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Caliban und Ariel zu Dienern gegeben hat, der die Tritonen vernahm, wie sie um die Korallenriffe der Zauberinsel ihre Hörner erschallen ließen, und die Feen, die in einem Walde bei Athen ihren Wechselgesang anstimmten, der die Gespensterkönige in düsterem Zuge durch den Nebel der schottischen Heide wallen und Hekate mit den Schicksalsschwestern in einer Höhle hausen ließ. Sie wollen sich auf Shakespeare berufen – sie tun es immer – und zitieren die abgedroschene Stelle von der Kunst, die der Natur den Spiegel vorhält, und vergessen dabei, daß dieser unglückliche Spruch von Hamlet absichtlich gesagt wird, um die Zuhörer von seinem völligen Wahnsinn in Kunstdingen zu überzeugen.“

Cyrill: Hm! Noch eine Zigarette, bitte.

Vivian: Lieber Junge, du kannst sagen, was du willst, es ist lediglich eine Äußerung, die zur Handlung des Dramas gehört und gibt Shakespeares wirkliche Meinung über die Kunst nicht mehr wieder als die Reden Jagos seine wirkliche Meinung über die Moral. Aber laß mich den Absatz zu Ende lesen:

„Die Kunst findet ihre eigene Vollendung in sich selbst und nicht draußen. Sie kann nicht mit irgend einem äußerlichen Maßstab der Ähnlichkeit beurteilt werden. Sie ist eher ein Schleier als ein Spiegel. Sie birgt Blumen, von denen die Natur nichts weiß, Vögel, die in keinen Waldungen nisten. Welten macht sie und macht sie zunichte, und kann den Mond an einem scharlachenen Band vom Himmel ziehen. Sie hat ‚Formen, die wirklicher sind als das Menschenkind‘, und sie hat die großen Urtypen, von denen die konkreten Dinge bloß unvollendete Kopien sind. Die Natur hat in ihren Augen keine Gesetze, keine

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)