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der Herren Dowdeswell nur zu gut zeigte. Er wußte nicht, daß die japanischen Menschen nur, wie gesagt, eine Stilart sind, ein phantastisch erlesenes Gebilde der Kunst. Und so wirst du, wenn du eine japanische Stimmung sehen willst, nicht den Reisenden spielen und nach Tokio fahren. Du wirst im Gegenteil zu Hause bleiben und dich in die Werke bestimmter japanischer Künstler versenken, und wenn du dann den Geist ihres Stils in dich aufgenommen und ihre bestimmte Phantasieform des Lebens erfaßt hast, wirst du dich eines Nachmittags in den Hydepark setzen oder nach Piccadilly schlendern, und wenn du da nicht eine absolut japanische Stimmung gewahren wirst, wirst du sie nirgendwo finden. Oder kehren wir wieder bei der Vergangenheit ein und nehmen als ein anderes Beispiel die alten Griechen. Meinst du, die griechische Kunst sagt uns im mindesten, wie die griechischen Menschen ausgesehen haben? Glaubst du, die Frauen in Athen hätten den erhabenen, majestätischen Gestalten vom Parthenonfries ähnlich gesehen oder den wunderherrlichen Göttinnen, die in den dreieckigen Giebelfeldern eben des Parthenons saßen? Wenn du nach der Kunst urteilst, waren sie ohne Frage so. Aber lies einen Kundigen wie zum Beispiel Aristophanes. Da findest du, daß die Frauen Athens sich fest schnürten, Schuhe mit hohen Absätzen trugen, ihr Haar gelb färbten, ihr Gesicht bemalten und schminkten und ganz genau jedem beliebigen albernen Mode- oder Straßenweib unserer Tage glichen. Die Sache ist die, daß wir auf die vergangenen Zeiten ganz und gar durch das Medium der Kunst zurückblicken, und die Kunst hat uns, Preis und Dank sei ihr, noch niemals die Wahrheit gesagt.

Cyrill: Aber die modernen Porträts englischer Maler,

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/46&oldid=- (Version vom 1.8.2018)