Seite:Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben.pdf/15

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ein nachdenklicher junger Freund sagte uns einmal, das Buch erinnere ihn an die Sorte Gespräche, die an einem Teeabend im Hause einer ernsthaften Quäkerfamilie gepflogen werden, und wir glauben es gern. In der Tat konnte so ein Buch nur in England geschrieben werden. England ist das Land der stehen gelassenen Ideen. Was die große und täglich wachsende Schule der Romanschreiber angeht, denen die Sonne immer im Ostend aufgeht, so kann nur eins über sie gesagt werden: sie finden das Leben greulich und lassen es scheußlich.

In Frankreich ist zwar nichts so ausgesucht Ledernes wie „Robert Elsmere“ geschrieben worden, aber viel besser steht es nicht. Guy de Maupassant reißt mit seiner bitteren, brennenden Ironie und seinem festen, lebendigen Stil dem Leben die paar armen Lappen, die es noch bedecken, ab und zeigt uns faule Geschwüre und eiternde Wunden. Er schreibt unheimliche kleine Tragödien, in denen alle zum Lachen sind; bittere Komödien, über die man vor Tränen nicht lachen kann. Zola befolgt das stolze Prinzip, das er in einem seiner Literaturpronunziamentos niedergelegt hat: L’homme de génie n’a jamais d’esprit und ist entschlossen zu zeigen, daß er, wenn er schon kein Genie aufzuweisen hat, doch wenigstens trostlos sein kann. Und wie es ihm gelingt! Er ist nicht ohne Kraft. Es ist wirklich manchmal, zum Beispiel in „Germinal“, etwas fast Episches in seinen Büchern. Aber sein Schaffen ist völlig schlecht von Anfang bis zu Ende, und ist schlecht nicht auf Grund der Moral, sondern auf Grund der Kunst. Von jedem ethischen Standpunkt aus ist es gerade, was es sein soll. Der Schriftsteller ist völlig wahrhaft und beschreibt die Dinge genau so, wie sie geschehen. Was kann der Moralist mehr verlangen?

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)