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ich – erzählt von einem, der immer über seinen eigenen Witz stolpert, und es scheint mir, davon könnte die Kritik der Methode Merediths ausgehen. Aber was er auch sonst ist, ein Realist ist er nicht. Oder noch eher möchte ich sagen, daß er ein Kind des Realismus ist, das sich aber mit seinem Vater überworfen hat. Aus freiem Entschluß hat er sich zum Romantiker gemacht. Er hat es abgelehnt, vor Baal die Kniee zu beugen, und überhaupt, selbst wenn der feine Geist des Mannes sich nicht gegen die lärmenden Behauptungen des Realismus aufgelehnt hätte, sein Stil an sich wäre schon genug gewesen, das Leben in respektvoller Entfernung zu halten. Vermittelst dieses Stils hat er um seinen Garten eine Hecke gepflanzt, voller Dornen und wunderschöner roter Rosen. Und was Balzac angeht, so war er eine sehr bemerkenswerte Verbindung künstlerischen Temperamentes und Wissenschaftsgeistes. Den letztern hinterließ er seinen Jüngern: das erstere war ganz und gar sein eigen. Der Unterschied zwischen so einem Buch wie Zolas „L’Assommoir“ und Balzacs „Illusions Perdues“ ist der Unterschied zwischen phantasielosem Realismus und phantastischer Wirklichkeit. „Alle Charaktere Balzacs,“ sagte Baudelaire, „atmen dasselbe glühende Leben, das ihn selbst beseelte. Seine Erzählungen sind alle wie Träume, tief in Farbe getaucht. Jeder Geist, den er darstellt, ist wie eine Kanone, die bis zur Mündung mit Willen geladen ist. Selbst die Scheuermägde haben Genie.“ Ständiger Umgang mit Balzac macht aus unsern wirklichen Freunden Schatten und aus unsern Bekannten Schatten von Schatten. Seine Charaktere haben eine Art glühend feuerfarbenes Dasein. Sie nehmen Besitz von uns und trotzen aller Skepsis. Eine der größten Tragödien meines Lebens ist der Tod

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)