Textdaten
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Autor: Anna Forstenheim
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Titel: Slavische Osterfeier
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 212-214
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Slavische Osterfeier.

Vor mehr als zwanzig Jahren reiste ich in der serbischen Woiwodschaft als „Grundbüchler“, das ist als kaiserl. königl. Beamter, zur Regelung und Comattirung der arg zerfahrenen Grundverhältnisse nach jenen Provinzen entsandt, um an Ort und Stelle die Erhebungen zu pflegen und Abänderungen zu treffen.

Eisenbahnen gab es noch nicht; ich reiste mit Wagen und zwar mit „Vorspann“, die mir kraft meines Amtes auf Regierungsbefehl von Station zu Station (eine Station je zwei deutsche Meilen) unentgeltlich beigestellt wurde. Das Fuhrwerk war elend, die Straßen noch elender, am elendesten aber die Gasthöfe. Mit Ausnahme der größeren Städte überall schwarzgeräucherte Spelunken, der Aufenthalt von Zigeunern, betrunkenen Hirten, Bauern und Räubern. An ein Uebernachten darin war, abgesehen von dem Schmutze und dem Mangel an jeder Bequemlichkeit, nur mit Schaudern und geladener Pistole zu denken. Sie waren auch gar nicht auf Reisende eingerichtet; die Bevölkerung übte nach Landessitte die weitgehendste Gastfreundschaft, und hatte man nur einen Bekannten und ein Empfehlungsschreiben an eine vornehmere Familie auf der ersten Station, so wurde man von dem edlen Gastfreunde an seine Vettern oder Freunde im nächsten Orte gewiesen und konnte überall der zuvorkommendsten Aufnahme gewiß sein. Den Werth klingender Münze für die Bewirthung vertraten entsprechende Werthgegenstände in Form von Geschenken an Frau, Töchter oder den Hausherrn selbst.

Meinen nächsten Aufenthalt sollte ich bei einem griechischen Popen in der Comitatsstadt Zombor nehmen. Der Abend senkte sich schon herab; die scharfe Aprilluft und das Rütteln des hochrädrigen Leiterwagens hatte mich todtmüde und hungrig gemacht; endlich nach achtstündiger Fahrt über Löcher und Schollen, – Wege konnte man die tiefspurigen Geleise, deren Richtung wir [213] in dem klebrigen Lehmboden folgten, kaum nennen – nahten wir unserm Ziele. Einzelne Lichter tauchten am äußersten Horizonte der Steppe wie Sterne auf; die kleinen Pußtapferde witterten die Nähe der Stadt und somit Streu und Hafer, setzten sich in kurzen Trab, und bald hielten sie wiehernd vor der Residenz des Popen.

Es war ein ebenerdiges, gelblichgetünchtes Häuschen, mit blanken Fenstern und einem Vorgärtchen, das ein niedriges, grünes Holzgitter umzäunte. Der wachsame Wolfshund an dicker Kette meldete durch lautes Bellen die Ankommenden, und gleich darauf erschien ein stattlicher Herr in geistlicher Kleidung, der Pope selbst, und führte mich in das Haus.

Der saubere Kiesweg führte in eine Säulenhalle, wie sie in jenen Gegenden jedes Bauernhaus nach dem Hofe zu umgiebt. Die Säulen, die das Schindel- oder Strohdach stützen, sind zwar nur aus Backsteinen oder Lehmerde gebildet, mit Kalk übertüncht und von einfachster dorischer Form; der Boden ist mit Backsteinen belegt, und die Festons, die sich bunt von Capitäl zu Capitäl ziehen, sind blos Hanfseile mit Maiskolben, rothem Paprika und Flaschenkürbissen behangen. Aber auch die armselig plumpen Gebilde mahnen an ihre edle Abkunft von der classischen Baukunst des griechischen Alterthums.

Von dem Gange führte, nur durch eine Stufe erhöht, eine offene Thür in die Küche; an der Schwelle derselben stand eine freundliche ältere Frau und ein hochgewachsenes schlankes junges Mädchen, Frau und Tochter des Popen; sie bewillkommneten mich mit großer Herzlichkeit, zu groß, um wahr zu sein. Griechen, Serben und die meisten übrigen Slaven werden von den andern Nationalitäten der Heuchelei geziehen. Doch liegt in allen Höflichkeitsformen der Gesellschaft etwas Lüge und Uebertreibung, der man Berechtigung zugesteht, und beim Empfange wirkte diese conventionelle Höflichkeit viel angenehmer, als die ungeschminkte Rohheit, der ich bei den übrigen Stämmen in den „interessanten Ländern“ zu begegnen pflegte. Wir traten in die Küche, einen weiten, hohen Raum, dessen rückwärtige, durch zwei vorspringende Pilaster alkovenartig abgetrennte Hälfte von einem riesigen offenen Feuerherde eingenommen wurde, während die vordere Abtheilung das Wohnzimmer der Familie bildete. Rechts und links führten Thüren zu den Fremden- und Schlafzimmern. Wohlthuende Wärme durchströmte das weite Gemach, dessen ganze Breite von einem langen Eichentische und gleichen Bänken darum eingenommen wurde. Eine Anzahl Wachskerzen, die dem Haushalte des Popen reichlich von Begräbnissen und andern Feierlichkeiten zufließen, spendeten angenehmes Licht. Um den Tisch saßen eine Menge Leute, meist in geistlichen Gewändern, die Collegen und Schüler des Hausherrn. Bald war er mit ihnen in lärmendem Gespräche über die Ereignisse des Tages; Gelehrsamkeit ist nicht die Sache der niedern griechischen Geistlichkeit. Die Frauen waren wieder an ihre häusliche Arbeit gegangen, und ich lehnte still in einer Ecke, von dem Uebergange aus der Kälte in die Wärme etwas betäubt und Speise und Schlaf ersehnend, doch Beides gewährten mir die neidischen Götter in jener Nacht nur in sehr geringem Maße.

Zwar lag ein blendend weißes, an den Rändern buntgesticktes Tischtuch ausgebreitet, zwar wurden mächtige, sonnenförmige Aschkuchen aus der dunkeln Höhlung des Backofens gezogen, zwar schauten Schinkenknochen verrätherisch aus den rußigen Töpfen, so oft der Dampf mit brodelndem Gezisch die blanken Blechdeckel secundenlang emporhob, auch dampfte in einem Winkel der Küche aus einem großen Kupferkessel ein verlockend duftender Brei, aber meine freudige Erwartung wurde bald enttäuscht. Es war Charsamstag; alle diese Herrlichkeiten wurden für das morgige Fest bereitet; heute gab es auch im Hause des Popen, wie seit vierzig Tagen in der ganzen Gegend nur Brod, Bohnen und Slivovic (Zwetschkenbranntwein), welch letzterem meine Tischgenossen unermüdlich zusprachen.

Lieber Leser! Wenn es schon unmöglich ist, „toujours perdrix“ zu essen, so versichere ich dich, daß es noch viel unmöglicher ist, toujours Bohnen, Zwiebeln und Branntwein, nicht allein zu essen, sondern nur zu riechen, zu sehen – schließlich kehrte sich mein gebildeter Magen schon bei dem Gedanken daran um und hatte allen Appetit verloren; ich erhob mich, der schönen Tochter des Hauses,die mit riesiger Kelle in dem Kessel rührte, Gesellschaft zu leisten.

Eben hatte eine handfeste Bauernmagd den Inhalt in schöngeformte Thongefäße gefüllt; eine andere warf neue Buchenklötze in den Feuerraum, die halbverlöschte Gluth neu anfachend; dann hoben sie den geleerten Kessel wieder in die Höhlung, gossen einige Henkelkrüge Milch hinein und einen Scheffel reinen Weizen dazu. Während die „kuhäugige“ Lexa wieder zu rühren begann, brachte die Popadia (Frau des Popen) je eine Schüssel geschälte Mandeln und Rosinen, auch einige Gläser weißen Honig und mengte sie in den Weizenbrei.

„Um Himmelswillen, Gospodicna?“ fragte ich, erstaunt ob der Menge und Seltsamkeit des Gerichtes, „mästen Sie kleine Kinder oder Schweinchen mit dem süßen Zeuge, oder für wen sonst bereiten Sie das?“

„Für die fromme Heerde meines Vaters,“ lachte das junge Mädchen übermüthig. „Diese Gefäße werden morgen früh, sammt den Kuchen, die Sie dort sehen, in die Kirche gebracht und geweiht; nach dem Gottesdienste nimmt jeder Kirchenbesucher ein Löffelchen voll Brei, dann wird seine Ernte das nächste Jahr ergiebig.“

„Wieder ein Atom lebendiger Culturgeschichte, ein übriggebliebenes Stückchen Adoniscultus,“ dachte ich bei mir und wollte, da ich nun einmal aus die Wohlthat des Essens verzichten mußte, wenigstens die des Schlafens genießen. Ich wandte mich wieder zu dem Tische und ersuchte meinen geistlichen Gastgeber, der sich an der Branntweinflasche merklich begeistert hatte, mir eine Ruhestätte anzuweisen.

„Lexa! Leuchte unserm Gaste voran!“ lallte er mit sonderbar funkelnden Augen und begann mit den Uebrigen einen Kirchengesang anzustimmen. Es war schon fast Mitternacht; ich staunte, daß die Leute so lange wach blieben, und frug meine Führerin, wann man in Z. eigentlich zu Bette ginge?“

„Gewöhnlich mit den Hühnern um die Wette, Gospodinu! Aber heute gar nicht, denn nach zwei Uhr beginnt die Auferstehungsfeier; da müßten wir um ein Uhr schon wieder aufstehen, und ziehen es daher vor, gleich wach zu bleiben. Erschrecken Sie nicht,“ wandte sie sich in der Thür nochmals um, „wenn Sie geweckt werden sollten. Der Beginn der Ceremonie wird mit Böllerschüssen verkündet.“

„Bei Nacht also,“ dachte ich, „Adonis aus dem Reiche der Finsterniß, dem Reiche der Proserpina kommend.“ Es gelüstete mich, die prickelnden Schauer der Erwartung, wie sie in den uralten Adonis-Gesängen ausgedrückt, einmal selbst zu empfinden. „Wollen Sie die Güte haben an meine Thür zu klopfen, wenn Sie sich in die Kirche begeben und mich dahin mitnehmen?“ fragte ich die Tochter des Popen. Sie sagte zu und verließ das Zimmer. Ich löschte das Licht aus, warf mich angekleidet auf das hochgethürmte Federbett und fiel sogleich in tiefen Schlaf.

Im Traume stand ich eben vor einem glänzenden Venustempel und sah Aphrodite in göttlicher Schönheit um den zerrissenen Leichnam Adonis' klagend – da – plötzlich stürzte der Tempel mit Donnergepolter zusammen, und aus den zerbröckelnden Trümmern flog der lichtschimmernde Genius der Liebe zu den Sternen empor. Ich war erwacht, riß mühsam die Augen auf und schaute schlaftrunken im Dämmerlichte umher. „Bum!“ machte es noch einmal – dann klopfte es an meine Thür; Lichter huschten am Fenster vorüber; Stimmen klangen wirr durcheinander, und „bum!“ donnerte es zum dritten Male. Ich sprang aus dem Bett und trat hinaus. In der Küche stand die Popadia, Alexandra und noch eine Menge Leute, Alle in dunklen Ueberwürfen, blühende Weidenzweige und brennende Wachsstöcke in den Händen. Wir machten uns auf den Weg. Es war eine laue, aber stockfinstere Nacht – in allen Richtungen zuckten Irrwische auf, die sich, näher kommend, als fromme Nachtwandler gleich uns erwiesen und sich unserm Zuge anschlossen.

Ich bat meine Führerin ihr den Arm reichen zu dürfen, um in Nacht und Gedränge nicht von ihrer Seite gerissen zu werden und, fremd im Orte und in den Gebräuchen, das Beste zu versäumen. Am Ausgange der Straße entrollte sich ein überraschend prächtiges, flammendurchglühtes Bild vor unsern Augen.

Auf einem großen freien Platze erhob sich in mysteriös flackerndem Helldunkel die Kirche, umgeben vom Kirchhofe, dessen Parkanlagen, schon in vollem Blätter- und Blüthenschmucke, berauschenden Duft ausströmten. Der Marktplatz war dick mit Gras bestreut, die Häuserreihen, die ihn umgaben, mit grünem Laubwerke geziert. Unzählige Flämmchen in bunten Gläsern [214] wanden sich wie vielfarbige Blumenguirlanden um die Bogengänge der Gebäude, die Wände entlang bis zu den spitzen Giebeln, leuchteten aus allen Fenstern, schimmerten aus dem Grün der Bäume und Sträucher und zeichneten mit Feuerlinien die byzantinische Kuppelform der Basilika bis zu den goldglänzenden Kreuzen vom nächtlichen Hintergründe ab.

Marktplatz und Kirchhof waren von dichtgedrängten, wogenden Menschenmassen erfüllt, der städtische Theil der Bevölkerung, wie meine Begleiterinnen, in dunklen Ueberwürfen, der bäuerliche in buntschillernden Trachten, Alle mit brennenden Wachskerzen in den Händen. Das war ein Lachen und Flüstern, Verlöschen und Wiederanzünden der Flämmchen, die ein boshafter Windstoß oder ein neckischer Hauch ausgeblasen hatte, ein Sich-suchen-und-meiden, Finden-und-wieder-Verlieren – ein Stück bacchantisches Heidenthum in dem fröhlich geheimnißvollen Treiben.

Wir durchschritten würdevoll die Reihen, die sich vor uns respectvoll öffneten, höchstens Grüße empfangend oder erwidernd, und traten in die Kirche. Auch da herrschte stimmungsvolles Halbdunkel. Alles Licht hatte sich, wie in einem Brennpunkte, am Altare gesammelt. Dort befanden sich außer der großen Osterkerze noch ganze Feuergarben von Lichtern, die von dem gold- und spiegelglänzenden Hintergrunde vervielfacht zurückstrahlten und den zahllosen darauf befindlichen Heiligen eine wahrhafte Strahlenglorie verliehen. In dem Meere von Licht und Glanz stand der Protopope mit seinem geistlichen Stabe, darunter mein Hauswirth, in goldstrotzenden Ornaten, alte Folianten vor sich, aus denen sie abwechselnd Gebete hersagten. In den Pausen sang ein Knaben-Sängerchor Psalmen und andere heilige Gesänge. Endlich war der Gottesdienst zu Ende. Diakonen ergriffen die an goldenen Stäben befestigten Bildertäfelchen der Heiligen und bewegten sich in Procession nach dem Ausgange der Kirche; ihnen folgten die geistlichen und weltlichen Würdenträger, die singenden Chorknaben und endlich das Volk. Der Zug bewegte sich um die Kirche herum, und als er zum Ausgangspunkte zurückgelangt war, donnerte wieder eine Böllersalve; die Geistlichen verschwanden durch das Portal des Gotteshauses, die Uebrigen aber fielen sich plötzlich in die Arme und gaben sich gegenseitig unter dem Jubelrufe: „Christ ist erstanden“ den Osterkuß, den Kuß der Versöhnung, der Gleichheit und des Friedens, den echten Kuß der Erlösung.

In diesem Augenblicke entzückter Begeisterung sind alle Unterschiede von Stand und Geschlecht aufgehoben. Ich beugte mich nieder und küßte meine schöne Begleiterin. Ich glaube gerade nicht, daß das Sünde war.

Die Ceremonie hatte mehrere Stunden gedauert; jetzt brachen die ersten blutrothen Sonnenstrahlen aus dem Osten hervor; die jubelnde Menge zerstreute sich. Der Pope gesellte sich wieder zu den Seinen; wir gingen nach Hause, mit uns eine zahlreiche Gesellschaft geistlicher und weltlicher Personen. Wir tafelten und zechten bis zum Morgen.

Den nächsten Vormittag ging ich wieder in die Kirche. Sie war gepfropft voll. Jede Bäuerin trug einen schüsselgroßen, sonnenförmigen Napfkuchen im Arme. Das ist der bei dem Adonis-Feste übliche Opferkuchen, der ursprünglich, da er aus dem Volksbrauche nicht auszurotten war, wenigstens die christliche Weihe bekam, um den heidnischen Teufel darin zu bannen. Die eigentliche Bedeutung ist dem Volksgeiste geschwunden, nur der mechanische Brauch ist geblieben. Jährlich backen sie ihren Kuchen und lassen ihn weihen, ebenso die rothen Ostereier. Beides ist theilweise zum Todtenopfer bestimmt. Jetzt sprach der Pope die Formel über Kuchen, Eier und Weizenbrod und sprengte Weihwasser darüber. Dann traten sie einzeln zu den Thongefäßen, nahmen einen Löffel Brei, bekreuzten sich und verließen die Kirche.

Die Auferstehungsnacht ist Gott geweiht. Der Ostersonntag mit üppigen Gelagen gehört den Lebenden; der Montag ist den Todten geheiligt. Mein Gastfreund führte mich daher am zweiten Ostertage auf die Begräbnißstätte. Der mehrere Joch umspannende Todtenacker wär mit Menschen überfüllt. Alle Gräber waren geschmückt, die Ruhestätten der Reichen mit kunstvollen Marmordenkmälern, kostbaren Grablaternen und Treibhauspflanzen, die der Aermeren mit einfachen Kreuzen und den Blumen der Jahreszeit, doch selbst dem geringsten Hügel fehlten einige grüne Zweige und bunte Lämpchen nicht, ebenso wenig die Speiseopfer, Kuchen und rothe Eier. Die Vornehmeren begingen fast lautlos, vor sich hin weinend und betend, ihre Todtenfeier. Das Volk aber stürzte sich mit ausgebreiteten Armen, laut aufkreischend, über die Grabhügel und erfüllte die Luft mit schauerlichen, markerschütternden Todtenklagen und Wehgeheul.

Nach geraumer Zeit schien die Verpflichtung gegen die Verstorbenen erfüllt. Die Trauernden erhoben sich wieder, ordneten die Haare, trockneten die Augen und zogen in vollem Feststaate haufenweise umher. Gewiß sind Manche, von tiefem, echtem Schmerze um einen theuren Heimgegangenen erfüllt, am Grabe sitzen oder mit gebrochenem Herzen gar daheim geblieben, den Meisten war die Todtenklage eine religiöse Ceremonie wie jede andere, die man fromm begeht, um dann nicht weiter daran zu denken. Bald schien die Grabstätte nur ein Lustgarten. Ueberall begegneten wir schäkernden und lachenden Gruppen von Burschen und Mädchen, die sich des Festes und des Frühlings freuten und ihre rothen Ostereier, die Symbole der erwachenden Naturkraft, des Werdens und Keimens, aneinanderstießen, bis sie zerbrachen.

Bevor sie den Friedhof verließen, legten sie die zerschlagenen Eier zu den geweihten Kuchen auf die Gräber nieder.

Als ich einige Tage später die Stätte wieder betrat, waren alle die Liebesgaben verschwunden. Wahrscheinlich hatte sie der Todtengräber fortgenommen, oder eindringende Thiere hatten sie verzehrt. Die Bauern, die ich darum befragte, waren einstimmig überzeugt, daß die Seelen oder Geister der Verstorbenen um Mitternacht erschienen waren, um sich von den Tantalusqualen der Unterwelt wenigstens einmal im Jahre zu erholen, und freudig gingen sie wieder an ihre harte Arbeit, im süßen Bewußtsein ihrer erneuerten Versöhnung mit Gott und der Welt, den Lebenden und Todten.

Ich blieb noch monatelang, durch meinen Beruf gefesselt, in der Mitte des fröhlichen, gutmüthigen Völkchens der Serben. Ich war von Amtswegen gezwungen, in die innersten Familienverhältnisse einzudringen, und fand überall patriarchalisch-friedliche Sitten. Sie nahmen den Fremden brüderlich auf und labten ihn mit dem Besten, was sie selbst besaßen, und als ich von ihnen schied, gaben sie mir schaarenweise noch meilenweit das Geleit und sagten mir endlich unter Thränen Lebewohl.

„Ist es möglich,“ dachte ich bei mir, „daß diese harmlosen Menschen bei Gelegenheit ihren Feinden Nasen und Ohren abschneiden und andere kannibalische Grausamkeiten begehen?“ Die Erfahrung sagt – Ja!

Scheinbar unbegreifliches Räthsel der Menschenseele, das sich in der Weltströmung unseres Jahrhunderts wohl am krassesten wiederspiegelt: die Civilisation und der Krieg – der Aufbau und die Zerstörung werden gleichmäßig mit dem Aufgebote aller Kräfte gefördert.