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zum Chaos. Und doch war er groß. Er ist ein Denker genannt worden und war gewiß ein Mann, der immer dachte und immer laut dachte; aber nicht der fertige Gedanke reizte ihn, sondern eher der Bewegungsvorgang des Denkens. Den Mechanismus liebte er, nicht sein Produkt. Das Verfahren, durch das der Narr zu seiner Narrheit kommt, war ihm ebenso wert wie die letzte Weisheit des Weisen. So sehr reizte ihn wahrlich der feine Mechanismus des Geistes, daß er die Sprache verachtete oder auf sie als ein unvollkommenes Ausdrucksmittel herabsah. Der Reim, dieses köstliche Echo, das in dem hohlen Berg der Muse seine eigene Stimme schafft und beantwortet: der Reim, der in den Händen des wirklichen Künstlers nicht nur ein stoffliches Element metrischer Schönheit, sondern ebenso ein geistiges Element des Gedankens und der Leidenschaft wird, indem er etwa in eine neue Stimmung versetzt oder eine neue Flucht Ideen aufregt oder durch die bloße Lieblichkeit und Eindrucksmacht des Klanges irgendwo ein goldenes Tor öffnet, an das selbst die Phantasie vergeblich gepocht hatte; der Reim, der aus den Äußerungen von Menschen eine Rede von Göttern machen kann; der Reim, die einzige Saite, die wir der griechischen Leier hinzugefügt haben, wurde in den Händen Robert Brownings zu einer grotesken, verunglückten Sache, so daß er als Dichter manchmal wie ein kleiner Komödiant ausstaffiert war und den Pegasus derart ritt, daß seine eigene Zunge ins Gebiß kam. Er hat Augenblicke, wo er mit einer gräßlichen Art Musik peinigt. Ja, er geht soweit, wenn er nur dadurch zu einer Musik kommen kann, daß er die Saiten seiner Laute zerbricht, so tut er es, und sie zerkrachen kreischend, und keine athenische Zikade, die mit zitternden Flügeln Musik macht, leuchtet

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.8.2018)