Seite:Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben.pdf/142

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

sie doch in Gestalten der Schönheit verwandelt und sie zu Trägern von Mitleid oder Furcht macht und ihr Farbenelement und ihr Seltsames und auch ihren wahren ethischen Sinn aufdeckt und aus ihnen eine Welt baut, die wirklicher ist als die Wirklichkeit selbst und von stolzerer und edlerer Bedeutsamkeit – wer soll ihm Schranken setzen? Nicht die Apostel dieses neuen Journalismus, der doch nur der alte breitgetretene Quark ist. Nicht die Apostel dieses neuen Puritanismus, der bloß das Gewinsel des Heuchlers ist. Schon die Vorstellung bringt zum Lachen. Lassen wir dieses elende Volk und gehen zur Erörterung der künstlerischen Eigenschaften über, die der wahre Kritiker haben muß.

Ernst: Und was sind das für Eigenschaften? Sag es mir selbst.

Gilbert: Temperament ist das erste Erfordernis des Kritikers – ein Temperament, das für die Schönheit und die mannigfachen Impressionen, die die Schönheit uns gibt, selten empfänglich ist. Unter was für Bedingungen und durch welche Mittel dieses Temperament in einem Volke oder Individuum erzeugt wird, wollen wir jetzt nicht untersuchen. Es genügt festzustellen, daß es da ist, und daß in uns ein Schönheitssinn vorhanden ist, der von den andern Sinnen getrennt ist und über ihnen steht, der von der Vernunft getrennt und von edlerer Art ist, der von der Seele getrennt und von gleichem Wert ist – ein Sinn, der einige zum Schaffen und andere, die ich für die feineren Geister halte, zur bloßen Kontemplation führt. Aber um rein und vollkommen zu werden, bedarf dieser Sinn einer ausgesuchten Umgebung in irgendeiner Gestalt. Ohne das geht er zugrunde oder wird taub. Du erinnerst dich an die entzückende Stelle, an der Plato beschreibt, wie