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Ernst: Mir scheint, ich habe einmal eine andere Theorie der Kritik gehört.

Gilbert: Jawohl, sie stammt von einem, dessen gesegnetes Andenken wir alle verehren, dessen Flötentöne einst Proserpina aus ihren sizilischen Gefilden lockten und ihre weißen Füße über die Primeln von Cumnor wandeln ließen, und er sagte, das eigentliche Ziel der Kritik sei, das Objekt so zu sehen, wie es in Wirklichkeit und an sich ist. Das aber ist ein sehr ernster Irrtum und trägt der vollendetsten Form der Kritik nicht Rechnung, die in ihrem Wesen rein subjektiv ist und ihr eigenes Geheimnis zu enthüllen sucht und nicht das eines andern. Denn die höchste Kritik nimmt die Kunst nicht als Expression, sondern lediglich als Impression.

Ernst: Aber verhält es sich wirklich so?

Gilbert: Natürlich. Wer kümmert sich darum, ob Ruskins Meinungen über Turner richtig sind oder nicht? Was macht es aus? Seine machtvolle und majestätische Prosa, die in ihrer edeln Beredsamkeit so glühend und feuerfarben ist, in ihrer ausgearbeiteten symphonischen Musik so reich, in der feinen Wahl des Worts und Epithetons in ihren besten Stücken so sicher und gewiß ist, ist mindestens ein ebenso großes Kunstwerk wie irgendeiner der wundervollen Sonnenuntergänge, die auf ihrer dem Verderben ausgesetzten Leinwand in der National Gallery verblassen oder vermodern; größer fürwahr, ist man manchmal geneigt zu denken, nicht bloß, weil ihre ebenbürtige Schönheit dauernder ist, sondern wegen der reicheren Vielfältigkeit ihres Wirkens, indem die Seele durch diese Zeilen langen Atems zur Seele spricht, nicht durch Form und Farbe allein, obwohl durch sie fürwahr völlig und ohne Verlust, sondern