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trefflich analysieren können? Wenn man dies Buch gelesen hat, wundert man sich nicht mehr, daß die Kunstkritik in Alexandria eine so mächtige Rolle gespielt hat, und daß wir sehen, wie da die künstlerischen Naturen der Zeit jede Frage des Stils und der Manier untersuchen, wie sie zum Beispiel die großen akademischen Schulen in der Malerei besprechen, wie die Schule von Sikyon, die die würdevollen Traditionen des antiken Stils erhalten wollte, oder die realistischen und impressionistischen Schulen, die das tatsächliche Leben nachbilden wollten, oder die idealistischen Elemente im Porträt oder den künstlerischen Wert, den die epische Form in einer so modernen Zeit, wie ihre war, beanspruchen konnte, oder den eigentlich geeigneten Gegenstand für die künstlerische Behandlung. Ja, ich fürchte sogar, auch die unkünstlerischen Naturen der Zeit beschäftigten sich mit den Dingen der Literatur und Kunst, denn endlos waren die Beschuldigungen des Plagiats, und solche Beschuldigungen werden entweder von den dünnen, blutlosen Lippen der Impotenz ausgesprochen, oder sie entstammen dem grotesken Mund solcher, die nichts Eigenes besitzen, und wähnen, sie erlangten den Ruf, etwas zu haben, wenn sie schreien, man habe sie bestohlen. Und ich versichere dich, lieber Ernst, die Griechen schwatzten genau soviel wie die Menschen heutzutage über Bilder und Maler, und sie hatten ihre Kunstsalons und populären Ausstellungen, und Künstlerbünde, und präraphaelitische Bewegungen, und realistische Richtungen, und sie hielten Vorträge über Kunst und schrieben Kunstessays und hatten ihre Kunsthistoriker und ihre Archäologen und alles miteinander. Ja, die Impresarios von Wandertruppen nahmen sogar ihre Theaterkritiker mit auf die Reise und zahlten

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/77&oldid=- (Version vom 1.8.2018)