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und die Dinge, die das Leben nicht hat, zu seinem Ergötzen erfunden und umgeformt sind. Aber überall, wo wir zum Leben und zur Natur zurückgekehrt sind, ist unsere Kunst gemein, gewöhnlich und uninteressant geworden. Die modernen Tapeten und Teppiche mit ihren Lufteffekten, ihrer durchgeführten Perspektive, ihren ausgedehnten Wolkenhimmeln, ihrem getreuen und ins einzelne gehenden Realismus, haben nicht die geringste Schönheit. Die Glasmalerei Deutschlands ist völlig abscheulich. Wir fangen in England an, Teppiche zu weben, die möglich sind, aber nur weil wir zum Verfahren und Geist des Ostens zurückgekehrt sind. Unsere Decken und Teppiche vor zwanzig Jahren, mit ihren feierlichen, schwermütigen Wahrheiten, ihrem faden Naturkultus, ihrer gemeinen Wiedergabe von Dingen der sichtbaren Welt, sind selbst für den Philister zum Lachen geworden. Ein gebildeter Mohammedaner sagte einmal zu uns: „Ihr Christen habt so viel damit zu tun, das vierte Gebot zu mißdeuten, daß ihr nie daran gedacht habt, einen künstlerischen Gebrauch vom zweiten zu machen.“ Er hatte völlig recht, und der wahre Sachverhalt ist: Die rechte Schule für die Kunst ist nicht das Leben, sondern die Kunst.“

Und jetzt möchte ich dir eine Stelle vorlesen, die mir die Frage sehr vollständig zu erledigen scheint:

„Es war nicht immer so bestellt. Wir brauchen über die Dichter nichts zu sagen, denn mit Ausnahme des unglücklichen Wordsworth sind sie immer ihrer hohen Aufgabe treu geblieben, und allgemein wird ihre völlige Unzuverlässigkeit anerkannt. Aber in den Schriften des Herodot, der trotz den seichten und schnöden Versuchen moderner Halbwisser, die Wahrheit seiner Geschichte festzustellen, mit Recht der Vater der Lügen heißen darf; in den Veröffentlichungen

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)