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der Dame, bei der sie lebte, durchgebrannt sei und für kurze Zeit in der Gesellschaft eine große Rolle gespielt hätte, ganz in der Manier von Mrs. Rawdon Crawley und völlig mit den selben Mitteln. Schließlich hatte sie Pech, verschwand nach dem Kontinent und tauchte manchmal in Monte Carlo und andern Spielplätzen auf. Der Edelmann, nach dem der nämliche große Sentimentalist „Colonel Newcome“ entworfen hatte, starb einige Monate nach dem Erscheinen der vierten Auflage der „Newcomes“, mit dem Wort: „Adsum“ auf den Lippen. Kurz nachdem Stevenson seine sonderbare psychologische Verwandlungsgeschichte „Dr. Jekyll“ veröffentlicht hatte, war einer meiner Freunde, ein gewisser Herr Hyde, im Norden Londons. Er hatte Eile, zu einem Bahnhof zu kommen, wollte abschneiden, verirrte sich und kam in ein Gewirre verdächtiger Gassen hinein. Er wurde etwas ängstlich und fing äußerst schnell zu gehen an, da rannte plötzlich aus einem Hausflur ein Kind zwischen seine Beine. Es fiel aufs Pflaster, er stolperte und trat auf das Kind. Natürlich erschrak es sehr, es tat ihm auch wehe, es fing zu schreien an, und in ein paar Sekunden war die ganze Straße voll gefährlichen Gesindels, das wie Ameisen aus den Häusern hervorkam. Sie umringten ihn und wollten seinen Namen wissen. Gerade war er dabei ihn zu nennen, als ihm der Anfang in Stevensons Geschichte einfiel. Da erfaßte ihn ein solches Entsetzen, daß er in eigener Person diese schreckliche, vorzüglich erfundene Szene gespielt habe, und daß er zwar durch ein Versehen, aber tatsächlich getan habe, was der Herr Hyde der Erzählung absichtlich tat, daß er, so schnell er konnte, fortrannte. Er wurde indessen sehr scharf verfolgt und flüchtete schließlich in das Haus eines Wundarztes, dessen Tür zufällig

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)