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oder vielleicht dessen, worum wir gebetet haben und das wir nun fürchten zu empfangen. Je länger ich forsche, Ernst, um so klarer sehe ich, daß die Schönheit der sichtbaren Künste ebenso wie die Schönheit der Musik vorwiegend auf der Impression beruht, und daß sie beeinträchtigt werden kann und oft beeinträchtigt wird, sowie der Künstler zu viel intellektuale Absicht hineinlegt. Denn wenn das Werk fertig ist, hat es gleichsam aus sich selbst heraus ein unabhängiges Leben und hat uns vielleicht ganz etwas anderes zu sagen, als sein Meister ihm auf die Lippen legte. Wenn ich der Ouvertüre zu „Tannhäuser“ zuhöre, ist es mir freilich manchmal, als gewahre ich, wie dieser zierliche Rittersmann leise über das blumenbesäte Gras schreitet, und als höre ich die Stimme der Venus, die ihn aus dem hohlen Berge zu sich ruft. Aber zu andern Zeiten spricht sie von tausend andern Dingen zu mir, von mir selbst vielleicht und meinem eigenen Leben, oder von dem Leben anderer, die man geliebt hat und nicht mehr liebt, oder von den Leidenschaften, die der Mensch nie gekannt hat und darum begehrt. Heute abend mag sie einen mit diesem ΕΡΩΣ ΤΩΝ ΑΔΥΝΑΤΩΝ erfüllen, dem Amour de l’Impossible, der viele wie ein Wahnsinn befällt, die gedacht hatten, sie lebten sicher und sorglos, so daß sie plötzlich vom Gifte eines unstillbaren Verlangens erkranken und im endlosen Begehren dessen, was sie nicht erlangen können, schwach und ohnmächtig werden oder zu Falle kommen. Morgen mag sie wie die Musik, von der Aristoteles und Platon berichten, die edle dorische Musik der Griechen, das Werk eines Arztes an uns tun und uns ein Linderungsmittel gegen den Schmerz geben und den wunden Geist heilen und „die Seele zur Harmonie mit allen guten Dingen bringen“. Und das nämliche