obenan, auf daß nicht etwa ein Geehrterer denn du von ihm geladen sei, und so dann komme, der dich und ihn geladen hat, spreche zu dir: Weiche diesem! Und du müßtest dann mit Scham untenan sitzen. Sondern, wenn du geladen wirst, so setze dich untenan, auf daß wenn da kommt, der dich geladen hat, spreche zu dir: Freund, rücke hinauf! Dann wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir zu Tische sitzen.“ Und an diese Tischregel sich anschließend, begegnet uns nun der Schlußvers, den wir heute zum Gegenstand der besondern Betrachtung machen wollen. „Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöhet werden.“ In diesem Zusammenhang, auf den ersten Blick wenigstens angesehen, scheint dieser Spruch nichts anders zu sein als eine Höflichkeitsregel, eine Anweisung zum richtigen, anständigen Verhalten bei Tische, als wollte der HErr eine Ermahnung zur Bescheidenheit geben. Der sich selbst erniedrigt, scheint der bescheidene Mensch zu sein. Bescheiden, was ist denn bescheiden? Bescheiden ist, der sich seiner Grenzen bewußt ist und dieselben einhält, der keine Ansprüche macht, die hinausgehen über die Gabe seiner Leistung. Der mit einem Wort mäßiglich von sich hält und seinen Wert lieber niedriger als zu hoch taxiert.
Ein Meister der Bescheidenheit war Johannes der Täufer. Der wußte genau die Grenze seines Berufes und seiner Aufgabe. Er hielt mäßiglich von sich und machte keine Ansprüche, die hinausgingen über die ihm von Gott verliehene Stellung. Ihr wisset, als die Hohenpriester eine Gesandschaft zu ihm schickten mit der Frage: Bist du Elias oder ein Prophet u. s. w., was für eine bescheidene Antwort er gab. Bist du Elias? Und er hätte im gewissen Sinn sagen können, daß er es wäre, denn der HErr sagt: Wenn ihr es nur annehmen wollt, daß er Elias ist oder ein Prophet, gesandt an euch, ja er ist mehr als ein Prophet. Trotzdem sagt Johannes: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste, zu richten den Weg des HErrn, deß ich nicht wert bin, daß ich seine Schuhriemen auflöse.“ Schlichter und anspruchsloser hätte sich Johannes nicht bezeichnen können. Dafür ist er aber auch erhöhet worden. Was hat der HErr ihm für eine Lobrede, für eine Standrede gehalten! Was hat er ihm für ein schallendes schließliches Lob gegeben, als er sagte: „Einen
Johannes Deinzer: Zwei Predigten vom sel. Missionsinspektor Johannes Deinzer. ohne Verlag, Bryan (Ohio) 1908, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Predigten_vom_sel._Missionsinspektor_Johannes_Deinzer.pdf/7&oldid=- (Version vom 30.6.2016)