Seite:Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben.pdf/8

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Cyrill: Nun, du brauchst ja die Landschaft nicht anzusehen. Du kannst im Gras liegen und rauchen und plaudern.

Vivian: Aber die Natur ist so unbequem. Das Gras ist hart und klobig und feucht und wimmelt von schrecklichen schwarzen Insekten. Wahrhaftig, der armseligste Arbeiter von Morris kann dir eine bequemere Sitzgelegenheit schaffen als die ganze Natur. Die Natur wird besiegt von den Möbeln aus „der Straße, die von Oxford den Namen genommen“, wie der Dichter, den du so liebst, einmal höchst schnöde gesagt hat. Ich beklage mich nicht darüber. Wäre die Natur bequem gewesen, die Menschheit wäre nie zur Baukunst gekommen, und ich habe Häuser lieber als die freie Luft. Im Hause fühlen wir alles in seinem rechten Verhältnis. Alles ist uns untergeordnet, für unsern Gebrauch und unser Vergnügen gebaut. Ja, der Egoismus, der für das rechte Gefühl von Menschenwürde so notwendig ist, kommt ganz und gar vom Leben innerhalb der vier Wände. Draußen wird man abstrakt und unpersönlich. Die Individualität verläßt uns völlig. Und dann ist die Natur so gleichmachend und gleichgültig, so geringschätzig und ohne Sinn für Unterschiede. Jedesmal, wenn ich durch den Park gehe, habe ich das Gefühl, daß ich für sie nicht mehr bin als die Kühe, die auf der Böschung weiden, oder die Klette, die im Graben blüht. Nichts ist so sicher, wie daß die Natur einen Haß auf den Geist hat. Denken ist die ungesundeste Sache in der Welt, und die Menschen sterben genau so daran wie an einer andern Krankheit. Zum Glück ist, wenigstens in England, das Denken nicht ansteckend. Unsere glänzende Volksgesundheit kommt ganz und gar von unserer Nationaldummheit. Ich will nur hoffen, wir können dieses große historische Bollwerk unseres

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)