Sponsel Grünes Gewölbe Band 4/Der Inhalt des Grünen Gewölbes – Übersicht über den 4. Band des Tafelwerkes – Einleitung

Das Grüne Gewölbe: eine Auswahl von Meisterwerken in vier Bänden. Band 4 Das Grüne Gewölbe: eine Auswahl von Meisterwerken in vier Bänden. Band 4 (1932) von Jean Louis Sponsel
Einleitung
Arbeiten aus Elfenbein
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DER INHALT DES GRÜNEN GEWÖLBES
ÜBERSICHT ÜBER DEN 4. BAND DES TAFELWERKES


EINLEITUNG

Wie bei den meisten fürstlichen Sammlungen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts sind auch bei der Kunstkammer der sächsischen Kurfürsten in Dresden Aufbau und Ordnung von Tatsachen und Erwägungen bestimmt, die sich nur aus ihrer geschichtlichen Gegebenheit begreifen lassen. Wenn sich solche Schöpfungen bis in die Gegenwart erhalten haben, so wird man auch bei ihrer wissenschaftlichen und literarischen Würdigung andere Gesichtspunkte aufstellen als sie sonst bei kunstgeschichtlichen oder museumskundlichen Forschungen gewählt werden. Das spiegelt sich auch in diesen Bänden. Dem Herausgeber lag die Aufgabe ob, dem ungewöhnlichen Reichtum der Bestände, wie sie sich im Laufe von drei Jahrhunderten zusammengefunden hatten, ebenso gerecht zu werden wie der Mannigfaltigkeit der sachlichen Zwecke, der Werkstoffe, der zeitlichen und örtlichen Herkunft, der künstlerischen Gestaltung nach Generationenstil und Persönlichkeitsausdruck, ja sogar der Einschätzung, die das einzelne Stück zur Zeit seines Ursprungs oder seines Eintritts in die Sammlung vom Hersteller und Käufer oder Geschenkgeber erfahren hat. Man wird zugeben, daß hier kein System der Gegenwart, wie es die Wissenschaft der Organisation geistiger Arbeit liefert, entscheiden konnte. Form und Maßstab ergaben sich allein aus dem Verhältnis des Bearbeiters zu seinem Stoff.

Aber noch ein anderer Umstand muß bei dem Urteil über das Werk in Rechnung gestellt werden. Je tiefer die Forschung in die einzelnen Dokumente und Phasen der Entwicklung künstlerischen Gestaltens eingedrungen ist, desto nachdrücklicher forderte sie bildliche Wiedergabe aller Erzeugnisse, die uns aus der Vergangenheit erhalten sind. Begnügte man sich noch vor einem Menschenalter mit Veröffentlichungen, die nur einige, d. h. die – nach dem Ermessen der Herausgeber – hervorragendsten Werke eines Meisters, einer Gruppe oder einer Sammlung darstellten, so scheint es heute notwendig, dem Auge und damit dem wissenschaftlichen Urteil die Gesamtheit des Vorhandenen darzubieten. Aus dem „Führer“, der „Auswahl“ wurde der „Katalog“, das „Inventar“. Man verzichtete eher auf Kostbarkeit der Bildtechnik oder der Buchgestaltung, Monumentalität der Erscheinung oder andrerseits Handlichkeit [4] und billigen Preis des Werkes, wenn man nur die Gewißheit hatte, nun auch das scheinbar entlegenste und bescheidenste Stück im Bilde zu besitzen. Denn schließlich ist nichts so unbeträchtlich, verfallen oder gar abstrus, daß es nicht im Lichte der kritischen Forschung einmal zu einem vollwertigen Zeugnis kennenswerter, ja notwendiger Kräfte der Phantasie und des Geistes aufblühen könnte.

Die letzten Jahre haben uns eine Reihe von Büchern geschenkt, die als Bildinventare führender Museen bezeichnet werden können. Die Gemäldesammlungen sind dabei vorangegangen. Einheitlichkeit der Technik, der künstlerischen Schaffenswerte in bezug auf das Verhältnis zum Betrachter und den Besitzer machten hier die Aufgabe verhältnismäßig leicht. Ebenso konnte sich die Plastik, wenn auch der verschiedenartige Werkstoff hier neue Gesetze schuf, ohne Mühe in den Rahmen fügen. Die Schwierigkeiten stellten sich ein, wo es sich um Werke der angewandten Kunst handelte. Zweck und Material, in kaum mehr zu übersehender Verzahnung, Überschneidung, ja Widersetzlichkeit, schufen hier ein Vielerlei der Erscheinungen, das jeder klaren Ordnung zu spotten scheint. Was für den Gebrauch des Augenblickes geschaffen war, vergänglich in seinem Stoff wie in seiner Idee, was durch Zufall dem Verfall oder der Zerstörung entgangen war, rückte nun oft an die Stelle des Stückes, das einst der Stolz des Meisters, des Bestellers gebildet hatte. Man mochte den Verlust wichtiger Stücke beklagen – erwuchs daraus der Drang, das Unbedeutende auch dann in das Pantheon einer bildlichen Veröffentlichung aufzunehmen, wenn es an hervorgehobener und angesehener Stelle neben den berühmten Meisterwerken des alten Kunsthandwerkes aufbewahrt war?

Die Antwort auf solche Frage setzt uns nicht in Widerspruch mit dem demokratischen Grundsatz, der oben gefunden wurde. Die Natur hat nie zwei gleiche Wesen geschaffen. Ihr Nährboden, ewig erneut, treibt seine Säfte in immer wechselndem Rhythmus und Tempo durch die Adern von Milliarden Lebewesen, die so den Begriff „Gleichheit“ zum Symbol machen. Die Kunst des Menschen trägt nicht allewege den Stempel der göttlichen Zeugungskraft, die selbst ein Elektron noch zu beseelen weiß. Auf unsere Maßstäbe übertragen: von einer Bildpublikation, wie sie das disparate Vielerlei einer Kunstkammer erheischt, numerische Vollständigkeit zu erwarten, ist ebenso unbillig wie unökonomisch. Dies läßt sich auf die verschiedenste Weise begründen. Die Not der Zeit mag den einen Anlaß in den Vordergrund rücken. Er weist daraufhin, daß der Gebrauchsgegenstand künstlerisch gehobener Art, wie er hier zumeist [5] vorliegt, in seiner Dreidimensionalität das kleine Format der Wiedergabe nicht verträgt, das Gemälden, graphischen Arbeiten, ja selbst den meisten Skulpturen im Bilde genügt. Soll also eine Publikation dieser Art nicht ins Gigantische wachsen, muß Größe und Güte der Abbildung über die Norm des bei Galeriekatalogen Gewählten hinausgehen. Das bedeutet gegenüber den Tausenden von Objekten, die in unserem Falle noch immer vereinigt sind, die Beschränkung auf eine Auswahl. Man wird dem Herausgeber das Zeugnis nicht versagen, daß er bei dieser Auswahl mit aller Gewissenhaftigkeit vorgegangen ist, die nur die langjährige Vertrautheit mit dem gesamten Bestand mit sich bringen kann.

Aber er hat, wenn er nur an den bedeutendsten Punkten seiner täglichen Kunstwanderung haltmacht, auch noch einen Grund höherer Art ins Treffen zu führen. So oft auch die acht Räume im Erdgeschoß des sächsischen Königsschlosses von Laien wie von Fachleuten, ergriffenen Bewunderern der sinnlichen Reize, die hier spielen und strömen, wie klugen und erfahrenen Genießern besucht werden, kaum einmal bleibt der Gesamteindruck frei von dem Akzent der Verwirrung, ja Betäubung. Ein andres ist es um das Glück des Besitzes, das zwischen dem Werk und seinem Betrachter den Faden einer magischen Verbundenheit spinnt – ein andres um den Versuch des Nachfahren, aus dem mechanistischen Grau des modernen Alltags den Weg zu den Wunderschöpfungen einer Zeit zu finden, die das Kostbare, die Schmuckform mit ihrem Instrumentarium körperhafter, übertragener, d. h. symbolischer und allegorischer Bezüge, Vorstellungen, Deutungen, das Seltene des Werkstoffes, das Bequeme und Umständliche des praktischen Gebrauches oder das abstrakte Sein der rein mit den Sinnen selbstsüchtig und selbstbewußt zu erfassenden Schönheit gleichsam in sich trägt, mit Auge, Herz und Hand als Daseinselement versteht, fühlt, erlebt. Was aber dem Tatsächlichen erlaubt ist, muß sich der Führer, der Vermittler versagen. Unähnlich dem Schauspieldirektor muß er suchen, die Menschen zu befriedigen, nicht sie zu verwirren. Das kann er allein, wenn er die Akzente so verteilt, daß die Strophen seines bildgefundenen Lobgesanges sich dem Ohre leicht bequemen. Das will sagen: wenn es hier gelingt, das Studium auf diejenigen Stücke zu lenken, die alle Besonderheiten und Werte ihrer Gattung in mehr als gewöhnlichem Maße zeigen, wird man ein Doppeltes erreichen. Die Linien der Entwicklung, die von den Höhepunkten, durch Niederungen und leicht bewegtes Gelände wiederum aufwärts führen, werden sich [6] stärker ausprägen. Weiter aber wird die alte Schulregel, daß man an dem Besten allein lernen soll, sich auch hier zu bewähren haben. Der kostbare Rahmen, den die barocke Pracht der Schatzkammer Augusts des Starken den Kunstwerken gegeben hat, sammelt einen Glanz auf diese Stücke, der ihre Eigenwerte mehr verwischt, indem er sie überhellt, als daß er ihre künstlerische Idee und die Formen, in denen er diese Körper gefunden hat, dem Verstehen näher bringt. Fällt beides weg, die Gesellschaft des Gleichgültigen und der trügerische Reiz des festlich betonten Raumes, dann wird das Wesentliche, das Bleibende in der Erscheinung des Werkes wirklich aufleuchten und sich einprägen.