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Lucians von Rubempré. Das ist ein Kummer, der nie ganz in mir erstorben ist. Wenn ich mich dem Vergnügen hingeben will, stellt er sich mir in den Weg. Er fällt mir ein, wenn ich lache. Balzac aber ist in keiner andern Weise Realist als es Holbein war. Er schuf Leben, er schrieb es nicht ab. Ich gebe jedoch zu, daß er einen viel zu hohen Wert auf die Modernität der Form legte, und daß es daher kein Buch von ihm gibt, das sich der künstlerischen Meisterschaft nach in eine Reihe mit „Salambô“ oder „Esmond“ oder „The Cloister“ and „The Hearth“ oder dem „Vicomte de Bragelonne“ stellen könnte.

Cyrill: Du hast also etwas gegen die Modernität der Form?

Vivian: Ja. Es ist dabei ein ungeheurer Preis für ein sehr armseliges Ergebnis zu zahlen. Die reine Modernität der Form bringt immer etwas Gewöhnliches mit sich. Es kann nicht anders sein. Das Publikum bildet sich ein, weil es sich für seine unmittelbare Umgebung interessiert, müsse es die Kunst auch tun und sie als Gegenstand nehmen. Aber die bloße Tatsache, daß das Publikum sich für diese Dinge interessiert, macht sie zu Gegenständen, die für die Kunst ungeeignet sind. Die einzigen schönen Dinge, hat einmal jemand gesagt, sind die Dinge, die uns nichts angehen. Solange etwas nützlich oder nötig für uns ist oder uns irgendwie berührt, mit Lust oder mit Unlust, oder zu unserm Gefühl spricht, oder ein in Betracht kommender Teil der Umgebung ist, in der wir leben, stellt es sich außerhalb der eigentlichen Sphäre der Kunst. Dem Gegenstand der Kunst gegenüber sollen wir uns mehr oder weniger uninteressiert verhalten. Wir sollten jedenfalls keine Vorliebe haben, kein Vorurteil, kein Parteigefühl irgend

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/20&oldid=- (Version vom 1.8.2018)