undankbare, weil ich ihm zu seinem Vortheil gerathen hatte.

49. Timon. Siehe, da kommt ein Dritter, der Volksredner Demeas, der sich für meinen Verwandten ausgiebt. Er trägt den Entwurf eines Volksbeschlusses in den Händen. Sechzehn Talente an Einem Tage hat er einmal von mir bekommen, und an die Stadt gezahlt. Er war nämlich zu dieser [90] Summe verurtheilt, und weil er nicht bezahlen konnte, verhaftet worden; da erbarmte ich mich seiner und löste ihn aus. Neulich aber traf ihn das Loos, an den Erechtheidischen Stamm das Festgeld[26] auszutheilen; ich kam und bat mir meinen Antheil aus: da war die Antwort, er wisse nichts davon, daß ich ein Bürger sey!

50. Demeas. Heil dir, Timon, Krone unseres Stammes, Stütze der Athener, Vormauer von ganz Griechenland! Bereits erwarten dich das versammelte Volk, der Rath des Areopagus und der Rath der Fünfhundert. Zuvor aber vernehme den Decret-Entwurf, den ich zu deinen Gunsten aufgesetzt habe:

„In Anbetracht, daß Timon, des Echekratides Sohn,
„aus Kolyttus, ein rechtschaffener und dabei kluger
„Mann, wie Keiner in Griechenland, sich jederzeit um
„das gemeine Wesen wohlverdient gemacht, die Siegespreise
„davon getragen im Faust- und Ringkampf, im
„Wettlauf, im Wagenrennen mit dem Viergespann und
„mit dem Zweigespann der Fohlen, Alles an einem
„Tage zu Olympia;“

[91] Timon. Aber ich bin ja nicht einmal als Zuschauer je in Olympia gewesen.

Demeas. Thut nichts. Du wirst wohl später einmal dort zusehen. Je mehr dergleichen da drin steht, desto besser.

„Ferner im vergangenen Jahre gegen die Akarnanen
„sich für die Stadt sehr tapfer gewehrt, und zwei Bataillons
„Peloponnesier niedergehauen –

51. Timon. Wie? Ich bin ja, weil ich keine Waffen hatte, nicht einmal auf die Kriegsliste gekommen!

Demeas. Du sprichst gar zu gering von dir: wir hingegen wären undankbar, wenn wir deiner Thaten nicht gedächten.

„Ingleichen durch Gesetzesvorschläge, Gutachten, und
„seine Amtsführung als Kriegsrath der Republik ungemeine
„Dienste geleistet hat: in Erwägung alles
„Dessen beschließt Rath und Volk[27], dem Timon eine
„goldene Bildsäule neben der Minerva auf der Burg
„setzen zu lassen, mit sieben Strahlen um’s Haupt,
„und einen Donnerkeil in der Rechten haltend, ferner
„ihn mit goldenen Kronen zu beschenken, und diese
„Ehrenbezeugung heute an den Dionysien, welche dem
„Timon zu Ehren eben heute gefeiert werden sollen,
„im Theater bei Aufführung neuer Tragödien öffentlich
„ausrufen zu lassen. Vorstehendes Dekret hat in
„Antrag gebracht Demeas, der Volksredner, Timon’s

[92]

„nächster Verwandter und Schüler: denn auch ein
„trefflicher Redner ist Timon, und überhaupt Alles,
was er nur will.“

52. Das wäre also mein Vorschlag. Auch wollte ich dir meinen Sohn vorstellen, den ich nach deinem Namen Timon genannt habe.

Timon. Wie da, Demeas? Du bist ja meines Wissens gar nicht verheirathet.

Demeas. Ich werde aber, so Gott will, über’s Jahr heirathen, und weil das erste Kind, das ich zeugen werde, unfehlbar ein Knabe seyn wird, so nenne ich ihn schon jetzt Timon.

Timon. Ob aus der Hochzeit etwas werden wird, wenn du einen – solchen Streich aufsitzen hast –?

Demeas. Auh weh! Was soll das? Timon stürzt die Republik um! Timon schlägt freie Bürger, und ist doch selbst weder Bürger noch frei geboren! Alsbald wirst du’s zu büssen kriegen. Du sollst mir nicht ungestraft Feuer in der Burg angelegt haben!

53. Timon. Hat denn die Burg gebrannt, schurkischer Sykophant?

Demeas. Aber in die Schatzkammer bist du eingebrochen: daher dein Reichthum.

Timon. Sie ist ja nie erbrochen worden. Also auch dieß wird kein Mensch dir glauben.

Demeas. Sie wird aber erbrochen werden. Genug – du hast sie jetzt schon ausgeleert.

Timon. Da hast du noch einen.

Demeas. Au weh, mein Rücken!

[93] Timon. Schrey mir nicht, oder du kriegst noch einen dritten. Das müßte sonderbar zugehen, wenn ich unbewaffnet zwei Bataillons Spartaner sollte niedergehauen haben, und könnte so ein einziges hundsfött’sches Männlein nicht zusammenwalken. Wofür hätte ich denn in Olympia gesiegt im Faust- und Ringkampf? –

54. Aber, was sehe ich? Kommt hier nicht Thrasykles, der Philosoph[28]? Wahrhaftig, er ist’s. Wie der Mensch mit vorgestrecktem Barte, mit aufgezogenen Augbraunen, in stolzer Selbstgefälligkeit mit sich selbst spricht, wie er so finster um sich blickt, wie seine Haare auf der Stirne zu Berge stehen – ein leibhafter Boreas oder Triton, dergleichen Zeuxis mahlte. Dieser Mann mit dem einfachen Aeußern, mit dem gravitätischen Gang und bescheidnen Anzug deklamirt des Morgens Wunder wie viel von Tugend, schimpft auf die, welche ihre Freude am Wohlleben haben, und zeigt, wie schön es sey, sich mit Wenigem zu begnügen. Derselbe aber, wenn er nach dem Bade zu einem Gastmahl kommt, fordert alsbald einen großen Becher, und trinkt darauf los; je stärker der Wein, desto lieber; bald ist es, als ob er aus dem Strome der Lethe getrunken hätte; so ganz widerstreitet seine Aufführung jenen des Morgens gehaltenen Vorträgen. Wie ein Habicht fällt er über die Gerichte her, stößt den Nachbar mit dem Ellenbogen weg, hat den Bart mit Brühe besudelt, und schlingt hinunter wie ein hungriger Hund, über den Teller gebückt, als ob er dort „das höchste Gut“ zu finden verhoffte. Endlich schmiert er noch das Letzte recht sorgfältig mit dem Zeigefinger [94] zusammen, um von der pikanten Brühe auch keinen Tropfen zurück zu lassen.

55. Zwischen hinein klagt er beständig, daß er zu kurz gekommen sey, damit ihm allein ein ganzer Kuchen, oder ein Ferkel mit nach Hause gegeben werden möchte. Hierauf trinkt er, nicht etwa soweit, um zu Gesang und Tanz begeistert zu werden, sondern (was immer die Frucht solcher Unersättlichkeit ist) bis er grob schimpft und Händel anfängt. Mit dem Becher in der Hand schwatzt er unaufhörlich, und obendrein von Selbstbeherrschung und Sittsamkeit, während ihm übel ist vom Uebermaaß und seine lallende Zunge allgemeines Gelächter erregt. Eine Magenerleichterung macht diesen Auftritten ein Ende; und nun heben ihn Etliche auf, und tragen ihn aus der Gesellschaft, während er immer die Flötenspielerin nicht fahren lassen will, die er mit beiden Händen gefaßt hält. Allein auch, wenn er nüchtern ist, gibt er den lügenhaftesten, frechsten und geldgierigsten Menschen nichts nach. Von den Schmeichlern ist er einer der Ersten, zum falsch Schwören jederzeit bereit, Heuchelei und Betrug gehen vor ihm her, Unverschämtheit ist seine Begleiterin. Kurz, es ist ein rares, nach allen Theilen unverbesserliches, vollendetes Stück von einem Weisen. Aber er soll mir seinen Lohn kriegen, der Ehrenmann. – Ha, da kommt er. Nun, du hast lange auf dich warten lassen, Thrasykles!

56. Thrasykles. Ich komme, mein Timon, aber nicht in der eigennützigen Absicht dieser gemeinen Menschen da, die aus Bewunderung deines großen Reichthums und in der Hoffnung, Gold und Silber und kostbare Gerichte von dir zu erhaschen, zusammenströmen, und zu diesem Behufe [95] gegen einen so geraden und freigebigen Mann den ungeziemendsten Schmeichlerkünsten aufbieten. Du weißt, ein Stück Gerstenbrod nebst einer Zwiebel oder etwas Kresse ist meine ganze und liebste Mahlzeit, und wenn ich recht üppig leben will, streue ich ein Paar Körnchen Salz darauf. Mein Trank quillt aus der Calirrhoë[29], dieser abgetragene grobe Wollenmantel ist mir lieber als das schönste Purpurkleid, und Gold und Kieselsteine sind in meinen Augen von gleichem Werth. Ich komme blos um deinetwillen, um dich vor dem vielfältigen und unheilbaren Schaden zu bewahren, in welchen schon so viele durch das schlimmste und gefährlichste aller Dinge, durch den Reichthum, gerathen sind. Wenn du also mir folgen willst, so wirfst du deinen ganzen Schatz in’s Meer. Einem so edeln Manne, der die Schätze der Weisheit zu finden weiß, kann er ja zu gar nichts helfen. Jedoch hast du nicht nöthig, mein Freund, dich tief in die Fluthen zu wagen: steige nur bis etwa an die Hüften, nicht weit von der Brandung, in’s Wasser, und wirf ihn sodann in keines andern Menschen, als in meiner Gegenwart, in die Wellen.

57. Wofern dir aber dieß nicht gefällt, so giebt es noch einen andern und bessern Weg, dein Gold in aller Geschwindigkeit aus dem Hause zu schaffen, ohne daß du nöthig hast, einen Obolus behalten zu müssen. Theile es unter die Bedürftigen aus: dem Einen giebst du fünf Drachmen[30], dem [96] Andern eine Mine, dem Dritten ein halbes Talent. Ein Philosoph verdient, das Doppelte und Dreifache zu bekommen. Ich aber (wohlgemerkt, ich bitte nicht für mich, sondern um es unter die Nothleidenden meiner Freunde zu vertheilen) bin zufrieden, wenn du mir hier meinen Schnappsack vollmachst. Zwar faßt er nicht mehr als zwei Aeginetische Scheffel[31]: allein der Philosoph muß sich mit Wenigem begnügen, und über seinen Ranzen hinaus keine Wünsche hegen.

Timon. Ich lobe dich darum, Thrasykles. Bevor ich aber deinen Schnappsack fülle, will ich dir mit meiner Hacke eine kleine Zugabe von Löchern und Beulen auf den Schädel geben [Er schlägt ihn].

Thrasykles. O Demokratie! O Gesetze! In einer freien Stadt darf ein solcher Schurke uns mit Schlägen mißhandeln?

Timon. Warum so böse, guter Thrasykles. Habe ich vielleicht nicht voll genug gemessen? Nun so will ich dir noch vier Metzen oben drein geben [Er schlägt wieder zu. Thrasykles läuft davon].

58. Aber was soll das? Dort läuft ja ein ganzer Schwarm heran. Der berüchtigte Blepsias, Laches, Gniphon – kurz lauter Bursche, die ihre Bescherung holen wollen. Das Beste wird seyn, auf diesen Felsenhügel zu steigen, und, damit meine Hacke, die so viel zu thun gehabt, ein wenig zur Ruhe komme, einen Haufen Steine zusammen zu tragen, und schon von ferne auf sie herunter zu hageln.

[97] Blepsias. So wirf doch nicht, Timon. Wir gehen ja schon.

Timon. Ihr sollt mir wenigstens blutige Köpfe nach Hause bringen! [wirft ihnen nach.]



  1. Der nach einer cretensischen Sage in einer Höhle vierzig, nach Andern sieben und fünfzig Jahre an einem fort schlief.
  2. Einem Canton oder Demos von Attika.
  3. Das Fest des Jupiter Milichius (des Freundlichen), eines der größten athenischen Feste.
  4. Im Original: Dürr und bis an die Wurzel abgehauen – ein Bild, das zum vorigen nicht paßt. Wieland.
  5. Dem Gott des Reichthums.
  6. Den Gott der Schätze.
  7. Anspielung auf den Umstand, daß Anaxagoras, als er einst seiner irreligiösen Lehren und Meinungen wegen peinlich angeklagt worden war, durch seines mächtigen Freundes Perikles Beredsamkeit vom Tode und aus dem Gefängniß gerettet wurde.
  8. Den Tempel der Dioskuren, oder Söhne des Jupiter, Kastor und Pollux, dicht am Fuße des Burgfelsen.
  9. Göttin der Armuth.
  10. Pluto (namensverwandt mit Plutus), der Gott der Unterwelt, wird hier gedacht als der Geber der Reichthümer, die durch Erbschaft zufallen.
  11. Die auf Wachstafeln geschriebenen Testamente wurden ausser dem Hause, in Tempeln, bei Priestern, oder auch bei vertrauten Freunden niedergelegt.
  12. Sclavennamen, während Namen, wie Megakles u. dgl. nur Leuten von guter Herkunft gegeben werden konnten.
  13. Wo die Handmühle stand, die von Sclaven und Sclavinnen, besonders solchen, die etwas verbrochen hatten, getrieben wurde.
  14. Hom. Il. II, 673. f.:

    Nireus, schöner, wie sonst kein Mann vor Ilion herzog.
    Rings im Danaër Volk, nach dem tadellosen Achilleus.

     Voß.

  15. Hipponikus und Callias. Vater und Sohn, aus Athen, hatten sich schnell einen Reichthum erworben, der für den größten jener Zeit (um 450 vor Chr.) in Griechenland galt: zugleich aber waren sie, besonders der letztere, wegen ihrer Schlechtigkeit berüchtigt.
  16. Jedes gefundene, oder schnell gewonnene Gut ward für eine Gunstbezeugung des Merkur gehalten.
  17. Die scharfen Augen des Lynceus, eines Helden der Argonautenfahrt, waren sprüchwörtlich geworden. Er sah, erzählten die Dichter, durch die Erde in die Unterwelt und dgl.
  18. Theognis v. 173.
  19. Zwei berüchtigte Demagogen von rohen Sitten und niederträchtiger Denkungsart aus den Zeiten des peloponnesischen Kriegs.
  20. Hom. Il. XV, 202. Voß.
  21. Falscher Angeber.
  22. Hom. Il. III, 65. Voß.
  23. Fragment aus dem Bellerophon des Euripides. Die Uebersetzung dieses Verses ist von Wieland.
  24. Pindar’s erster olympischer Siegesgesang u. s. f.
  25. Auf den Feldern standen hin und wieder Standbilder des Fluren- und Hirten-Gottes Pan.
  26. Das sogenannte Theorikon. Man versteht darunter die Gelder, welche zur Feier der Feste und Spiele dem Volke nach den einzelnen Stämmen ausgetheilt wurden, theils um ihnen das Eintrittsgeld in’s Schauspiel zu erstatten, theils zur Bestreitung einer bessern Mahlzeit. S. Boeckh Athen. Staatshaushaltung 1. Th. S. 196, und 235. ff. Der Erechtheidische Stamm war einer von den zehen Stämmen (Phylen), in welche die Athenische Bürgerschaft getheilt war.
  27. Die Urschrift enthält eine nähere Angabe über die Form der Abstimmung, die an und für sich dunkel (s. Tittman Staatsverfassung etc. S. 192.), dem deutschen Leser es noch mehr seyn würde.
  28. Der Deutsche substituire: Pfaffe.
  29. Calirrhoë oder Enneakrunos (die neun Röhren) war einer der Stadtbrunnen zu Athen.
  30. Der Obolus betrug 4,34 Kr., die Drachme 26,06 Kr., die Mine 43 fl. 26 Kr. Das Talent 2605 fl. 50 Kr.
  31. Komische Uebertreibung: wiewohl der Betrag des aeginetischen Medimnus nicht genau bekannt ist.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dier