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Kunst ihm bestimmte schöne Formen bietet, durch die es diesen Drang erfüllen kann. Diese Theorie ist niemals zuvor aufgestellt worden, aber sie ist äußerst fruchtbar und wirft ein völlig neues Licht auf die Kunstgeschichte.

Als dazugehöriger Folgesatz ergibt sich die Anmerkung, daß die äußere Natur ebenfalls die Kunst nachahmt. Das einzige Wirkungsvolle, was sie uns zeigen kann, ist das, was wir bereits vermittelst der Poesie oder in Gemälden gesehen haben. Dies ist das Geheimnis der Schönheit der Natur, aber auch die Erklärung ihrer Schwäche.

Die schließliche Enthüllung ist, daß das Lügen, schöne unwahre Dinge zu sagen, das eigentliche Ziel der Kunst ist. Aber davon habe ich, denke ich, lange genug gesprochen. Und jetzt wollen wir auf die Terrasse hinausgehen, wo „milchweiß und geisterhaft der Pfau in Dämmerung verschwebt“ und der Abendstern „das Abendgraun in Silber wäscht“. Im Zwielicht wird die Natur ein wunderschöner, eindringlicher Stimmungseffekt und ist nicht ohne Lieblichkeit, obwohl ihr Hauptwert vielleicht darin besteht, Zitate der Dichter zu illustrieren.

Komm! Wir haben lange genug geredet.

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)