Skizzen aus Niederdeutschland (6)

Textdaten
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Autor: Ferdinand Lindner
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Titel: Das niederdeutsche Bauernhaus
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 625–632
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Serie Skizzen aus Niederdeutschland
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Skizzen aus Niederdeutschland.

Von Ferdinand Lindner.
6.0 Das niederdeutsche Bauernhaus.

Wenn wir Reisepläne entwerfen, so pflegt die Anziehungskraft einer naturschönen Gegend noch eine Steigerung zu erfahren, sobald diese durch sogenannte „historische Punkte“ ausgezeichnet ist; mit Begierde suchen wir solche Gegenden auf, wo sich Ereignisse aus der Geschichte unseres Volkes abgespielt haben; mit lebhaftem Interesse durchwandern wir die Museen, in welchen wir die todten Zeugen dieser Vergangenheit angesammelt finden, und doch darf ich gegenüber diesem gerade in der Gegenwart besonders regen [626] Interesse behaupten, daß eines der interessantesten und ehrwürdigsten unserer Altertümer, für die Mehrzahl wenigstens der Oberdeutschen, fast unbekannt ist, eines, welches den ganz einzigen Vorzug hat, daß es nicht vom Staube der Museen oder dem Schutt der Ruine bedeckt, sondern noch heute vom Leben der Gegenwart erfüllt ist – ich meine das niederdeutsche Bauernhaus.

Fast genau so, wie es vor nahezu zwei Jahrtausenden im Schatten seiner Eichen stand, erhebt sich das niederdeutsche Bauernhaus noch heute vor unseren Augen. Dasselbe bemooste Rieddach, in welches der siegreiche Krieger Karl’s des Großen den Brand schleuderte, dasselbe zeichengeschmückte Hofthor, aus dem der Krieger des Hengist und Horsa schritt, um das britannische Land zu erobern, dieselbe düstere, raucherfüllte Diele, in welche der erstaunte Römer zaudernd den Fuß setzte, ja sogar noch dasselbe alte heidnische Zeichen des heiligen Rosses über Herd und Giebel!

Wenn ich so schlechthin vom niederdeutschen Bauernhause spreche, muß ich zuvor eine Scheidung vornehmen, welche auf der natürlichen Gestaltung des niederdeutschen Landes und seiner Eintheilung in Geest und Marsch beruht; denn zwischen der Bauart beider machen sich trotz bestehender Verwandtschaft wesentliche Verschiedenheiten geltend. Da sich aber das Marschhaus, wie wir sehen werden, als Sprößling des alten Geesthauses erweist und dieses den uralten Charakter auf das Treueste bewährt, so muß zunächst die Darstellung diesem, als dem eigentlichen Typus, gelten.

Im Voraus sei jedoch bemerkt, daß, genau wie das Plattdeutsch von District zu District, oft in Zwischenräumen von wenigen Meilen, variirt, so auch bezüglich des Hauses in Einzelheiten Verschiedenheiten je nach der Landschaft hervortreten, daß also das im Folgender ausgeführte Bild den Durchschnittstypus des gesammten niederdeutschen Landes bietet.

Will man die gegenwärtige Grenze des sächsischen niederdeutschen und des fränkischen oberdeutschen Bauernhauses markiren, so kann man wohl sagen, daß diese Grenze sich so ziemlich mit der der plattdeutschen Sprache deckt – freilich ganz bedeutende Ein- und Ausbuchtungen und auch die Districte der Uebergänge mit eingerechnet; denn steigen wir höher in's Land hinauf, so finden wir, daß sich die „Diele“ verengt und zusammenschrumpft; das Vieh verschwindet daraus und kommt in Nebenräume, bis der rein fränkische Bau in sein Recht tritt.

Das niederdeutsche Bauernhaus hat zwar die primitive Stufe der Herstellung aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk, die älteste Form des deutschen Hauses neben dem Blockhause, meist überwunden, ist aber anderntheils noch durchweg beim Fachwerk stehen geblieben. Vor Allem ist aber nun zu constatiren, daß es sich in seiner Gesammtheit wie in seiner Einzelnheiten durchaus vom oberdeutschen unterscheidest und dies zwar besonders in folgenden vier Punkten:

Erstens: Das Haus umfaßt das gesammte zur bäuerlichen Wirthschaft gehörige todte und lebende Inventar; es ist der Inbegriff des ganzen Hofes, des ganzen Besitzthums, und wie sehr dies auch von der Bevölkerung empfunden wird, darauf deutet eine Auffassung, der ich überall begegnet bin. Will nämlich Einer den Besitzstand eines Anderen bestimmen, so bemißt er denselben nach dem Längenmaße des Hauses; denn damit ist z. B., abgesehen von allem Anderen, der Viehstand, welcher die Längsseite der Diele einnimmst zugleich mit angedeutet.

Die zweite charakteristische Eigenschaft ist der Bau zu ebener Erde – das niederdeutsche Bauernhaus hat fast nie ein Stockwerk, selbst in der sonst so vielfach abweichenden Marsch nicht; denn Abweichungen, welche ich gefunden, z. B. in den nach Abgrabung des Moores reich gewordenen Moordistricten, sind verschwindende Ausnahmen.

Ein Drittes, ganz Eigenartiges ist das offene Herdfeuer, der Mangel eines Rauchfanges, worauf ich bei der Einzelschilderung zurückzukommen gedenke.

Die vierte Eigenschaft endlich ist die isolirte Lage des Hofes. Es giebt in Niederdeutschland natürlich ebenso gut Dörfer und Flecken wie anderwärts, aber der Procentsatz der Einzelhöfe ist ein viel bedeutenderer als im oberen Deutschland. Und im Dorfe selbst macht sich unverkennbar das Streben des einzelnen Hauses und Hofes bemerkbar, sich den Nachbar etwas vom Halse zu halten. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß die Besitzer schlechte Nachbarschaft hielten – im Gegentheil, das nachbarliche Verhältniß ist durch ganz Niederdeutschland ein sehr gutes.

Deuten schon diese allgemeinen Eigenschaften auf einen ganz eigenartigen Character hin, so zeigt sich dies mal um so interessanter in den Einzelheiten des Hofes.

Während im übrigen Deutschland die Höfe meist aus einem einen Hofraum umgebenden Häusercomplex bestehen, concentrirt sich, wie ich eben schon andeutete, hier Alles auf das eine Gebäude – ein Umstand, durch welchen das Aussehen des Hofes an sich schon ein durchaus verschiedenes wird. Hierzu tritt aber nun, das Bild in einer ganz besonderen Weise vervollständigend, der Kamp. Unter diesem Ausdrucke versteht man einen Baumbestand von bald größerem, bald kleinerem Durchmesser, in dessen Mitte der Hof gleichsam geborgen liegt, und der Kamp erfüllt in der That die Aufgabe, als Windschutz gegen den Nordwest zu dienen. Daher sind denn auch Kamp und Hof unzertrennlich, und der mit der Gegend Vertraute erkennt an der isolirt und dicht gedrängt stehenden Baumgruppe schon aus der Ferne das Vorhandensein eines Hofes.

Diese Verbindung nun des altertümlichen Bauwerks mit einer prächtigen Baumvegetation bietet etwas, was unsere Maler allenthalben in Deutschland, nur nicht in Niederdeutschland zu suchen pflegen – die ländliche Idylle nämlich in einer Vollkommenheit, daß ich dreist zu behaupten wage: das gesammte übrige Deutschland vermag sich in Bezug auf diese Bilder in keiner Weise mit dem niederdeutschen Gebiete zu messen. Es geht durch diese ländlichen Höfe-Bilder ein so packender kraftvoller Zug; sie zeigen eine solche Energie der Form und Farbe, des Lichtes und Schattens, ja in ihrer isolirten Lage oft ein solch künstlerisch in sich abgeschlossenes, fertiges und charaktervolles Bild, wie ich es nirgends anderswo in diesem Umfange und namentlich auch in dieser Reichhaltigkeit gefunden habe; sie wirkt oft geradezu überraschend, wenn man in kurzem Zeitraum an einer größeren Reihe solcher Höfe vorübereilt. Hier liegt der eine in einer wahren Schattennacht, von stolzen Buchen überwölbt, aus deren Mitte eine alte vom Blitz gefurchte kahlästige Eiche wie ein trotziger Wächter des Hausfriedens emporragt; dort ist das altehrwürdige Gebäude von lauter knorrigen Eichen ehrwürdigen Alters umstanden, wieder an einem anderen Hofe legen dunkle Tannen, von lichten Birken durchsetzt, ihre breiten Aeste wie schützend auf das dunkelgrün oder goldbraun schimmernde Rieddach – ringsum aber läuft bei allen in hellleuchtendem Grün die Hecke, zwischen deren Laub hier und dort die krummgebogenen Buchen- oder Birkenstämme, aus denen sie besteht, sich gleich ertappten Bösewichtern ducken, während wilde Rosen, Jelängerjelieber und Brombeerranken sich durch ihre Aeste und Blätter schlingen.

Die Hecke nun vervollständigt das Bild des Hofes als eines in sich abgeschlossener Ganzen. Den Eingang durch die Hecke schließt der Baum, „Rön- oder Rünbaum“, auch blos „Rön“ genannt, der aus zwei durch Querhölzer verbundenen Balken besteht, derer oberster schwer in einer Gabel ruht und durch dessen Aus- und Einheben der Eingang geöffnet oder geschlossen wird.

Diese Pforte und den Kamp durchschreitend, stehen wir bald vor dem Hause, zu dessen Seite, meist in rechtwinkeliger Stellung zu demselben, sich ein oder zwei aus Flechtwerk mit Lehmbewurf hergestellte kleinere schuppenartige Gebäude befinden, welche teils als Aufbewahrungsort von Frucht, theils als eine Art Rumpelkammer Verwerthung finden. An die oft abgebröckelte Seitenwand eines dieser Gebäude stößt der Schweinestall, der sich natürlich nicht mit im Hause befindet.

Das Haus selbst stellt ein langes Parallelogramm dar, das in zwei respective drei ungleiche Theile zerfällt: in die den bei Weitem größten Raum beanspruchende Diele und in die Howand einerseits, in die Stube oder Dönse andererseits, und zwar derart, daß der als Howand bezeichnete Theil zwischen der Diele und Stube liegt. Namentlich macht sich hier ein Unterschied zwischen dem nieder- und oberdeutscher Begriffe in Bezug darauf geltend, was beim Hause „vorn“ und „hinten“ genannt wird. Während für das übrige Deutschland das „Vorn“ sich mit der Fensterfront der als Wohnzimmer benutzten Räume deckt, ist dies hier gerade umgekehrt, indem der Theil, welcher die Wohnzimmer umschließt, das „Hinten“ repräsentirt, während die Diele und ihre Thoröffnung nach vorn liegt.

Beim Eintritte in das Haus empfängt uns ein hochgewölbtes breites Thor, über welchem in Holz eingeschnitten ein frommer Spruch steht – ab und zu orginell, meist aber ein gewöhnlicher Bibelspruch – unter diesem in der einen Ecke der Name des [627] Erbauers, in der Mitte die Jahreszahl der Erbauung und in der andern Ecke Vor- und Zunamen der Eheleute. Doch ist auch hier oft eine verschiedene Anordnung eingehalten. In alten Häusern befinden sich unmittelbar neben dem Thore innerhalb des Hauses links und rechts schmale Räume, „die Wamm“ genannt, in denen Jungvieh gleich nach der Geburt untergebracht wird, weil es die wärmsten Theile der Diele sind; „Wamm“ ist daher wohl durch Zusammenziehung aus Warm entstanden.

In die Diele oder „Deele“ eintretend, befinden wir uns nun in einem weiten und hohen, aber so dunklen Raume, daß wir für den ersten Augenblick Nichts als die gegenüberliegende, matt herüberdämmernde Howand zu unterscheiden vermögen – ein Eindruck, der um so frappanter wirkt, aus je grellerem Sonnenlichte wir kommen. Der Grund dieser Dunkelheit ist der, daß die Diele ihr Licht nur durch das Thor und den Resten der gegenüberliegenden seitlings erleuchteten Howand erhält. Einmal aber darin, verlieren wir den düstern Eindruck bald (im Sommer wirkt schon die stetige Kühle der Diele ungemein erquickend) und wir sind in der Lage, uns umzusehen. Der Boden besteht aus festgestampftem Lehm und wird zum Ausdreschen der Frucht etc. benutzt. Die Decke ist aus starken, in Zwischenräumen querübergelegten Balken gebildet, die vom Rauche des Herdes vollständig schwarz, ja rußglänzend gefärbt sind; über dieser Decke befindet sich der Fruchtboden bis zu dem sogenannten Hahnenbalken oder Hahnenjoche hinaus, dem obersten längs dem Firste liegenden Balken, welcher die Sparren des Daches aufnimmt.

Blicken wir nun nach rechts und links, so stehen wir einer der hervorragendsten Eigenthümlichkeiten des niederdeutschen Hauses gegenüber: den Viehständen; dieselben laufen auf beiden Längsseiten des Hauses hin. Die Pferde befinden sich meist rechts, das Rindvieh dagegen links. Die einzelnen Räume sind durch starke, vom Reiben des Viehs glatt polirte Balken von einander abgetrennt, – und diese in Zwischenräumen aufgestellten Balken gestatten dem Vieh das bequeme Hindurchstecken von Kopf und Hals und die Entgegennahme des Futters; einer der Ballen kann ausgehoben werden und bildet die Thür in den Stand. Diese Verbindung des Stalles mit den Wohn- und Haushaltungsräumen hält man im oberen Deutschland geradezu für einen Mangel an Civilisation. In dem Zusammenleben mit den Hausthieren unter einem Dache liegt aber ein so gemüthlicher, mit dem Wesen bäuerlichen Lebens übereinstimmender Zug, daß auch der Fremde sich bald davon angeheimelt fühlt, und was der Niederdeutsche als besonderen Vorzug anführt, daß man das Vieh jederzeit unter dem Auge hat, ist so zutreffend, daß es zur Genüge für sich selbst spricht. (? Die Red.)

Zwischen dem Viehstande und der Balkendecke befindet sich ein Raum, „Hille“ oder „Helgen“, welcher zur Unterbringung theils von Futter, theils von Torf oder auch von Geräthen und Gerümpel benutzt wird, während ein anderer Raum, der Waschort, wo auch der Backtrog u. dergl. Aufstellung findet, am Ende des einen Standes liegt. Zwischen der Howand und den Viehständen liegen kleinere zimmerartige Räume, welche theils als Gesindestube, theils aber auch als Wohnstube dienen, wie sich überhaupt in der Anordnung dieser Räume vielfache Verschiedenheiten finden. Die Wände der Diele und die Hauptbalken des Viehstandes bis zur Howand hin sind mit Ackergeräthen, Geschirren für Pferde und Kühe etc. behängt; auch stehen hier nach der Howand zu die alten Eichenschränke, oft mit außerordentlich schöner Schnitzerei von oben bis unten reich verziert, die mächtigen Truhen, in welche manchmal Jahreszahlen von hohem Alter eingeschnitten sind, die vielfach auf Rädern ruhen und zum Theil dieselbe geschmacklose Malerei zeigen, wie die anderen Bauerntruhen unseres gesammten Vaterlandes. Hier finden auch Geräthe größeren Calibers Aufstellung, wie z. B. die auf der Skizze rechts sichtbare Grützemaschine. Es ist hier nicht der Raum, um verschiedene dieser Geräthe aufzuführen, nur eines ganz absonderlichen sei noch Erwähnung gethan, nämlich einer Buttermaschine, welche nach Art des Bratspießes durch ein von einem Hunde getretenes Rad bewegt wird – die untenstehende Skizze erläutert das Uebrige.

Buttermaschine

Ich habe diese Maschine ebenso in der Lüneburger Haide, wie in der Oldenburger Marsch gefunden jedoch stets nur bei einem Hofe mit größerem Viehstande. Das Ding hat aber eine höchst humoristische Seite, die ich dem Leser nicht vorenthalten will; ist nämlich der Hund in der wirthschaftlichen Thätigkeit des Butterns begriffen, und betritt ein Fremder die Diele, so erwacht in dem Thiere zugleich die sicherheitspolizeiliche Natur, und wie eine Verdickung jener beiden Factoren oft genug vom Uebel zu sein pflegt, so auch hier; denn der Hund, welcher seinem Eifer keinen andern Ausdruck geben kann, fängt an im Rade derart zu strampeln, daß die Butter rings in der Diele herumzuspritzen beginnt – die Hausleute eilen in diesem Falle schleunigst herbei, um ihn aus dem Rade zu befreien und so die Butter zu retten.

Mit unserer Schilderung sind wir nun bis zur Howand gediehen, welche an sich den Uebergang von der Diele zur Stube bildet, in ihrer Bedeutung aber die letztere vollständig in den Schatten stellt, da die Howand der eigentliche Wohnraum ist; denn hier nimmt der Bauer auf dem großen breiten Tische seine Mahlzeiten ein; hier kocht er; hier verrichtet er alle Geschäfte des täglichen Lebens. Die Howand ist aber nicht allein der Schauplatz der täglichen Geschäfte, sondern in Verbindung mit der Diele auch derjenige der außergewöhnlichen Ereignisse des Lebens – hier wird die Kindtaufe, die Hochzeit mit allen eingeladenen Nachbarn festlich und namentlich mit Tanz gefeiert, bei welcher die Diele den Tanzplatz abgiebt – hier aber steht auch der Sarg und wird die Trauerfeierlichkeit abgehalten.

Auf beiden Seiten hat die Howand Fenster nach außen, ebenso je eine Thür (Tegen-Sitelthür); außerdem aber befinden sich an der die Howand bildenden, der Diele zugewandten Seite der Dönse Fenster, aus denen man die ganze Diele übersehen kann. (Bei alten Häusern ist die Howand ab und zu durch ein niedriges hölzernes Gitter abgetrennt.) Der Lehmboden der Diele wird auf der Howand durch ein Pflaster meist verschiedenfarbiger, in regelmäßigen Vierecken wechselnder kleiner Kiesel abgelöst, und hier stehen die Torfkasten, ebenso alle Küchengeräte, darunter manch werthvolles alterthümliches Stück.

Auf der Howand finden wir nun auch jene Stelle des Hauses, welche bei allen Völkern eine besondere Verehrung genießt – die Feuerstatt – und hier im niederdeutschen Bauernhause tritt sie uns noch in der altertümlichsten Form entgegen; ohne irgend weiche Vorrichtung, mitten auf dem Boden der Howand, brennt das Herdfeuer, und der Rauch zieht, langsam an der Decke der Diele emporsteigend, zum Thor hinaus.

Die Einrichtung des Herdes, auch „Herdkuhle“ genannt, ist folgende: Das Feuer selbst wird entweder unmittelbar auf den Steinen des Bodens oder auf einer kegelförmigen Anschüttung von Sand oder endlich auf einer gemauerten Unterlage von Backsteinen hergerichtet, welche auch öfter hohl und an einer Seite mit einer Oeffnung versehen ist, um der Flamme Luftzug zuzuführen. Ueber diesem Herd befindet sich an einem in die Wand eingelassenen Balken ein nach links und rechts bewegliches galgenförmiges Holzstück, der Wendhaken, von welchem entweder eine einfache Kette oder ein sägeförmiger eiserner Halter, der Ketelhaken herabhängt, an welch letzterem wiederum, soll er noch verlängert werben, ein eiserner Haken, der „Längholt“ befestigt wird; der Apparat dient dazu, den Kessel über dem Feuer aufzuhängen. Ueberragt wird das Ganze von einer Herddecke, die da, wo sie nicht einfach blos aus Brettern besteht, sondern mit roh ans Holz geschnitzten Pferdeköpfen auf lang geschweiften Hälsen (den Springern des Schachspiels sehr ähnlich) verziert ist, der ganzen Diele ein altertümliches Aussehen verleiht. Ueber dem Herd hängen nun im Rauche an horizontalen Stangen Speckwiem) die Schinken und Speckseiten.

Dieses Herdfeuer kann zwar noch vollständig als typisch gelten,

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Das niederdeutsche Bauernhaus.0 Originalzeichnung von Ferdinand Lindner.
1. Das Geesthaus. – 2. Lüneburger Haide. – 3. Osterstade. – 4. Butjadingen (Berg). – 5. Das alte Land. – 6. Hadeln. – 7. Wursten. – 8. Die Bettkästen. – 9. Die Howand mit der Herdkuhle und dem Blick in die Dönse.

[630] aber es ist nicht zu verkennen, daß die Bevölkerung allmählich beginnt; zur Schlotfeuerung überzugehen. In engem Zusammenhang hiermit steht auch wohl das Verschwinden des Rieddaches, und haben wir hier ein drastisches Beispiel für jene wirtschaftliche Anpassung, welche die äußeren Formen umgestaltet: der Grund für das Verschwinden des Rieddaches mit der Herdkuhle ist einfach der, daß die Feuerversicherung bei der Einführung des Schornsteins für Häuser mit Rieddächern viel höhere Prämien fordert, als für solche mit Ziegeldach.

Wie die Feuerstatt, so hat auch der Brunnen – um denselben an dieser Stelle gleich zu erwähnen eine eigenartige vom übrigen Deutschland abweichende Form, und wenn man sein Bild, aus dem Zusammenhang gehoben, einem Bewohner Oberdeutschlands vorlegte, so würde er denselben aller Wahrscheinlichkeit nach in die ungarische Pußta versetzen; denn es ist genau derselbe Ziehbrunnen mit dem mächtig hinausragenden Arm, den wir hier wiederfinden, meist, wie dort, roh aus einem unbehandelten Baumstamm angefertigt, von welchem an Stange, Seil oder Kette der Eimer herabhängt.

Die die Howand begrenzende Wohnstube oder „Dönse“, auch „Achterdönse“, theilt sich meist in zwei Zimmer. Die Möbel der Dönse sind auf das Allernothwendigste und Einfachste beschränkt, Vorhänge zieren meist die Fenster, und findet man da ab und zu eine wunderliche Färbung der im übrigen Deutschland nur in weißer Farbe üblichen Mullvorhänge in’s Hochrothe. Von den Fensterscheiben hat man vielfach gelesen, daß sie sich besonderer Verzierungen, namentlich auch durch Inschriften erfreuten; gegenwärtig ist aber diese Sitte, solche Fensterscheiben zu benutzen nicht nur ganz abgekommen, sondern man findet – mit Ausnahme allenfalls westfälischer Districte – auch diese alten Scheiben fast nirgend mehr.

Eine eigentümliche Ausstattung der Stube bildet oft der Strohdeckel. Während das übrige Deutschland denselben nur zum niedrigsten Dienst vor der Schwelle der Wohnung kennt, erscheint er hier in veredelter Form, buntgeflochten als Zimmerzierde, und zwar dutzendweise in regelmäßigen Abständen über den Boden der Stube verstreut. Beim Beschreiten eines solcher Zimmers fühlt man die moralische Verpflichtung, storchbeinig jeden einzelnen Deckel zu „nehmen“.

Das merkwürdigste und eigenartigste Institut der ganzen Wohnstube sind nun aber die Bellkästen. Soviel Poesie in der grotesken Alterthümlichkeit des Hauses liegt, hier hört sie absolut auf. Diese Bettkästen findet man zwar auch in einigen französischen und englischen Districten, ebenso in sehr alten Häusern des oberen Deutschland, namentlich noch auf Burgen, aber in solch weiter Ausdehnung sind sie nur in Niederdeutschland in Gebrauch. Entweder in dem todten Raume, welcher da entsteht, wo das schicke Dach auf die Grundmauer stößt oder in der Scheidewand zwischen den beiden Dönsen befindet sich eine Art dunkler Verschlag (die beigegebene Skizze, Nr. 8, illustrirt dies), oder auch zwei neben einander durch eine Scheidewand getrennte; der untere Theil desselben ist mit Stroh gefüllt und darauf liegen Berge von Federbetten, welche dem Raum entsprechend ein Lager für zwei bis drei, ja mehr Personen bilden. Macht das Ganze schon den Eindruck einer finsteren Höhle, so kommt nun eine weitere verdunkelnde Einrichtung dazu: die „Schotten“, Schiebtüren, welche der Bauer, sobald er mit seinen Bettgenossen in den Kasten gekrochen ist, wie der Staar in den seinigen, namentlich bei kälterer Witterung hinter sich zuschiebt.

Das ist nun zwar schauerlich, das Merkwürdigste ist es aber doch noch nicht; dieser Vorzug gebührt meiner Ansicht nach dem „Bettquast“. Mitten über dem Bett hängt nämlich von der Decke des Bettkastens eine Schnur mit einer Quaste oder einem Knopf herab, so weit, daß der im Bett Liegende sie mit ausgestrecktem Arm erreichen kann. Das Ding heißt der Bettquast und soll, wie man uns sagt, zum Aufrichten dienen – eine wunderliche Aufgabe, welche fast den Verdacht erregen könnte, daß es dem niederdeutschen Bauer ganz besonders schwer falle, aus den Federn zu gelangen.

Ueber alle die geschilderten Einrichtungen, über Mensch und Thier, legt sich nun ein breites gewaltiges Dach, das ebensowohl mit Stroh, wie ganz besonders auch mit „Reid“, unserem Ried, dem reichlich an den Deichen wachsenden Schilfe, gedeckt wird, welch letzteres ein sehr dauerhaftes Material liefert. Auf dem Dach wuchert eine starke Moosvegetation, und auf dieser haben wiederum oft Pflanzensamen Wurzel geschlagen und geben mit ihren hochgerichteten Stengeln dem Ganzen ein eigentümliches und freundliches Aussehen.

Bei dem Dache selbst sind zwei Formen zu unterscheiden: die eine, bei welcher die Giebelwand des Hauses bis unter den Hahnenbalken reicht, die andere, welche ein nach der Giebelfront des Hauses schräg abfallendes Dach zeigt, welches meist nur bis zur Hälfte der Höhe des Daches hinabreicht, sodaß die Giebelfronten des Dach- und Mauerwerkes eine größere Höhe haben, als die Seitenwände. Diese letztere Art hat noch am Giebel eine besondere Gestaltung, den Walm, einen mützenartigen, über den gekränzten Hahnenhölzern gewölbten Aufsatz von Stroh oder Ried, in dessen Mitte sich das sogenannte Uhlenloch befindet (oft durch ein Thürchen verschlossen), welches dem Fruchtboden Licht gewährt; doch ist diese Oeffnung nicht überall vorhanden.

Was aber diese Stelle – den Giebel – zu einem der interessantesten Theile des ganzen Hauses, ja vom historischen Standpunkte vielleicht zum merkwürdigsten macht, ist das Giebelzeichen, die gekreuzten Pferdeköpfe – ist jedoch hier nicht der Raum geboten, näher auf diese altehrwürdige Giebelzierde einzugehen und behalte ich mir deren Besprechung für einen späteren Artikel vor. –

Wenn wir die Geest und ihr altertümliches Haus verlassen und in die Marsch hinabsteigen, so tritt uns hier nicht allein eine große Mannigfaltigkeit der Bauarten entgegen, sondern für den erster Blick scheint auch kein klarer Zusammenhang mit dem Typus des alten Geesthauses zu bestehen, doch ist in Wirklichkeit dieses als der Stammvater des Marschhauses anzusehen. Die scheinbar vollständige Verschiedenheit ist die Folge eines ähnlichen Vorganges, wie er in der organischen Welt zur weitesten Umgestaltung führt – die Folge der Anpassung an die umgebenden Verhältnisse, die in der Marsch total verschieden sind von denen in der Geest.

Für die Abstammung vom Geesthaus sprechen sowohl die Geschichte der Marsch, wie die im gegenwärtigen Bau der verschiedenen Marschhäuser noch erhaltenen Reminiscenzen an das alte Geesthaus; denn die Marsch ist trotz ihrer wirtschaftlichen Ueberlegenheit über die Geest doch immer vom historischen Standpunkte aus durch die Geest beeinflußt worden. Der Typus des friesischen Hauses, wie wir es noch in Nordfriesland finden, mußte da aufgegeben werden, wo der einwandernde Friese seinen Blick von der See und Schifffahrt ab- und dem Land- und Ackerbau zuwandte. Hier aber traf er natürlich lediglich auf die Vorbilder der umgrenzenden Geest. Aber ebenso zeigt die weitere Geschichte der Marschen deren bewegteste Perioden durch den Kampf gegen die Geestbewohner charakterisirt werden, auf den weiteren Einfluß derselben hin, insofern bald schwächere bald stärkere Bevölkerungselemente der Geest unter diejenigen der Marsch gemischt wurden. Ja, dieser Einfluß der Geest hat heute noch nicht aufgehört, nur daß es nicht der blanke Stahl der Waffe, sondern das nicht weniger mächtige blanke Gold ist, welches hierbei eine Rolle spielt, indem sich bedeutende Massen Geestcapital zwischen den Besitzstand der Marschen schiebt.

In den westlichen Marschen ist der Einfluß Hollands sowohl in Bezug auf die Wirthschaft überhaupt, wie namentlich, was uns hier interessirt, in Einzelheiten der häuslichen Einrichtungen unverkennbar, während die östlichen wohl mit den Dithmarschen in Beziehung standen. In der neueren Zeit tritt nun die Beeinflussung durch das Hinterland, das obere Deutschland hinzu, welche sich namentlich von den Flußläufen aus geltend macht. Wie der Grund und Boden der Marschen durch Anschwemmung entstanden ist, so könnte man die geistigen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Marschen in den letztvergangenen Decennien sowohl, wie noch in der Gegenwart, mit einem Schwemmlande vergleichen, indem die mit der Benutzung des Dampfes immer mächtiger angeschwollene Flut des Verkehrs Schicht auf Schicht im Culturleben der Marschen absetzte, die freilich oft noch unvermittelt neben einander liegen, sich aber immer mehr zu einem neuen organischen Ganzen zusammenfügen.

Man kann allerdings wohl bei jeder Marsch im Allgemeinen von einem Typus ihres Häuserbaues sprechen, aber dieser Typus ist in Wirklichkeit keineswegs streng durchgeführt; denn theils drängen sich verschiedene Bauarten neben einander, theils weichen die einzelnen Gehöfte mehr oder weniger von der Norm ab, auf keinen Fall aber existirt ein allgemeingültiger, aller Marschen gemeinsamer Typus; das, was alle Marschen mit einander theilen, schließt sich an die Eigenthümlichkeit des Marschlandes selbst an.

Die Marsch ist ein vom Wasser geschaffenes, vom Wasser um- ja überwogtes Land – das kommt zum prägnanten Ausdruck bei [631] der Anlage, speciell bei der Umgrenzung jedes Hofes. Was nämlich für das Geesthaus die Hecke, das ist für das Marschhaus der Wassergraben, die Graft, welcher jeden Marschhof rings umgiebt. Doch darf sich der binnenländische Leser darunter ja nicht einen jener Wassergräben vorstellen, wie sie noch teilweise alte Herrenhäuser unserer Güter im übrigen Deutschland zu umgeben pflegen, sondern diese Gräben sind nur Glieder eines die ganze Marsch durchziehenden und das ablaufende Wasser aufnehmenden, von Binnen- und Außensielen regulirten Grabensystems. Dieser voll hohem nickendem Schilf durchwachsene Graben macht einen charakteristischen Eindruck, und derselbe steigert sich oft zu einem hochmalerischen, wenn die Graft sich unter den weit übergebogenen Bäumen des Gartens tiefbeschattet einherzieht.

So ist denn auch der Klubenstock der treue Begleiter des Marschbewohners (in der einen Marsch übrigens mehr als in der anderen), mit welchem er die Gräben gewandt überspringt, wenn er in seine Felder und Weidegründe hinausgeht.

Nächst dem Graben wäre nun noch die Warf zu nennen, ein künstlich gewölbter Hügel, auf welchem einst das Marschhaus errichtet wurde. Doch kann man dieselbe gegenwärtig nicht mehr als allgemeines Charakteristicum hinstellen, da sie mit den stärker werdenden Deichen allmählich mehr und mehr verschwunden ist und eigentlich nur noch in der Marsch Wursten sich im Profil der Landschaft hervorhebt.

Das dem Geesthause eigenthümliche Streben nach Isolirung findet sich in vollem Maße in der Marsch wieder. „Wie durch ein Sieb vom Himmel gestreut“ ist ein übliches, die Einzellage der Höfe bezeichnendes Bild. Doch gilt von der Marsch, was ich vom übrigen Niederdeutschland sagte, daß neben dem Einzelgehöft auch der Häusercomplex als Dorf, Flecken und Stadt vertreten ist, und zwar zeigen die einzelnen Marschen hier eine große Verschiedenheit.

In Hadeln und Kehdingen z. B. herrschen die Einzelgehöfte. In Osterstade dagegen drängen sich die Höfe von Köthnerwohnungen umgeben zu kleinen Dörfern zusammen, und zwar namentlich in der Nähe des Deiches, den endlosen Weideflächen freien Spielraum lassend. Im Butjadingerland wiederum finden wir ein Gemisch beider Arten, und zwar nach der Weser zu die Anhäufung zu Ortschaften, welche oft rein das Gepräge mitteldeutscher moderner Kleinstädte tragen, nach dem Jahdebusen zu das Vorherrschen des Einzelhofes.

Das Material beim Bau des Marschhauses ist schon längst kein gleichmäßiges mehr; denn während das Haus früher entsprechend dem Geesthause aus Fachwerk bestand, tritt jetzt bei jedem Neubau der massive Backsteinbau an dessen Stelle. Freilich – die Romantik muß auch hier wie anderwärts der praktischeren Neuerung weichen; denn so malerisch sich z. B. ein alter Butjadinger Berg dem Auge darbietet, einen so verzweifelt nüchternen Eindruck macht der moderne aus Backsteinen und Ziegeldach zusammengesetzte Kasten.

Durchaus gemeinsam allen Marschen ist der Bau zu ebener Erde. Dagegen ist das Herdfeuer auf der Diele nicht nur aus den neueren, sondern auch fast aus allen älteren Häusern verschwunden und meist nur da noch vorhanden, wo alte Leute die Sitten der „guten alten Zeit“ hartnäckig festhalten. Nicht in gleichem Maße hat aber mit der Entfernung des Herdfeuers und der Verwendung des Schornsteines ein Ersatz des Rieddaches durch ein Ziegeldach stattgefunden und abgesehen von den Neubauten überwiegt noch das erstere.

Den größten Unterschied zwischen dem Marschhause und dem Urtypus des Geesthauses einerseits und den Marschen unter sich andererseits bietet das Verhältniß der Diele zur Wohnstube, der Dönse des Geesthauses. Während das Verhältniß in letzterem ein gleichmäßiges ist, herrscht in den Marschen große Verschiedenheit, sodaß es schwierig ist, Allgemeines festzustellen.

Die Diele an sich hat im Großen und Ganzen ihre Physiognomie bewahrt, teilweise hat sie aber starke Abänderungen erfahren. Vollständig verschwunden ist die Howand, an deren Stelle der sogenannte „Windfang“ getreten ist, welcher eine Art Flur vor dem Wohnzimmer darstellt, und durch eine Thür, meist Glastür, mit der Diele in Verbindung steht, während die Seiteneingänge die Haupteingangsthür zu dieser Flur bilden. Der Grund für dieses Verschwinden der Howand liegt in der verschiedenen Bedeutung, welche die Wohnzimmer im Geest- und im Marschhause haben.

Während sie im ersteren, wie wir sahen, für das eigentliche tägliche Wohnbedürfniß eine untergeordnete Rolle spielen und die Howand der Schauplatz des täglichen Lebens ist, treten die Wohnzimmer in der Marsch in ihr volles Recht, ja erfreuen sich einer sorgfältigen, oft sogar luxuriösen Ausstattung.

Daß freilich die Einheit einer solchen Einrichtung oft noch sehr zweifelhaft ist, läßt sich denken.

So findet man z. B. folgende Einrichtung: Die eine Seite weist die Ausstattung einer kleinbürgerlichen Stube auf mit obligaten Häkeldecken auf Sopha, Tisch u. dergl. m. Die gegenüberliegende Wand aber wird von zwei der oben geschilderten Bettkästen eingenommen und zwischen den Schiebtüren dieser beiden steht ein kostbares Pianino, das jedem eleganten Salon zur Zierde gereichen würde.

Wie Howand und Wohnstube, so hat auch der Fruchtboden bedeutende Veränderungen erfahren, was bei dem großen wirtschaftlichen Abstand zwischen Geest und Marsch nahe liegt. Theils treten große Scheunen zum Hof hinzu, theils nehmen auch zwei, drei Stock hohe Fruchtböden innerhalb des hochgegiebelten Hauses die Frucht auf, theils wird sie sogar zu ebener Erde innerhalb der Diele aufgespeichert.

Von der Frucht zum Mist ist kein allzu weiter Sprung, und dieser wichtige Stoff der Landwirthschaft wird gleichfalls in sehr verschiedener Weise untergebracht – in der einen Marsch in hoch gewölbten Haufen, welche seitlings im Hofe untergebracht sind, oder weit ausgebreitet, fast teichartig theilweise mit Geländer umgeben, sodaß sie den ganzen mittleren Raum des Hofes einnehmen.

Endlich sei noch mit einigen Worten des Blumen- und Gemüsegartens Erwähnung getan, welcher beim niederdeutschen Bauernhaufe ebenso wenig fehlt wie beim oberdeutschen; er ist hier wie dort derselbe, wie er sich beim Geesthause auch fast durch nichts von dem oberdeutschen unterscheidet.

Anders dagegen in der Marsch! Theils macht sich hier auf das Deutlichste der holländische Einfluß in den verschnittenen Hecken, Bäumen und Laubgängen, sowie in der Anordnung der Blumenbeete geltend, theils nimmt er ganz im Gegensatze hierzu ein parkähnliches Aussehen an und bietet mit den breiten wasser- und schilferfüllten Gräben ein hochmalerisches Ensemble; hier tritt dann auch noch eine ganz absonderliche Eigentümlichkeit der Marsch hervor, indem die Bäume und die Vegetation des Gartens auf der Seite, wo sie dem Ansturm des Nordwest ausgesetzt sind, in den wunderlichsten Windungen und Krümmungen auf dem Boden hinkriechen, während erst die nächsten Colonnen allmählich eine aufrechte und stattliche Haltung gewinnen.

Vor dem Marschhause findet man die sehr verbreitete Verwendung des Windschutzes – eine Reihe von Bäumen, welche in holländischer Manier, flach verschnitten wie ein breiter, grüner Schirm, vor der Giebelfront mit den Wohnzimmern sich hinzieht. Doch kommt man in der Neuzeit mehrfach davon ab, da dieser Laubschirm wohl gegen den Wind schützt, zugleich aber auch den trocknenden Einfluß der Sonne hemmt. Die trocknende Sonne ist aber von großer Wichtigkeit; denn so behaglich und freundlich der Eindruck ist, den das Marschhaus macht – eines wird dem Oberdeutschen immer störend und unangenehm auffallen: der leichte Modergeruch, der in allen, namentlich den geschaffenen Räumen, und hier besonders wieder in den Ecken, herrscht und der auch nicht zu entfernen ist, da er aus der Bodenbeschaffenheit der Marsch entspringt. Doch würde man sich täuschen, wenn man gerade diesen Umstand für besonders gesundheitsschädlich ansähe: die Marschfieber hängen meist mit anderen Erscheinungen zusammen und sind überdies in der neueren Zeit in stetiger Abnahme begriffen. Eine specielle Schilderung der Höfe in den einzelnen Marschen muß hier des Raumes wegen unterbleiben, und verweise ich den Leser auf das vortreffliche Marschenbuch von Hermann Allmers, in welchem er eine anziehende Schilderung des Lebens und Treibers auf einem Marschhofe findet. (Vergl. auch „Gartenlaube“ 1866, Nr. 22; 1864, Nr. 32 und 51.)

Wer in seinem Empfinden nicht tief von der Eigenart des niederdeutschen Bauernhauses berührt wird, der muß von allen Göttern verlassen sein. Wenn ich so des Abends am Herdfeuer saß, wenn der Rauch rötlich angeleuchtet in leichten Wolken zu den Balken hinaufklomm und wie ein Schatten im Dunkel der Diele verschwand, in der man kaum etwas Anderes als die im Widerschein des Feuers glänzenden Augen der Rinder [632] sah, wenn dann die Flamme heller aufzuckte und die alterthümlichen Formen und Geräthe der Howand flüchtig erglänzten, oben aber vom Rieddach die alten heidnischen Roßzeichen aus den Rauchwolken gespenstisch herauszuspringen schienen – in solchen Augenblicken hätte ich mich wahrhaftig nicht gewundert, wenn drüben aus der Thür der Dönse ein alter sächsischer Krieger getreten wäre und Speer und Schild an den dunkelglänzenden Balken gehängt hätte. Niemand wird sich dem Zauber der Poesie zu entziehen vermögen, welcher ein solches niederdeutsche Haus und seine uralten historischen Formen umgiebt

Das niederdeutsche Gebiet wird einst ein durchaus anderes Gesicht zeigen – die Haide wird Wälder und Felder tragen lernen; das dunkle Moor wird verschwinden und lachenden grünen Fluren Platz machen; das Plattdeutsch wird trotz der momentanen Belebung durch die Literatur Jahr um Jahr mehr absterben, und so wird einst auch die Zeit kommen, wo die letzte Herdkuhle erlischt, das letzte Rieddach verschwindet – es wäre daher wohl der Mühe und Arbeit werth, wenn in einem umfassenden Werke diesem ältesten Zeugen aus der Geschichte unseres Volkes, dem niederdeutschen Bauernhause, ein wissenschaftliches Denkmal gesetzt würde.