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die Menschen in ihr nur, was sie in sie hineintragen. Sie hat keine eigene Bedeutung. Wordsworth ging zu den Seen, aber er war keineswegs ein Seedichter. Er fand in den Steinen die Reden, die er in sie getan hatte. Er ging moralisierend im Seengebiet herum, aber seine schöne Arbeit tat er, als er zurückkehrte, nicht zur Natur, sondern zur Poesie. Die Poesie schenkte ihm „Laodamia“ und die schönen Sonette und die große Ode, so wie sie ist. Die Natur gab ihm „Martha Ray“ und „Peter Bell“ und den Sang auf den Spaten des Herrn Wilkinson.

Cyrill: Diesen Standpunkt halte ich für fragwürdig. Ich möchte denn doch an den „begeisternden Frühlingswald“ glauben, obwohl natürlich der künstlerische Wert eines solchen begeisternden Spornes ganz und gar von der Individualität abhängt, die ihn empfängt, so daß die Rückkehr zur Natur darauf hinausliefe, einfach die Förderung einer großen Persönlichkeit zu bedeuten. Ich meine, dem könntest du zustimmen. Jedoch lies deinen Artikel weiter vor.

Vivian (liest): „Die Kunst beginnt als abstrakte Zierkunst, sie bleibt im Bereich des Phantastischen und Spielerischen und beschäftigt sich mit dem Unwirklichen und Nichtseienden. Dies ist das erste Stadium. Dann wird das Leben von diesem neuen Wunder zauberisch angezogen und bittet, in dies geheimnisvoll schöne Gebiet zugelassen zu werden. Die Kunst nimmt das Leben als ein Stück ihres Rohmaterials, schafft es neu und stellt es in frischen Formen wieder her, kümmert sich gar nichts um Tatsachen, erfindet, phantasiert, träumt und errichtet zwischen sich und der Wirklichkeit die unübersteigbare Schranke des schönen Stils, der dekorativen oder idealen Behandlung. Das dritte

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)