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Schuppen, und wie eine Blüte formte sich unter seinen Händen aus dem stillen Sausen der Scheibe die Vase. Er zierte sie oben und unten und an den Henkeln mit schmuckem Olivenlaub oder Akanthusblättern oder mit den Bögen und Kämmen der Wellen. Dann malte er schwarz oder rot Jünglinge im Ringkampf oder im Wettlauf; Ritter in voller Rüstung, mit seltsamen Wappenschildern und absonderlichen Visieren, die sich aus der Muschel des Wagens zu den bäumenden Rossen vorbogen; die Götter beim Schmause oder dem Werk ihrer Wunder; die Helden im Sieg oder der Mühsal. Manchmal ätzte er in dünnen Scharlachlinien auf weißem Grund den verlangenden Bräutigam und die Braut und den Eros, der sie umschwebt – einen Eros wie einer von Donatellos Engeln, ein kleiner lachender Kerl mit goldenen oder himmelblauen Flügeln. Auf die innere Seite schrieb er wohl den Namen seines Freundes. ΚΑΛΟΣ ΑΛΚΙΒΙΑΔΗΣ oder ΚΑΛΟΣ ΧΑΡΜΙΔΗΣ sagt uns die Geschichte seiner Tage. Und wiederum zeichnete er auf den Rand der großen flachen Schale den äsenden Hirsch oder den ruhenden Löwen, wie ihm die Laune stand. Auf der kleinen Parfümflasche sah man die lachende Aphrodite bei der Toilette, und Dionysos tanzte, gefolgt von Mänaden mit nackten Beinen, um den Weinkrug auf nackten, mostbeschäumten Füßen, während satyrgleich der alte Silen sich auf den geblähten Weinschläuchen wälzte oder die magische Lanze schüttelte, die an der Spitze einen durchbrochenen Tannzapfen hatte und von dunklem Efeu umflochten war. Und es unterfing sich niemand, den Künstler bei seinem Werke zu stören. Kein unverantwortliches Geplapper störte ihn. Von keinen Meinungen wurde er gequält. Am Ilyssus, sagt Arnold einmal, gab

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/68&oldid=- (Version vom 1.8.2018)